Patrouille im Paradies: Wie Fischer und Meeresschützer sich für die Mönchsrobbe engagieren
Das Meer um die griechische Insel Alonissos ist Heimat der bedrohten Mönchsrobbe und als größter Nationalpark des Mittelmeers besonders streng geschützt. Um die vielen Regeln im Park durchzusetzen, patrouilliert dort auch ein Boot der Naturschutzorganisation „Sea Shepherd“. Und eine taffe Griechin legt sich mit Trawlerfischern und Robbenmördern an.
Dieser Text ist Teil unserer Recherche-Serie„Zukunft Mittelmeer–wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“. (aktualisiert/ergänzt am 9.4.2024)
Wer Kostis ermordet hat, wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben. Wobei, sagt Valia Stefanoudaki und zieht dabei spöttisch die Mundwinkel nach unten, man könne nie wissen: „Vielleicht lässt sich dieser Dummkopf auch in irgendeiner Kneipe volllaufen und prahlt mit der Tat.“ Ganz unwahrscheinlich sei das in ihrem Land nicht, frotzelt Stefanoudaki und lacht. Es ist ein lautes Lachen, und es klingt wie eine Kampfansage. Eine Kampfansage gegen die die Einfalt, gegen das ewig Gestrige.
Mord im Nationalpark
Stefanoudaki, die alle hier nur Valia nennen, ist eine kleine drahtige Frau, mit langen schwarzen Haaren, funkelnden dunklen Augen und scheinbar unendlicher Energie. Sie ist die Chefin von Sea Shepherd Griechenland – was nach mehr klingt, als es ist. Denn die internationale Meeresschutzorganisation, die sich dem Kampf gegen die illegale Fischerei verschrieben hat, ist in dem Inselstaat ziemlich klein. Aber unbedeutend, dafür sorgt Valia, ist sie nicht. Sie hat es geschafft, ein Patrouillenboot der Nichtregierungsorganisation in den größten Nationalpark des Mittelmeers zu holen. Und sie geht einigen damit gehörig auf die Nerven. Denn sie will dafür sorgen, dass die Robben, die Fische, die Wale, die Korallen und all die anderen Tiere und Pflanzen hier wirklich den Schutz genießen, der ihnen auf dem Papier zugesichert wurde.
Das ist keine leichte Aufgabe. Mit seinen 3000 Quadratkilometern ist der Park rund um die Ägais-Inseln nördlich von Athen größer als Luxemburg. Ein riesiges Refugium für viele Tier- und Pflanzenarten, darunter auch die Mönchsrobbe: das am meisten bedrohte Säugetier Europas und eine Art Maskottchen für den Nationalpark. Eines dieser seltenen Exemplare war Kostis: eine männliche Mönchsrobbe, die sich gerne auf den Badeplattformen von Booten sonnte, sich streicheln und umarmen ließ, für Selfies posierte und mit ihren schwarzen Kulleraugen schnell zum Medienstar avancierte. Als ein Unbekannter Kostis im Sommer 2021 mit einer Harpune aufspießte, berichtete sogar die BBC darüber und eine deutsche Boulevard-Zeitung titelte: „Ganz Griechenland sucht den Robben-Mörder“. Aber es ging nicht nur um Mord. Es ging auch um die Botschaft dieser Tat: eine Art blutiger Protest gegen den Nationalpark mit seinen Schutzbestimmungen. Denn der stößt nicht bei allen hier auf Begeisterung.
Hütehund für Robben und Fische
Niemand weiß das besser als Valia. An einem Oktobermorgen fährt sie von Athen aus zurück nach Alonissos, wo sie mittlerweile fast ganzjährig lebt, obwohl die Insel sie mit ihrer provinziellen Verschlafenheit, den wenig hinterfragten Traditionen und dem verwandtschaftlichen Klüngel auf eine harte Probe stellt. Das letzte Wegstück führt von der Hafenstadt Volos aus mit der Fähre bereits mitten hinein in das kleine Inselparadies, die Nördlichen Sporaden. Es sieht aus, als hätte ein übermütiger Künstler hier mit beige-grüner Ölfarbe viel zu viele pastöse Inseln in das tiefe Blau des Meeres getupft. Während die wenigen Passagiere mit ihren Handys in alle Richtungen fotografieren oder die Sonnencreme rausholen, tippt Valia angestrengt auf ihrem Smartphone. Die Herbstsaison startet. Die Touristenmassen verschwinden, die großen Fisch-Trawler kommen. Sie dürfen seit dem 1. Oktober außerhalb des Nationalparks wieder fischen und werden in den nächsten Monaten wie hungrige Wölfe rund um das Schutzgebiet lungern. Dass sie dabei keine Grenzen überschreiten, dafür will Valia mit der „Emanuel Bronner“ sorgen – einem grau gestrichenen Kajütboot, das von der Ostsee hierher überführt wurde. Auf der Fähre organisiert sie die nächsten Patrouillenfahrten und teilt die Teams aus Freiwilligen ein, als plötzlich ihr Handy klingelt.
Sie lauscht keine zehn Sekunden, dann schießen die Sätze wie Gewehrsalven aus ihrem Mund. Jedes Wort ein Knall. Die Touristen auf der Fähre legen die Köpfe schief, während Valia ihre Sonnenbrille auf einen der Plastikstühle schleudert. Wer immer am anderen Ende der Leitung ist, hat entweder schon aufgelegt oder ist kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Valia ist das auch. Als sie auflegt, starrt sie mit leerem Blick ins Urlaubsparadies.
Es habe eine Beschwerde gegeben, erklärt sie, als sie sich ein wenig beruhigt hat, gegen Sea Shepherd. Ihr Team, bestehend aus dem Kapitän und ehrenamtlichen Helfern, war auf Patrouille und sei dabei wohl aus dem Nationalpark herausgefahren, um einen dort legal fischenden Trawler mit einer Drohne zu filmen. Das zumindest behaupte der Besitzer des Trawlers, der sich bei der Hafenpolizei über Sea Shepherd beschwert hat. „Dabei wissen meine Leute ganz genau, dass sie nie, wirklich nie außerhalb des Schutzgebietes patrouillieren sollen“, schimpft Valia – nun wieder in normaler Lautstärke.
Das Einhalten der Regeln ist für Sea Shepherd auch deshalb so wichtig, weil der Kampf gegen die illegale Fischerei auch ein Kampf um die öffentliche Meinung, um Argumente, um Akzeptanz ist. Wer hier Angriffsfläche bietet, verliert schnell. Sea Shepherd aber soll als das wahrgenommen werden, was im Namen der Organisation steckt: als umsichtiger Hütehund, nicht als bisswütiger Kampfhund. Als Hüter der Meere, der Robben und der Fische.
Der Nationalpark: ein Erfolg in Etappen
Dass der Nationalpark nicht nur Freunde hat, war von Anfang an klar. Bevor er 1992 gegründet wurde, waren viele Diskussionen vorangegangen. „Das waren schwierige Jahre“, sagt Christos Florous, bis vor kurzem Vize-Bürgermeister auf Alonissos. „Die meisten Menschen mussten um ihr tägliches Essen kämpfen und fischten sogar mit Dynamit, um etwas auf die Teller zu bekommen.“ In den Mönchsrobben sahen viele der knapp 3000 Bewohner kein vom Aussterben bedrohtes Tier, sondern einen gefräßigen Nahrungskonkurrenten, der die Fischernetze nicht nur plündert, sondern auch zerstört. Eine getötete Robbe, die Fleisch und Fett liefern konnte, war daher lange Zeit deutlich wertvoller als eine lebende.
Und doch waren es ausgerechnet die vermeintlichen Feinde der Robben, die Küstenfischer, welche die Idee eines Nationalparks unterstützten und gemeinsam mit Umwelt- und Tierschützern vorantrieben. Das lag unter anderem daran, dass immer mehr Fischereiboote aus anderen Gebieten nach Alonissos kamen und die Fänge der kleinen Fischer dadurch immer schlechter wurden. Um das zu verhindern, akzeptierten sie strenge Vorschriften zur Maschengröße der Netze, zu Schon- und Fangzeiten und profitierten im Gegenzug davon, dass Trawler in dem Gebiet gar nicht mehr und Freizeitfischer nur noch nach ganz bestimmten Regeln fischen durften. Denn diese beiden Gruppen – so viel war den Fischern inzwischen klar geworden – waren deutlich größere Konkurrenten um den Fisch als die wenigen verbliebenen Mönchsrobben.
Papier aber ist geduldig. Auch knapp zehn Jahre nach seiner offiziellen Gründung hatte der Park „noch immer keinen Managementplan, kein Personal, kein Büro, kein Budget und kaum Hoffnung, dass sich die Dinge in nächster Zeit zum Besseren wenden werden“, wie ein Fachartikel 2001 feststellte. Dass der Park dennoch einen gewissen Schutz vor Trawlern genoss, lag weniger an seinen natürlichen als an seinen kulturellen Schätzen: Weil rund um die Nördlichen Sporaden alte Schiffswracks sowie ihre teils sehr wertvollen Waren auf dem Meeresboden liegen, sorgten zumindest Archäologen und Kulturschützer, dafür, dass die Kostbarkeiten der Vergangenheit am Ende nicht in den Schleppnetzen irgendwelcher Trawler landeten.
Die Fischbestände erholten sich dadurch etwas und die Gegend wurde zunehmend interessant für den Öko- und Tauchtourismus. Das brachte Geld auf die Insel und schuf gute Absatzmöglichkeiten für die Fischer bei den örtlichen Restaurants. „Wenn es den Park nicht gegeben hätte, dann gäbe es jetzt schon keine kleinen Küstenfischer mehr“, ist sich Thodoris Malamatenios, langjähriger Küstenfischer in Alonissos, sicher.
Doch über die wieder anwachsenden Fischbestände freuten sich nicht nur die örtlichen Küstenfischer, auch immer mehr Freizeitfischer lernten das wieder aufblühende Unterwasserparadies schätzen. „Die kamen von überall her und haben sich Fische rausgeholt und auch Gold oder Amphoren aus den Schiffswracks“, sagt Thodoris Malamatenios. Vor allem beim Speerfischen, bei dem die Fische unter Wasser mit Harpunen erlegt werden, können auch Amateure Unmengen an Fisch aus dem Meer holen. Wer mit Tauchflaschen ausgestattet ist und die Fische im Dunklen mit einer Taschenlampe zum Erstarren bringt, kann sie quasi in aller Ruhe absammeln – ein großes Problem an fast allen Mittelmeerküsten. Das Fischen mit Tauchflaschen ist deshalb in ganz Griechenland verboten – zumindest auf dem Papier. Allein den Nationalpark aber auf diese schnelle unscheinbare Fischerei hin zu kontrollieren und die illegale Tätigkeit gerichtsfest nachzuweisen, ist nicht leicht.
„Oft sind Speerfischer mit ihren Schnellbooten weg, bevor wir ihnen irgendetwas nachweisen können“, erzählt Valia. Und zur Not werde das Equipment, also die Harpunen, einfach über Bord geworfen und neu gekauft. Und dennoch, ist sich Valia sicher, schrecke eine gut abgestimmte Anwesenheit von Behörden und NGOs wie Sea Shepherd illegale Speerfischer ab. Das gleiche gelte für die Trawler, die im Nationalpark noch ungleich größeren Schaden anrichten können.
Um jetzt, zum Start der Trawler-Saison, Präsenz zu zeigen, will Valia noch am Abend ihrer Ankunft mit der „Emanuel Bronner“ raus auf Patrouille. Den Zwischenfall mit dem Trawler vom Vortag hat sie inzwischen aufgeklärt: Die Crew hat ihr versichert, sie hätten nicht das Fischereiboot, sondern Delfine gefilmt, die dort außerhalb des Parkes immer wieder aus dem Wasser gesprungen seien.
Die Sonne versinkt gerade am Horizont und taucht den Park in ein unwirkliches Licht, als die Sea Shepherd Crew gegen sieben Uhr den Hafen verlässt. Es ist windstill, glatt und wohin der Blick auch geht – nur Wasser und Inseln. Die Crew hält abwechselnd Ausschau, kann aber nichts Außergewöhnliches an die Hafenpolizei melden. So ist das oft. Der Erfolg von regelmäßigen Patrouillen zeigt sich auch darin, dass nichts passiert. Denn bei guten Kontrollen ist die Gefahr, erwischt zu werden, hoch. Nach etwa drei Stunden kehrt die „Emanuel Bronner“ daher wieder zurück in den Hafen. Schließlich soll die nächste Patrouille schon um sieben Uhr morgens starten.
Deutsche Kontrollwut in griechischen Fanggründen?
Kurz bevor die Crew am Morgen wieder aufbrechen will, nähern sich zwei Männer der Anlegestelle. Sie sind alles andere als groß, aber ihr Gesichtsausdruck, die frischen, über die dicken Bäuche gespannten Hemden, der gemessene Schritt – all das strahlt Autorität aus, Entschiedenheit. Die beiden Männer sind die Besitzer der zwei in Alonissos gemeldeten Trawler und wollen sich beschweren: Warum, so fragen sie, habe die Sea Shepherd Crew sie am Vortag gefilmt, obwohl sie außerhalb des Parkes ganz legal gefischt hätten?
Das Misstrauen gegenüber NGOs im Allgemeinen und Sea Shepherd im Besonderen ist groß – nicht nur bei den Trawler-Besitzern. Dass es ausgerechnet ein Schiff aus Deutschland ist, das für die Patrouillen der NGO nach Alonissos geschickt wurde, macht die Sache nicht einfacher. Weder die alten Geschichten – hoch oben auf dem Dorfplatz ragt ein Denkmal auf, um den neun von Deutschen während des Zweiten Weltkriegs erschossenen Bewohnern zu gedenken – noch die frischeren Konflikte in der EU sind hier vergessen. Dass die Deutschen nicht nur die Finanzen, sondern nun indirekt auch über die griechischen Fische bestimmen wollen, kommt nicht gut an.
Das Gespräch zwischen Valia und den Trawler-Besitzern dauert lang. Vor nicht allzu langer Zeit war Alonissos eine winzige, abgelegene griechische Insel, die kaum jemand kannte. Und auf einmal kommen Menschen und Organisationen aus Athen und allen möglichen Ländern hierher, kommen vegane, multikulturelle Umweltschützer und wollen die Fischerei kontrollieren und den Bewohnern vorschreiben, wie sie mit „ihrer Natur“ umzugehen haben? Es ist Valias nicht ganz leichte Aufgabe, zwischen diesen Welten zu vermitteln. Als sie sich von den beiden Trawler-Besitzern verabschiedet, bleibt unklar, ob sie die beiden Männer von ihrer Version des Zwischenfalls überzeugen konnte. Wenn es schlecht läuft, so fürchtet Valia, könnten sie bald eine Klage am Hals haben.
Mönchsrobbe: Überleben in Schutzkellern
Doch dann geht es endlich raus. Die Sonne glitzert bereits auf dem Meer und das Schiff gleitet leicht über die kleinen Wellen. Die Crew hat erstmal Zeit, den Thunfischschwarm zu beobachten, der wild aus dem Wasser springt, die Eleonorenfalken am Himmel oder die Ziegen, die über die Felsen der unbewohnten Inseln klettern. Doch es dauert nicht lang, da meldet der Kapitän ein Boot auf dem Radar. Es scheint ein Fischerboot zu sein. Das AIS, ein automatisches Schiffserkennungssystem, das Informationen über Schiffstyp, Position und vieles mehr gibt, hat dieses Boot ausgeschaltet. Das ist verdächtig. Zudem bewegt es sich kaum vorwärts, was ein Anzeichen dafür sein kann, dass gerade gefischt wird.
Weil sich die „Emanuel Bronner“ dem Schiff aber nicht auf mehr als eine Seemeile nähern darf, versucht die Crew den Namen des Bootes mit einem starken Objektiv ranzuzoomen und ein Foto zu machen. Nach einigem vorsichtigen Hin und Her, bei dem Valia peinlich darauf achtet, dass man sich nicht zu stark nähert und nicht weitere Schiffsbesitzer verärgert, gelingt das. Der Kapitän ruft über Funk die Hafenpolizei an und gibt Schiffsnamen sowie Position durch. Dann passiert erstmal gar nichts, angespannt schauen die Crew-Mitglieder auf das Boot, versuchen die Art des Fischereibootes zu bestimmen und seine Bewegungen zu deuten. Schließlich meldet sich die Hafenpolizei zurück. Entwarnung: Das Boot gehöre einem Fischer mit Lizenz, der in dieser Zone des Nationalparks fischen dürfe.
Es wird das einzige verdächtige Schiff an diesem Tag bleiben. Und auch Mönchsrobben zeigen sich nicht. „Das war leider zu erwarten“, sagt Valia, als sie am Abend wieder von Bord der „Emanuel Bronner“ geht. Zwar gäbe es immer mal wieder Exemplare, die sich wie Kostis auf Badeplattformen sonnen oder auch mal einen Hafen aufsuchen, insgesamt seien die Tiere aber eher scheu.
Und das ist auch gut so. Denn dass die Mönchsrobben überhaupt überlebt haben, verdanken sie vor allem ihrer Fähigkeit, sich unsichtbar zu machen. Ihre Jungen bringen die Mönchsrobben in gut versteckten Höhlen zur Welt, die in dem Nationalpark einen besonderen Schutz genießen. Der Bestand, der noch zwischen 2008 und 2015 fast vor der Ausrottung stand, hat sich dadurch in den letzten Jahren deutlich erholt. 55 Tiere sind rund um Alonissos zu Hause. Im gesamten Mittelmeer sind es einige hundert. Anfang des Jahres stufte die Internationale Union zur Bewahrung der Natur, kurz IUCN, den Bestand nicht mehr als „stark gefährdet“, sondern nur noch als „gefährdet“ ein.
An diesem Erfolg hat die „Hellenische Gesellschaft für Mönchsrobben“, kurz „MOm“ einen wesentlichen Anteil. Die Organisation klärt auf, dokumentiert, kontrolliert die Einhaltung der Park-Regeln und päppelt auch junge Heuler auf, die nach einem Sturm ihre Mutter verloren haben.
Auch Kostis war so eine „Findelrobbe“. Allerdings eine besondere. Denn nachdem er sich mit Hilfe der MOm-Mitarbeiter fit gefressen und erholt hatte, lebte er sich im offenen Meer des Nationalparks zwar wieder ein, suchte jedoch immer wieder die Nähe von Menschen.
Das Video eines Tauchers, den Kostis immer wieder mit seinen Flossen umklammerte und umschwamm, sorgte in den sozialen Medien für Begeisterungsstürme. Letztlich aber zeigt das Beispiel des aufgespießten Kostis auch: Seine Vorfahren taten gut daran, sich von den Menschen fernzuhalten.
Die NGO hat seit ihrer Gründung bereits 30 Heuler aufgezogen und wieder ausgewildert. Dabei achten sie mittlerweile genau darauf, dass die jungen Robben sich nicht zu sehr an menschlichen Kontakt gewöhnen. Denn ihre Scheu ist ihre Lebensversicherung. „Menschen müssen erst wieder lernen, wie sie sich verhalten sollen“, meint Eleni Tounta, Projektmanagerin von MOm auf Alonissos. Eine Frau schickte ihr jüngst ein Video, wie sie zu einer Robbe ins Meer geht, um mit ihr zu schwimmen. Eleni schüttelt den Kopf. „Warum macht sie das?“ fragt sie. „Es ist nicht möglich, mit einem wilden Tier zu spielen. Aber die Menschen wollen einfach mit allem spielen.“ Am Ende ist die süße Robbe mit den großen schwarzen Knopfaugen eben kein Kuschel-, sondern ein 300 Kilo schweres Raubtier mit einem kräftigen Gebiss und spitzen Zähnen. Die richtige Balance zwischen Schutz und Nähe zu finden, ist dabei nicht ganz leicht. Denn natürlich möchte jeder Besucher das Maskottchen des Nationalparks gerne einmal vor die Smartphone-Kamera bekommen.
Eintrittsgelder für den Nationalpark
Aber auch wenn Robbe und Mensch einander erst wieder kennen lernen müssen, die Erfolge, die der Nationalpark mittlerweile vorzuweisen hat, sind nicht von der Hand zu weisen – wenngleich sie viel schwerer erkämpft werden mussten als Eleni Tounta und Valia Stefanoudaki sich das gewünscht hätten. Immerhin gibt es nun bereits seit 20 Jahren eine echte Nationalparkbehörde, die NECCA. Die hat 2022 sogar eine Art Eintrittsgeld für den Nationalpark eingeführt. Besucher zahlen nun knapp sechs Euro, für Boote werden über 30 Euro fällig, wenn sie sich in der streng geschützten und größeren Zone A des Nationalparks aufhalten wollen. Das eingenommene Geld kommt unter anderem Schutzmaßnahmen und Reinigungs-Aktionen im Park zugute, aber auch der Gemeinde Alonissos und den Küstenfischern.
Auch die Zusammenarbeit mit der Hafenpolizei, die gemeinsam mit der Nationalpark-Behörde für die Kontrollen im Schutzgebiet zuständig ist, laufe mittlerweile sehr gut, sagt Valia – und wer möchte, kann hier durchaus ein wenig Diplomatie heraushören. Denn ganz sicher ist: Das war nicht immer so. Bevor der Nationalpark gegründet wurde, verfügte die Hafenpolizei nur über ein Ruderboot. Und auch später gab es immer wieder Probleme mit den Booten: entweder waren sie zu langsam für eine Verfolgung auf See oder sie waren ständig kaputt oder das Geld für den Sprit fehlte. Und manchmal fehlte es auch einfach am Willen. „Wenn man 800 Euro im Monat verdient, hat man keine große Motivation, aktiv zu werden oder Ärger zu machen“, sagt der ehemalige Vize-Bürgermeister Christos Florous. Auch die Küstenfischer, die oft genug auf dem Meer sind, um illegal fischende Boote hier zu entdecken, seien da keine Hilfe. „Letztlich trifft man ja die Übeltäter abends in der Kneipe wieder oder ist sogar mit ihnen verwandt. Da macht keiner den Mund auf.“
Gute Bilanz: zehn Fälle vor Gericht
Mit der Ankunft von Sea Shepherd habe sich das stark verändert, meint Florous. Es helfe, dass nun „Outsider“ auf die Regeln achten und dafür sorgen, dass auch die Behörden genauer hinschauen. Das zeigt sich auch in den Zahlen. In den letzten drei Jahren habe man 25 Verstöße gegen die Fischerei sanktioniert und zehn Fälle von illegaler Fischerei im Park vor Gericht gebracht, sagt Spyridon Drosakis, Leiter der Hafenpolizei. Erst Anfang März erwischte die Hafenpolizei einen illegal fischenden Trawler aus Alonissos. Welche Strafen nun fällig werden, ist noch nicht klar. In jedem Fall aber werde dieser Trawler wohl zukünftig nicht mehr im Nationalpark fischen. Denn wenn er noch ein zweites Mal erwischt werde, würde ihn das wohl sehr teuer zu stehen kommen.
Tauchlehrer Dias Menis bekommt das Resultat all dieser Bemühungen fast täglich zu sehen. Er kam 2017 nach Alonissos und war schon damals erstaunt, wie bunt und vielfältig die Unterwasserwelt hier ist. „Innerhalb von Griechenland kenne ich keinen anderen Ort mit einer solchen Vielfalt an Meerestieren und -pflanzen“, sagt Menis. Besonders imponierend findet er die riesigen Unterwassergärten aus roten Gorgonienkorallen, von denen auch viele Tauchtouristen überrascht und überwältigt sind. „Die würde man so im Mittelmeer nicht erwarten“, so der Tauchlehrer. Sie zeigten, wie die Unterwasserwelt aussehen kann, wenn nicht überall die Schlepp-und Grundnetze durchpflügen. Auch Menis sagt: Seit Sea Shepherd vor Ort ist, ist der Schutz dieser Unterwasserwelt noch einmal deutlich besser geworden.
Doch hinter diesem Schutz steckt viel Arbeit. Beinahe täglich draußen auf dem Meer zu sein, den Einsatz und den Aufenthalt der Freiwilligen zu koordinieren, Konflikte auszutragen und den Kontakt zu den Menschen der Insel zu halten, ist ein 24/7-Job, vor allem wenn man ihn so macht wie Valia. „Sie macht wirklich alles“, sagt Mirko Schmied, der als deutscher Freiwilliger auf der „Emanuel Bronner“ dabei ist. „Sie kauft ein, sie kocht, sie sorgt sich, wenn jemand zu wenig isst, und nebenbei rettet sie noch angefahrene Katzen.“ Manchmal ist selbst Valia das zu viel. Dann schimpft und lacht sie abwechselnd über dieses provinzielle Paradies, das alle lieben, aber nur wenige schützen.
Im Oktober 2023 verloren der langjährige Bürgermeister und sein Vize Christos Florous bei den Kommunalwahlen gegen einen Kandidaten, der dem Nationalpark sehr kritisch gegenüber steht. Seither ist die Arbeit für Sea Shepherd nicht leichter geworden. Auch der Mörder von Kostis wurde noch immer nicht gefunden. Es gab, soweit bekannt, keine promillehaltige Beichte in der Kneipe und auch keine Anzeige – trotz der großzügigen ausgeschriebenen Belohnung von 18.000 Euro.
Aber Valia gibt nicht auf. Überall, wo die Griechin ist, sucht sie das Gespräch: mit Taxifahrern, in der Kneipe, im Hafen. Sie bleibt dabei stets respektvoll, hört zu, wägt ab und lässt nicht locker mit ihren Argumenten für einen besseren Schutz der Meeresumwelt. Denn letztlich, so viel ist klar, kann man auch mit noch so vielen Ressourcen keinen riesigen Park bewachen, wenn der von den Anwohnern nicht gewollt ist. Wer aber weiß, wie bunt die Vielfalt, wie groß der ökologische und ökonomische Schatz vor der Haustür ist und wie zerstörerisch Boden-Trawling oder Harpunen-Fischen wirken, der könne gar nicht anders, als den Park zu unterstützen. Davon ist Valia überzeugt. Und sie tut alles, um auch andere davon zu überzeugen.
Das Projekt „Zukunft Mittelmeer – wie wir Natur und mediterrane Vielfalt bewahren“ wird gefördert vonOkeanos-Stiftung für das Meer.