Zukunft auf dem Verhandlungstisch: Das sind die aktuell wichtigsten Entscheidungen in der Umweltpolitik

UN-Umweltgipfel, EU-Agrarreform, Insektenschutzgesetz und mehr: 2021 ist das "Superjahr der Umweltpolitik"

vom Recherche-Kollektiv Countdown Natur:
16 Minuten
Dargestellt ist eine große Menschenmenge, die sich mit Bannern und Plakaten durch die Innenstadt von Wien bewegt. Auch eine aufblasbare Erdkugel haben die Demonstranten von Fridays for Future dabei. Im Gegensatz zu den Querdenkern tragen sie Gesichtsmasken.

2021 fällen Politikerinnen und Politiker in Deutschland, der EU und weltweit Entscheidungen über die Zukunft der Erde, des Klimas und der Natur – kurz: unsere Lebensgrundlagen. Von einem "Superjahr der Umweltpolitik" ist die Rede. Aber wie "super" wird es?

Sechs Schauplätze stechen heraus:

  • die Reform der EU-Agrarpolitik
  • die UN-Verhandlungen über neue globale Naturschutzziele in Kunming im Oktober 2021
  • das deutsche Insektenschutzgesetz
  • die europäische Biodiversitätsstrategie
  • der UN-Klimagipfel in Glasgow im November 2021
  • die Novellierung des deutschen Klimaschutzgesetzes.

In diesem Beitrag unseres Rechercheprojekts „Countdown Natur" erklären wir, worum es dabei geht.

Entscheidung 1: Knapp 400 Milliarden Euro für oder gegen den Natur- und Klimaschutz? Die EU-Agrarpolitik in der heißen Phase

Status: Endphase des Entscheidungsprozesses

Nächste wichtige Etappe: Schlussverhandlungen wahrscheinlich Ende Mai

Unsere aktuelle Bewertung (Rot: Akute Gefahr für Biodiversität; Gelb: offener Ausgang; Grün: Nützlich für Biodiversität): Rot

Fast 400 Milliarden Euro werden die EU-Staaten in den kommenden sieben Jahren für Agrar-Subventionen ausgeben. Die entscheidende Frage lautet: Fließt das Geld der Steuerzahlerïnnen für ein "Weiter so" in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP), die zu hohen CO2-Emissionen und weiter sinkender Artenvielfalt führt? Oder wird der größte Topf der Staatengemeinschaft dazu benutzt, die europäische Landwirtschaft umweltfreundlicher zu machen?

Für die biologische Vielfalt in der Europäischen Union sind es entscheidende Verhandlungen, die gerade zwischen den verschiedenen EU-Institutionen geführt werden. Im sogenannten Trilog-Verfahren müssen sich Europäische Kommission, Europaparlament und der Rat der Agrarminister bis zum Frühjahr auf einen Kompromiss zur Ausgestaltung der GAP in den nächsten sieben Jahren verständigen.

Die Ausgangsbedingungen sind aus Sicht des Natur- und Umweltschutzes denkbar ungünstig: Agrarministerïnnen und Europaparlament haben sich im Oktober bereits auf Eckpunkte für die GAP festgelegt, die keine nennenswerten Fortschritte gegenüber der bisherigen Politik bringen und damit die Artenkrise in Europa weiter massiv verschärfen würden. Die Kommission verfolgt dagegen als Teil ihres Europäischen Green Deals eine ambitionierte Biodiversitätsstrategie – siehe auch den eigenen Beitrag dazu in dieser Übersicht – und eine Reformagenda für die Landwirtschaft („Farm-to-Fork“), die durch die Beschlüsse der Agrarministerïnnen und des Parlaments unterlaufen werden.

Ein Landwirt bestellt mit seinem Traktor einen Acker.
Quo vadis Landwirtschaft? Knapp 400 Milliarden Euro Steuergelder sollen in den kommenden sieben Jahren an Landwirte fließen. Für was genau, darum wird derzeit gerungen.

Bleibt es im wesentlichen bei den bisherigen Festlegungen von Parlament und Ministerrat, würden faktisch 40 Prozent des EU-Haushalts für eine Politik verwendet, die dem erklärten Kernziel der Gemeinschaft zuwiderläuft, die Artenkrise zu stoppen und klimaneutral zu werden. Für den Green Deal wäre das ein erheblicher Rückschlag.  

Verhandlungen platzen vorerst

Seit Ende April verhandelten Vertreter von Rat, Parlament und Kommission eigentlich abschließend über die Ausgestaltung. Nach der vierten Sitzungsrunde wurden die Gespräche am 28. Mai abgebrochen, nachdem auch ein als Kompromissvorschlag deklariertes Paket der portugiesischen Präsidentschaft von den Vertreterïnnen des Parlaments als völlig unzureichend abgelehnt wurde. Final gescheitert sind die Gespräche aber noch nicht. Weitere Verhandlungen dürften aber noch schwieriger werden.

Parlamentsvertreter aller Parteien machten deutlich, dass sie sich vom Rat in ihrer Rolle als Co-Gesetzgeber missachtet fühlten. Einer der Knackpunkte war bis zuletzt das Volumen der Öko-Regelungen. Das Parlament will 30 Prozent der Agrargelder an Umweltauflagen knüpfen, die EU-Länder nur 20 Prozent. Die portugiesische Ratspräsidentschaft hatte eine Erhöhung des Finanzanteils für Öko-Regelungen in zwei Schritten auf 25 Prozent bis 2025 vorgeschlagen. Nach Einschätzung von Grünen und SPD-Politikern wäre die Annahme des letzten vorgelegten Kompromiss-Pakets der portugiesischen Präsidentschaft aufgrund von Sonderregelungen am Ende aber sogar auf eine Absenkung unter 20 Prozent hinausgelaufen. 

Auch weitere wichtige Punkte sind damit weiter offen, darunter ist unter dem Stichwort „sozialpolitische Konditionalität“ die Forderung, auch Mindeststandards für Arbeitnehmerrechte zur Voraussetzung für Direktzahlungen zu machen.

Umsetzung der GAP in Deutschland

Die Kommission hat den Mitgliedsländern viel Spielraum bei der Umsetzung der GAP und somit bei der Verteilung der Mittel gelassen. Deshalb könnten über die nationale Umsetzung starke ökologische Signale kommen. Für Deutschland sieht es – trotz einiger Verbesserungen – allerdings nicht danach aus, als gelinge eine für eine Trendumkehr beim Artensterben in der Landwirtschaft ausreichende Wende. 

Aus dem EU-Agrartopf stehen für Deutschland jährlich sechs Milliarden Euro über die Förderperiode 2023 bis 2027 zur Verfügung. Die Bundesregierung hat im April ihre Gesetze zur Ausgestaltung der GAP auf den Weg gebracht. Die Befassung in Bundestag und Bundesrat soll bis Juni abgeschlossen werden.

Die Pläne sehen zwar eine stärkere Umschichtung der Mittel zugunsten des Naturschutzes vor. Gleichwohl werden nach Ablauf der Förderperiode 2027 immer noch 60 Prozent der Fördersumme rein nach der Flächengröße vergeben. 

Für Öko-Regelungen – Programme, an denen die Betriebe freiwillig teilnehmen können – sollen künftig 25 Prozent der Mittel aus den Direktzahlungen verwendet werden, entsprechend etwa einer Milliarde Euro pro Jahr. Naturschutzverbände hatten schrittweise einen Anteil von 50 Prozent bis 2027 gefordert. Wichtig wird hier sein, was im Einzelnen unter diese Regelungen fällt. Die entsprechenden Verordnungen werden noch erarbeitet.

In der ebenfalls zentralen Frage der Konditionalität – also der ökologischen Mindestvoraussetzungen für den Erhalt von Direktzahlungen – wurde beschlossen, dass Betriebe ab 2023 drei Prozent ihrer Ackerflächen als „unproduktive Bereiche“ belassen müssen, also als Hecken, Brachen oder ähnliche Überlebensinseln. Naturschutzverbände und Wissenschaftlerïnnen sind sich aber einig, dass mindestens zehn Prozent solcher „unproduktiven Flächenanteile“ nötig sind, um wirksam gegen den Artenschwund zu sein. Das sieht auch die EU-Biodiversitätsstrategie vor. Zudem sind Grünland und Sonderkulturen ausgenommen. Das ökologisch extrem wichtige Umbruchverbot von Grünland in Acker soll nur in Natura-2000-Schutzgebieten gelten.

Thomas Krumenacker

Es handelt sich um ein Luftbild, das auf der linken Seite intakten tropischen Regenwald und auf der rechten Seite eine leere Fläche mit Baggern und Lastwagen zeigt. Dargestellt wird Waldzerstörung in Malaysia, um Platz für Ölpalmenplantagen zu schaffen.
Schauplatz Regenwald: Kontinuierlich zerstören Menschen in Südamerika, im Kongobecken und wie hier in Malaysia die verbleibenden Regenwaldflächen, um Futter- und Nahrungsmittel anzubauen und das Holz zu verkaufen. Das stellt eine große Gefahr für die Lebensvielfalt dar.

Entscheidung 2: Gemeinsame Ziele für den Schutz der Naturreichtümer? Der Weg zum UN-Weltnaturschutzgipfel 2021

Status: Vorverhandlungen zwischen Staaten und UN am Laufen

Nächste wichtige Etappe: Treffen der Vorbereitungsgruppe für die Gipfelbeschlüsse im August

Unsere aktuelle Bewertung: Gelb

2010 haben sich knapp 200 Staaten gemeinsam 20 Ziele für den globalen Naturschutz gesetzt. Dazu zählte es zum Beispiel, dem Aussterben von Arten effektiv vorzubeugen, umweltfeindliche Subventionen zu beenden, beschädigte Ökosysteme wiederherzustellen und die Schutzgebiete auszudehnen. 

Daraus wurde aber weitgehend nichts. Wissenschaftlerïnnen haben im Auftrag der Vereinten Nationen ermittelt, dass keines der 20 Ziele wirklich erreicht wurde.

2021 gibt es nun einen weiteren Anlauf, neue weltweite Ziele für den Naturschutz für die Zeit bis 2030 zu definieren und vor allem stärker auf deren Umsetzung zu achten. Diese Ziele werden aktuell in Verhandlungen debattiert. Sie sollen Ende des Jahres beim UN-Weltnaturschutzgipfel im chinesischen Kunming beschlossen und in Kraft gesetzt werden, sofern die Corona-Pandemie es zulässt, eine solche Konferenz auszurichten. Das Treffen wird auch “COP15” genannt, weil es sich um die 15. Konferenz der Vertragsstaaten der UN-Konvention über biologische Vielfalt handelt, kurz „conference of the parties”.

Schutz und gerechtere Verteilung der Naturreichtümer

Zu den diskutierten Zielen gehören die Unterschutzstellung von jeweils 30 Prozent der Land- und Meeresfläche der Erde, ein besserer Meeresschutz mit einem Ende der Plastikschwemme und eine ökologischere und sozial gerechtere Landwirtschaft. Um nicht wieder nach zehn Jahren festzustellen, dass aus den schönen Plänen nichts geworden ist, streben zahlreiche Regierungen und internationale Organisationen die Festlegung auf möglichst konkrete und messbare Ziele an. Auch die Selbstverpflichtung auf regelmäßige Überprüfungen des erreichten Fortschritts soll eine Wiederholung der bisherigen Fiaskos verhindern.  Indigene Interessengruppen, die für jeden zwanzigsten Menschen weltweit sprechen, fordern mehr Mitsprache bei den Verhandlungen.

Ob der pandemiebedingt bereits zum zweiten Mal verschobene Gipfel im Oktober stattfinden kann, ist alles andere als sicher. Derzeit stocken die Verhandlungen. Lesen Sie hier unsere ausführliche Analyse.. Mehr zur Konvention, ihrer Geschichte und ihren Zielen finden Sie in unserem Artikel dazu.

Christian Schwägerl/Thomas Krumenacker

Entscheidung 3: Weniger Pestizide, mehr Forschung? Das deutsche Insektenschutzgesetz 

Status: Bundesregierung hat das Gesetz beschlossen,

Nächste wichtige Etappe: Bis zur Sommerpause sollen Bundestag und Bundesrat zustimmen.

Unsere aktuelle Bewertung: Rot

.Als Krefelder Forscherïnnen 2016 Daten bekannt machten und Ende 2017 wissenschaftlich publizierten, denen zufolge in den vergangenen 25 Jahren die Biomasse von Fluginsekten dramatisch um bis zu 75 Prozent abgenommen hat, lösten sie damit eine Lawine aus. Insektenschutz war plötzlich das dominierende Umweltthema. Auch die Bundesregierung versprach, zu handeln – aber lange Zeit passierte nichts. Kurz vor dem Ende der Wahlperiode hat das Kabinett im Februar schließlich doch noch ein Insektenschutzgesetz auf den Weg gebracht. Damit wendeten Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) und ihre für Landwirtschaft zuständige Kollegin Julia Klöckner (CDU) in allerletzter Minute ein Scheitern des umweltpolitischen Prestigeobjekts der Koalition ab. Bundesrat und Bundestag sollen noch vor der Sommerpause zustimmen.

Im Zuge der mehrmonatigen Verhandlungen erreichte Klöckner aus Sicht des Naturschutzes bittere Zugeständnisse zugunsten der Landwirtschaft. Schulze kann sich zugute halten, dass mit dem Thema Lichtverschmutzung erstmals ein relevantes Problem für Insekten per Gesetz angegangen wird.

Eckpunkte des Insektenschutzgesetzes

Beschlossen wurde unter anderem eine Ausweitung geschützter Biotope, das sind Lebensräume von Insekten und anderer Tier- und Pflanzenarten, die grundsätzlich nicht vernichtet werden dürfen. Neu aufgenommen wurden hier zum Beispiel Streuobstwiesen.

In der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung – ein Teil des Insektenschutzpakets – wird der Ausstieg aus der Nutzung des umstrittenen Totalherbizids Glyphosat zum Ende 2023 verankert. Dieses Datum ist allerdings zwangsläufig, weil die Zulassung der EU ausläuft. Bis dahin darf Glyphosat mit Einschränkungen gegenüber bisher weiter verwendet werden, .

Neu geregelt wurde auch der Einsatz von Agrarchemikalien in Schutzgebieten. In Naturschutzgebieten und Nationalparks dürfen künftig keine Herbizide mehr eingesetzt werden, „Bienen“- oder „bestäuberschädliche“ Insektengifte ebenfalls nicht. In den besonders großflächigen Vogelschutzgebieten kann -anders als ursprünglich geplant – alles beim Alten bleiben. In europäischen Schutzgebieten, den FFH-Gebieten, die nicht zugleich Naturschutzgebiete sind, hat Klöckner eine Reihe von Ausnahmen vom Chemieverbot erreicht: So darf dort beim Anbau aller sogenannten Sonderkulturen gespritzt werden, also beispielsweise im Obst- Wein- und Gemüseanbau. Auch auf Äckern in FFH-Gebieten außerhalb von Naturschutzgebieten dürfen weiter Chemikalien eingesetzt werden. Diese Regelung soll nach drei Jahren überprüft werden.

Insektenschützer kritisieren Gesetz als nicht ausreichend

Der Kompromiss sieht damit Agrarchemie-Verbote nur deutlich unter fünf Prozent der landwirtschaftlichen Fläche in Deutschland vor. Der Osnabrücker Professor für Biodiversität und Landschaftsökologie Thomas Fartmann erwartet deshalb vom Insektenschutzgesetz keine grundlegende Trendumkehr. “Das, was beschlossen wurde, betrifft aber nur relativ kleine Flächen und kann deshalb keine große Wende bringen“, sagt Fartmann. “Auf so geringer Fläche habe ich nicht die Chance, so viele Insekten zu produzieren, dass es einen Effekt für die gesamte Landschaft hat – es ist zu wenig, um eine Flächenwirksamkeit zu entfalten.“

Auch die Freiburger Agrarökologin Alexandra-Maria Klein erwartet mit dem beschlossenen Paket höchstens begrenzte Fortschritte bei der Bewahrung der Insekten. “Insekten bleiben nicht auf einer Fläche, sie interagieren mit der Landschaft“ und bräuchten deshalb großflächigen Schutz vor Giften. Das Gesetz zusammen mit anderen Anstrengungen, die auf anderen Feldern schon unternommen würden, könne jedoch zunächst die wenig spezialisierten Generalisten unter den Insekten fördern, "so dass wir wieder mehr Insekten haben werden", sagt die Forscherin.

Das Bild zeigt zwei Schmetterlinge aus der Gruppe der Widderchen auf einer Flockenblume.
Widderchen sind Teil der sehr artenreichen Gruppe der Schmetterlinge, die wiederum zum riesengroßen Insektenreich gehören. Doch so unüberschaubar die Vielfalt erscheint – sie ist bedroht.
Das Bild zeigt eine Morgenstimmung im Moor, Wasser. Gräser und zwei Nadelbäume glänzen im Sonnenschein.
Naturschutz für das Klima: Moore speichern gigantische Mengen Kohlenstoff. Werden trockengelegte Moore renaturiert, entzieht dies das Treibhausgas der Atmosphäre.

Entscheidung 4: Läuft die Renaturierung von Flüssen, Mooren und Wäldern an? Erste Bewährungsprobe für die EU-Biodiversitätsstrategie

Status: Von den EU-Mitgliedstaaten gebilligt

Nächste wichtige Etappe: 2021 wird ein entscheidendes Jahr, in dem konkrete Ziele für die Renaturierung und ein Gesetz dazu ausgearbeitet werden müssen

Unsere aktuelle Bewertung: Gelb

Den Verlust von Arten- und Landschaftsvielfalt nicht nur zu stoppen, sondern die Natur in Europa großflächig dorthin zurückzubringen, wo sie verlorengegangen ist: Das ist das Ziel der Biodiversitätsstrategie der Europäischen Kommission. Der im Mai 2020 vorgelegte Plan ist Kernbestandteil des „Europäischen Green Deal“, mit dem die Staatengemeinschaft bis zur Jahrhundertmitte ökologisch umgebaut werden soll. So sollen 30 Prozent sowohl der Land- wie der Meeresfläche zu geschützten Gebieten werden. Kommissionschefin Ursula von der Leyen nannte das von ihr initiierte Paket aus Klimaschutz, ökonomischen Reformen, nachhaltigerer Lebensmittelerzeugung und Renaturierung den europäischen „Man-on-the-Moon-Moment“. 2021 stehen zahlreiche zentrale Weichenstellungen an, die darüber entscheiden könnten, ob das Jahrhundertvorhaben ein Erfolg werden kann.

So will die Kommission bis zum Herbst ihren Vorschlag für rechtsverbindliche Ziele für die EU-weite Renaturierung geschädigter Ökosysteme vorlegen. Besonderes Augenmerk soll auf solche Habitate gelegt werden, die als Kohlenstoffspeicher auch im Kampf gegen den Klimawandel einen wichtigen Beitrag leisten können. Damit übernimmt die Kommission den Gedanken der „nature-based solutions“, also von Maßnahmen, die sowohl dem Natur- wie dem Klimaschutz zugute kommen und es so ermöglichen, zwei der wichtigsten Menschheitsprobleme gleichzeitig zu bekämpfen. Mit dieser Vorgabe dürfte insbesondere der Schutz von Wäldern und Mooren in Europa profitieren.

25.000 Kilometer Flüsse sollen wieder frei fließen dürfen

Ein weiterer Schwerpunkt bei der Zielauswahl soll die Renaturierung solcher Ökosysteme sein, die besonders wichtig bei der Begrenzung der Auswirkungen von Naturkatastrophen sind. Darunter fallen mit Auwäldern und Überschwemmungsflächen entlang von Flüssen zwei der am stärksten geschädigten Biotop-Typen. Teil der Renaturierungsstrategie für diese Lebensräume ist auch, bis 2030 auf mindestens 25.000 zusätzlichen Kilometern wieder frei fließende Flüsse mit Überschwemmungsflächen und angrenzenden Feuchtgebieten zu schaffen.

Alle diese Maßnahmen sind echte Paradigmenwechsel, die nicht nur den Verlust der biologischen Vielfalt begrenzen, sondern der Natur zu einem Comeback verhelfen sollen. Die Einhaltung des Zeitplans und die dann folgende zügige Umsetzung in Form von Gesetzgebung wird maßgeblich über den Erfolg der gesamten Strategie entscheiden. 

Erstmals werden Meeresfische nicht nur als Rohstoffe betrachtet 

Einen weiteren grundsätzlichen Wandel will die Kommission in diesem Jahr auch im Meeresschutz einleiten. Bis Jahresende soll ein Aktionsplan zum Schutz der Fischbestände und der Meeres-Ökosysteme vorgelegt werden. Dazu könnten auch besonders schädliche Fangmethoden begrenzt werden, etwa die Schleppnetzfischerei. 

Auch wichtige Pläne zum Schutz von Biodiversität und menschlicher Gesundheit sollen in diesem Jahr aktualisiert oder erstmals beschlossen werden, darunter die Bodenschutzstrategie, der „Null-Schadstoff-Aktionsplan für Luft, Wasser und Boden“ und die EU-Forststrategie, mit der der proklamierte besondere Schutz der Wälder einen verbindlichen Rahmen erhalten soll. Die Forststrategie soll auch einen Fahrplan für die Umsetzung des vielleicht bekanntesten Ziels der Biodiversitätsstrategie enthalten: der Anpflanzung von mindestens drei Milliarden neuer Bäume bis 2030. Thomas Krumenacker

Das Bild zeigen einen Mangrovenwald, der direkt am Meer wächst. Das Wasser ist hellblau und durchsichtig, die Bäume haben geheimnisvoll verschlungene Stämme und Äste.
Mangrovenwälder, wie hier in der Nähe von Krabi in Thailand, sind nicht nur für den Küstenschutz wichtig, sondern auch als Kohlenstoffspeicher.

Entscheidung 5: Gelingt es, Klima- und Naturschutz zu verbinden? Der Weg zur UN-Klimakonferenz Ende 2021

Status: Verhandlungen laufen

Nächste wichtige Termine: UNFCCC COP26, 1.-12. November 2021, Glasgow

Unsere aktuelle Bewertung: Gelb

Durch die hohen Kohlendioxid-Emissionen der Menschheit erhitzt sich die Atmosphäre, die Meere versauern und der Meeresspiegel steigt. Dies gefährdet die menschliche Zivilisation und Ökosysteme weltweit. Beim UN-Klimagipfel 2021 geht es darum, durch Beschlüsse wahrscheinlicher zu machen, dass der Weltklimavertrags von 2015 eingehalten wird.

Dabei rückt ein neues Thema in den Fokus: Naturbasierte Lösungen. Natürliche Ökosysteme wie Moore und Regenwälder binden und verarbeiten riesige Mengen Kohlenstoff. Doch in den Strategien zum Klimaschutz der meisten Regierungen spielen sie bisher kaum eine Rolle. 2021 wird bei der 26. Weltklimakonferenz über die Forderung von Wissenschaftlerïnnen, Umweltorganisationen und auch der EU-Kommission entschieden, diese sogenannten „nature-based solutions” 2021 stärker in den internationalen Klimaschutz zu integrieren als dies bisher etwa durch Projekte zum Waldschutz erreicht wurde.

2015 haben sich nach jahrzehntelangen Verhandlungen fast 200 Staaten in Paris auf den Weltklimavertrag geeinigt. Darin setzen sie das Ziel, den Ausstoß von erderhitzenden Treibhausgasen so zu verringern, dass die durchschnittliche Temperatur möglichst nicht mehr als 1,5 Grad Celsius gegenüber dem 19. Jahrhundert steigt und maximal 2 Grad Celsius beträgt. Jenseits dieser Schwellen erwarten Klimaforscherïnnen katastrophale Veränderungen für Mensch und Natur, darunter großflächige Überschwemmungen durch steigende Meeresspiegel, sinkende Ernten und gesundheitsschädliche Hitzewellen.

Das Bild zeigt eine brandenburgische Landschaft mit einem blühenden Rapsfeld und Windkraftanlagen.
Grün ist nicht gleich grün: In der Umweltszene wird über Windkraftanlagen und den Anbau von Raps und Mais zur Energiegewinnung heftig gestritten, denn beide haben auch Umweltkosten.

Moore und Mangroven als Klimaretter

Derzeit steigt die CO2-Konzentration von Meeren und Atmosphäre allerdings weiter in einem Tempo, das es unwahrscheinlich macht, diese Ziele zu erreichen. Nach Analysen der Vereinten Nationen sind die Staaten der Erde dabei, die Ziele des Weltklimavertrags deutlich zu verpassen und damit eine langfristig gefährliche Erderhitzung und Versauerung der Ozeane zu riskieren.

Bisher waren die Maßnahmen der Klimapolitik weitgehend technisch. Sie fokussierten sich darauf, den Ausstoß von CO2 aus der Verbrennung von Erdöl, Erdgas und Kohle zu reduzieren, also zum Beispiel Strom aus Windenergie statt aus Kohle zu gewinnen oder den Autoverkehr auf Elektromobilität umzustellen.

Aufgrund der wachsenden Verzweiflung in der Klimapolitik gibt es 2021 den Versuch, sogenannten “natur-basierten Lösungen” ein viel größeres Gewicht zu geben und dies auf dem UN-Klimagipfel im Herbst in Glasgow zu beschließen.

Bei dem Ansatz geht es daran, kohlenstoffreiche Ökosysteme zum einen zu erhalten, so dass kein zusätzliches Kohlendioxid freigesetzt wird, wie das zum Beispiel beim Abbrennen des Amazonas-Regenwalds der Fall ist. Zweitens geht es darum, die Ausdehnung und Funktionsfähigkeit solcher Ökosysteme durch eine sogenannte „Renaturierung” wieder zu vergrößern. So haben Greifswalder Wissenschaftlerinnen errechnet, dass  allein die entwässerten Moorböden in Deutschland insgesamt 47 Millionen Tonnen Kohlendioxid absondern – das sind 5,4 Prozent der gesamten deutschen Emissionen und ungefähr so viel, wie zwei große Braunkohlekraftwerke in die Luft schicken. Umgekehrt ließen sich große Mengen CO2 wieder aus der Luft entfernen, wenn Moore wieder wachsen könnten. Dazu müssen sie feucht sein und dürfen nicht landwirtschaftlich genutzt werden.

Weitere Lebensräume, die beim Klimaschutz eine zentrale Rolle spielen könnten, sind Mangroven, Seegras-Biotope und gezeitenabhängige Salzwiesen.

Zielkonflikte bei Windkraft und Bioenergie

Der Präsident der COP26, Alok Sharma, sagte beim Petersburger Klimadialog im April 2020: “Was auch immer wir tun müssen wir dabei naturbasierte Adaption und den Schutz der Biodiversität ins Zentrum unserer Bemühungen stellen, den Klimawandel zu bewältigen.”

Wissenschaftlerïnnen des World Resources Institute schreiben im sogenannten “Nexus-Bericht”, dass naturbasierte Strategien bis 2030 rund ein Drittel der nötigen Kohlendioxid-Senkungen leisten könnten und das sie in 38 tropischen Ländern sogar mehr als 50 Prozent der nötigen CO2-Reduktion erbringen könnten. “Viele dieser Strategien sind kosteneffizienter als andere, die im Kommen sind, etwa Bioenergie und die Speicherung von Kohlendioxid”, heißt es in dem Bericht. 

Gelingt es, durch natürliche Lösungen größere Mengen CO2 aus Atmosphäre und Meeren zu binden, könnte das den Druck vermindern, für den Klimaschutz Maßnahmen zu ergreifen, die der Biodiversität schaden. So kritisieren Naturschützerïnnen etwa den Vogelschlag durch Windkraftanlagen und die Umwandlung von artenreichen Habitaten in Monokulturen zum Anbau sogenannter “Bioenergieträger” wie Mais. 

Wie gut die Integration von Natur- und Klimaschutz gelingt, werden die Beschlüsse des UN-Gipfels zeigen. Dabei wird wichtig sein, ob sich “naturbasierte Lösungen” auch wirtschaftlich lohnen und ob ihre Umsetzung gut überwacht wird. Christian Schwägerl

Entscheidung 6: Gelingt es noch vor der Bundestagswahl, das Klimaschutzgesetz zu überarbeiten?

Status: Bundesregierung legt Vorschlag vor

Nächste wichtige Etappe: Befassung im Bundestag

Unsere aktuelle Bewertung: Gelb

Es war ein Paukenschlag in der Umweltpolitik. Ende April 2021 hat das Bundesverfassungsgericht Teile des 2019 beschlossenen Klimaschutzgesetzes für unwirksam erklärt. Die Richter erlegten es der Bundesregierung auf, den gesamten Pfad bis zum Erreichen der Klimaneutralität im Gesetz festzulegen und nicht nur den Zeitraum 2020 bis 2030 vorauszuplanen, wie es 2019 geschehen war. Die Richter argumentierten, es belaste die junge Generation über Maßen, diese Frage offenzulassen, und schränke ihre Freiheit ein.

Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat nach dem Karlsruher Urteil einen Entwurf für eine Neufassung des Gesetzes vorgelegt. Dieser sieht vor, die Ziele für die Zeit bis 2030 hochzusetzen und bis dahin 65 Prozent weniger CO2 freizusetzen als 1990. Bis 2040 sollen es 88 Prozent sein und 2045 soll Deutschland klimaneutral sein, als netto keine Treibhausgase mehr ausstoßen.

Der Bundestag hat allerdings nicht mehr viel Zeit, das Gesetz bis zur Sommerpause zu beraten, zu beschließen und in Kraft treten zu lassen. Christian Schwägerl

Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.

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