Winter-Buchtipps für alle, die Vögel und Natur lieben – und alle, die noch Geschenke suchen
Im Winter 2023 entführen uns Bücher in den hohen Norden, den fernen Osten, ins südliche Afrika und in die eigene Nachbarschaft.
Die Superkräfte der Vögel – was Vögel so besonders macht
Tipp von Johanna Romberg
Wenn man viele Jahre lang Vögel beobachtet, kann es passieren, dass sich mit der Zeit eine Art Betriebsblindheit einstellt. Stimme und Gestalt vor allem der häufigeren Arten
sind einem irgendwann so vertraut, dass man sie kaum noch genau wahrnimmt. Und darüber vergisst, selbst naheliegende Fragen über sie zu stellen. Zum Beispiel
diese: Wie genau schaffen es Turmfalken, minutenlang auf der Stelle zu fliegen? Warum bringen Wacholderdrosseln nur raue Schackergeräusche hervor, während ihre
Verwandten wie Amsel und Singdrossel stundenlang hochdifferenzierte Sologesänge aufführen? Was genau schmeckt ein Grünspecht, wenn er mit seiner langen Zunge
Ameisen aufschleckt? Wie spüren Kolkraben und Krähen aus der Luft frisches Aas unter dem Blätterdach eines Waldes auf?
Antworten auf diese und viele weitere Fragen finden sich in Silke Hartmanns Buch „Die Superkräfte der Vögel“. Der Titel wie auch die Gestaltung – mit pfiffigen
Illustrationen von Vero Mischitz – lassen erkennen, dass sich das Buch eher an jüngere Leserïnnen wendet; vor allem solche, die zwar eine Grundsympathie für
Vögel mitbringen, aber noch zögern, sich intensiv aufs Beobachten einzulassen. Was man ja als Alt-Orni durchaus verstehen kann: Vögel beobachten, auch wenn es
viele mittlerweile „Birding“ nennen, hat immer noch das Image eines Nerd-Hobbys, das vor allem von graubärtigen Herren mit einschüchterndem Fachwissen betrieben wird.
Vogelkunde mit Coolness-Faktor
Diesem Image setzt das Buch einen neuen, unbefangenen Blick auf die Vogelwelt entgegen – einen, der dem Hobby sogar einen Hauch von Coolness verleiht. Silke Hartmann
gelingt das, ohne dabei den Nerd-Faktor des Vogelbeobachtens zu verleugnen. Weil sie es einerseits in puncto Fachwissen auch mit Ornis alter Schule
aufnehmen kann, andererseits als Kommunikationsberaterin aber weiß, wie man Wissen zum Funkeln bringt – so, dass es Leser nicht nur beeindruckt, sondern
zum Selber-Entdecken anregt. Ihre „Superkraft“ ist eine Sprache, die locker und anschaulich wirkt, ohne angestrengt launig zu sein, und die komplexe, sauber
recherchierte Fakten mit persönlichem Erleben kombiniert. Ich würde das Buch jedem angehenden Vogelbeobachter – und jeder -beobachterin – unter den Weihnachtsbaum legen.
Silke Hartmann „Die Superkräfte der Vögel – was Vögel so besonders macht“, mit Illustrationen von Vero Mischitz, Kosmos Verlag 2023, 192 Seiten, 20 Euro.
Der Ruf des Sommers
Tipp von Markus Hofmann
Den Dezember erträgt Charles Foster nur schwer. Seit fünf Monaten hat er zu Hause keinen Mauersegler mehr gesehen hat. Und es wird nochmals mindestens so lange
dauern, bis sie wieder aus ihrem Überwinterungsgebiet im südlichen Afrika zurückkehren und einige von ihnen im Dachstock von Fosters Haus in Oxford zu
brüten beginnen. Für jemanden wie Foster, für den ein Leben ohne Mauersegler eigentlich sinnlos ist, ist der Dezember eine Qual. Während sich seine Familie auf
Weihnachten freut, fliegt er den Mauerseglern entgegen nach Mosambik. Allerdings vergeblich. Die Mauersegler lassen sich dort auch nicht blicken.
Im Bann der Mauersegler
Was Foster, Tierarzt und Anwalt, der in Oxford Ethik und Rechtsmedizin lehrt, genügend Gelegenheit gibt, nicht nur über die erstaunliche Lebensweise der Mauersegler, unser Verhältnis zu ihnen und der Natur überhaupt nachzudenken, sondern auch darüber, wie wir angemessen über Mauersegler sprechen können. Denn dies ist eigentlich unmöglich: Nur der Mauersegler weiss, wie es ist, ein Mauersegler zu sein. Um uns wirklich in Mauersegler einfühlen zu können, helfen uns Menschen auch die vielen Studien und Daten über die faszinierenden Vögel nicht weiter, so Foster.
Der Engländer Charles Foster mag sich ein Leben ohne die Flugkünstler nicht vorstellen
In gewissem Widerspruch dazu gelingt es Foster dann doch, ein sehr facettenreiches Porträt des Mauerseglers zu zeichnen. Er tut dies in einer höchst unterhaltsamen Mischung aus Reisereportage (Foster fliegt auf der Suche nach Mauerseglern nicht nur nach Mosambik, sondern auch nach Südeuropa und in den Nahen Osten), ornithologischen Fakten, Naturbeschreibungen und philosophischen Überlegungen. „Der Ruf des Sommers“ ist eine Pflichtlektüre für alle Mauersegler-Liebhaber – und eine grosse Empfehlung für alle, die dies werden wollen. Die Mauersegler-freien Monate lassen sich mit ihr perfekt überbrücken.
Charles Foster „Der Ruf des Sommers. Das erstaunliche Leben der Mauersegler“ Mit Illustrationen von Jonathan Pomroy. Piper Verlag, München 2023. 224 Seiten. 22 Euro, CHF 24.
Die Eulen des östlichen Eises
Tipp von Anne Preger
Schon ihr Name verrät es: Riesenfischuhus sind imposante Vögel – die größten Eulen der Welt. Mit 72 Zentimetern Körpergröße übertreffen sie sogar unsere heimischen Uhus, ihre Flügel spannen sie zwei Meter weit auf. Allerdings kommen sie für menschliche Augen oft eher wenig majestätisch daher, wenn man sie überhaupt zu Gesicht bekommt. Denn trotz ihrer Größe war lange Zeit verhältnismäßig wenig über diese Eulenart bekannt. Riesenfischuhus leben unter anderem im Fernen Osten Russlands; sie sind außerdem scheu und haben sehr spezielle Eigenarten und Bedürfnisse. Das macht es nicht einfach, sie zu erforschen und zu schützen.
Slaghts Buch ist die perfekte Winterlektüre
Über seine Fischuhu-Forschung in der russischen Region Primorje an der Pazifikküste hat der US-Biologe Jonathan Slaght ein erlebnisreiches Naturbuch geschrieben. Das Buch ist eine perfekte Winterlektüre, auch weil es vor allem im Winter spielt, der Jahreszeit, zu der sich Riesenfischuhus am besten finden und erforschen lassen. Slaght erzählt dabei nicht nur von den Vögeln selbst, sondern auch von Begegnungen mit besonderen Charakteren, die in der abgelegenen Region leben.
Im Original ist Owls of the Eastern Ice im Jahr 2020 erschienen; wir haben das Buch bei Riffreporter damals ausführlich mit Fotos vorgestellt und dafür auch mit dem Autor gesprochen. Jetzt ist, mit drei Jahren Verzögerung, die deutsche Fassung herausgekommen – in der Reihe „Naturkunden“ des Verlags Matthes und Seitz. Die Ausgabe ist grafisch aufwändig gestaltet, enthält aber im Gegensatz zum englischen Original keine Fotos.
Riesenfischuhus auf der Spur
Vom Stil her knüpft Slaghts Buch an Abenteuer- und Wildnisberichte aus der Geschichte Nordamerikas an. Den russischen Fernen Osten haben im 20. Jahrhundert etwa Forschungsreisende wie Wladimir Arsenjew oder Juri Pukinski beschrieben; letzterer hat seiner Suche nach dem Riesenfischuhu ebenfalls ein eigenes Buch gewidmet. Solche Berichte wurden vor allem, aber nicht nur in der DDR gelesen.
Auch Slaghts Buch kann man inzwischen als zeithistorisches Dokument verstehen. Es schildert die Lage für Forschende und Naturschützer vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Frühjahr 2022. In der Zwischenzeit hat sich die Situation für internationale Naturschutzorganisationen in Russland drastisch verändert. So gelten zum Beispiel WWF, Greenpeace oder die norwegische Umweltorganisation Bellona inzwischen als „unerwünscht“ – sie dürfen de facto nicht mehr im Land aktiv sein. Was das für den Schutz und die weitere Erforschung von Riesenfischuhus und andere bedrohte Arten der Region wie die Amurtiger bedeutet, wird die Zukunft zeigen.
Jonathan S. Slaght „Die Eulen des östlichen Eises – Die Suche nach der größten Eule der Welt und ihre Rettung“ Naturkunden, Matthes & Seitz 2023. Übersetzt von Sigrid Ruschmeier. 325 Seiten. Gebunden 42 Euro, als Ebook 31, 99 Euro.
Die Ostatlantische Vogelzugroute
Tipp von Thomas Krumenacker
Er ist einer der wichtigsten Vogelzug-Korridore weltweit – und doch weitgehend unbekannt. Ein gerade erschienenes Buch über den Ostatlantischen Vogelzugweg will das ändern. Das Wattenmeer kennt jeder. Dass diese grandiose Oase der Natur aber nur einer, wenn auch ein zentraler, Trittstein in einem erdumspannenden System aus Vogelzug-Korridoren ist, wissen die wenigsten. Dabei wird die internationale, ja globale Bedeutung des Wattenmeers für wandernde Vogelarten erst verständlich, wenn man das große Bild betrachtet. Den Versuch, dieses Big Picture zu zeichnen, unternimmt Peter Prokosch mit dem von ihm herausgegebenen Buch „Die Ostatlantische Vogelzugroute“.
Der Wissenschaftler und langjährige Naturschützer hat darin so gut wie alle maßgeblichen Akteure im Ringen um den Schutz der wichtigsten Gebiete entlang des Vogelzug-Korridors versammelt, der sich über mehr als 10.000 Kilometer von der Arktis bis in das südliche Afrika erstreckt. Er selbst und seine Kolleginnen und Kollegen gewähren aus erster Hand Einblicke in ihre langjährige Arbeit, die vom politischen Kampf für mehr Gebietsschutz bis zur praktischen Forschung an einzelnen Vogelarten reicht. Leserinnen und Leser erfahren bei der Lektüre viel über die wichtigsten Feuchtgebiete zwischen Sibirien und Afrika und die gefiederten Schätze darin. Das Buch liefert Einblicke in die Erfolge und Probleme des Zugvogelschutzes in Deutschland und weltweit, benennt die künftigen Herausforderungen und vermittelt nicht zuletzt den aktuellen Stand der Wissenschaft zur Forschung an Schlüsselarten für das Watt-Ökosystem wie Ringelgans, Knutt, Pfuhlschnepfe und Löffelstrandläufer.
Das Buch ist Familienalbum, Chronik und Enzyklopädie zugleich
„Die Ostatlantische Vogelzugroute“ ist Familienalbum, Chronik und Enzyklopädie zu allem, was die Erforschung und den Schutz eines der bedeutsamsten und zugleich unbekanntesten Großlebensräume auf unserem Planeten betrifft, in einem. Diese Spannbreite ist zum größeren Teil die Stärke des Werks, zu einem geringeren aber auch eine Schwäche. Die in vielen Beiträgen zelebrierte Liebe zum anekdotischen Detail ist aufgrund der engen biografischen Verbindung des Herausgebers mit seinem Herzensthema verständlich, wirkt bisweilen aber ausschweifend. Unterm Strich ist Prokosch ein wichtiges und sehr lesenswertes Buch gelungen, das hilft, vielen Menschen die kaum zu überschätzende ökologische Bedeutung von Lebensräumen wie dem Wattenmeer deutlich zu machen. Damit leisten Prokosch und seine Ko-Autorinnen und Autoren auch einen Beitrag dazu, dass von ihnen so geliebte Naturwunder des Vogelzugs auch im Anthropozän überleben kann.
Peter Prokosch (Hrsg.) „Die Ostatlantische Vogelzugroute. Spannende Einblicke in die Zugstrategien und den Schutz von Küstenvögeln“ Aula Verlag 2023, gebunden, 232 S. mit 424 farbigen Abbildungen. 24, 95 Euro.