Wieder Tonnen toter Fische an der Oder: Das nächste Flusssterben ist in Sicht

In der Oder werden seit Wochen wieder etliche tote Fische auf polnischer und deutscher Seite gefunden. Hat der Regierungswechsel in Polen etwas verändert?

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Tote Fische, die auf der Wasseroberfläche schwimmen

Beim ersten Anruf klingt Bogdan Wziątek noch gelassen. Er ist auf dem Weg Richtung Krosno Odrzańskie, eine polnische Stadt, die der Oder ihren Namen zu verdanken hat und knapp 40 Kilometer hinter der deutschen Grenze liegt. Hier will er nach dem Rechten sehen, so wie er es in den vergangenen Wochen immer wieder an verschiedenen Stauseen und Zuflüssen der Oder getan hat.

Am Tag zuvor ist in den polnischen Medien von einem Schwarm toter Fische die Rede gewesen, die in einer Oder-Bucht in Połęcko gefunden wurden, einem Dorf bei Krosno Odrzańskie. Auch Bogdan Wziątek wird bei seinem Ausflug um die 100 Kilogramm an toten Fischen auffinden – darunter Brassen, Hechte, Rapfen.

Wziątek ist Vorsitzender des wissenschaftlichen Rats beim polnischen Anglerverband PZW und Fischforscher in Olsztyn, das weit vom nächsten Oderufer entfernt liegt. Was ihn dann ausgerechnet mit diesem Fluss so verbinde? „Ich bin irgendwann hingefahren und habe mich verliebt“, sagt er am Telefon.

Gerade jetzt ist die Oder auf Menschen wie ihn angewiesen, die den Behörden melden, wenn sie etwas Beunruhigendes feststellen. Wziątek hat deshalb zusammen mit anderen Wissenschaftlern und Aktivisten eine Mitteilung an polnische Angler verfasst, die er in sozialen Netzwerken verbreitet. „Angler sind das beste Monitoring für den Fluss: Sie sind jeden Tag in jeder Stunde bei ihm. Wir bitten euch um Informationen, wenn ihr Gefahren feststellt“, steht darin, dazu der Aufruf, Fotos vom Bauch und von den Kiemen der Fische zu machen und all das den Behörden mitzuteilen. Durch das Fischsterben 2022 seien viele Akteure in der Zivilgesellschaft erprobt im Handeln, sagt Wziątek.

Baden an manchen Seen verboten

Der Zustand des Deutsch-Polnischen Grenzflusses verschlechtert sich seit Wochen. Immer wieder werden tote Fische und Flusstiere an ihren Nebengewässern wie Stauseen und Kanälen gesichtet, das polnische Umweltministerium spricht Mitte Juni von insgesamt zwei Tonnen Fischkadaver, die bislang aus den Gewässern entlang der Oder herausgeholt wurden. Erst vor wenigen Tagen wurden 1400 Kilogramm aus einem See an der Oder geborgen. Baden ist dort vorerst verboten.

Die Konzentration der Goldalge Prymnesium parvum ist in vielen polnischen Nebengewässern hoch. Sie war es, die im Sommer 2022 während des großen Fischsterbens rund 1000 Tonnen Fisch und unzählige Mengen Wasserschnecken und Muscheln tötete. Hohe Temperaturen, viel Licht, niedrige Wasserstände, ein hoher Phosphor, Stickstoff- und vor allem Salzgehalt, verursacht durch Abwässer polnischer Bergbauindustrien, boten ein optimales Umfeld für eine giftige Algenblüte. Im Mai dieses Jahres begann die Goldalge sich erneut im Gleiwitzer Kanal im Süden Polens auszubreiten; in dessen Bereich rauschen die salzigen Industrieabwässer aus den Bergwerken in die Nebengewässer der Oder.

Nicht überall tötet die Goldalge

Auch jetzt ist die Wasserqualität der Oder an vielen Stellen schlecht, ihr Salzgehalt vielerorts hoch, die Wasserstände teils niedrig. Vor allem in Stauseen, Häfen, Altarmen und Kanälen wurden tote Fische gefunden oder die Goldalge nachgewiesen, heißt es vom polnischen Umweltministerium. Bisher sei der Hauptstrom der Oder nicht betroffen. Nicht überall ist unbedingt die Goldalge schuld am Tod der Fische: Diejenigen, die zum Beispiel am Winterhafen in Frankfurt (Oder) gefunden wurden, seien vermutlich infolge von Sauerstoffmangel durch eine Grünalgenblüte erstickt, sagt Christian Wolter, Fischökologe am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) in Berlin. Hier habe es keine Hinweise darauf gegeben, dass die Goldalge zum Tod der Fische geführt hat. „Algenblüten wie sie in diesem Jahr aufgetreten sind, sind für Fließgewässer eigentlich untypisch“, sagt er bei einem Pressegespräch. „Aber hier schlägt durch, dass die Großmuscheln als effektive Filtrierer noch fehlen.“

Schneckenhäuser
Nicht nur ein großer Teil des Fischbestands ging durch die Umweltkatastrophe verloren. Auch Weichtiere wie Muscheln und Schnecken verendeten im Sommer 2022.

Auch Bogdan Wziątek, der Fischforscher aus Polen sagt, dass bei einigen Fischen auch andere Ursachen zum Tod geführt haben könnten. Dennoch habe er in den letzten Wochen schon bei vielen die Verbrennungen an den Kiemen gesehen, die die Goldalge verursacht. Die polnische Regierung erklärte, dass die Goldalge die Ursache dafür war, dass rund 600 Kilogramm Fisch in der Nähe der polnischen Stadt Głogów verendeten. „Wir müssen laufend beurteilen, ob das Sterben durch die Alge verursacht wird, oder ob andere Faktoren schuld sind“, sagt Wziątek. Deshalb der Aufruf an die Angler, Funde von verendeten Fischen genau zu dokumentieren.

Der neue Regierungschef Donald Tusk machte viel Hoffnung für die Oder

Während der Umweltkatastrophe im Jahr 2022 stand vor allem die rechtskonservative PiS-Regierung in der Kritik, nicht genug zu tun – vor allem gegen die Salzeinleitungen aus den Bergwerken, die es der Alge überhaupt möglich machten, sich derart zu verbreiten. Ende 2023 kam dann der Machtwechsel durch die liberal-konservative Koalition von Donald Tusk und mit ihm viel Hoffnung, auch für die Oder. Immerhin zählte es zu Tusks Wahlversprechen, der Oder bei ihrer Erholung von der Katastrophe zu helfen. Hat sich die Situation mit der neuen Regierung also verändert?

„Es gibt mehr Offenheit für die Zusammenarbeit mit Organisationen oder lokalen Regierungen.“

Bogdan Wziątek, Fischforscher und Vorsitzender des wissenschaftlichen Rats beim Anglerverband PZW

Bogdan Wziątek sagt, dass die Maßnahmen der Regierung und die Kommunikation besser geworden seien. Es gab im Juni ein Krisentreffen mit Vertretern des Umweltministeriums in Lubuskie, der Woiwodschaft, zu der auch Połęcko gehört. „Es gibt mehr Offenheit für die Zusammenarbeit mit Organisationen oder lokalen Regierungen“, beobachtet der Fischforscher. Das einzige, was er zu bemängeln habe: Dass die Regierung noch immer nicht die Salzeinleitungen der Bergwerke gestoppt habe. „Das sollte Priorität haben“, sagt er, selbst wenn er wisse, dass das nicht von einem auf den anderen Tag möglich sei. Auf Nachfrage schreibt das polnische Umweltministerium, dass ein sogenanntes Odergesetz überarbeitet werde. „Es laufen Analysen für Investitionen in die Entsalzung von Abwässern aus dem Bergbau und eine verstärkte Rückhaltung.“

Das Infrastrukturministerium überprüfe die wasserrechtlichen Genehmigungen von Industrieabwässern. Seit März gebe es in diesem Zusammenhang regelmäßige Treffen. Die Regierung entwickele aktuell einen Investitionsplan, um den Salzgehalt im Oderwasser zu senken. Zudem führe das Umweltministerium Gespräche mit den Bergbauunternehmen. Die Situation an der Oder und die Entwicklung der Goldalge werde laufend überwacht, betont das Ministerium.

Bessere Datenlage, mehr Messstationen

Auch am IGB in Berlin spricht man einer besseren Datenlage auf polnischer Seite. Es wurden Messstationen im polnischen Abschnitt der Oder in Betrieb genommen, deren umfangreiche Daten sind online für jeden abrufbar. Zudem würden auf polnischer Seite regelmäßige Analysen der Prymnesium-Zellgehalte durchgeführt. „Das ist eine sehr erfreuliche Entwicklung“, sagt IGB-Forscher Martin Pusch.

Für Marta Gregorczyk von Greenpeace Polen ist das nicht genug. „Die Regierung schlägt den gleichen Weg wie ihre Vorgängerin ein“, meint die Aktivistin, die seit dem Fischsterben dafür kämpft, dass die Salzwassereinleitungen der Bergwerke gestoppt werden. Die zugelassenen Werte der Abwässer hätten die Behörden nach wie vor nicht angepasst, nach wie vor würde auf legalem Weg Salzwasser eingeleitet. Und das Monitoring zeige nur an, wenn es schon zu spät sei. Sie wirft Donald Tusk vor, sein Wahlversprechen zu brechen.

Algen und tote Fische in einem Tümpel.
Wieder sieht man die weißen Flecken im Wasser – tote Fische in den Nebengewässern der Oder.

Auch in Bogdan Wziąteks Stimme hört man den Ärger beim zweiten Anruf, als er davon berichtet, dass er 100 Kilogramm toten Fisch in der Bucht in Połęcko gefunden hat. Fotos, die er gemacht hat, zeigen weiße Flecken im Wasser: Tote Fische, die an der Wasseroberfläche schwimmen oder vertrocknet auf einem Stein liegen. „Es hätte nicht so weit kommen müssen“, sagt er, der Frust ist ihm anzuhören.

Foto von Wasser, das Wasserfallähnlich in einen Fluss läuft.
Das Wasser aus dem Bergwerk Halemba in Polen ergießt sich heiß und salzig in die Klodnica – einen Nebenfluss der Oder. Die Salzeinleitungen haben nicht aufgehört. (Foto von Juni 2023)

Aber nicht nur die Salzeinleitungen erschweren es der Oder, in ihren natürlichen Zustand zurückzufinden. Der anhaltende Oder-Ausbau, an dem auch das Deutsche Bundesverkehrsministerium festhält, stehe der Erholung der Oder entgegen, sagt Christian Wolter vom IGB. Der Fluss soll zu einer schiffbaren Wasserstraße werden. Aber genau das führe dazu, dass es bei Niedrigwasser zu einer angespannteren Lage komme, sagt Wolter. Und das befördere unter anderem Algenblüten.

„Wir können nur hoffen, dass es nicht so weit kommt, wie im Sommer 2022.“

Bogdan Wziątek, Fischforscher und Vorsitzender des wissenschaftlichen Rats beim Anglerverband PZW

Die polnische PiS-Regierung hat den Ausbau ebenfalls vorangetrieben, obwohl Polens oberstes Verwaltungsgericht ihn als rechtswidrig eingestuft hatte. Tusks Regierung hat den Ausbau noch nicht gestoppt. Immerhin wurde jedoch der Bau von zwei geplanten Staustufen abgebrochen. Eine zweite Phase des Oder-Ausbaus ist allerdings ab 2026 noch immer geplant, sagte die polnische Wasserstraßenverwaltung im Februar dem Rbb.

Derzeit versucht man an manchen Orten, die Goldalge mit Chemikalien zu bekämpfen. Der Fischforscher Bogdan Wziątek sagt, das sei eher experimentell, es sei nicht sicher, welche der Präparate sich eigneten. Einige der eingesetzten wie Petrohydrol seien nicht umweltverträglich. Nach Analysen der Hauptinspektion für Umweltschutz in Polen sei das Vorkommen der Goldalge derzeit rückläufig, im Gleiwitzer Kanal beobachte man zum Beispiel einen Rückgang der Alge seit Anfang Juni.

Der Sommer bereitet Sorge

Noch unterscheide sich dieses Jahr stark von 2022, erklärt das IGB. Der Wasserstand ist höher, das Wasser fließt dadurch schneller. „Wir können nur hoffen, dass es nicht so weit kommt, wie im Sommer 2022“, sagt Bogdan Wziątek. Doch sowohl er als auch das IGB blicken mit Sorge auf den weiteren Verlauf des Sommers. Denn je wärmer es wird, desto niedriger werden die Wasserstände – und desto besser wird das Umfeld für die giftige Goldalge.

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