Paddeln für die Wissenschaft: Woher kommt der Phosphor in der Schlei?
Zu viel Phosphor und andere Nährstoffe belasten die Gewässer in Deutschland. Eine neues Messboot soll helfen, sie besser zu erfassen.
Auf der Füsinger Au zwischen Algen und Enten gleitet ein Kajak. Es ist Spätsommer, der erste Regentag seit Wochen. Doch der Paddler, der den schmalen Fluss in Schleswig-Holstein herunterschippert, ist kein glückloser Tourist, sondern der Physiker Thorsten Knutz. Er ist im Dienst der Wissenschaft unterwegs.
Im Schlepp seines Kajaks hat er ein neuartiges Messgerät, nicht viel größer als ein Modellboot, gespickt mit Antennen, Kabelbuchsen und Sensoren. Sein Ziel ist die Schlei, ein Meeresarm der Ostsee, der nördlich von Eckernförde in Schleswig-Holstein über vierzig Kilometer weit ins Land reicht. Mit ihrem brackigen Wasser, in dem sich Salzwasser aus der Ostsee und Süßwasser aus dem Einzugsgebiet mischen, ist sie ein besonderer Lebensraum für viele Tiere und Pflanzen. Eingebettet in eine hügelige Eiszeitlandschaft ist die Schlei beliebt als naturnahes Urlaubsgebiet.
Doch die Schlei ist – wie viele Küstenzonen der Ostsee und auch viele andere Gewässer in Deutschland – in einem schlechten ökologischen Zustand. Die Region wird intensiv landwirtschaftlich genutzt, im Norden vor allem für Schweinehaltung und Maisanbau für Biogas. Die Folge: Zu viele Nährstoffe im Wasser und im Schlick und dadurch Algenblüten und Sauerstoffmangel, die das Ökosystem an seine Grenzen bringen.
Und die Füsinger Au ist eine der Hauptadern, die immer neue Nährstoffe in die Schlei bringen.
Ein Stück flussabwärts wartet die Projektleiterin Kirsten Rücker vom Institut für Ökosystemforschung der Universität Kiel auf ihren Kollegen im Kajak. Alle Viertelstunde ruft sie sein Mobiltelefon an – das verabredete Signal für eine neue Wasserprobe. Im Auftrag des schleswig-holsteinischen Umweltministeriums (MEKUN) sind sie dabei, die Sensoren auf dem Messboot zu kalibrieren.
„Das Messprogramm für die Wasserqualität gibt es in in Schleswig-Holstein schon seit Jahrzehnten“, sagt Rücker, „auch an der Schlei. Aber bisher liefert uns das nur vier bis zwölf Proben pro Jahr.“ Das sei eine solide Basis, um größere Trends zu beobachten„, sagt sie. “Aber wenn wir genauer verstehen wollen, wann die Nährstoffe eingetragen werden und woher sie eigentlich kommen, dann brauchen wir viel mehr Messdaten."
Diese Daten soll das neue Messboot liefern.
Das Messboot wurde von Thomas Knutz entwickelt. Seine Firma Go Systemelektronik ist eine der Partnerinnen im Forschungsprojekt.
Neben den üblichen Messgeräten für Tiefe, Leitfähigkeit oder Sauerstoffgehalt ist das Boot mit einem neuartigen optischen Sensor ausgerüstet. Dieser soll in Zukunft die Konzentration der Nährstoffe Phosphor und Stickstoff im Wasser direkt messen. „Aber dazu müssen wir zuerst den jeweiligen “spektralen Fingerabdruck„ dieser Nährstoffe bestimmen. Das sind die Wellenlängen des Lichtspektrums, die von Phosphor oder Stickstoff absorbiert werden“, erklärt Rücker. „Diese Muster sind recht komplex und variieren je nach Gewässer und Umweltbedingungen. Darum müssen wir die Sensoren hier vor Ort im Feldversuch kalibrieren.“
Der Fluss Füsinger Au ist Teil der „Modellregion Schlei“, in der seit 2020 mit Mitteln des Landes Schleswig-Holstein und der Kreise Rendsburg- Eckernförde und Schleswig-Flensburg verschiedenen Forschungsprojekte und Maßnahmen entwickelt werden, die helfen sollen, den schlechten Zustand der Schlei zu verbessern.
Koffein als Indikator
Ein wichtiger neuer Messwert, den die Sonden auf dem Messboot erfassen können, ist der Koffeingehalt. „Koffein kommt sonst so in der Natur nicht vor“, sagt Rücker. „Darum ist es für uns ein sehr guter Anzeiger, um menschliche Einträge nachzuweisen.“
Insgesamt hat sich über die letzten Jahrzehnte der Nährstoffeintrag aus sogenannten Punktquellen, also etwa kommunalen oder privaten Kläranlagen, deutlich reduziert. Doch inzwischen hat sich die Bevölkerungsstruktur in der Schlei-Region verändert. Vor allem der Tourismus hat stark zugenommen. „Und da hat die Abwasserbehandlung in dieser sehr ländlichen Region nicht überall mitgehalten“, sagt Rücker. „Solche Einleitungen aus kleinen Anlagen oder durch Fehlanschlüsse oder defekte Leitungen können wir mit dem neuen Sensor viel besser feststellen.“ Sie betont aber auch: „Die Hauptquelle für die Nährstoffeinträge ist weiterhin die Landwirtschaft.“
Das sei durch die bisherigen langjährigen Beobachtungen sehr gut belegt, sagt Rücker. „Die Einträge von Stickstoff und Phosphor sind im Herbst und Winter am höchsten. Das zeigt uns, dass sie aus den Flächen kommen, also aus der Landwirtschaft und nicht aus den Kläranlagen.“ Denn, erklärt Rücker weiter, die Einleitungen aus den Kläranlagen blieben im Jahresverlauf weitgehend gleich. Die Einträge aus den Flächen dagegen schwankten je nach Jahreszeit und Niederschlagsmenge. „Wenn es viel regnet, werden mehr Nährstoffe aus den Ackerflächen in den Fluss geschwemmt.“
Die Wasserproben, die Thomas Knutz unterwegs nimmt, werden später im Labor analysiert, um die Werte, die das Messboot liefert, zu überprüfen und die Sensoren zu kalibrieren.
Auch die Laborauswertung der aktuellen Messfahrt zeigt, dass die Füsinger Au weiterhin stark mit Nährstoffen belastet ist. An einigen Stellen sind die Konzentrationen höher als gewöhnlich. Die anhaltende Trockenheit im Sommer hat die Wassermenge im Fluss reduziert, aber die Einträge sind gleichgeblieben. Das deute auf Einleitungen aus Kläranlagen hin, so Rücker. „Wenn es wenig regnet“, sagt sie, „dann fallen diese Einleitungen stärker ins Gewicht.“
Aus der räumlichen und zeitlichen Verteilung der Konzentrationen können die Wissenschaftler viele neue Schlüsse ziehen, die bei der Planung für neue, effizientere Maßnahmen hilfreich sein sollen. „Wir wissen dann, wo Handlungsbedarf ist. Und wir können beobachten, welche Wirkung bestimmte Maßnahmen haben.“
Wenn die Kalibrierung erfolgreich ist, könnte das kleine Messboot irgendwann auch allein auf dem Fluss patrouillieren und die Daten in Echtzeit an die Wissenschaftler senden. Doch bis es so weit ist, sind noch einige Paddeltouren nötig.
Das Rechercheprojekt Phosphorama wird durch die Deutsche Bundesstiftung Umwelt gefördert. Die DBU nimmt keinerlei Einfluss auf die Inhalte unserer Berichterstattung. Nähere Informationen finden Sie hier.
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