Bidens Klimagipfel: So viel Hoffnung war schon lange nicht
US-Präsident Joe Biden beendet am Tag der Erde die Zeit der Ignoranz und bringt Regierungschefs zur Klimakrise zu klaren Warnungen und Versprechen. Ein Kommentar
Es ist noch nicht einmal fünf Jahre her, dass die britische Premierministerin Theresa May den Zeitgeist so auf den Punkt brachte: "Wer glaubt, ein Weltbürger zu sein, ist ein Bürger von Nirgendwo." Dieser vielzitierte Frontalangriff gegen globales, kosmopolitisches Denken war wohlkalkuliert. May wollte damit nicht nur den von ihr vorangetriebenen Brexit rechtfertigen, sie gab einer globalen Welle von Rechtspopulismus und Nationalismus eine Legitimation. Was folgte, waren schwarze Jahre: Der rohe, brutale Egoismus à la Trump, die Absagen an internationale Kooperation in der Klimakrise, unzählige rassistische Gewalttaten.
Am Donnerstag wurde Mays giftiger Satz in der Mülltonne der Zeitgeschichte entsorgt, zumindest klang es sehr stark danach. Ausgerechnet der indische Premierminister Narendra Modi, im eigenen Land ein Rechtspopulist von Mays und Trumps Format, sprach seine Zuhörerinnen und Zuhörer beim Klimagipfel des US-Präsidenten Joe Biden als fellow citizens of this planet an, als Mitbürgerinnen und Mitbürger dieses Planeten.
Modi forderte "größtmögliches Tempo", globales Handeln und intensive Kooperation beim Kampf gegen die Klimakrise. In diese Forderung stimmte in einer weltweit übertragenen Runde von Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitikern aller Kontinente, wie die Welt sie zu lange nicht mehr erlebt hat, einer nach der anderen ein.
Die Weltpolitik bestätigt Greta Thunberg
Was US-Präsident Joe Biden am 92. Tag seiner Amtszeit mit dem Leaders' Summit on Climate schaffte, war phänomenal: Globales Denken und globale Kooperation sind zurück – dafür wird dieser Earth Day 2021 hoffentlich noch lange in Erinnerung bleiben. "Keine Nation kann diese Krise allein für sich selbst lösen", sagte Biden.
Es ist höchste Zeit für intensive globale Kooperation. 2015 feierten sich die Staaten der Erde für den Klimavertrag von Paris, der das Ziel festschreibt, die Erderhitzung möglichst unter 1,5 Grad Celsius im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu halten. Dann legte sich der Schatten des Rechtspopulismus und der Ignoranz gegenüber der Naturwissenschaft und den natürlichen Lebensgrundlagen über die Menschheit. Die USA traten aus dem Pariser Vertrag aus, die internationale Umweltpolitik verlor massiv an Schwung und Tempo.
Das Ergebnis ist katastrophal: Anfang April registrierten Klimaforscherinnen und Klimaforscher zum ersten Mal einen CO2-Anteil von mehr als 420 ppm in der Atmosphäre – Resultat gigantischer Mengen Treibhausgase aus fossiler Energieerzeugung, aus Auto- und Flugverkehr sowie aus der Zerstörung von Wäldern und Feuchtgebieten rund um den Globus.
Seit dem Pariser Klimagipfel hat es kein derart hoffnungsfrohes politisches Ereignis mehr gegeben wie die virtuelle Gipfelrunde am Earth Day, die Biden, seine Vizepräsidentin Kamala Harris und Außenminister Antony Blinken zusammengebracht haben. Jedes Wort, jeder Satz war eine Bestätigung dessen, auf was eine junge Schwedin namens Greta Thunberg im Sommer 2018 hinweisen wollte, als sie zum ersten Mal allein vor dem schwedischen Parlament demonstrierte – und womit sie Millionen von jungen und auch älteren Menschen zur Fridays-for-Future-Bewegung zusammenbrachte: Die Klimakrise gefährdet Wohlstand und Fortschritt. Es geht dabei um das Leben und gemeinsame Überleben aller Menschen.
Höchste Alarmstufe
Die Warnungen der Regierungschefinnen und -chefs beim virtuellen Klimagipfel hätten härter und klarer nicht sein können. Sie straften jeden Lüge, der noch immer einen Widerspruch zwischen ökonomischen und ökologischen Zielen konstruieren will.
Die Zeichen, dass eine gefährliche Klimakrise im Kommen sei, seien "unübersehbar und unwiderlegbar", sagte US-Präsident Biden zum Auftakt. Die "Kosten des Nichtstuns" türmten sich in die Höhe. Die Welt jenseits von 1,5 Grad Erwärmung beschrieb Biden als große Gefahr, auch für die Gesundheit der Menschen. UN-Generalsekretär António Guterres sagte, die Welt befinde sich im red alert, also in der höchsten Alarmstufe. Wir seien "nahe am Abgrund", weshalb jeder Schritt entscheidend sei. Der argentinische Präsident Alberto Fernández warnte, die Menschheit befinde sich auf einem "selbstmörderischen Pfad".
Erstaunliche Worte von Jair Bolsonaro
Bezeichnend für das Ereignis war, dass sich auch die autoritären, im eigenen Land brutal agierenden Führer zweier Staaten, mit denen sich die USA gerade in vielen anderen Fragen im Clinch befinden, an dem Gipfel beteiligten und ebenfalls mahnende Worte sprachen. Chinas Präsident Xi Jinping sagte, wir müssten die Natur "wie unseren Augapfel" behandeln und lernen "in Harmonie" mit ihr zu leben. Vladimir Putin drückte sich weniger poetisch aus, aber brachte in keinem Satz zum Ausdruck, dass er Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Klimakrise hat.
Am erstaunlichsten fiel der Auftritt des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro aus, der in seiner bisherigen Amtszeit keine Gelegenheit ausgelassen hat, die Entwaldung des Amazonas voranzutreiben und sich über Umweltschützer lustig zu machen.
Auf dem Bildschirm des Weißen Hauses pries genau dieser Bolsonaro aber den Artenreichtum des Amazonas, geißelte die Freisetzung von Treibhausgasen und versprach nicht nur, Brasilien bis 2050 klimaneutral zu machen. sondern auch die illegalen Abholzungen im Amazonas bis zum Jahr 2030 ganz zu unterbinden. Bolsonaro klang wie ein Umweltschützer, als er forderte, dem Artenreichtum und den ökologischen Dienstleistungen des "Amazonas-Bioms" und dem "stehenden Wald" einen ökonomischen Wert zu geben. Man kann den Auftritt als Theater abtun – oder als zumindest kleines Hoffnungszeichen sehen, dass selbst die hartnäckigsten Leugner langsam zur Vernunft kommen. Zu letzterem passt aber nicht, dass Bolsonaro den Etat seiner Regierung für Klima- und Umweltschutz am Tag nach Bidens Gipfel stark kürzte.
Dennoch: Dass gleich mehrere Staats- und Regierungschefs überhaupt das Wort "Biodiversität" in so prominentem Rahmen in den Mund nahmen und dass sie die Wohltaten der Natur für den Wohlstand der Menschheit priesen, ist schon ein Fortschritt an sich, wenn auch ein kleiner, sollte dies doch so selbstverständlich sein.
Das Versprechen grüner Jobs
Wieder und wieder erinnerten die Regierungschefs an zwei entscheidende Konferenzen, die Ende 2021 die konkreten Entscheidungen treffen, wie ernst die Versprechungen und Schwüre vom Earth Day wirklich gemeint sind und wie sie umgesetzt werden: Im Oktober soll im chinesischen Kunming der UN-Weltnaturschutzgipfel konkrete Ziele für die Erhaltung der Vielfalt des Lebens bis zum Jahr 2030 setzen. Im November geht es bei der 26. UN-Weltklimakonferenz darum, die Umsetzung des Pariser Klimavertrags sicherzustellen.
Die beiden Konferenzen zusammen machen 2021 zu einem Superjahr für die Zukunft der Erde. Während Impfungen der Corona-Pandemie zunehmend entgegenwirken, bleibt die Pandemie ökologischer Zerstörung weiter auf dem Vormarsch.
Deshalb war es so wichtig, dass US-Präsident Biden und andere Regierungschefs die Umweltkrise mit dem Pfad wirtschaftlicher Erholung von der Pandemie verbanden. Indem Biden die USA zu dem sensationellen Ziel verpflichtete, die CO2-Emissionen der Supermacht bis 2030 im Vergleich zu 2005 zu halbieren, trat er nicht nur eine Art Bieterwettbewerb um das ehrgeizigere Ziel los, sondern machte zugleich klar, dass die ökologische Transformation nicht zu Lasten der Wirtschaft gehen soll, sondern ihre Grundlage darstellt und "Millionen gut bezahlte Jobs" verspricht. Biden formulierte nicht weniger als das Äquivalent eines neuen Manhatten-Projekts, das die Dekarbonisierung der USA herbeiführen soll, einer neuen Mondlandung, die der Rettung des Weltklimas vor gefährlicher Überhitzung dient.
Die Kanzlerin in der Defensive
Wie groß die Herausforderung ist, machte UN-Generalsekretär Guterres unmissverständlich klar, als er forderte, dass die wohlhabenden Staaten schon bis 2030 alle ihre Kohlekraftwerke durch erneuerbare Energiequellen ersetzt haben und abschalten. Bundeskanzlerin Angela Merkel bemerkte dies wohl – blieb aber bei der Ansage, Deutschland werde dies erst bis 2038 tun. Ihr Auftritt fiel insgesamt hinter die Aussagen anderer zurück.
Merkels sanfter Seitenhieb, sie sei froh, dass die USA nun zurück am Verhandlungstisch sei, ging an der Wucht der Veranstaltung vorbei: Wenn die ökonomische, politische und militärische Supermacht USA wirklich ernst macht mit den Ankündigungen von gestern – und wenn es den fossil-autoritären Republikanern nicht gelingt, diesen Prozess zu sabotieren –, dann werden sie wie auch in der Digitalisierung den neuen Maßstab des Handelns schaffen.
Der Gipfel machte deshalb nicht nur Hoffnung, sondern legte auch die Widersprüche der aktuellen Politik offen. Für die nächste Bundesregierung ist spätestens seit dem Klimagipfel vom 22. April klar, dass sie nicht länger die internationalen Anstrengungen im Klimaschutz anführt, sich auch auf bisherigen Erfolgen nicht ausruhen kann. Und für viele ärmere Länder bleibt die Frage offen, wie sie von ihrem ökologischen Reichtum profitieren können, um den Aufbau einer umweltfreundlichen Wirtschaft zu finanzieren.
Jahrzehnt der Taten
Der Präsident von Gabun, Ali Bongo Ondimba, legte dar, dass die Wälder seines Landes mehr als vier Mal so viel Kohlendioxid aufnähmen wie die Bevölkerung emittiere – aber damit lässt sich noch kein Geld verdienen. Noch – denn genau um solche Fragen geht es bei den beiden UN-Umweltkonferenzen am Ende des Jahres.
Fünf harte Jahre waren nun die Ideen der Weltbürgerschaft und der multilateralen globalen Zusammenarbeit in den Hintergrund gedrängt worden. Seit dem Earth Day 2021 sind sie zurück. Den Worten des Klimatreffens müssen die Taten erst noch folgen.
Wortreiche Beschwörungen und Ankündigungen ohne Konsequenzen hat es vor allem in der globalen Umweltpolitik schon viele gegeben. Die Statements von Aktivistïnnen wie der jungen Mexikanerin Xiye Bastida, die auf die hohe Politik folgten, machten klar, wie groß der Kontrast von Ankündigungen und Realität ist: Bastida warf den Politikern vor, sie seien es, die naiv, realitätsfern und pessimistisch seien, nicht die Jugendlichen der Ökologiebewegung.
Auch dieser Auftritt ist ein positives Zeichen: Die Stimme der Jugend ist auf der höchsten Ebene der Weltpolitik angekommen und es gibt neben Greta Thunberg viele junge Menschen mehr, die klar aussprechen, was sie sich unter Fortschritt, Wohlstand, Zukunft vorstellen.
So viel Grund zur Hoffnung, dass die Menschheit die selbstgeschaffene Krise ihrer und aller Lebensbedingungen noch gemeinsam lösen kann, gab es schon lange nicht mehr. Was auf den Earth Day 2021 folgen muss ist in den Worten Bidens ein "Jahrzehnt der Taten."
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.
Dieser Betrag wurde am 24.4.2021 um 11.30 Uhr um die Nachricht zu Bolsonaros Etatkürzungen im Umweltbereich ergänzt.