Insektenschutz: SPD und Grüne fallen Umweltministerin Schulze in den Rücken
Im Ringen um ein Insektenschutzgesetz schlagen sich ausgerechnet SPD-Umweltminister Lies und der Grüne Kretschmann auf die Seite von Agrarministerin Klöckner
Kommt das Insektenschutzgesetz noch oder scheitert das Prestigevorhaben der Bundesregierung im Umweltschutz?
Bis zur letzten Minute ringen Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium um einen Kompromiss. Wissenschaftlerïnnen warnen vor weiteren Verlusten von Artenvielfalt, wenn die Insekten nicht besser geschützt werden. Insekten sind unter anderem als Bestäuber von Wild- und Nutzpflanzen und als Nahrung für größere Tiere wichtig.
Noch immer ist offen, ob es gelingt, eines der wichtigsten umweltpolitischen Vorhaben der Koalition noch wie angekündigt am Mittwoch im Kabinett zu verabschieden und damit die Chance zu wahren, es noch rechtzeitig vor der Bundestagswahl durch das Parlament zu bringen.
Nach Informationen zum aktuellen Verhandlungsstand zeichnet sich aber jetzt bereits ab: Selbst wenn es noch etwas wird mit dem Gesetz, wird es weitere erhebliche Abstriche von den ursprünglichen Plänen geben. Ein Grund dafür ist, dass ausgerechnet Teile von SPD und Grünen die Position von Bundesumweltministerin Svenja Schulze schwächen.
Ringen auch über das Wochenende
In den Fachabteilungen beider Ministerien herrscht seit Tagen Ausnahmezustand. In den Ministerien wird fieberhaft an Kompromissformeln gearbeitet, berichten Beteiligte. Nach Informationen der RiffReporter hat das Bundeskanzleramt beiden Ministerien eine Einigungsfrist bis Montag gesetzt. Bis dahin wurde das ganze Wochenende um die künftigen Auflagen vor allem für die Anwendung insektenschädlicher Agrarchemikalien gerungen. Die Präsidentin des Bundesamts für Naturschutz, Beate Jessel warnt vor einer dramatischen Verarmung der Landschaft, wenn es zu keinem Umsteuern kommt.
Auch ein zweites Spitzengespräch der beiden Ministerinnen mit dem Bundeskanzleramt am vergangenen Donnerstag – das erste fand am 21. Januar statt – brachte offenbar keinen Durchbruch. Nach außen hin geben sich beide Ministerien zugeknöpft, was den Stand der Verhandlungen angeht. Eine Sprecherin des Umweltministeriums sagte lediglich, man strebe weiterhin an, am Mittwoch einen Gesetzentwurf im Kabinett zu verabschieden.
Das Paket, das dabei geschnürt werden soll, besteht aus einer Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes unter Kontrolle von Schulze und der Pflanzenschutz-Anwendungs-Verordnung in Zuständigkeit von Klöckner. Während im Bundesnaturschutzgesetz erstmals Maßnahmen gegen Lichtverschmutzung festgeschrieben werden und die Liste der geschützten Biotope erweitert werden soll, ist die Pflanzenschutz-Verordnung das härtere Element der beiden Teile des Insektenschutzgesetzes.
Dieser Teil ist zentral, um den Einsatz insektenschädlicher Chemikalien zu verringern. Klöckners bisheriger Entwurf war von Schulze als unzureichend abgelehnt worden. Er bleibe klar hinter den Vereinbarungen des Aktionsprogramms Insektenschutz zurück, das die Koalition bereits vor zwei Jahren verabschiedet hatte. Darin sei jedoch das Minimum dessen festgelegt worden, was geschehen müsse, um den von Wissenschaftlerïnnen diagnostizierten dramatischen Insektenschwund zu stoppen, argumentierte Schulze und nannte Klöckners Vorlage öffentlich „unmöglich“.
"Bienenschädlich" oder "biodiversitätsschädlich"?
Klöckner hat nun einen neuen Entwurf für die Pflanzenschutz-Verordnung erarbeiten lassen und ihn an Verbände und das Umweltministerium geschickt. Das Papier sieht einige Verschärfungen gegenüber der ersten Fassung vor. Zentrale Punkte sind aber weiter strittig. Das beginnt schon bei der Definition dessen, wie schädliche Insektengifte sprachlich eingegrenzt werden sollen, die künftig in Gebieten mit besonderer Bedeutung für den Naturschutz nicht eingesetzt werden dürfen.
Das Klöckner-Ministerium möchte die Formulierung „bienengefährlich“ verankern, was das Umweltministerium als viel zu eng gefasste Definition bislang strikt ablehnt wird. Das Schulze-Ministerium fordert den Begriff „biodiversitätsschädigend“ zu verwenden, weil er alle Bestäuber und andere Insekten einschließe, nicht allein Bienen.
Umstritten sind auch die Fragen, ob das Totalherbizid Glyphosat weiterhin großflächig auf ökologisch besonders wertvollem Grünland angewendet werden darf, bis Ende kommenden Jahres das von der EU beschlossene Anwendungsverbot in Kraft tritt, und wie groß der Abstand zu Gewässern beim Einsatz von Pflanzenschutzmitteln sein muss, um zu verhindern, dass die Giftstoffe ins Wasser gelangen und so ausgebreitet werden.
Besonders strittig und nach Einschätzung von Experten zugleich für den Insektenschutz besonders relevant ist die Frage, ob und wo es Ausnahmen beim geplanten Chemieeinsatz-Verbot in europäischen Flora-Fauna-Habitat-Schutzgebieten (FFH) geben soll. Ein Verbot von Herbiziden und Insektiziden in diesen europäischen Schutzgebieten mache den Obst- oder Gemüseanbau in weiten Teilen Deutschlands unmöglich, argumentiert Klöckner. Dies sei angesichts der hohen Abhängigkeit von Importen besonders gravierend, denn eine weiter steigende Abhängigkeit von Einfuhren habe entsprechende Auswirkungen auf die CO2-Bilanz.
Das vom Kabinett schon verabschiedete "Aktionsprogramm Insektenschutz" ist in diesem Punkt allerdings klar. Für die europäischen FFH-Schutzgebiete sieht es ein flächendeckendes Anwendungsverbot von Pflanzenschutzmitteln und bestimmten Insektenvernichtungsmitteln vor. Schulze hatte zudem deutlich gemacht, dass sie keine Abstriche an den Inhalten des Aktionsprogramms machen werde.
Klöckner setzt Ausnahmen für Schutzgebiete durch
Nach Informationen der RiffReporter erreichte Klöckner in den Verhandlungen aber bereits, dass der Chemikalieneinsatz beim Anbau von Gemüse und dem Anbau zur Vermehrung von Saatgut innerhalb solcher FFH-Gebieten erlaubt bleibt, die nicht zugleich Naturschutzgebiete sind. Nun will Klöckner im Interesse der Landwirtschaft weitere Ausnahmen, etwa für den gewerblichen Obstanbau erreichen..
Klöckner zeigte sich auf Anfrage der RiffReporter zuversichtlich, eine Einigung auch in den noch ausstehenden Streitpunkten erreichen zu können. Der Wille zur Einigung sei da, sagte sie nach der Sonderkonferenz der Agrarminister zur Reform der europäischen Agrarpolitik in der Nacht zum Samstag.
Nach meiner Ansicht sind die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen aus naturschutzfachlicher Sicht weitgehend sinnvoll (SPD-Umweltminister Lies an Klöckner)
Voraussetzung sei aber, dass durch ein Gesetz auf Bundesebene nicht Vereinbarungen unterlaufen würden, die in den Bundesländern bereits zwischen Landesregierungen und Landwirten getroffen worden seien. „Wir sollten nicht kaputt machen, was an guten Aktivitäten in den Ländern läuft“, sagte die CDU-Politikerin.
Dieser Hinweis kommt nicht zufällig. Klöckner verweist damit auf ein Problem der Bundesumweltministerin. Denn nicht einmal in ihrer eigenen Partei kann Schulze auf vollständigen Rückhalt für ihre Positionen zählen: Der niedersächsische Umweltminister Olaf Lies – ein Parteifreund Schulzes – ging sogar so weit, sich Ende vergangener Woche in einem Brief an CDU-Vize Klöckner demonstrativ von der Umweltministerin abzusetzen.
SPD-Minister schlägt sich auf Klöckners Seite
In dem Schreiben, das den RiffReportern vorliegt, lobt der SPD-Politiker Klöckner, während er Schulze Vorwürfe macht: „Nach meiner Ansicht sind die von Ihnen vorgeschlagenen Regelungen aus naturschutzfachlicher Sicht weitgehend sinnvoll“, schreibt Lies an die Adresse Klöckners.
Seiner Parteifreundin Schulze wirft er indirekt vor, „altbekannte Gräben aufzureißen und Konfrontation statt Konsens“ hervorzubringen. Die Forderungen Schulzes zur Regelung an Gewässerrandstreifen – die Ministerin will im Einklang mit dem Aktionsprogramm Insektenschutz einen 10-Meter-Abstand – und zum Pestizid-Verbot in FFH-Gebieten stellten Regelungen in Frage, die in Niedersachsen im Konsens zwischen Landwirtschaft und Politik gefunden worden seien, schreibt Lies.
Hintergrund ist, dass Landwirte durch gesetzliche Vorgaben für den Insektenschutz künftig den Verzicht auf bestimmte Praktiken nicht mehr wie bisher zusätzlich bezahlt bekämen, weil diese dann geltendes Gesetz und nicht bezahlte Sonderleistung wären.
Klöckner formuliert fast wortgleich wie der SPD-Minister aus Niedersachsen: „Wir sollten nicht kaputt machen, was an guten Aktivitäten in den Ländern läuft“, sagte die CDU-Politikerin. Und dem Umweltminister aus Niedersachsen wolle man sicher nicht unterstellen, dass er den Insektenschutz torpedieren wollte – ein Seitenhieb an die Adresse der Kabinetts-Kollegin Schulze.
Im Bundesumweltministerium herrscht eine Mischung aus Empörung und Kopfschütteln über den als Anbiederung empfundenen Brief des SPD-Manns Lies an Klöckner vor. Lies habe in Niedersachsen ohne Not „eine seichte Vereinbarung ausgehandelt“ – und dies wohl wissend, dass im Kabinett am weiterreichenden Insektenschutzgesetz gearbeitet werde. Jetzt den Eindruck zu erwecken, der Bund torpediere eine Landesregelung, sei eine krasse Verdrehung der Tatsachen.
Diese Maßnahmen würden zu steigenden Kosten in der Landwirtschaft und der regionalen Produktion von Lebensmitteln führen und gehen weit über das Anforderungsprofil des Biodiversitätsstärkungsgesetzes des Landes hinaus. (Land Baden-Württemberg)
In der Tat ist das Aktionsprogramm Insektenschutz bereits 2019 verabschiedet worden, als es noch keinen „Niedersächsischen Weg“ gab. Der Schaden für Schulze durch den Nackenschlag ihres Genossen ist gleichwohl groß. Und Lies steht mit seiner Kritik nicht allein da.
Auch grüne Landesregierung lässt Schulze auflaufen
Auch in Baden-Württemberg gibt es eigene Vereinbarungen mit der Landwirtschaft. Und auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann lässt Schulze auflaufen. In einem den RiffReportern vorliegenden Schreiben an den Deutschen Bauernverband lässt der Grünen-Politiker einen Spitzenbeamten ausrichten, dass seine Landesregierung zentrale Punkte im Insektenschutzgesetz nicht mittragen werde: Die geplante Ausweitung geschützter Biotope und das Anwendungsverbot von Herbiziden und biodiversitätsschädigenden Insektiziden.
„Diese Maßnahmen würden zu steigenden Kosten in der Landwirtschaft und der regionalen Produktion von Lebensmitteln führen und gehen weit über das Anforderungsprofil des Biodiversitätsstärkungsgesetzes des Landes hinaus“, schreibt der Beamte.
Ohne volle Rückendeckung aus der eigenen Partei und sogar ohne Unterstützung der wichtigsten grün-regierten Landesregierung dürfte Schulze Schwierigkeiten haben, sich weiteren Zugeständnissen zu verschließen. Am Sonntag hieß es denn auch aus dem Umweltministerium, man werde wohl weiteren Ausnahmen vom Chemikalienverbot in FFH-Gebieten zustimmen, um das Gesetz noch zu retten.
Auch zahlreiche Umweltverbände haben sich vorerst damit abgefunden, dass es beim Insektenschutzgesetz längst nicht mehr um einen großen Wurf in einer zentralen Frage des Biodiversitätsschutzes geht. Vielmehr müsse jetzt ein völliges Scheitern verhindert werden, lautet der Tenor einer gemeinsamen Erklärung.
Und so kam es, dass ein breites Bündnis aus Organisationen – unter anderem aus WWF, NABU, Deutscher Umwelthilfe und dem Dachverband DNR – trotz massiver Kritik an vielen darin vorgesehenen Regelungen – erklärte, man betrachte den den vorliegenden Entwurf für das Insektenschutzgesetz und die Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung als dringend notwendigen Schritt für mehr Insektenschutz in der Agrarlandschaft.
Neue Erkenntnisse aus Krefeld: Sogar häufige Insekten sind bedroht
Allerdings sprechen neue Forschungsergebnisse eher für einen strikten Kurs beim Insektenschutz. Es waren die Erkenntnisse von Krefelder Insektenforschern zum massenhaften Insekten-Biomasseverlust in deutschen Naturschutzgebieten, die die Debatte ausgelöst und maßgeblich zum Bekenntnis der Bundesregierung zum Insektenschutz beigetragen haben. Die Resultate von Messungen über drei Jahrzehnte waren der wichtigste Auslöser für die Arbeiten an einem Insektenschutzgesetz.
Just in den Tagen, in denen sich das Schicksal des Gesetzes entscheidet, melden sich die Forscher mit einer neuen Studie zu Wort: Hatten sie in der berühmten „Krefelder Studie“ nur nachweisen können, dass die Biomasse an Insekten zurückgeht, gingen sie jetzt der Frage nach, ob dies auch den Verlust der Biodiversität widerspiegelt.
Das Ergebnis ihrer Analyse unter 162 Schwebfliegenarten in deutschen Naturschutzgebieten lautet zusammengefasst: Mit der Biomasse geht auch die Artenvielfalt zurück. „Unter den aktuellen Bedrohungen sind sogar die häufigeren Arten in Gefahr, was eine Neubewertung der Gefahren und Schutzstrategien erfordert, die traditionell nur auf bereits seltene und gefährdete Arten abzielen“, schreiben sie im Fachjournal PNAS.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.