Wie ein KfZ-Mechaniker in Hessen für das Überleben von Rebhühnern kämpft
Seltene Tiere, eine Wiese, Bagger und zudem Behörden, die sich taub stellen – was kann schiefgehen?
Ein kurzes verwackeltes Video macht auf Twitter die Runde. Eine 18-köpfige Rebhuhn-Familie flüchtet vor Baggern, die ihren Lebensraum zerstören, in einen angrenzenden Garten. Das Video rührt viele Menschen. Auch deshalb, weil es geradezu sinnbildlich den täglichen Überlebenskampf von Wildtieren in einer immer stärker von Menschen genutzten Umwelt illustriert. Die Rebhühner hatten Glück im Unglück: Sie landeten im Garten eines Menschen, dem ihr Schicksal nicht gleichgültig ist. Wir haben mit ihm gesprochen.
Steffen Lich ist Automechaniker im hessischen Hüttenberg. Im Gewerbegebiet hat er eine eigene Werkstatt, am liebsten restauriert er alte Mercedes aus den 1980er und frühen 1990er Jahren. Außerdem liebt er den Modellflug. „Ich bin ein ganz normaler Bürger“, sagt der 40-Jährige über sich.
Neben seiner Werkstatt hat Lich vor zwei Jahren ein Haus gebaut und einen kleinen Garten angelegt: Steinterrasse, kurzer Rasen und Kirschlorbeer. Ganz normal. Dass diese paar Quadratmeter Grün einmal eine Art Naturschutzgebiet für eine Familie der in Deutschland stark bedrohten Rebhühner werden sollten, hätte er sich nie vorstellen können.
Schließlich hatte sich ein unmittelbar angrenzendes brachliegendes Grundstück mit den Jahren zu einem bunt blühenden Naturparadies entwickelt. Doch dann kamen die Bagger und zerstörten den Lebensraum der seltenen Vögel.
Dixi-Klos, Baustellenfahrzeuge und Container stehen jetzt dort, wo bis vor kurzem Natternkopf, Königskerze und Huflattich wuchsen. Lichs Garten wurde neben einer noch nicht zerstörten Wiese zur einzigen Zuflucht. Doch der Kampf des Kfz-Meisters für „seine“ Rebhühner begann schon Monate vorher, wie er im Gespräch erzählt.
Thomas Krumenacker: Herr Lich, wir sind auf Sie aufmerksam geworden, weil das Göttinger Rebhuhnschutzprojekt ein aufrüttelndes Video bei Twitter veröffentlicht hat, das Sie aufgenommen haben. Das kurze Filmchen zeigt, wie eine Familie aus 18 Rebhühnern in Ihrem Garten Schutz sucht, weil ihr Lebensraum gerade von Baggern zerstört wird. Die Aufnahmen erscheinen wie ein Sinnbild für die Naturzerstörung, die sich jeden Tag um uns herum abspielt. Beschreiben Sie uns bitte, wie es bei Ihnen aussieht.
Steffen Lich: Mein Haus steht neben meiner Werkstatt im Industriegebiet Obere Surbach in Hüttenberg. Dahinter war vor ein paar Wochen noch eine Wiese, die als Bauland ausgewiesen war und brach lag. Da hat nie jemand etwas gemacht, da ist alles kreuz und quer drauf gewachsen und es gibt seit vielen Jahren Rebhühner.
Die Stadtverwaltung sagt aber, die Rebhühner seien neu auf der Fläche, weshalb sie bei der Ausweisung als Baugebiet nicht berücksichtigt worden seien.
Ich selbst wohne seit zwei Jahren hier, meine Nachbarin schon seit 15 Jahren und sie sagt, die Tiere waren immer schon hier. Auch Kunden und Spaziergänger haben das bestätigt. Die Rebhühner sind sehr angepasst an die Menschen. Die laufen zwischen den Autos herum, sind wenig scheu. Das allein zeigt schon, dass sie seit langer Zeit an die Situation hier gewöhnt sind. Ich selbst hab sie im vergangenen Winter zum ersten Mal bewusst wahrgenommen, da war der Gartenzaun noch nicht fertig. Da haben sie sich von der Vogelfütterung die Körner geschnappt, die auf den Boden gefallen waren. Ich dachte aber erstmal, das seien Wachteln oder so.
Wissen Sie, dass Rebhühner stark bedroht sind, ihre Bestände in Deutschland geradezu eingebrochen sind?
Heute weiß ich das, weil ich mich fast jeden Tag damit beschäftige. Als die Vögel im Sommer wieder in meinen Garten kamen, wusste ich nichts über die Art, ich war spontan nicht einmal ganz sicher, dass es Rebhühner sind und musste das erstmal bei Google nachgucken.
Kamen die Rebhühner schon vor der Zerstörung ihrer Wiese auch in ihren kleinen Garten?
Die kamen schon im Sommer, als noch alles Friede, Freude, Eierkuchen in ihrer Wiese war, die direkt an meinen Zaun gegrenzt hat. Das war ungefähr zwei Monate vor der Zerstörung, als ich die Jungen bemerkt habe. Die waren nicht mehr so ganz gelb mit braunen Punkten, sondern hatten schon Federn. Zu der Zeit hatten wir gerade unseren Rasen gesät im Garten. Da kamen sie dann rein und haben Gras gepickt, die Alten kamen aber nicht durch die engen Gitter des Drahzauns. Deshalb hab ich den Zaun ein bisschen aufgeknipst und dann kamen alle rein.
Da ahnten Sie schon, dass die Geschichte nicht gut ausgehen würde?
Ich wusste, dass die Brachfläche als Baugrundstück ausgewiesen war und irgendwann Bagger kommen und die Wiese plattmachen. Das war mir klar. Ich hab gedacht "Hier muss was passieren, sonst sind sie bald alle tot." Deshalb habe ich schon viele Wochen vorher im Sommer den Kontakt zu allen möglichen Stellen gesucht. Ich wollte rechtzeitig Meldung machen und den ganzen Behörden Bescheid geben, dass da Rebhühner sind.
Wem haben sie Bescheid gesagt?
Allen, die das nach meiner Meinung auf dem Radar haben mussten, dass dort seltene Vögel leben. In Gießen der Unteren Naturschutzbehörde, in Wetzlar der Unteren Naturschutzbehörde dann der Hessischen Gesellschaft für Ornithologie (HGON) und diversen weiteren Vereinen, die Naturschutz und Erfassung machen. Ich wollte einfach, dass irgendwo vermerkt wird, dass da Rebhühner sind. Ich hatte ja auch Angst, dass sie überfahren werden und wollte anregen, Warnschilder hinzustellen.
Wie war die Reaktion?
Richtig interessiert hat das keinen. Die von der HGON haben mir bestätigt, dass das Rebhuhnvorkommen bekannt ist und gerade im letzten Jahr nochmal bei einer hessenweiten Kartierung bestätigt wurde. Handlungsbedarf würden sie nicht sehen. So richtig geholfen hat mir, ehrlich gesagt, niemand.
Wie haben Sie die Zerstörung der Brache erlebt?
An dem Tag, an dem die das platt gemacht haben, bin ich tausend Tode gestorben. Das war an einem Samstagmorgen, an dem alle Behörden geschlossen sind. Die Nachbarin rief mich an. und sagte: "Da sind zwei Traktoren, die fangen an, die Wiese zu mähen." Da hab ich senkrecht im Bett gesessen. Die Traktorfahrer selbst waren vernünftig, das waren wahrscheinlich selbst Landwirte aus der Gegend. Wir haben denen gesagt, was Sache ist und sie gebeten, in Streifen zu mähen, damit die Rebhühner einen Fluchtweg hatten. Das waren keine rücksichtslosen Menschen. Denen mache ich keinen Vorwurf.
Der Rasen wird nicht mehr gemäht in diesem Jahr
Und wo halten sich die Rebhühner nach der Zerstörung ihres Lebensraums auf?
Es gibt jetzt noch eine letzte Wiese, in die sie sich zurückziehen können. Aber auch deren Schicksal scheint besiegelt, wahrscheinlich ist sie auch schon verkauft. Die Rebhühner kommen aber weiter auch auf die alte Fläche, manchmal mehrmals am Tag. Dann kommen sie meist auch zu mir in den Garten. Seit gestern hab ich auch eine Tränke gebaut. Jetzt baue ich noch einen Unterschlupf aus Reisig, damit sie auch im Winter Schutz vor Sperbern haben und sich hier ungefährdet aufhalten können. Und der Rasen wird in diesem Jahr natürlich auch nicht mehr gemäht, damit die Rebhühner was zu fressen haben.
„Ich weiß jetzt, was Biodiversität bedeutet“
Fühlen Sie sich im Stich gelassen von Behörden und Naturschutzverbänden?
Damals auf jeden Fall. Ich habe rechtzeitig Alarm geschlagen und bin von Pontius zu Pilatus gegangen. Aber so richtig geholfen hat mir keiner. Ich wollte nicht, dass das einfach unter den Tisch fällt, deshalb bin ich ja auch an die Presse gegangen.
Sie sind Kfz-Mechaniker und ich nehme an, dass ist das erste Mal, dass Sie sich mit einem Naturschutzanliegen so sehr in die Öffentlichkeit begeben. Ist Ihnen das schwergefallen?
Ich hab am Anfang schon ein bißchen befürchtet, ich steh als "bekloppter Naturschützer" da. Aber es gab viele positive Reaktionen. Gerade gestern kamen gleich drei Kunden in meine Werkstatt und haben einen der Zeitungsartikel dabeigehabt, in dem über mich berichtet wurde. Die haben gesagt, sie fänden es sehr gut, was ich mache. Auch die Nachbarn sind jetzt aktiv. Einige haben auch Löcher in ihre Zäune gemacht, damit die Rebhühner durchkommen. Viele stehen hinter mir, aber viele wahrscheinlich auch nicht und denken "Was mischt der sich ein". Aber wenn Sie die Tiere hier aufwachsen sehen und erleben, wie sie bei schönem Wetter auf dem Rücken unter Ihrer Hecke liegen und die Flügel von sich strecken, dann ist man schon ein bisschen stolz, so seltene und besondere Tiere im Garten zu haben. Dann blutet einem das Herz, wenn denkt, das das bald vorbei ist.
Das hört sich danach an, als habe die Begegnung mit Rebhühnern ihr Leben verändert. Sie haben sogar einen eigenen Account bei Instagram angelegt, auf dem sie laufend Rebhuhn-Fotos posten.
Natürlich hat mich diese Begegnung verändert. Wenn ich zum Beispiel im Auto unterwegs bin, sehe ich die Feldflur mit anderen Augen als früher. Überall riesige Äcker. Keine Wiesen mit Blühflächen, keine Hecken. Früher hab ich das nicht wahrgenommen, heute macht mich das auch nachdenklich. Ich weiß jetzt, was Biodiversität bedeutet.
Wie geht es jetzt weiter?
Die Bauarbeiten sind noch in vollem Gang. Man kann es nicht mehr aufhalten und darum geht es mir auch gar nicht. Wissen Sie, ich bin selbst Gewerbetreibender. Ich hab nichts dagegen, dass hier Gewerbe ist und es neue Gebäude gibt. Gerade in Zeiten von Corona steht auch die Wirtschaft unter großem Druck und die Stadt muss froh sein um jede Einnahme aus der Gewerbesteuer. Ich bin überhaupt kein Gegner von Gewerbeansiedlungen. Aber ein Gewerbegebiet muss nicht immer alles zerstören. Man kann versuchen, ein Miteinander zu schaffen. Eine Koexistenz zwischen Mensch und Rebhuhn ist durchaus möglich hier, wenn man sich ein bisschen kümmert.
„Es kann doch nicht die Aufgabe eines Kfz-Meisters sein, Artenschutz auf eigene Faust zu betreiben.“
Wie bewerten Sie selbst ihre Erfahrungen der vergangenen Wochen als unfreiwilliger Artenschützer?
Ich wollte zuallererst den Rebhühnern helfen, nicht ein großer Aktivist sein. Meine Botschaft ist: "Hier ist ein ganz normaler Bürger, dem es nicht egal ist, was mit der Natur um ihn herum passiert." Mein Job ist jetzt getan. Die Leute haben gesehen, was sie sehen sollen und alle wissen jetzt Bescheid: Vogelschützer, Beamte, Behörden. Jetzt müssen die ein Auge draufhalten. Es kann doch nicht die Aufgabe eines Kfz-Meisters sein, Artenschutz auf eigene Faust zu betreiben.
Aber den Rebhühnern wollen Sie schon weiter helfen. Welche Pläne haben Sie?
Ich will jetzt ein paar Firmen hier im Gewerbegebiet ansprechen, die große Grünflächen haben. Dass die sich vielleicht mal trauen, auf dieser Fläche einen Blühstreifen zu machen, zum Beispiel einen Kreis aus Wildkräutern und vielleicht auch die Zäune zu öffnen, so wie ich und meine Nachbarn unsere Zäune aufgeknipst haben, damit die Rebhühner Gras fressen oder sich im Gestrüpp verstecken können. Wenn alle das gemeinsam machen würden, könnten wir ein Schild hinmachen. "Hier schützt unsere Firma Rebhühner". Dann würde sich auch keiner mehr aufregen, wenn ein bisschen Gestrüpp auf dem Gras steht.