- RiffReporter /
- Umwelt /
Beginn der Koalitionsverhandlungen: Wissenschaftler fordern mehr Natur- und Klimaschutz
Natur- und Klimaschutz: Forscherinnen und Forscher machen Druck auf Koalitionsverhandlungen
Tausende Forscherinnen und Forscher unterzeichnen Appell für mehr Natur- und Klimaschutz. Auch Regierungsberater schließen sich der Kritik an CDU/CSU und SPD an. Eine neue Studie zeigt: Klimaschutz lohnt sich und kann globale Wirtschaftskrisen verhindern.

Wissenschaftsverbände und Regierungsberater haben zu Beginn der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD eine deutlich verbesserte Klima- und Naturschutzpolitik gefordert.
Das in der vergangenen Woche von den wahrscheinlichen künftigen Koalitionären vorgelegte Sondierungspapier bekenne sich zwar zu den nationalen Klimazielen, enthalte aber kaum Maßnahmen für Klima-, Umwelt- und Naturschutz, kritisierte der Sachverständigenrat für Umweltfragen am Donnerstag. Auch mehr als 7000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Fachrichtungen forderten in einem Appell ein Bekenntnis der künftigen Regierung zum europäischen Green Deal, mit dem die EU-Staaten bis 2050 klimaneutral werden und zudem naturverträglich umgebaut werden sollen. Rückendeckung erhielten die Forderungen durch eine Studie der Universität Cambridge und der Wirtschaftsberatung Boston Consulting. Ihr zufolge sind massive Investitionen in den Klima- und Naturschutz nötig, um mittelfristig einen dramatischen Einbruch der Weltwirtschaft zu verhindern.
Natur und Umwelt „Leerstelle“ im Sondierungspapier
Der Sachverständigenrat wirft CDU/CSU und SPD vor, in ihrem Sondierungspapier zwar die historischen und geostrategischen Herausforderungen für Deutschland und Europa beschrieben zu haben. Dabei sei aber mit der Stabilisierung des Klimas und der ökologischen Lebensgrundlagen eine entscheidende Aufgabe in den Hintergrund gerückt. „Der Schutz von Natur und Umwelt ist eine Leerstelle im Sondierungspapier“, kritisiert der Rat. Auch im Interesse der menschlichen Gesundheit müsse dringend nachgebessert werden.
Plädoyer für Renaturierung
Konkret empfiehlt das wissenschaftliche Beratergremium der Bundesregierung der künftigen Regierung, erfolgversprechende Programme der Ampel-Koalition weiterzuführen. Als Beispiele nennt der Rat das Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz (ANK), das Renaturierungsgesetz und die Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Das von der scheidenden Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) auf den Weg gebrachte ANK setzt darauf, über Renaturierung von Ökosystemen Treibhausgase zu speichern und die Auswirkungen des Klimawandels auf Natur und Menschen abzumildern. Zu den bereits angelaufenen Maßnahmen aus dem 3,5-Euro-Milliarden-Programm gehören die Wiedervernässung trockengelegter Moore und die Schaffung von mehr Grünflächen in Innenstädten. Das im vergangenen Jahr von der Europäischen Union in Kraft gesetzte Renaturierungsgesetz verfolgt einen ähnlichen Ansatz: Bis zum Jahr 2030 sollen damit 20 Prozent der Land- und Meeresfläche in der EU wieder in einen ökologisch guten Zustand versetzt werden. Mit der Kreislaufwirtschaftsstrategie sollen Klima und Natur geschützt werden, indem der Rohstoffverbrauch sinkt.
Ohne eine soziale Komponente wird die deutsche Klimaschutzpolitik nicht erfolgreich sein
Scientists for Future
Positiv bewertet der Umweltrat, dass die Sondierer einen sozialen Ausgleich für die Umstellung zu Klimaneutralität in Aussicht stellen. Falsch sei aber, dazu auf umweltschädliche Subventionen zu setzen, etwa die Erhöhung der Pendlerpauschale oder die Subventionierung von Strompreisen und Agrardiesel.
Scientists for Future trommeln für Protestresolution
Auch zahlreiche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von Universitäten und Hochschulen meldeten sich zu Wort. In einem vom Zusammenschluss Scientists for Future initiierten Appell fordern sie von der künftigen Bundesregierung ein klares Bekenntnis zu den Natur- und Klimaschutzzielen, wie sie im Rahmen des europäischen Green Deal festgelegt sind. „Die Klimakrise und weitere Umweltkrisen wie der Biodiversitätsverlust, und die Überlastung der biochemischen Stoffkreisläufe sind mittelfristig die größte Bedrohung für Sicherheit, Wirtschaft und Wohlstand, Demokratie, Zivilisation und Menschenleben“, heißt es in dem Appell an die Abgeordneten des Bundestags.
Trotz ihrer Bedeutung hätten diese Themen im Bundestagswahlkampf fast keine Rolle gespielt und seien durch die außenpolitischen Zuspitzungen seitdem weiter an den Rand gedrängt worden. Alle demokratischen Parteien müssten nun ihrer Verantwortung gerecht werden und sich zu den Zielen der europäischen und nationalen Klimaschutzgesetze bekennen. Eine Kehrtwende im Klimaschutz schadet den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zufolge auch den Unternehmen und damit dem Wirtschaftsstandort Deutschland.
Studie: Klimaschutz-Investitionen verhindern massive Wirtschaftsschäden
Die Forscherinnen und Forscher plädieren ebenfalls für eine starke soziale Komponente der Klimaschutzmaßnahmen, was bedeutet, Einnahmen aus dem Emissionshandel in Form eines „Klimagelds“ an die Bürgerinnen und Bürger zurückzuzahlen. Davon würden Menschen, die wenige Emissionen verursachen, am meisten profitieren. Die Ampelkoalition hatte dieses Instrument in Planung, es vor allem wegen Widerstands aus der FDP aber nicht umgesetzt. „Ohne eine soziale Komponente wird die deutsche Klimaschutzpolitik nicht erfolgreich sein“, heißt es in dem Appell, der innerhalb weniger Tage von weit mehr als 7.000 Wissenschaftlern unterzeichnet wurde.
Ohne Klima- und Naturschutzinvestitionen droht globale Super-Rezession
Für massive Investitionen in Maßnahmen, um die Erderwärmung zu begrenzen, plädieren auch die Autoren einer gemeinsamen Studie der Universität Cambridge und der Unternehmensberatung Boston Consulting. Ausgaben in Höhe von einem oder zwei Prozent der globalen Wirtschaftsleistung für Klimaschutzmaßnahmen könnten die Erwärmung auf 2 Grad Celsius begrenzen und mittelfristig eine dramatische weltweite Wirtschaftskrise durch klimawandelbedingte Schäden verhindern, berechneten die Experten. „Maßnahmen zur Begrenzung der Erderwärmung sind der kostengünstigste Weg, die ökonomischen Schäden des Klimawandels einzudämmen“, heißt es in der Studie. Jeder investierte Dollar könne wirtschaftliche Schäden von bis zu 14 Dollar verhindern. Gelinge die Begrenzung des Temperaturanstiegs auf 2 Grad nicht, werde die weltweite Wirtschaftskraft bis 2100 um bis zu 27 Prozent einbrechen, warnen die Forscher. Dies werde unabsehbare soziale und gesellschaftliche Folgen haben. Die realen wirtschaftlichen Kosten des Klimawandels müssten in der Debatte über die Kosten des Klimaschutzes eine größere Rolle spielen.