„Das Kraftwerk Kaunertal würde eine sensible Gebirgslandschaft zerstören“

Alpenschutzkommission und Naturschützer fordern Stopp des Projektes

vom Recherche-Kollektiv Flussreporter:
6 Minuten
Hochgebirgstal mit grünen Wiesen, Gebirgsbach und grauen Bergen im Hintergrund

Die Tiroler Wasserkraft AG plant den Ausbau des Wasserkraftwerkes Kaunertal und will dafür Bäche aus den Ötztaler Alpen über viele Kilometer in einen Hochgebirgsstausee ableiten. Die AlpenschutzkommissionCIPRA Internationalund die NaturschutzorganisationWWF Österreichfordern den sofortigen Stopp dieses Projektes, weil die ökologischen Schäden zu groß wären.

Im Sommer 2022 wurde in Europa deutlich sichtbar, wovor Klima- und Gewässerforscherïnnen schon lange gewarnt hatten: Der Klimawandel verändert den Wasserhaushalt in Richtung Extreme. Ob Rhein, Donau, Loire oder Themse, zahlreiche Flüsse führten oder führen Niedrigwasser oder trockneten überhaupt aus. Das hatte Auswirkungen auf die Bewässerung, das Grundwasser, den Gütertransport auf dem Wasser und die Stromproduktion. In Österreich, wo rund zwei Drittel der elektrischen Energie aus Wasserkraft erzeugt werden, war das besonders deutlich: Im Juli 2022 produzierten die Wasserkraftwerke um 31 Prozent weniger Strom als im Juli 2021.

Angesichts der Klimakrise auf den weiteren Ausbau der Wasserkraft in Tirol zu setzen, sei der völlig falsche Weg, kritisierte Kaspar Schuler, Geschäftsführer von CIPRA International am 31. August 2022 bei einer Pressekonferenz. „Wir sind nicht grundsätzlich gegen Wasserkraft in den Alpen und beurteilen normalerweise keine Einzelprojekte“, erklärte Kaspar Schuler, „Der geplante Kraftwerksausbau verstößt aber so eindeutig gegen unsere Kriterien für nachhaltige Wasserkraftnutzung, dass wir die Einstellung dieses Projekts empfehlen.“

Die detaillierten und fachlich begründeten Forderungen zur Wasserkraftnutzung in den Alpen hat CIPRA International im August 2021 in einem Positionspapier dargestellt.

Fünf Forderungen der CIPRA zur Wasserkraftnutzung in den Alpen:

  • Politik und Wirtschaft müssen weitsichtig planen, um möglichst viel Energie einzusparen, anstatt immer mehr Kilowattstunden zu produzieren.
  • Bestehende Wasserkraftwerke müssen saniert und überflüssige Kraftwerke entfernt werden, bevor neue gebaut werden.
  • Die letzten „Süßwasserperlen“ müssen geschützt werden. Intakte Flüsse und Flussabschnitte sowie Gebirgsbäche dürfen nicht der Energiegewinnung dienen.
  • Die sogenannte „Kleinwasserkraft“ ist nur für lokal begrenzte Bedürfnisse in isolierten Lagen sinnvoll. Sie gehört nicht in regionale oder nationale Energieplanungen.
  • Es gilt, das Wissen und die Zusammenarbeit zur Wasserkraftnutzung länderübergreifend auszubauen.

Kaspar Schuler verwies auch darauf, dass Österreich die Alpenkonvention unterzeichnet habe und die Vertragsstaaten sich daran halten müssen. Die letzten intakten Gebirgsbäche und -täler seien zu schützen.

Porträtfoto eines Mannes mit grauem Haar und Vollbart, weißes Hemd
Kaspar Schuler, Geschäftsführer von CIPRA International.

Der Ausbau des Kraftwerks Kaunertal verstößt laut Kaspar Schuler vor allem gegen zwei zentrale CIPRA-Kriterien für nachhaltigen Wasserkraftausbau:

Erstens den Erhalt der letzten ökologisch intakten Flüsse, Bäche und Flussstrecken. Sie müssten als solche erhalten bleiben und dürften nicht durch einen etwaigen Kraftwerksbau beeinträchtigt werden, was auch die von Österreich mitunterzeichnete Wasserdeklaration der Alpenkonvention festhält. Darüber hinaus kritisiert die CIPRA den zu starken Fokus der Tiroler Energiewende auf die bereits extrem ausgebaute Wasserkraft.

„Den vom Ausbau des Kraftwerks Kaunertal betroffenen Gletscherflüssen Venter und Gurgler Ache sollen bis zu 80 Prozent des Wassers entzogen werden. Das hätte fatale Folgen für die Gewässerökologie der beiden Flüsse und auf das Ötztal, das schon jetzt zu den niederschlagsärmsten Tälern Tirols gehört“, kritisiert Schuler.

Im Projekt für den Ausbau des Kraftwerks Kaunertal plant die Tiroler Wasserkraft AG (TIWAG), einen großen Teils des Wassers aus der Venter und der Gurgler Ache ins 23 Kilometer entfernte Kaunertal abzuleiten. Die beiden Achen, die zu „Flussheiligtümern“ erklärt wurden, fließen in der Ötztaler Ache zusammen. Das Projekte würde demnach die Wasserführung der Ötztaler Ache, wo noch dazu im März 2020 mit dem Bau eines Wasserkraftwerkes begonnen wurde, massiv reduzieren.

Gebirgsbach zwischen Felsen in einem engen, grünen Alpental
Venter Ache talauswärts.

Das Platzertal mit seinem rund sechs Hektar großen Moor soll nach den Plänen der TIWAG hinter einem 120 Meter hohen Staudamm verschwinden. In das Tal soll bei einem Stromüberangebot Wasser aus dem Gepatsch-Speichersee hinauf gepumpt und bei Bedarf wieder abgeleitet und in den bestehenden Kraftwerken Imst und Haiming zu Strom abgearbeitet werden.

Moore sind wichtige Kohlenstoffspeicher, ihre Erhaltung ist deshalb wichtig für den Klimaschutz. In Stauseen hingegen entstehen Treibhausgase.

Dieses ökologisch wertvolle Hochtal dürfe nicht für eine falsche Energiepolitik geopfert werden, so Kaspar Schuler. Zwar würden Pumpspeicherkraftwerke eine Bedeutung in der Stromproduktion haben, beim Pumpen trete aber ein Energieverlust von 25 Prozent auf. Außerdem werde es in Zukunft lokale neue Speichermöglichkeiten für Strom aus erneuerbarer Energie geben, die weniger Verluste hätten. Tirol produziert 95 Prozent seines Stroms aus erneuerbaren Energieträgern mit Wasserkraft und möchte seine Stromproduktion aus Wasserkraft noch um 50 Prozent steigern. Das sei viel zu einseitig, gerade angesichts der drohenden Wasserknappheit in den Flüssen.

Kritik an überholter Energiepolitik in Tirol

„Dieses völlig überdimensionierte Projekt steht wie kein anderes für die einseitige und überholte Energiepolitik des Landes Tirol und der Tiroler Wasserkraft AG. Die von CIPRA International festgestellten, substantiellen Versäumnisse zeigen, dass der Ausbau nicht naturverträglich realisierbar ist“, kritisierte Hanna Simons, Leiterin der Natur- und Umweltschutzabteilung des WWF bei der Pressekonferenz. Es sei eine falsche Energiepolitik, Klimaschutz und Naturschutz als Gegensätze zu sehen. Klima und Natur müssten gemeinsam geschützt werden.

Der WWF fordert deshalb ebenfalls den Stopp aller Planungen für das Projekt Kaunertal und eine Absage aller Tiroler Parteien an die drohende Verbauung einzigartiger Naturjuwele.

Porträtfoto einer Frau mit schwarzem T-Shirt und schwarz-weißem Blazer
Hanna Simons, stellvertretende Geschäftsführerin des WWF Österreich und Leiterin der Naturschutzabteilung.

In der im Mai 2022 vorgestellten Kaunertal-Erklärung unterstützen mehr als 40 weitere Organisationen und Wissenschaftlerïnnen die Forderungen des WWF nach einem Stopp des Projektes, nach einer naturverträglichen Energiewende und dem Schutz der letzten intakten Alpenflüsse.

„Die alpinen Flüsse sind keine Kilowattkanäle und keine Restwasserrinnen!“, mahnte der CIPRA-Geschäftsführer Kaspar Schuler. Die Alpenflüsse seien kollektive gemeinschaftliche Güter und dürften nicht allein für die Stromerzeugung und Beschneiung beansprucht werden. Das Wasser werde auch im Tal für die Bewässerung von Feldern, für die Trinkwasserversorgung und anderes benötigt und sei ein rares Gut in Zeiten der Klimakrise. Dieses Problem werde sich durch das Abschmelzen der Gletscher und fehlenden Schneefall noch verschärfen.

Der Ausbau des Kraftwerkes Kaunertal würde auch die Belastung durch Schwall im Inn (plötzlicher starker Wasserzufluss nach dem Einschalten der Turbine) verstärken, die laut dem Projekt INNsieme eigentlich dringend reduziert werden müsste. Das Projekt würde 20 Gemeinden betreffen – durch jahrelange Großbaustellen oder durch den dauerhaften Entzug des Wassers, so der WWF. Bürgerïnnen engagieren sich deshalb seit vielen Jahren für die Erhaltung eines lebenswerten Kaunertals.

Gebirgsbach im Vordergrund, dahinter alpines Hochtal mit Almwiesen und Bergen
Impressionen aus dem Platzertal in Tirol nahe Pfunds.

WWF und CIPRA fordern, statt weiterer Wasserkraftausbaupläne sehr rasch Maßnahmen zur Energieeinsparung zu treffen. Weiters sei es notwendig, gemeinsam mit anderen Bundesländern und Alpenstaaten den Energiebedarf zu analysieren und eine länderübergreifende Energieraumplanung mit einem Mix an erneuerbaren Energieträgern zu erstellen.

Die Erweiterung des Kraftwerks Kaunertal wäre mit allen Planungen, Genehmigungsverfahren und Bauzeit frühestens im Jahr 2040 am Netz, schätzt Kaspar Schuler. Es sei also keine Lösung für die jetzige Energiekrise. „Die Frage ist auch, wieviel Wasser dann überhaupt noch zur Verfügung steht“, erinnerte Hanna Simons bei der Pressekonferenz an das teils dramatische Niedrigwasser der Flüsse im heurigen Sommer.

„Photovoltaik kann man schnell installieren, Windkraft auch, sofern schon Zonen dafür ausgewiesen sind. Energie einsparen kann man sofort“, sagte sie.

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