Umzug kommt für Wespen und Hornissen in der Nachbarschaft als Letztes in Frage
Interview mit einem Leser
Wir Tier-Reporter freuen uns sehr, wenn wir Post von unseren Leserinnen und Lesern bekommen. Und mitunter haben wir Nachfragen. Wie bei Andreas Blaschke aus Achern am Fuß des nördlichen Schwarzwalds. Was er in der Freizeit macht, hat unsere Neugier geweckt: Andreas Blaschke berät Menschen, die es suspekt finden, wenn sich Wespen oder Hornissen in ihrer Nähe niederlassen. Er war bereit, uns ein Interview zu geben.
Tier-Reporter: Herr Blaschke, wer ruft Sie an?
Andreas Blaschke: Oft sind es Mieter, meistens geht es um ein Kratzen im Rollladenkasten. Sie berichten, dass viele Wespen auf einmal vor dem Fenster herumfliegen, wenn sie die Rollläden hoch- und runtermachen. Die sagen: „Hey, hier stimmt irgendwas nicht, es sind lauter Wespen im Haus. “ Das Ganze ist mit viel Angst verbunden. Meist wird nicht gefragt, ob man sich das mal ansieht, sondern es heißt gleich: „Die müssen weg.“
Lassen Sie sich dann von der Alarmstimmung anstecken?
Am Anfang ist mir das tatsächlich passiert. Aber inzwischen habe ich eine Liste mit Fragen, die ich eine nach der anderen abarbeite. Das hilft sehr. Oft werden die Tiere zum Beispiel gar nicht richtig erkannt. Früher bin ich oft hingefahren, da waren dann ein paar Bienen im Strauch, da ist ein Schwarm abgegangen bei irgendeinem Imker, und jetzt hat man eine Bienentraube da hängen, die als Wespen gedeutet werden.
Was klopfen Sie mit Ihrem Fragenkatalog ab?
Ich frage die Anruferinnen oder Anrufer erst mal, ob sie ungefähr eine Menge abschätzen können, ob die Tiere zu einer bestimmten Zeit auftauchen. Ist ein Nest sichtbar, oder fliegen die in einen dunklen Hohlraum? Gibt es Geräusche? Solche Dinge. Mich interessiert auch, um was für eine Art Gebäude es sich handelt. Denn es rufen auch Leute an, die fahren zweimal im Jahr zu einer Hütte, wo mal die Wiese gemäht werden muss, und dann hängt halt ein Wespen- oder Hornissennest drin. Und dann sagen sie: „Wir haben da was, bitte machen Sie das weg.“
Sie sammeln also Fakten zu den Tieren. Haben Sie auch Fragen zu den Anrufern selbst?
Ja, ich will auch herausfinden, wie die Leute drauf sind. Gibt es Tiere, Kleinkinder, sind Allergien bekannt? Wie groß ist überhaupt die Angst vor den Insekten?
Um welche Tiere geht es?
Wir sprechen hauptsächlich über die Familie der Sozialen Faltenwespen. Von denen sind acht Arten bei meinen Beratungen relevant, weil sie im Alltag für viele Menschen sichtbar sind. Die ihnen eventuell in der Wohnung auffallen. Oder die sich am Haus gern ansiedeln. Es gibt auch welche, die nimmt man nicht wahr. Zum Beispiel Grabwespen, davon gibt es ja noch ganz viele Unterarten. Es gibt unglaublich viele Wespen, die keine Staaten gründen und solitär leben. Wir reden jetzt von denen, die schwarz-gelb sind.
Mit welcher Art haben denn die meisten von uns schon ihre Erfahrungen gemacht?
Die Deutsche und die Gemeine Wespe sind die Arten, die die meisten kennen werden. Das sind die, die bei der Grillparty nerven oder wenn süße Sachen auf dem Tisch stehen. Das hat damit zu tun, dass sie große Populationen bilden und dann nach Kohlenhydraten suchen. Und die gucken natürlich, was sie kriegen können. Wenn dann gegrillt wird oder süße Getränke zu haben sind, können sie das riechen. Dann kommen sie und holen sich das. Manch ein Mensch am Tisch denkt dann, das sei ein Angriff. Aber das ist ein Missverständnis. Die Wespe interessiert sich prinzipiell nicht für den Menschen, gar nicht. Da geht es nur um die Nahrungssuche. Problematisch wird es, wenn der Mensch meint, er müsse sich mit einem Gegenangriff wehren. Wenn jemand gestochen wird oder irgendwo eine tote Wespe platt geschlagen auf dem Tisch liegt, und da sind noch zwei andere unterwegs, nehmen die das wahr. Die riechen die Pheromone. Dann kommen noch andere und gucken, was da los ist, ob eine Gefahr besteht. Die Gefahr hat meistens mit dem Nest zu tun. Das ist oberste Priorität für die Wespen, das Nest zu beschützen.
Hornissen fehlen Baumhöhlen
Mit welcher Art haben wir es in den Rollladenkästen zu tun?
Auch mit der Deutschen Wespe und der Gemeinen Wespe. Beide werden nicht umgesiedelt, da es eine hohe Population dieser Arten gibt. Die sind oft schon da, bevor die Leute was merken. Die Wespenkönigin kommt zum Probewohnen. Sie checkt ab, passt es mit der Temperatur, ist der Hohlraum groß genug. Dann fliegt sie ein paar Mal hin und her. Man muss dazusagen, dass Wespen nicht wie ein Bienenvolk überwintern. Wespenvölker sterben im Herbst. Nur die Königinnen überwintern und gründen im Frühjahr neue Nester, in denen es dann nach und nach voll wird. In der Nähe der Menschen findet man auch oft Hornissen, die keinen Platz mehr in ihrem eigentlichen Habitat finden. Ihnen fehlen Baumhöhlen im Wald. Da werden aus der Not heraus dann auch gern Rollladenkästen oder Vogelnistkästen genommen.
Zieht es die anderen Arten, die uns meistens nicht so stark auffallen, auch in Rollladenkästen?
Nein, diese Arten sind sogenannte Freinister. Da haben wir zum Beispiel die Mittlere Wespe, die Sächsische Wespe, die Waldwespe, die Norwegische Wespe und die Rote Wespe. Das sind keine lästigen Arten. Sie nisten im Freien, meistens in runden Nestern. Die sind ungefähr so groß wie ein Handball. So ein Nest hängt frei im Gebüsch. Das wird regelmäßig ein bisschen vergrößert, maximal bis Fußballgröße, mehr passiert da nicht. Ab und zu findet sich so ein Nest auch mal in einem Schuppen an einer Stelle, wo Licht von draußen hereinscheint. Das sind aber Wespen, die unter sich bleiben. Das heißt, die gehen nicht auf Futtersuche in die Nähe der Menschen wie eine Deutsche Wespe. Die spielen in unserem Alltag keine Rolle.
Gehören auch Hornissen zu Ihren Schützlingen?
Ja, um die Hornisse geht es hauptsächlich. Sie ist unsere größte Wespe, die auch zu den echten Wespen gehört. Wenn die angeflogen kommt, hört man schon, dass das ein echter Brummer ist. Ein harmloser Brummer übrigens, allen anderslautenden Gerüchten zum Trotz.
Darf man Wespen überhaupt zu Leibe rücken, wenn sie zu nah in die menschliche Sphäre kommen?
Nein, alle Wespen gehören zu den streng geschützten Arten. Denen darf man überhaupt nicht nachstellen. Darüber setzt sich aber manch einer hinweg und brüstet sich noch damit. Es gibt sogar YouTube-Videos, in denen irgendwelche Nester in die Luft gesprengt oder angezündet werden. So was ist völlig daneben und im Übrigen definitiv verboten.
Gewähren denn die Menschen, die um Ihren Rat und Ihre Hilfe bitten, den Hornissen den gebotenen Schutz?
Leider nicht alle. Bei den Hornissen habe ich schon unschöne Dinge erlebt. Erst mal läuft alles gut. Ich werde angerufen, fahre hin, lokalisiere das Nest und berate. Mein Ziel ist es dann zu sagen, lasst sie bitte hängen. Die gehören zu den Harmlosesten von allen. Wenn man die einzeln fliegen sieht, machen die nichts. Die kann man sogar auf den Finger nehmen. Wenn Hornissen angreifen, hat das auch bei ihnen wieder mit dem Nest zu tun. Wenn die Brut in Gefahr ist, wollen sie die beschützen. Ich bitte also, das Nest hängen zu lassen, wenn es sich an einer unproblematischen Stelle befindet. Fahre ich dann zwei Wochen später vorbei, ist es mit Bauschaum verkleistert. Es gibt da bei manchen Leuten keine Hemmschwelle, die Tiere ersticken zu lassen. Trotz Strafandrohung: Hornissen zu vernichten kann mit Geldstrafen bis 50.000 Euro geahndet werden.
Es gibt hoffentlich auch Leute, die Ihrem Rat folgen?
Ja, ich erlebe auch positive Dinge. Einige Menschen, die anrufen, wollen erst mal wissen, ob sie überhaupt ein Problem haben. Es gibt auch welche, die fragen, muss ich was machen? Und wenn ich denen sage: „Nee, brauchen Sie nicht. Sie tragen einen tollen Teil zum Artenschutz bei“, dann antworten die: „Kein Problem, ich gucke da sogar gern mal hin.“ Oder: „Ich sehe dabei zu, wie sie Sachen hin- und hertragen.“ Und: „Mir machen die nix, wenn ich im Garten den Rasen mähe.“ Also, die Kategorie habe ich auch. Das sind meistens ältere Menschen.
Kommt es auch vor, dass Sie ein Volk umsiedeln müssen?
Das kommt vor. Ich mache es sogar manchmal, wenn ich bei Leuten das ungute Gefühl habe, dass sie sich der Tiere andernfalls skrupellos auf eigene Faust entledigen. Oder wenn ich weiß, jemand hat schon etwas eingekauft, was man irgendwo reinsprühen kann. Da schaue ich dann schon, dass ich die Tiere umsiedle, wenn es passt. Ich kann es nicht zu jedem Zeitpunkt machen, es geht nur in einem bestimmten Entwicklungsstadium. Das Volk muss eine bestimmte Größe haben, sonst ist die Überlebenschance gering.
Wie geht so ein Umzug dann vonstatten, beispielsweise bei einem frei hängenden Nest? Nehmen Sie dann das Nest ab und tragen es irgendwo anders hin?
Wespen sind wie Bienen auf einen Standort eingeflogen, sie fliegen immer an dieselbe Stelle. Das nutze ich aus. Wenn ich ein rundes Nest habe, kann ich ein Ersatznest anbieten. Ich packe das Nest in eine Kiste oder in einen Karton mit einer Öffnung. Die Wespen fliegen dann mal kurz drumherum, aber dann geht alles wieder seinen Gang, und sie fliegen in die Kiste, in der sich ihr Nest befindet. Der Vorteil ist, dass alle Wespen bis auf die Hornisse nachts tatsächlich im Nest sind. Das ist mein Moment. Ich komme, mache einen Deckel auf die Öffnung und kann das Volk mit dem verpackten abtransportieren. Dann hänge ich es an eine andere Stelle. Wenn ich den Deckel wieder abmache, fliegen sich die Tiere kurz ein. Sie merken natürlich schon, dass sie woanders sind. Aber das ist eine Sache, die in zwei Stunden erledigt ist.
Anklopfen am Flugloch der Hornissen
Wie erfolgt die Umsiedlung bei Hornissen?
Bei denen läuft es ein bisschen anders, weil sie nachtaktiv sind. Da gibt es nicht wie bei den anderen Wespen diesen optimalen Zeitpunkt, an dem alle in der Kiste sind. Hornissen muss ich absaugen. Bei Hornissenumzügen geht es um Nester in Rollladenkästen. Ich habe ein ganz schwach arbeitendes Sauggerät. Damit werden zuerst die Tiere am Flugloch relativ schonend in eine Kiste abgesaugt. Die ist ausgepolstert, damit die Tiere nicht hart landen. Dann klopfe ich am Flugloch. Weitere Tiere kommen heraus, um zu gucken, was los ist, und werden in die Kiste befördert. Ich habe an der Seite ein Fensterchen eingebaut, weil genügend Luft in die Kiste gelangen muss. Manchmal gibt es ein Hitzeproblem, da muss man beobachten, ob alles in Ordnung ist. Wenn ich die Tiere dann eingesaugt habe, schraube ich den Rollladenkasten auf und kann das Nest entfernen. Wegen des Platzmangels sind die Nester schief eingebaut, ich kann sie nicht einfach herausnehmen, sondern muss sie in Stücke schneiden. Das geschieht in aller Ruhe, denn manchmal kommen noch zwei oder drei angeflogen.
Wir haben ständig Flugtiere, die für Nahrung sorgen und hin- und herfliegen. Die fange ich dann auch noch ein. Das kann man mit einem Netz machen. Dann rekonstruiere ich das alte Nest in einem Hornissenkasten, der als Ersatznest dient. Am neuen Standort hänge ich den Kasten in der passenden Höhe auf. Hornissennester befinden sich in der freien Natur drei, vier Meter über dem Boden an einem Baum. Die Saugkiste mit den Hornissen kann ich so platzieren, dass die Tiere direkt ins Ersatznest fliegen. Und dann kommt der spannende Moment: Wird der Ersatz angenommen oder nicht? Manchmal ist zu viel Zeit vergangen, da kann es auch einfach sein, dass es nicht mehr funktioniert.
Sie machen die Wespenberatung nicht hauptberuflich. Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich bin Webdesigner von Beruf und nebenher durch die Imkerei zu diesem Thema gekommen. Da gab es mal eine Notsituation. Ein Imkerkollege hat mich gefragt, ob ich mitfahren möchte, Hornissen umzusiedeln. Das Thema hat mich sofort gefesselt, auch waren mir diese Insekten gleich sympathisch. Das ist eine große Gruppe, die wichtige Dienste in unserer Umwelt erbringt, sie ist schützenswert, aber alles fokussiert sich auf Honigbienen und Wildbienen. Dabei regulieren Wespen und Hornissen die Bestände anderer Insekten, sie halten Mückenpopulationen im Zaum, fressen Raupen und Larven. Wenn wir sie töten, können sie das nicht mehr. Mein Erfolg ist es, wenn ein Nest hängenbleibt. Dann habe ich gut beraten und Artenschutz betrieben.
Mir ist wichtig, dass es Menschen gibt, die sich ernsthaft bemühen, einen Beitrag zum Artenschutz zu leisten. Da gibt es viele, die tolle Arbeit leisten. Und das ist wichtig, denn es wird sich auch aufgrund des Klimas viel verändern. Wir werden neue Arten dazu bekommen.