NABU-Streit um Windkraft: „Ein Schlag ins Gesicht“
Die Vorsitzende des mächtigen Landesverbands Nordrhein-Westfalen, Heide Naderer, über den umstrittenen Kurs beim Ausbau der Windenergie
Fast im Alleingang hat NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger mit der Parteispitze der Grünen ein Grundsatzpapier zugunsten eines schnelleren Ausbaus der Windenergie ausgehandelt. Das Papier läuft auf eine deutliche Stärkung der Windbranche im Konflikt mit dem Artenschutz und einen massiven Neubau von Windkraftanlagen auch in bereits stark belasteten Regionen hinaus. Es markiert nach Einschätzung vieler NABU-Aktiver und von Experten einen einschneidenden Kurswechsel in der Naturschutzpolitik des Verbandes, der als einer der letzten großen Naturschutzorganisationen bislang die Fahne des Vogelschutzes hochhält.
Der Alleingang seines Vorsitzenden löst heftigen Protest aus und stürzt Deutschlands größten Naturschutzverband in eine Zerreissprobe. Auch der drittgrößte Landesverband Nordrhein-Westfalen kritisiert Krüger scharf und distanziert sich förmlich. Im Flugbegleiter-Interview erläutert die Landesvorsitzende Heide Naderer ihre Position in dem Grundsatzkonflikt zwischen Naturschutz und Energiewende.
Frau Naderer, wie wurde das Papier in ihrem Landesverband, dem drittgrößten des NABU, aufgenommen?
Heide Naderer: Mit großer Überraschung und teilweise mit Entsetzen. Gerade den Ornithologen bei uns hat das richtig wehgetan. Einige halten es auch für einen richtigen Beitrag, aber für viele – gerade die selbst im Vogelschutz aktiven – Mitglieder war das ein regelrechter Schlag ins Gesicht. Auch ich selbst bin deutlich irritiert.
Was kritisieren Sie an dem Papier?
Dass bei dem sensiblen Thema ohne ausführliche Diskussion in der ganzen Breite des Verbandes und ohne eine Beschlussfassung dazu ein Papier mit einer Partei unterzeichnet wurde – das geht gar nicht. Darin sind sich im Landesverband so gut wie alle einig. Vogelschutz ist Teil der DNA des NABU und deshalb ist gerade beim Thema Windenergie eine breite Diskussion innerhalb des Verbands zwingend. Auch Überparteilichkeit muss gewahrt werden, das ist hier nicht der Fall gewesen. Dass das Vorgehen in diesen beiden Punkten überhaupt nicht angemessen war, darin sind wir uns nach meiner Beobachtung in NRW alle einig.
Jörg-Andreas Krüger argumentiert, über die bevorstehende Veröffentlichung des Dokuments sei vielfach gesprochen worden. Jeder, der es hätte wissen wollen, habe wissen können, dass das Papier veröffentlicht werde.
Es gab Austauschrunden, in denen ich auch dabei war. Aber auch mir war nicht klar, dass das auf ein von beiden Seiten beschlossenes und unterzeichnetes Papier hinausläuft. Dass so ein Papier ohne eine klare und breite Ankündigung im Verband publiziert wird, war fast niemandem bewusst und kommt nicht gut an.
Was hatten Sie erwartet?
Ich hatte erwartet, dass etwas wie ein offenes Diskussionspapier von unserer Seite dabei herauskommt; eines, das die Grundlage für einen Diskurs mit den Grünen sein könnte.
Viele NABU-Mitglieder sehen in dem gemeinsamen Papier zwischen ihrer Verbandsspitze und den Grünen den Versuch, den NABU neu auszurichten, genauer: ihn auf einen deutlicheren Pro-WIndkraft-Kurs zu bringen – zulasten des Arten- und Vogelschutzes und damit dem wichtigsten Anliegen Ihres Verbandes. Sehen Sie das auch so?
Es überrascht mich schon, dass der NABU durch das Unterhaken mit den Grünen in die Debatte noch einmal einen anderen Akzent reingebracht hat. Inhaltlich glaube ich aber nicht, dass das Papier grundsätzlich mit dem bricht, was wir als NABU schon in früheren Positionierungen an verschiedenen Stellen gesagt haben.
Das sehen offenbar viele nicht so, denn die Veröffentlichung des Papiers hat einen regelrechten Sturm in ihrem Verband ausgelöst. Alles nur ein Missverständnis?
Problematisch ist, dass es einigen Spielraum eröffnet, der als Paradigmenwechsel zu einem noch windkraftfreundlicheren Kurs interpretiert und ausgenutzt werden kann. Durch die Eile, in der das Papier offenbar entstanden ist, und durch die Positionierung gemeinsam mit den Grünen als der windkraftfreundlichsten Partei kann dieser Eindruck aufkommen.
Und das Papier schlägt im Zielkonflikt zwischen Artenschutz und Windausbau eine neue Tonalität an, die viele irritiert. Ob das tatsächlich der Versuch einer Neuausrichtung oder nur das Ergebnis eines übereilten und nicht bis zum Ende gedachten Vorgehens ist, kann ich nicht wirklich sagen. Ich glaube aber ganz sicher, dass Jörg-Andreas Krüger keine Abkehr vom Artenschutz will.
Kern der Auseinandersetzung ist der Vorschlag, unter bestimmten Voraussetzungen das gesetzlich festgeschriebene Tötungsverbot für Vögel über Ausnahmeregelungen zu umgehen. Letztlich soll der Tod auch streng geschützter Vögel an Windrädern für die Errichtung neuer Anlagen ermöglicht werden, solange die Gesamtpopulation keinen Schaden nimmt. Wieso schlägt ein Vogelschutzverband so etwas vor?
Man mag darüber ins Grübeln kommen, warum er das tut. Es irritiert mich auch. Es gibt keinen Grund für uns als Verband, so etwas von unserer Seite aus anzubieten. Der Vogelschutz ist Teil der DNA des NABU und wird es meiner Ansicht nach auch bleiben. Das kann man nicht einfach ablegen, auch wenn ganz klar ist, dass wir breiter aufgestellt sind und natürlich auch für eine naturverträgliche Energiewende eintreten. Das schließt sich auch nicht aus, muss aber auch in einer guten Balance zueinander gebracht werden. Und da steht der Artenschutz für unseren Verband ganz oben auf der Prioritätenskala.
Andere Umweltverbände wie der BUND haben sich im Zielkonflikt zwischen Naturschutz und Energiewende schon seit längerem auf die Seite besonders der Windindustrie geschlagen. Windenergie sei Klimaschutz und mithin auch per se Artenschutz, so lautet das gewagte Argument. Beschreitet der NABU nun denselben Weg? Gehen den Vögeln ihre letzten Schützerïnnen von der Fahne?
Hier in NRW verbleiben genügend Kämpfer für die Anliegen der Vögel. Mit guten Verfahren und guter Koordination kann man sehr viel machen. Aber es ist eine harte Nuss, in der Praxis vor Ort Kompromisse zu finden. Die Vertreter der Windbranche sind häufig sehr hart. Der Artenschutz steht für sie häufig nicht auf der Prioritätenskala. Es muss Kompromisse geben – aber ohne unsere DNA als Vogelschützer in Frage stellen zu müssen.
Wie geht es jetzt weiter?
Es muss nun eine breite Debatte geben, dann müssen sich die Gremien damit befassen und am Ende sollte ein Beschluss der Bundesvertreterversammlung stehen. (Anmerkung: Die analog zu Parteitagenauf ein Delegiertensystem aufbauende BVV ist das wichtigste Beschlussgremium des NABU.)
Und wenn die Basis darin das Papier ablehnt?
Wenn der Beschluss anders aussieht als das, was in dem Papier mit den Grünen steht, ist Jörg-Andreas Krüger professionell genug, das zu akzeptieren. Aber es kann gut sein, dass ein Beschluss dann nicht so ganz anders aussieht, denn es gibt ja neben den Knackpunkten, die raus müssen, auch viele richtige Überlegungen, etwa die Forderung nach einer besseren Regionalplanung.