Fesselnder Roman erzählt die Geschichte der Umweltschutz-Pionierin Rachel Carson

Die Autorin Theresia Graw erkundet in ihrem neuen Roman „In uns der Ozean“ das von Brüchen gekennzeichnete Leben der berühmten Schriftstellerin, Biologin und Umweltaktivistin Rachel Carson.

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Schwarzweiss-Foto: Eine ältere Dame mit Brille sitzt in einem vollbesetzten Saal vor den Mikrophonen der Presse.

Es ist Literatur nach dem Muster „Eine Frau geht ihren Weg“. Aber nicht nur. Warum Theresia Graw mit ihrem Roman „In uns der Ozean“ einen Nerv trifft und damit erfolgreich an eine vergessene Vorkämpferin der Öko-Bewegung erinnert.

Wer ein Faible für Pflanzen und Tiere hat und gerne draußen in der Natur ist, sollte Rachel Carson kennen. Die Schriftstellerin öffnete schon vor mehr als achtzig Jahren der Welt die Augen für die Wunder der Natur. Ihr Erfolg übertraf alle Erwartungen. Rachel Carson verwandelte Naturbegeisterung in Literatur und landete mit ihren Büchern über das Leben im und am Meer auf den Bestsellerlisten des Time-Magazine. Heute gilt Rachel Carson (1907–1964) als Pionierin der Ökologie-Bewegung und Vorkämpferin des Umweltschutzes.

Die Biologin begann als talentierte Autorin populärwissenschaftlicher Texte, die in Tageszeitungen und im Hörfunk erschienen. Daraus wurden Buchprojekte, für die sie in Bibliotheken und Archiven recherchierte. Ihre letzte Veröffentlichung im Jahr 1962 machte sie weltweit bekannt. In „Stummer Frühling“ (Silent Spring) warnte sie, zum Ärger der Chemieindustrie, vor den Gefahren von DDT für Mensch und Umwelt. Bis dahin war das Pestizid in den USA massenweise zum Einsatz gekommen. Es handelte sich um ein Nervengift, das „schädliche“ Insekten lähmt. Das Mittel galt als effiziente Waffe gegen Malaria oder Borkenkäfer. Doch dezimierte es auch spürbar die Artenvielfalt und stand im Verdacht, bei Menschen Krebs auszulösen, wie Carson herausfand.

Pestizide, Industriechemikalien und der Schutz der Meere sind auch sechzig Jahre nach dem Tod der Aktivistin brisante Themen. Das hat auch die Münchner Autorin Theresia Graw erkannt. In ihrem neuen Roman „In uns der Ozean“ sensibilisiert sie mit ihrer Heldin für Artenschutz und das Verständnis des Ineinandergreifens natürlicher Kreisläufe. Sie erinnert mit Carson an die heute wieder propagierte Haltung, sich (als Mensch) nicht als Gegensatz zur Natur zu definieren, sondern als Teil von ihr.

Mindestens genauso wichtig ist Autorin Theresia Graw der Blick auf die damaligen Geschlechterverhältnisse. Rachel Carson wurde 1907 in Springdale, Minnesota, in bescheidenen Verhältnissen geboren und starb 1964 als berühmte Umweltschutzaktivistin. Damals musste sich eine Frau noch zufriedengeben mit dem Platz, den ihr die Männer einräumten. Nicht verheiratet zu sein, galt als Makel. Wenn Frauen ein Studium aufnahmen, war von Geldverschwendung die Rede, von der Bestimmung der Frau als Ehegattin und Mutter. Carson blieb ledig und lebte mit ihren Angehörigen zusammen. Nach dem Tod ihres Vaters versorgte sie trotz finanzieller Engpässe ihre Mutter, ihre kranke Schwester Marian und deren Töchter Virginia und Marjorie.

Im Roman verkörpert Carson ein modernes Frauenbild. Literatur und Wissenschaft sind ihre Ankerpunkte. Sie lebt für die Natur und ihre Arbeit. Ihr Desinteresse an der Ehe bleibt ihren männlichen Kollegen ein Rätsel. Oftmals kollidiert Carsons Selbstverständnis mit männlicher Selbstherrlichkeit. In diesen Passagen werden Anklänge der noch heute unter der Oberfläche brodelnden Missachtung von Frauen im Beruf spürbar. Graw macht die Geschichte aus dem vergangenen Jahrhundert heutig, bleibt aber dennoch eng am Profil der porträtierten Person.

Rachel Carson als Identifikationsfigur für Lesben

Liebte Rachel Carson Frauen? Der Roman legt es nahe. Das Buch zeigt aber auch, dass damals homosexuelle Neigungen gesellschaftlich nicht toleriert und deshalb selten ausgelebt wurden. Graw entwirft Beziehungen zwischen Frauen, die inniger sind als die von Eheleuten. Schließlich imaginiert sie zärtliche Momente ihrer Heldin mit ihrer Weggefährtin Mary und nach ihrem frühen Tod mit Dorothy Freeman, einer verheirateten Frau. Belegt ist, dass beide Carson in schwierigen Situationen beistanden - auch nach Diagnose einer schweren Krebserkrankung. Ein Coming-out hingegen wagt die Wissenschaftlerin und Erfolgsautorin weder im Roman noch in der Realität. Für sie stand der Kampf für den Naturschutz an erster Stelle.

An manchen Stellen nähert sich der Tonfall der gelernten Hörfunk-Journalistin Graw dem Stil, wie er für die Texte der Naturschriftstellerin Carson charakteristisch ist. Etwa in den Schilderungen der Ausflüge, die Carson mit ihrem Neffen Roger unternahm, der eine Weile bei ihr lebte. Nach ihren ersten Bestsellern konnte sie sich ein Ferienhaus am Atlantik leisten, auf der Insel Southport in Maine. Graw paraphrasiert auch Passagen aus Briefen oder Schriften der Wissenschaftlerin, die sie nahtlos in den Verlauf der Handlung integriert.

Am Ende des spannenden Romans stehen seine Leser:innen mit Rachel Carson auf vertrautem Fuß. Man bedauert ein wenig, dass der einzig nette Typ der Geschichte nur eine Erfindung ist. Dan, der Kollege Carsons während ihrer Tätigkeit bei der nationalen Fischerei-Behörde in Washington, hat so nicht existiert. Auch der von Graw glaubwürdig inszenierte TV-Schlagabtausch im Studio von CBS in New York zwischen Rachel Carson und dem Sprecher des Chemie-Unternehmens, das DDT herstellt, ist fiktiv. Das kann man kritisieren. Doch spiegeln gerade diese Szenen den Charakter der Umwelt-Ikone besonders eindrücklich wider. Man wünscht dem Buch viele Leser:innen.

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