Umweltrassismus: Bei Rekordbränden in Amazonien zahlen Indigene die Rechnung
Der Wald brennt. In den ersten sechs Monaten diesen Jahres verzeichnete Brasilien 13.489 Brandausbrüche im Amazonasgebiet. Das ist die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnten und ein Anstieg von 61 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Die Daten des brasilianischen Nationalen Instituts für Weltraumforschung (Inpe) enthüllen, wie kritisch die Situation für die Ökosysteme Amazonas, Cerrado und Pantanal ist. Die Zahl der Brände liegt im ersten Halbjahr 2024 deutlich über der im gleichen Zeitraum des Vorjahres, obgleich die Abholzung im Vergleich zu 2022 immerhin um die Hälfte zurückgegangen ist. Der 2023 gewählte Präsident Luiz Ignácio Lula da Silva hatte versprochen, die Abholzung bis 2030 komplett zu stoppen.
Abholzung und Klimawandel sind verantwortlich
Der amazonische Regenwald ist sehr feucht und fängt normalerweise kein Feuer – wenn niemand ein Streichholz daranhält. Während des brasilianischen Sommers, also in den Monaten von Mai bis Oktober, kann der Wald an seinen Rändern, wo er ausgedünnt und angegriffen ist, eher in Flammen aufgehen. Doch selbst dann braucht es Menschenhand, um ihn zu entzünden, erklärt das Institut für Umweltforschung in Amazonien IPAM.
Brasilianische WissenschaftlerInnen warnen seit Jahren davor, dass wir uns gefährlich dem Tipping-Point nähern, an dem das gesamte Ökosystem Amazonien umkippt. „Wir haben in ganz Amazonien fast eine Million Quadratkilometer entwaldet, und 75 Prozent davon wurden durch Weideland ersetzt“, sagt der Klimaforscher der Universität von São Paulo, Carlos Nobre. In den vergangenen 40 Jahren habe sich die Trockenzeit alle zehn Jahre um eine Woche verlängert. „Wenn die Trockenzeit sich auf sechs Monate ausdehnen kann, werden wir hier ein Klima wie im Cerrado (Buschsteppe) bekommen, und der Regenwald wird sich selbst degradieren“, warnt Nobre.
Ein weiterer Treiber für die gefährlichen Feuer in Amazonien ist der – ebenfalls menschengemachte – Klimawandel. Nach Rômulo Batista, Sprecher von Greenpeace Brasilien, steht der Wald wegen des fehlenden Regens unter Stress und brennt deshalb stärker.
„Wir wissen nicht mehr, wann wir pflanzen sollen“
Am eigenen Leib bemerken das die indigenen Gemeinschaften Amazoniens schon seit einiger Zeit. „Wir haben Gebiete, die – obwohl es viel geregnet hat – Feuer fangen. Wir haben bemerkt, dass die Hitze immer stärker wird, und das hat Auswirkungen. Wir denken ständig darüber nach, wie unser Zuhause einmal aussehen wird und wie wir uns anpassen müssen, weil wir es so nicht mehr aushalten dort“, sagt Joziléia Kaingang, Sekretärin von Anmiga (Articulação Nacional das Mulheres Guerreiras da Ancestralidade, etwa: Nationale Vereinigung indigener Kämpferinnen).
Regen- und Trockenzeiten verschieben sich und verunsichern die Pflanzerinnen in Amazonien. „Wir hatten einen Kalender, wir wussten, dass wir im März das Land vorbereiten müssen, um im Mai und Juni den Mais und die Bohnen zu ernten“, erklärt Cristiane Julião Pankararu. Sie ist promovierte Ethnologin und indigene Repräsentantin im brasilianischen Umweltministerium. „Heute wissen wir das nicht mehr! Wir wissen nicht, wann wir pflanzen sollen, wir wissen nicht, wann wir ernten sollen, wir wissen nicht einmal, ob wir überhaupt noch pflanzen werden.“
Umweltrassismus: Wir zahlen die Rechnung!
Die Auswirkungen der Umwandlung von Regenwald in Weideland und des Klimawandels treffen die verletzlichsten Gruppen am schlimmsten. „Es sind nicht die Reichen, die unter dem Klimawandel leiden – aber die Mehrheit derer, die für diese Katastrophe nicht verantwortlich sind“, hebt Eliza Pankararú in „Vozes do Clima“ hervor: „Nicht wir holzen ab, nicht wir verschmutzen die Flüsse, aber wir zahlen die Rechnung!“
Das sind keine politischen Floskeln: Indigene schützen weltweit etwa 80 Prozent der Tier- und Pflanzenarten des Planeten. Und 35 Prozent der geschützten Landflächen liegen auf ihren Gebieten, wo sie die Biodiversität nicht nur erhalten, sondern auch vermehren. Studien haben bewiesen, dass indigene Nutzungs- und Managementsysteme Klima und Natur am effektivsten schützen.
Diese Art sozialer und ökologischer Ungerechtigkeiten, die sich gegen gefährdete ethnische Gruppen und Gemeinschaften richten, wird als Umweltrassismus bezeichnet. Deutlich trat diese auch während der Hochwasserkatastrophe in Rio Grande do Sul zutage getreten, wo die ärmeren Wohngebiete ungleich stärker betroffen waren und kaum Zugang zu sanitären Einrichtungen hatten.
Teil der Lösung sein
Um den Feuern HerrIn zu werden, meldeten sich etwa 55 Frauen aus den Frauenbrigaden der indigenen Krikati und Gavião im Bundesstaat Maranhão zu einer Schulung durch die staatliche Organisation Prevfogo an. Mehr als die Hälfte der Feuerwehrleute von Prevfogo sind derzeit Indigene. Im letzten Jahr wurden 80 Frauen eingestellt, davon waren 24 indigene Frauen.
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