Das Renaturierungsgesetz tritt in Kraft. Was bringt das Restoration Law für Deutschland und Europa?
Jetzt geht’s los! Geht’s jetzt los? Das Renaturierungsgesetz tritt in Kraft. Was steht drin? Was bedeutet das Gesetz konkret? Und wie sehen die nächsten Schritte aus? Fragen und Antworten zum Nature Restoration Law.
Nach jahrelangem Ringen tritt am Sonntag (18.08. 2024) das europäische Renaturierungsgesetz in Kraft.
Es ist das bisher weitreichendste Vorhaben der EU-Staaten, der Natur in ihren Ländern zu einem Comeback zu verhelfen. Hinter dem lange umstrittenen Gesetz steht die Einsicht, dass der Schutz der existierenden Reste von Natur allein nicht ausreicht, um das Artensterben und den Verlust von Ökosystemen zu stoppen. Vielmehr sollen die Staaten aktiv eingreifen, um Moore, Wälder und Agrarlandschaften wieder in einen Zustand zu versetzen, Inn dem Pflanzen und Tiere überleben können und ihre wichtigen Dienste auch im Sinne der Menschen leisten können: Insekten sollen bestäuben, Auen wieder Wasser aufnehmen und Wälder wieder mehr Kohlenstoff speichern können. Was genau geplant ist, welche Kritik es gibt und ob das neue Gesetz erreicht, was es erreichen soll: alle wichtigen Informationen im Überblick:
Was sind die wichtigsten Punkte des Renaturierungsgesetzes?
Die EU-Mitgliedstaaten werden dazu verpflichtet, bis zum Jahr 2050 erforderliche Maßnahmen zu ergreifen, um nahezu alle geschädigten Ökosysteme auf ihrem jeweiligen Staatsgebiet zu renaturieren. Alle Arten von Lebensräumen müssen einbezogen werden – darunter Wälder, Moore, Wiesen, Seen, Flüsse und Meere. Es gilt ein Stufenplan: Als erste Zielmarke wird festgelegt, dass bis zum Jahr 2030 in mindestens 30 Prozent der Ökosysteme Maßnahmen angelaufen sind, um sie einen guten Zustand zu bringen; das entspricht etwa 20 Prozent der Gesamtfläche der EU. Bis 2040 müssen die Staaten in 60 Prozent und bis 2050 in 90 Prozent der geschädigten Ökosysteme geeignete Maßnahmen für Renaturierung ergriffen haben. Außerdem sollen die Renaturierungen dazu beitragen, weitere von der EU angestrebte Ziele zu erreichen: das Pflanzen von mindestens drei Milliarden zusätzlicher Bäume bis 2030 und die Schaffung frei fließender Flüsse auf einer Länge von 25 000 Kilometern oder mehr.
Warum Renaturierung?
Der Verlust von Lebensräumen und der darin lebenden Tier- und Pflanzenarten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten weltweit stark beschleunigt. In der Europäischen Union sind inzwischen mehr als 80 Prozent aller Lebensräume in einem schlechten ökologischen Zustand. Viele Tier- und Pflanzenarten kämpfen ums Überleben.
Dieser Verlust an Biodiversität hat Folgen auch für den Menschen: Kanalisierte Flüsse und zerstörte Auen bieten keinen wirksamen Hochwasserschutz mehr, kranke Wälder stoßen Treibhausgase aus, statt sie zu speichern, und die schwindende Zahl bestäubender Insekten entwickelt sich zu einer ernsten Gefahr für die Lebensmittelproduktion. Schon heute leidet die Hälfte der von Bestäubung abhängigen Ackerkulturen in der EU unter Mangelerscheinungen. Gerade von Seiten der Wissenschaft wird das EU-Renaturierungsgesetz daher mit großer Mehrheit unterstützt. Selbst sehr konservative Verbände wie der europäische Jäger-Dachverband FACE und Industrieverbände wie der Windenergieverband haben für die Annahme des Gesetzes geworben.
Warum geht die EU mit dem Renaturierungsgesetz über den gängigen Umweltschutz hinaus?
Die Kommission folgt mit ihrem Vorhaben der Analyse des Weltbiodiversitätsrates, wonach es nicht mehr ausreicht, die vorhandenen Naturreste zu schützen, um den Artenverlust zu stoppen. Auch auf der Weltnaturkonferenz in Montreal hatte sich die Staatengemeinschaft auf das Doppelziel verständigt, 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen und auf weiteren 30 Prozent Renaturierung zu betreiben.
Anders als die Beschlüsse von Montreal ist ein EU-Gesetz unmittelbar bindend für die Mitgliedstaaten und muss auch nicht noch einmal von den nationalen Parlamenten beschlossen werden. Das Renaturierungsgesetz ist das weltweit erste Gesetz, das eine ganze Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, Natur nicht nur zu bewahren, sondern zusätzlich bereits zerstörte oder geschädigte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu bringen.
In Europa wird ein großer Teil der ehemaligen Natur für Land- oder Forstwirtschaft genutzt. Was passiert dort?
Auch Agrarökosysteme fallen unter das Gesetz, unter anderem, weil ein beträchtlicher Teil der Landwirtschaft auf trockengelegten Moorböden stattfindet – in Deutschland etwa knapp zehn Prozent. Bis 2030 sollen bei 30 Prozent der für die Nutzung entwässerten Moore Renaturierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht sein.
Dazu zählt insbesondere die Wiedervernässung, die auf einem Viertel dieser Flächen durchgeführt werden soll. Bis 2050 soll dann die Hälfte aller ehemals trockengelegten Moorflächen renaturiert werden, ein Drittel wiederum über Wiedervernässung durch das Versiegeln von Entwässerungseinrichtungen. Wiedervernässung gilt als wirksamste Methode, um die biologische Vielfalt auf zerstörten Mooren zu fördern und den Ausstoß großer Mengen Treibhausgase aus dem trockenen Moorboden zu stoppen. Sie bedeutet jedoch nicht zwangsläufig das Ende der Nutzung. Auch Äcker, die nicht auf ehemaligen Mooren liegen, werden laut dem geplanten Gesetz in die Renaturierung einbezogen, etwa mit der Anlage von »diversen Landschaftselementen« wie Hecken, Gebüschen, Bäumen oder kleinen Grünlandinseln. Sie sollen die Artenvielfalt vom Insekt bis zum Vogel fördern und die Kohlenstoffspeicherung im Boden verbessern.
Wurde der Landwirtschaft entgegengekommen?
Die Renaturierung auf Landwirtschaftsflächen war besonders umstritten. Deshalb wurde ein Passus eingefügt, der ausdrücklich festlegt, dass Landwirte nicht verpflichtet werden können, an Programmen zur Wiedervernässung teilzunehmen. Geplant sind stattdessen finanziell lukrative Anreize für die freiwillige Teilnahme an solchen Programmen. Ein weiterer Passus stellt es den Ländern frei, zunächst Gebiete den Vorrang bei Renaturierungen zu geben, die bereits heute Teil des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 sind und auf denen damit bereits Nutzungsbeschränkungen für die Landwirtschaft bestehen. Zudem sieht das Gesetz eine Art Notbremse vor, wonach Ziele für mehr Biodiversität dann nicht eingehalten werden müssen, wenn Ertragseinbrüche drohen.
Welche konkreten Maßnahmen gelten als Beitrag zur Renaturierung?
Ziel der Renaturierungen ist es dem Gesetz zufolge, die biologische Vielfalt in den einzelnen Ökosystemen zu fördern und sie dadurch auch widerstandsfähiger gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu machen. Das Gesetz führt hier mehr als 30 Beispiele auf. Dazu gehören in der Landwirtschaft der Verzicht oder die Reduzierung von Düngern und Pestiziden, das Anlegen von naturnahen Vegetationsstreifen entlang von Bächen, das Anpflanzen von Hecken und die Nutzung wiedervernässter Moorstandorte für die »nasse Landwirtschaft« (Paludikultur). Dort können beispielsweise Wasserbüffel für die Fleischerzeugung gehalten werden oder Rohrkolben zur Weiterverarbeitung als Verpackungsmaterial oder Dämmstoff angebaut werden. In Wäldern reichen die Maßnahmen von der Förderung einer größeren Artenvielfalt bei Bäumen über das Belassen abgestorbener Bäume im Wald bis zur völligen Nutzungsaufgabe zu Gunsten von Wildnisgebieten. Auch groß angelegte Umgestaltungsmaßnahmen der Landschaft wie die Wiederherstellung von Flussmäandern, Auen und Altarmen werden genannt. Im Meer sollen Maßnahmen gegen Schadstoffe, Lärm und Plastikmüll ergriffen werden. Auch Städte sollen natürlicher und damit lebenswerter werden: Mehr Bäume, ökologische Grünflächen, begrünte Dächer und urbane Wildblumenwiesen werden da als Beispiele genannt.
Wie teuer wird das Gesetz und wer bezahlt?
Naturschutzverbände gehen von einem Bedarf zwischen 20 und 30 Milliarden Euro pro Jahr aus und fordern eine Finanzierung aus dem EU-Haushalt. Im Vergleich zu den fast 390 Milliarden Euro, die in der aktuellen Förderperiode über sieben Jahre allein an Agrarsubventionen fließen, sind das bescheidene Beträge. Die EU-Kommission selbst will in spätestens einem Jahr Vorschläge zur Finanzierung vorlegen. Sie hatte bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs angekündigt, die Mittel für die Umsetzung des Gesetzes weitgehend aus verschiedenen EU-Töpfen bestreiten zu wollen.
In der laufenden Finanzperiode bis 2027 stehen ihr 100 Milliarden Euro für Biodiversitätsförderung zur Verfügung. Die Kommission rechnet außerdem vor, dass sich die Investitionen in die Wiederherstellung der Natur ökonomisch rechnen, weil die Vorteile der Renaturierung die damit verbundenen Kosten bei Weitem überwögen. Für jeden ausgegebenen Euro erhalte man – je nach Ökosystem – zwischen 8 und 38 Euro zurück, argumentiert etwa Umweltkommissar Virgenius Sinkevicius. Allein die derzeit Jahr für Jahr entstehenden Kosten durch die Verschlechterung der Bodenqualität im Agrarland beziffert die Kommission auf 50 Milliarden Euro – mehr als für die Renaturierung aller Lebensräume im selben Zeitraum benötigt werde.
Was sagen die Kritiker?
Die EVP-Fraktion im Europäischen Parlament – zu der auch die deutschen CDU- und CSU-Abgeordneten gehören – hatte am 26. Februar beschlossen, das Gesetz bei der Abstimmung abzulehnen. Als Grund nannte sie, dass das Gesetz starke Belastungen für die Landwirtschaft mit sich bringe. Man wolle keine neuen und weiteren Formen von Bürokratie und Berichtspflichten für Landwirte. Das Gesetz hat bis zum Inkrafttreten aber zahlreiche Abstimmungsrunden durchlaufen, in denen die Einwände konservativer Parteien und der Bauernverbände umfassend berücksichtigt wurden – mitunter in einem Umfang, der Befürworter daran zweifeln lässt, ob das Gesetz überhaupt noch seine eigenen Ziele erreichen kann. Zuletzt hatten vor allem einflussreiche Wald- und industrienahe Landwirtschaftsverbände gegen das Gesetz mobilgemacht.
Wie geht es jetzt nach dem Inkrafttreten weiter?
Bis die große Renaturierungswelle rollt, kann es noch dauern. Nach Inkrafttreten haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, eigene Pläne für die Umsetzung des Gesetzes zu erarbeiten und nach Brüssel zu übermitteln. Bundesumweltministerin Steffi Lemke hat dazu einen breit angelegten Konsultationsprozess mit allen Interessensvertretern angekündigt. Die EU-Kommission hat dann ein halbes Jahr Zeit, die Entwürfe zu bewerten und Verbesserungsvorschläge zu machen. Allerdings ist der Spielraum der Mitgliedstaaten sehr groß. Sie müssen die Anregungen aus Brüssel in ihren Plänen lediglich »berücksichtigen«, sind also nicht daran gebunden.