226 Gigatonnen Kohlenstoff speichern: Studie beziffert Potenzial des Waldes für den Klimaschutz
Eine Studie hat errechnet, dass durch Waldsanierung und Aufforstung der CO2-Ausstoß von 22 Jahren kompensiert werden könnte. Doch die Wirklichkeit ist wohl bescheidener.
Wälder werden das Weltklima retten. So könnte man eine heute im Fachjournal Nature erschienene Studie lesen – zumindest auf den ersten Blick. Aufforstung und Instandsetzung bestehender Wälder rund um den Globus könnten demnach 226 Gigatonnen Kohlenstoff binden – etwa das 22-Fache dessen, was die Menschheit im Jahr 2022 als CO2 emittiert hat. Nicht beteiligte Forscher:innen loben die robuste Methodik – aber warnen davor, dass der real zu erzielende Klimaschutz weit geringer sei, als die Zahlen suggerieren.
Ein Team der ETH Zürich um Thomas Crowther hat die Studie koordiniert, an der Fachleute von mehr als 200 Institutionen weltweit mitgewirkt haben. Bereits 2019 veröffentlichte das Team eine Studie, die besagte, dass aufgeforstete Wälder weltweit 205 Gigatonnen Kohlenstoff binden könnten. Damals gab es viel Kritik, dass dieser Wert zu hoch sei, unter anderem, weil wenig geeignete Flächen wie Savannen einbezogen worden waren.
Was besagt die neue Studie über das Klimaschutz-Potenzial der Wälder?
„Aus globaler Sicht kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass potenziell bis zu 328 Gigatonnen mehr Kohlenstoff in Wäldern gespeichert werden könnte, als dies derzeit der Fall ist“, fasst Geograph Florian Zabel, Privatdozent an der LMU München, zusammen. Praktisch berücksichtigen die Autor:innen jedoch 102 Gigatonnen davon nicht, weil sie auf ungeeigneten Flächen liegen. Dazu zählen landwirtschaftlich genutztes Grünland, Weideland und Ackerland sowie dicht besiedelte Räume. Aus Sicht Zabels unterschlägt das ein gewisses Potenzial, das etwa durch Agroforstwirtschaft auf manchen dieser Flächen erzielt werden könnte.
Vom verbleibenden Potenzial entfallen 139 Gigatonnen auf heutige Waldflächen und 87 Gigatonnen auf Regionen mit geringem menschlichem Einfluss. Mit 61 Prozent liegt das größte Potenzial, um Kohlenstoff zu binden, darin, degradierte Wälder wiederherzustellen. Die übrigen 39 Prozent errechnen sich, indem ungenutzte entwaldete Flächen wiederaufgeforstet werden.
Wie sind die Forschenden vorgegangen?
Die beteiligten Fachleute haben sowohl am Boden gewonnene Daten zur Biomasse als auch Daten aus Satellitenmessungen kombiniert und mithilfe des maschinellen Lernens und verschiedener Modellierungen mit der Auflösung von einem Quadratkilometer ausgewertet. Berücksichtigt haben die Autor:innen neben den Bäumen selbst Wurzelsysteme, Totholz und den Effekt auf Kohlenstoff im Boden, um das gesamte Kohlenstoff-Speicherpotenzial durch Wälder zu ermitteln. Infolge der hohen Auflösung berücksichtigt die Studie Landnutzungskonflikte und Bewaldungspotenziale besser als ihre Vorgängerin aus 2019.
Unsicherheiten entstehen insbesondere dadurch, dass für bestimmte Regionen wie etwa Tropen die Modelle zur Kohlenstoffspeicherung der Bäume selbst große Unsicherheiten aufweisen. Außerdem beruht das Modell für die Kohlenstoffspeicherung im Boden auf nur einer Studie.
Nicht berücksichtigt hat die neue Studie, wie die Klimakrise das Potenzial der Wälder, Kohlenstoff zu speichern, verändern wird und wie sich das System Wald generell über lange Zeiträume entwickelt.
Was kann die Studie zum Klimaschutz beitragen?
Zum einen bestätigt die Studie, wo sich Arten- und Klimaschutz besonders gut verbinden lassen: „Das gilt zum Beispiel für das Amazonas- oder Kongobecken, da hier noch die global höchste Dichte an lebender Baumbiomasse in tropischen Regionen zu finden ist“, erläutert Waldwirtschaftsexperte Melvin Lippe vom Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut. Für lokale Maßnahmen sei die Studie jedoch nur eingeschränkt hilfreich: „Für Aufforstungsprojekte oder ein nachhaltiges Waldmanagement sind Pixelauflösungen von zehn Metern oder feiner von höherer Relevanz als die hier genutzte Auflösung.“
LMU-Forscher Zabel sieht in der Studie auch ein politisches Werkzeug: „Die Ergebnisse dieser Studie könnten genutzt werden, wenn es um die Ausweisung zukünftiger Schutzgebiete geht. Wie es im Kunming-Montreal Abkommen vorgesehen ist, sollen bis 2030 30 Prozent der Landoberfläche unter Schutz stehen.“ Hier könnten Regionen mit einem hohen Potenzial zur Kohlenstoffspeicherung, also einer großen Klimaschutzwirkung, besonders wichtig sein, argumentiert Zabel.
Verbunden damit ist – wie so oft – eine finanzielle Frage: Das größte Potenzial liegt in tropischen Regionen. Sollte vor allem der globale Norden entsprechende Maßnahmen in den Tropen durch Kompensationszahlungen unterstützen? Und wäre das wirklich förderlich? „Bisherige Aufforstungs- und Waldschutzprojekte in tropischen Ländern standen oft stark in der Kritik, da sie teilweise erst Anreize zur Abholzung geschaffen haben und auch sonst wenig effektiv waren“, berichtet Zabel. Vor allem in Trockenregionen habe in anderen Studien gezeigt werden können, dass es für den Klimaschutz in Summe kontraproduktiv sein kann, Wälder aufzuforsten, da diese weniger Sonnenenergie reflektieren als unbewaldete Flächen.
Welche Kritikpunkte gibt es?
Die lauteste Kritik unabhängiger Fachleute bezieht sich darauf, dass die Studie Klimaveränderungen nicht berücksichtigt – auch wenn die Autor:innen auf diesen Umstand hinweisen. „Die vergangenen Dürrejahre in Deutschland und anderen Weltregionen haben aber gezeigt, dass die immer stärker hervortretenden Unsicherheiten des Klimawandels – wie lange Dürreperioden oder erratische Regenfallereignisse, die oftmals durch Starkregen und Überflutungen gekennzeichnet sind – den Wäldern und deren Kohlenstoffsenken-Potenzialen global zusetzen können“, sagt etwa Thünen-Forscher Lippe. Entsprechend sei davon auszugehen, „dass sich die Kohlenstoffsenken-Potenziale von Wäldern langfristig reduzieren“. Ein unberücksichtigter positiver Effekt hingegen könne sein, dass Pflanzen infolge der höheren CO2-Konzentration in der Atmosphäre stärker wachsen, ergänzt Zabel. Er warnt jedoch gleichzeitig, dass die global steigende Nachfrage nach Fleisch die Nutzungskonflikte verstärken könnte, wodurch weniger Flächen für Wälder verfügbar wären, als die Studie annimmt.
Grundlegend kritisiert Christian Körner, emeritierter Botanik-Professor der Universität Basel, die neue Studie: „Wälder, die dauerhaft einen maximalen, Idealspeicher' aufweisen, wie hier angenommen, gibt es nicht.“ Selbst ohne Klimakrise hätte jeder Quadratmeter subtropischer und warm-temperater Halbtrockenwälder, mediterraner und borealer Wälder sowie Savanne in den vergangenen Jahrhunderten ein Feuer erlebt. „Im Schnitt beträgt der dauerhafte Vorrat an Biomasse über alle Flächen daher eher grob der Hälfte des Maximalen.“
„Aufforstung von brach liegendem, waldfähigem Land ist ökologisch absolut wünschenswert, die Wirkung als Kohlenstoffspeicher folgt dabei aber sehr stark verzögert“, erläutert Körner. Mit den hier berechneten, maximal möglichen Vorräten sei, unabhängig von der Flächengröße, wohl erst in 100 bis 200 Jahren zu rechnen, wenn man sofort überall gleichzeitig beginnen würde. „Die Verhinderung der Abholzung alter Wälder hat hingegen sofortige Wirkung.“ Nicht zuletzt erinnert der Forscher daran, dass Holz auch dazu dienen soll, fossile Rohstoffe zu ersetzen. Dieses Holz könne nicht gleichzeitig in Form geschützter Wälder als langfristiger Kohlenstoffspeicher dienen.
„Nachhaltige Waldnutzung – bei gegenüber einem theoretischen Maximum vermindertem Vorrat – ist langfristig der viel effizientere Weg, einen forstlichen Beitrag für die Lösung des CO2-Problems zu leisten, als Wald, wie hier suggeriert, außer Nutzung zu stellen und dabei das Risiko einzugehen, dass Feuer, Sturmschäden oder Dürre-Mortalität das angesparte Kapital in kürzester Zeit vernichten“, formuliert Körner seine Sicht. Das bedeute jedoch nicht, dass alle Wälder genutzt werden sollten.
Trotz der Kritik im Detail herrscht in der Wissenschaft Einigkeit, dass Waldschutz und Aufforstung ein wichtiger Baustein sein müssen und können, um die Klimakrise abzumildern. Doch bei aller Bedeutung des in Wäldern gespeicherten Kohlenstoffs betont Zabel, „dass dies langfristig kein Ersatz für die Minderung von Treibhausgasemissionen sein kann“.