Wissen im Quadrat
Wie zwei Wirtschafts-Studenten ein kleines, klares Buch über den Klimawandel geschrieben haben
Nicht jammern – machen. Weil es für sie nicht genug klar verständliche Informationen gab, haben sich zwei junge Männer vom Bodensee selbst den Überblick verschafft und teilen ihr neuerworbenes Wissen. Das Produkt ihrer Arbeit kommt jetzt für wenig Geld auf den Markt.
Viele Menschen wissen nicht genug über den Klimawandel, um ihr Verhalten zu überdenken, sind David Nelles und Christian Serrer überzeugt. Weil ihnen selbst das Fachwissen fehlte, haben sie mehr als 100 Wissenschaftler um Rat gebeten und drei Grafiker zur Mitarbeit überredet. Für die Generation der beiden Studenten ist die Klimakrise das Thema Nummer 1, und viele sind bereit, sich zu engagieren.
Angefangen hat das Ganze – wie so viele kreative Projekte – an einem Tisch, der eigentlich gar nicht dazu da ist, dort Ideen zu entwickeln. In diesem Fall stand er in der Mensa der Zeppelin-Universität in Friedrichhafen. David Nelles, Christian Serrer und einige andere Studierende saßen da beim Essen und sprachen über den Klimawandel. Ein wichtiges Problem, gewiss, aber irgendwie fehle ihnen allen das passende Wissen, gestanden sie einander; wer danach googele, der stoße auf eine Überfülle von Information, viele verwirrende Details und letztlich bleibe unklar, welchen Quellen man trauen könne. „Die üblichen Argumente und Klagen halt“, sagt Nelles. „Dabei ist in unserer Generation der Klimawandel inzwischen Thema Nummer 1.“
Nelles und Serrer beließen es nicht beim Lamentieren. Sie haben ein Buch geschrieben – es sollte ein „Buch für Leute werden, die sich nicht wirklich selbst ein solches Buch kaufen würden“, sagt Serrer. Das setzte voraus, die Schwelle zum Einstieg in das Thema Klimawandel bewusst niedrig zu legen. Kein Leser muss vor der Lektüre studiert haben, weil der Band das Basiswissen „kurz, knackig und grafisch“ zusammenfasst. Lesen kann man darin kreuz und quer, weil die Kapitel in praktisch beliebiger Reihenfolge aneinanderpassen. Kaum ein Aspekt ist länger als eine Doppelseite. Und der Preis: nicht 15 bis 20, sondern genau fünf Euro. Ein Buch also, das man spontan mitnimmt, das sich Freunde gegenseitig ohne besonderen Anlass schenken, das der Chef für seine Mitarbeiter kauft, das zuhause auf der Fensterbank der Küche liegt, um Alltagsfragen zu klären. Ein Buch, in dem man „jeden Abend zwei Seiten lesen oder es an den Strand mitnehmen kann“, so Serrer.
Ihr Produkt mit seinem auffälligen, quadratischen Format stellen die beiden Studenten in diesem Tagen vor. Es heißt „Kleine Gase – große Wirkung“, hat 132 Seiten und ist im Eigenverlag erschienen. Trotzdem haben es die beiden geschafft, von Großhändlern und Buchhandlungen aller Größen ins Programm genommen zu werden. „Das liegt sicherlich auch an der Geschichte hinter dem Buch, die ist ein gutes Verkaufsargument“, sagt Nelles. Denn sein Koautor und er sind beileibe keine Fachleute, sie studieren Wirtschaft und haben noch keinen Abschluss. So konnten sie sich zwar die Mechanismen von Kalkulation, Marketing, Herstellung und Vertrieb erschließen, aber nicht die von Treibhausgasen, schmelzenden Gletschern und „vektorübertragenen Krankheiten“ – also Infektionen, die durch die sich ausbreitende Tigermücke übertragen werden.
Darum haben sich die beiden viele Helfer gesucht, die aus allen Bereichen der Klimaforschung stammen. „Sie haben mir erst eine E-Mail geschickt, später haben wir telefoniert“, erzählt zum Beispiel die Epidemiologin Susanne Breitner vom Helmholtzzentrum in Neuherberg bei München. „Ich war anfangs überrascht, dass sich zwei Wirtschafts-Studierende an dieses Thema machen, aber sie strahlten viel Enthusiasmus und Begeisterung aus. Und ich fand die Idee gut, den Klimawandel mit all seinen Facetten in einem Buch allgemeinverständlich und für einen sehr annehmbaren Preis zu erklären.“
115 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler listen die Autoren im Anhang auf, die ihre Texte gegengelesen und ihnen Tipps gegeben haben. Im Schnitt hätten sich neun der Fachleute über jeden der Text hergemacht. Die Abschnitte zum Effekt der Klimakrise auf die Gesundheit seien durch zehn Korrekturschleifen gelaufen, sagt Serrer. „Vom Kapitel über die Wolken haben wir 60 Fassungen gemacht“, ergänzt Nelles.
„Schutzschild gegen Fake News“
Das fertige Buch hat nun 50 Abschnitte vom „natürlichen Treibhauseffekt“ über Vulkane, Methan- und Lachgasemissionen, Permafrost und Tourismus bis zum Ausblick. Die Texte sind meist nicht länger sind als ein oder zwei Absätze dieser Rezension. „Es ist oft wie die Anfangsfolie eines Vortrags oder ein Katalog der Themen“, sagt Anke Jentsch von der Universität Bayreuth, die ebenfalls zu den Helferinnen aus der Wissenschaft gehörte. „Aber es ist eine plakative Form auf hohem Niveau, weil die wichtigsten Stichworte da sind.“
Josef Settele vom Helmholtzzentrum für Umweltforschung in Halle gehörte zu den Unterstützern, er hat die beiden Autoren zunächst mit Literatur zur Biodiversität versorgt. „Ich fand das Anliegen grundsätzlich sehr gut. Besonders, dass solch eine Initiative von studentischer Seite ausging, von Leuten, die das Gefühl hatten, dass die nötige Information nicht interessentengerecht vorliegt. Daher habe ich hier gerne unterstützt.“ Offenbar waren auch die Münchner Rückversicherung und die Elektrizitätswerke Schönau überzeugt, die das Projekt finanziell gefördert haben. Zudem haben Nelles und Serrer einige prominente Fürsprecher gefunden und zeigen deren Einschätzungen stolz auf der hinteren Umschlagseite. Dort sagt zum Beispiel Claus Kleber vom Heute Journal im ZDF: „Erklärungen ohne Scheuklappen, einleuchtend und klar, sind ein Schutzschild gegen Fake News. Dieses erstaunliche Buch liefert sie.“
Dazu trägt sicherlich bei, dass alle Seiten neben den kurzen Texten einfache, aussagekräftige Grafiken enthalten. So werden die zu erwartenden Änderungen der landwirtschaftlichen Erträge – sie steigen erst leicht durch die Düngung mit CO2, und sinken dann deutlich wegen der anwachsenden Temperaturen – durch den Füllstand eines stilisierten Anhängers hinter einem Traktor dargestellt. Beim Abschnitt Permafrost brechen Pipelines, versinken Häuser und stürzen Bäume um. Wo es um die Biodiversität geht, schwirren Bienen, Schmetterlinge und Kolibris durch die Seiten. Man merkt, dass die drei Grafiker, die die Studenten zur Mitarbeit überredet haben, viel Spaß an ihrer Aufgabe hatten.
Etliche der Grafiken reichen über eine ganze Doppelseite des Buches. Sie werden hier darum als Film gezeigt und von den beiden Autoren kommentiert. Oben zum Permafrost von Christian Serrer, unten zum Ausblick von David Nelles.
Inhaltlich folgen die beiden Autoren dem Stand der Wissenschaft; wo die Situation zurzeit verworren erscheint, wie bei der vermutlichen Entwicklung von Wirbelstürmen im Klimawandel, benennen sie die Probleme. Jede Seite enthält in Fußnoten Verweise auf die Quellen der Aussagen, praktisch jeder Satz ist so belegt – die Literaturangaben selbst finden sich auf der Webseite zum Buch. Am sprachlichen Ausdruck, diese Nörgelei sei erlaubt, hätten Nelles und Serrer aber vielleicht noch etwas feilen können: Der Satzbau ist oft recht monoton.
Über die Rolle, die ihr Buch in der Debatte über die Klimakrise spielen soll, haben die beiden Autoren klare Vorstellungen: „Uns ist bewusst, dass Wissen allein nicht zum Handeln führt“, sagt Nelles. „Wissen ist aber die Grundlage, sein eigenes Handeln zu überdenken. Unserer Meinung nach fehlt dieses Hintergrundwissen in der Bevölkerung.“ Serrer ergänzt: „Mit unserem Buch machen wir klar, wie der Klimawandel uns hier in Europa betrifft. In den Medien wird meist über dieselben Folgen wie den Meeresspiegelanstieg und die verhungernden Eisbären berichtet. Für uns hier in Deutschland sind diese Auswirkungen zu weit entfernt, um anzufangen, das eigene Verhalten zu überdenken.“ Darum widmen sich zum Beispiel mehrere Seiten den möglichen gesundheitlichen Folgen in Deutschland, einschließlich der seelischen Leiden. Beide Autoren sind überzeugt, dass sich ihre Leser in einem zweiten Schritt Lösungen zuwenden, wenn sie im ersten Schritt das Problem besser verstanden haben. „Dazu möchten wir beitragen“, ist ihr Ziel. Es klingt fast, als planten sie schon die Fortsetzung des Buchs.
Wenn sich die Fleischesser rechtfertigen
Im Bekanntenkreis der beiden hat das Umdenken jedenfalls schon eingesetzt. „Wir bekommen ständig Links und Hinweise von Freunden, auf Facebook oder Whatsapp: Stimmt das? Was kann ich machen?“, erzählt Nelles. „Einzelne haben schon begonnen, weniger zu fliegen oder Ökostrom zu nutzen.“ Auch in Serrers Heimatort im Schwarzwald, wo kaum jemand von dem Buchprojekt wusste, „war der Klimawandel oft ein Thema in alle Richtungen. Inzwischen ist es teilweise schon so, dass sich die Fleischesser rechtfertigen, nicht mehr die, die darauf verzichten.“
Die Generation ihrer Eltern allerdings, haben die beiden beobachtet, erlebt die Veränderungen durch die globale Erwärmung noch kaum als Klimakrise. Eine Einschränkung der ressourcen-raubenden Lebensweise ist tatsächlich für viele kaum denkbar. „Wir haben trotzdem noch nie gehört, dass es Vorwürfe gegen die Älteren gibt“, sagt Serrer. „Aber viele in unserem Alter sind frustriert, dass das Thema Klimawandel oft parteipolitisch zerredet wird. Viele wünschen sich, dass es ein universelles Thema ist.“ Die Frage nach der Verantwortung, ergänzt Nelles, „wird irgendwann gestellt werden. Harald Lesch hat sich ja schon für seine Generation entschuldigt. Für unsere gilt aber: Je schlimmer die Lage, desto größer die Motivation. Wir kennen viele junge Leute, die Lust haben, die Gesellschaft zu verändern.“
Ihr persönlicher Weg, sagen die beiden übrigens, soll sie ihrem Studienfach gemäß in die Wirtschaft führen, in Firmen, die umweltfreundliche Produkte entwickeln und anbieten. „Wir haben das Thema jetzt verstanden“, erklärt Serrer, „da können wir nicht sagen, nun soll mal jemand anders etwas machen.“ ◀