Renaturierung: Lemke strebt breites gesellschaftliches Bündnis an – und lehnt Enteignungen ab

Nach dem grünen Licht für das Renaturierungsgesetz durch die EU hat Bundesumweltministerin Steffi Lemke ihren Fahrplan für die Umsetzung in Deutschland vorgestellt. Gemeinsam mit Ländern, Kommunen, Land- und Forstwirtschaft sowie Naturschutz will die Grünen-Politikerin bis 2026 festlegen, wo Auen, Felder, Flüsse und Wälder ökologisch wiederbelebt werden sollen

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Porträt Lemke auf einer Brücke, im Hintergrund Wasser

Bundesumweltministerin Steffi Lemke will das europäische Renaturierungsgesetz über einen breit angelegten gesellschaftlichen Dialog in Deutschland umsetzen. Dazu werde sie einen Konsultationsprozess in Gang setzen, in dem sich Vertreterinnen und Vertreter der unterschiedlichen Interessengruppen auf konkrete Projekte beispielsweise zur Revitalisierung von Flussläufen oder der Renaturierung von Auen und Wäldern verständigen sollten, sagte die Grünen-Politikerin im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

„Mit den umstrittensten Projekten sollten wir nicht anfangen“

„Die Reparatur der Natur gelingt nur gemeinsam“, betonte Lemke. „Wir planen, in einem Beteiligungsprozess bis 2026 die konkrete Umsetzung zu erarbeiten – mit Landwirten, Forstleuten, Fischern, Kommunen, Naturschützern.“ Die dort von ihrem Ministerium vorgeschlagenen Maßnahmen sollten öffentlich diskutiert werden. Mit diesem Prozess solle eine Umsetzung der ersten Renaturierungsmaßnahmen bis 2030 gewährleistet werden. Lemke plädierte dafür, mit der Renaturierung auf großer Fläche in Gebieten zu beginnen, auf die man sich rasch einigen könne. „Wir sollten uns die Projekte raussuchen, wo wir möglichst schnell viel erreichen können. Mit den umstrittensten Projekten sollten wir also nicht anfangen“, sagte sie.

Auch das Gesetz selbst sieht vor, in der ersten Phase der Renaturierung bis 2030 einen Schwerpunkt auf das bereits existierende europäische Schutzgebietsnetz Natura 2000 zu legen.

Ein Rebhuhn schaut aus einer Wiese
Symbol für die Aussterbekrise im Agrarland: Das Rebhuhn kämpft in der Agrarsteppe ums Überleben.
Ein Braunkehlchen auf einem Halm
Auch das Braunkehlchen, leidet unter immer mehr Pestiziden in der Landwirtschaft.

Ökologische Wiederbelebung auf großer Fläche

Das nach mehr als zweijährigem Ringen Mitte Juni von den Umweltministern der 27 EU-Staaten auf den Weg gebrachte Renaturierungsgesetz verpflichtet die Mitgliedstaaten, ihre Ökosysteme großräumig wiederzubeleben.

Dabei sollen alte Wälder geschützt, Moore wiedervernässt oder Äcker und Felder durch Blühflächen, Brachen und Hecken ökologisch aufgewertet werden. Die Maßnahmen sollen dem dramatischen Verlust von Biodiversität entgegenwirken. Der Handlungsdruck ist groß: In der Europäischen Union sind mehr als 80 Prozent der Lebensräume in einem schlechten ökologischen Zustand, zahlreichen Tier- und Pflanzenarten droht das Aussterben.

Laut neuem Gesetz müssen die Staaten bis 2030 Renaturierungsmaßnahmen auf rund 20 Prozent der EU-Fläche auf den Weg gebracht haben. Bis 2050 sollen alle geschädigten Ökosysteme in den Genuss von Renaturierungsmaßnahmen kommen. Das „Restoration Law“ ist das erste große Naturschutzgesetz auf europäischer Ebene seit der Verabschiedung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie 1992, die darauf abzielte, Lebensräume unter Schutz zu stellen.

Gesetz soll auch helfen, Folgen der Klimakrise abzufedern

Das Gesetz soll nicht nur Tieren und Pflanzen das Überleben sichern, sondern auch für Menschen überlebenswichtige Leistungen von Ökosystemen erhalten. Denn der Verlust von Biodiversität hat auch unmittelbare Folgen für die Menschen und die Wirtschaft in der EU:

  • Kanalisierte Flüsse und zerstörte Auen können die durch den Klimawandel häufigeren und stärkeren Hochwasser nicht mehr aufhalten.
  • Die durch Entwässerung und Schadstoffe geschädigten Wälder haben sich bereits zu Emittenten von Treibhausgasen entwickelt, statt sie zu speichern.
  • Auch das Insektensterben als Folge von zu viel Chemikalien und einer zu intensiven Landwirtschaft entwickelt sich mittlerweile zu einer ernsten Gefahr für die Produktion von Lebensmitteln. Schon heute leidet die Hälfte der von Bestäubung abhängigen Ackerkulturen in der EU unter Mangelerscheinungen.
Rinder stehen im knochentiefen Wasser eine Weide
Wiedervernässte Niedermoorflächen können Teil von Renaturierungsprogrammen sein.

„Schutzgebiete und Artenschutz allein reichen nicht mehr“

Auch Lemke betont die Bedeutung aktiver „Wiederherstellung“ zerstörter Natur für Landwirtschaft und Hochwasserschutz. Die Wissenschaft sei sich einig, dass es einen neuen Ansatz beim Naturschutz geben müsse, sagte sie. „Schutzgebiete und Artenschutz allein reichen nicht mehr – wir müssen mit der Reparatur von Ökosystemen beginnen.

Als Beispiel für ein stark geschwächtes ökologisches System nannte die Grünen-Politikerin das Wassersystem, das weltweit aus den Fugen geraten sei. “Wir wissen, dass wir in Europa zum allergrößten Teil gestörte oder gar zerstörte Süßwassersysteme haben.„ In einer solchen Situation sei Schutz allein nicht mehr ausreichend.

Als ersten Schritt will das Umweltministerium einen “nationalen Wiederherstellungsplan„ erarbeiten, sobald die EU-Kommission die konkreten Vorgaben dafür an die Mitgliedstaaten vorgelegt habe. Damit wird innerhalb der nächsten drei Monate gerechnet. Lemke appellierte an die Kommission, den Ländern Spielraum bei der Umsetzung zu lassen. “Ich erwarte, dass das auch unbürokratisch gemacht wird. Wir brauchen keine Vorgaben für den Kronendurchmesser gesunder Bäume.„

3,5 Milliarden Euro für Renaturierung

Die Grünen-Politikerin sieht Deutschland gut gerüstet für die Umsetzung des Gesetzes. Mit dem “Aktionsprogramm Natürlicher Klimaschutz" (ANK) habe ihr Ministerium bereits damit begonnen, geschädigte Lebensräume ökologisch zu beleben und gleichzeitig einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten, weil nasse Moore oder alte Wälder große Mengen an Kohlenstoff speichern. Das ANK ist mit Finanzmitteln von 3,5 Milliarden Euro ausgestattet. Mit dem Geld werden Förderprogramme für eine freiwillige Beteiligung von Landeigentümern an Renaturierungsmaßnahmen bezahlt.

Lemke positioniert sich klar gegen Enteignungen

Bei der Verwirklichung des Renaturierungsgesetzes setzt Lemke strikt auf Freiwilligkeit. „Enteignungen lehne ich ab. Das hat vielleicht auch mit meiner Ost-Biografie zu tun“, sagte die Ministerin, die ihr politisches Engagement in der DDR-Umweltbewegung begonnen hatte. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hatte empfohlen, Enteignungen von Landeigentümern als Ultima Ratio nicht auszuschließen.

Zwar seien finanzielle Anreizprogramme das beste Mittel, um gesellschaftliche Akzeptanz für die Renaturierung zu erreichen, sagt der Umweltjurist und Ratsmitglied Wolfgang Köck. In Ausnahmefällen müsse aber auch die Enteignung möglich sein, wenn andernfalls ein Besitzer ein ganzes Projekt zur Moor-Wiedervernässung mit einem kleinen Sperrgrundstück blockieren könne. Lemke zeigte sich zuversichtlich, dass auch ohne Enteignungen ausreichend Flächen für die Renaturierung gefunden werden. Kommunen und Anwohner hätten beispielsweise aus Gründen des Hochwasserschutzes größtes Interesse daran, Flüssen mehr Platz zu geben und mehr Überschwemmungsflächen zu schaffen. „Was Auen bringen, merkt man beim nächsten Hochwasser.“

Neue Biodiversitätsstrategie strebt weniger Pestizide an

Lemke betonte, dass zur Bekämpfung der ökologischen Krise insgesamt auch Reformen in der Landwirtschaft nötig seien. „Wir brauchen Veränderungen, und dazu gehört es auch, den Einsatz von Pestiziden mindestens in bestimmten Gebieten zu reduzieren.“ Mit Blick auf die gerade von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf Eis gelegte europaweite Verordnung zur Verringerung von Pestiziden fügte sie jedoch hinzu: „Wir müssen auch erkennen, dass es für manche dieser Ziele weder politische noch gesellschaftliche Mehrheiten gibt.“ Daher gelte es, negativen Auswirkungen von Pestiziden auch durch die Entwicklung weniger schädlicher Pflanzenschutzmittel zu erreichen. Lemke kündigte in diesem Zusammenhang an, in ihrer neuen Biodiversitätsstrategie das Ziel zu verankern, Risiko und Einsatz von Pestiziden bis 2030 um die Hälfte zu verringern.

Die Recherchen zu diesem Artikel wurden von der Andrea von Braun Stiftung gefördert.

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