Abgelaufene Medikamente in der Haus-Apotheke: Wegwerfen oder weiter benutzen?

Angeblich sind Arzneimittel nach dem Verfalldatum oft noch gut, doch verlassen kann man sich darauf nicht: Was man zur Haltbarkeit von Medikamenten wissen muss

vom Recherche-Kollektiv Plan G:
6 Minuten
Vor einem blauen Hintergrund sieht man einen ausgestreckten Arm, der Tablettenpackungen in einen Mülleimer wirft.

Endlich mal die Hausapotheke ausmisten: Wer diesen guten Vorsatz umsetzt, stößt häufig auf Fragen. Auf den Kopfschmerztabletten steht als Haltbarkeitsdatum Januar 2023 – kann ich die trotzdem noch nehmen? Nudeln halten schließlich auch oft länger, als auf der Packung steht. Was ist mit den Augentropfen und dem Nasenspray, von denen nur wenig verbraucht ist – ist es sinnvoll, die noch aufzuheben? Wäre ja sonst Verschwendung. Und falls man sich doch für Entsorgen entscheidet: Wie werde ich alte Medikamente los?

Die Antworten auf diese Fragen sind manchmal nicht so leicht zu finden. Und manchmal sollte man Arzneimittel sogar schon vor dem angegebenen Datum entsorgen. Wie lässt sich herausfinden, was geht und was nicht?

Warum sind Medikamente nicht unbegrenzt haltbar?

Viele Arzneistoffe sind chemisch nur für eine bestimmte Zeit stabil. Danach baut sich der Wirkstoff nach und nach ab. Das beeinträchtigt die Wirksamkeit, aber es können in manchen Fällen auch gesundheitsschädliche Abbauprodukte entstehen. Wie schnell das passiert, kann je nach Wirkstoff und Darreichungsform, also Tablette, Kapsel, Creme oder Lösung, sehr unterschiedlich sein.

Was das für ein bestimmtes Medikament bedeutet, muss der Anbieter für die Zulassung unter definierten Bedingungen für einen bestimmten Zeitraum untersuchen und auf dieser Basis ein plausibles Verfalldatum festlegen. Oft genehmigt die Behörde dabei nur eine maximale Zeit von fünf Jahren nach Produktion. Begründet wird das oft damit, dass sich in solchen Zeiträumen oft auch die Produktinformationen ändern und man verhindern will, dass Packungen mit stark veralteten Beipackzetteln im Umlauf sind. Allerdings ist der Anbieter auch nicht verpflichtet, die Haltbarkeit über einen längeren Zeitraum zu testen. Bis zum Verfalldatum muss der Hersteller die Garantie für die Qualität des Arzneimittels übernehmen – danach darf das Arzneimittel nicht mehr verkauft werden.

Zwischen Herstellung und Verbrauch vergeht oft ein längerer Zeitraum. Aus technischen Gründen lässt sich die Stabilität nicht für alle Arzneimitteln in der Form garantieren, in der Patient:innen sie anwenden. Deshalb müssen manche Medikamente erst unmittelbar vor der Anwendung fertig zubereitet werden. Eltern kennen vermutlich die Besonderheiten bei einigen Antibiotika-Säften für Kinder: Die Flasche enthält ein Granulat, das relativ stabil ist. Vor dem Gebrauch müssen die Eltern dieses Granulat noch mit Wasser auflösen, damit der fertige Saft entsteht. Und der ist dann nur für eine kurze Zeit, oft wenige Tage oder Wochen, haltbar.

Stabilität kann auch bei Cremes und Salben mit bestimmten Wirkstoff-Kombinationen ein Problem sein. Deshalb gibt es solche Präparate nicht als fertiges Arzneimittel, sondern sie werden erst bei Bedarf in der Apotheke angefertigt. Auch hier ist ein Verfalldatum auf dem Etikett angegeben, es liegt meist bei wenigen Wochen.

Sind Arzneimittel doch länger stabil als gedacht?

Immer wieder kursieren Meldungen, dass viele Arzneimittel in Wirklichkeit viel länger haltbar sind, als auf der Packung steht. Dazu gibt es tatsächlich inzwischen einige Untersuchungen, in den USA sogar ein regierungseigenes Forschungsprogramm, das sich mit dieser Frage beschäftigt. Relevant ist das vor allem für Behörden und Einrichtungen, die größere Mengen an Medikamenten über einen längeren Zeitraum vorrätig halten müssen: sei es für den regulären Bedarf in Krankenhäusern oder beim Militär oder für den Katastrophenschutz. Viele Arzneimittel unnötig zu entsorgen und neu zu beschaffen, wäre hier nicht nur aufwändig, sondern auch mit enormen Kosten verbunden.

Die Ergebnisse von Tests deuten darauf hin, dass einige Medikamente tatsächlich deutlich länger haltbar sind als angegeben, teilweise bis zu mehreren Jahrzehnten: So war bei Injektionslösungen mit dem starken Schmerzmittel Morphin in Ampullen auch nach 25 Jahren noch kein Wirkstoffverlust festzustellen. Allerdings wurden die Arzneimittel bei den Tests in der Regel unter kontrollierten Bedingungen hinsichtlich Temperatur und Luftfeuchtigkeit gelagert. Auf die typische Hausapotheke lassen sich diese Ergebnisse also nicht ohne Weiteres übertragen.

In einigen Fällen haben Zulassungsbehörden in den vergangenen Jahren die Haltbarkeit bestimmter Arzneimittel verlängert, etwa bei dem Covid-Medikament Paxlovid und Corona-Impfstoffen. Weil bei diesen Mitteln pandemiebedingt bei der Zulassung noch keine jahrelangen Stabilitätsdaten vorlagen, war zunächst nur eine kürzere Haltbarkeit angegeben. Als die Anbieter entsprechende Daten nachlieferten, genehmigten die Behörden ein späteres Verfalldatum. Im Fall von Adrenalin-Injektoren gegen allergischen Schock waren Lieferengpässe der Auslöser für weitere Untersuchungen bei bereits produzierten Injektoren. In chemischen Analysen zeigte sich, dass der Wirkstoff noch weitere vier Monate über das Verfalldatum hinaus stabil war und Betroffene das Medikament bis zu diesem Zeitpunkt weiterverwenden können.

Warum sind manche Medikamente nach dem Öffnen nur kurz verwendbar?

Das auf der Packung angegebene Haltbarkeitsdatum bezieht sich auf eine ungeöffnete Packung. Tabletten und Kapseln sind in Durchdrückpackungen einzeln verpackt, deshalb gilt das angegebene Datum. Anders sieht es dagegen bei Medikamenten aus, bei denen mehrere Anwendungsportionen in einem Behälter sind, etwa bei Salben, Säften, Augentropfen oder Nasensprays. Hier findet sich im Beipackzettel ein Hinweis, wie lange das Arzneimittel nach Anbruch haltbar ist.

Hintergrund ist meist, dass sich in Medikamenten mit einem hohen Wasseranteil Krankheitserreger vermehren und unter Umständen zu Infektionen führen können. Besonders kurz haltbar sind Augentropfen: Die Tropfen aus Vorratsbehältern dürfen in der Regel höchstens vier Wochen lang verwendet werden. Augentropfen in Einmalbehältern, die keine Konservierungsstoffe enthalten, sollte man innerhalb von 24 Stunden nach dem Öffnen verbrauchen. Der Grund: Das Auge kann sich nur schlecht gegen Krankheitskeime wehren, und eine Infektion kann schwerwiegende Folgen haben.

Tipp: Bei Arzneimitteln mit begrenzten Aufbrauchfristen das Datum des Anbruchs auf die Packung schreiben. Dann lässt sich beim Aufräumen der Hausapotheke auf einen Blick erkennen, ob das Mittel noch verwendbar ist.

Welche Rolle spielt die Lagerung?

Die Stabilitätsuntersuchungen des Anbieters beziehen sich immer auf bestimmte Lagerungsbedingungen. Dazu finden sich auf der Packung und im Beipackzettel Hinweise: So müssen einige Arzneimittel wie etwa Insulin im Kühlschrank aufbewahrt werden, damit sie nicht vorzeitig verderben. Gleichzeitig muss man aber darauf achten, dass sie nicht einfrieren, etwa bei Kontakt mit der Rückwand des Kühlschranks. Das würde den Wirkstoff ebenfalls zerstören. Ein guter Platz für Medikamente, die im Kühlschrank gelagert werden müssen, ist das Gemüsefach.

Wenn Medikamente bei Raumtemperatur gelagert werden können, ist es in Küche oder Bad meistens zu warm und zu feucht. Das kann dazu führen, dass die Haltbarkeit leidet. Oft ist deshalb das Schlafzimmer oder der Flur besser geeignet, um Arzneimittel aufzubewahren. Sinnvoll ist es zudem, Flaschen und Durchdrückpackungen in der Schachtel aufzuheben: Das hilft nicht nur, das Mittel mit dem zugehörigen Beipackzettel bei Bedarf rasch zu finden, sondern schützt auch lichtempfindliche Arzneistoffe.

Sehr hohe Temperaturen oder direkte Sonneneinstrahlung können den Verfall ebenfalls beschleunigen. Deshalb sollte man Arzneimittel speziell im Sommer auch nicht im Auto liegen lassen, besonders nicht im Handschuhfach. Wer mit Medikamenten auf Reisen geht, sollte sich vorher informieren, was dabei zu beachten ist.

Wie entsorgt man Arzneimittel richtig?

Medikamente nach dem Verfalldatum oder nach der Aufbrauchfrist weiterzuverwenden, ist also keine gute Idee. Denn anders als bei Lebensmitteln mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum lässt sich in der Regel bei Arzneimitteln nicht einfach feststellen, ob sie sie noch gut sind.

Umgekehrt gilt: Wenn sich ein Arzneimittel sichtbar verändert hat, sollte man es nicht mehr verwenden – auch wenn das Verfallsdatum noch nicht erreicht ist. Dazu gehören etwa Verfärbungen oder Risse bei Tabletten, Ausflockungen in Säften oder wenn sich eine Creme oder Salbe in ihre Bestandteile zerlegt hat. Auch Geruchsveränderungen oder Aufquellen bei Brausetabletten sind ein Warnhinweis. Am besten ist es, Medikamentenmüll durch gute Lagerung zu vermeiden und die Hausapotheke nur mit denjenigen Arzneimitteln in einer vernünftigen Menge zu bestücken, die man tatsächlich braucht.

Wenn man dann doch Mittel entsorgen muss, ist das an vielen Orten über den Hausmüll möglich. Denn der wird in den meisten Kommunen inzwischen verbrannt. Hinweise dazu gibt es bei den kommunalen Müllentsorgern oder unter www.arzneimittelentsorgung.de. Umkarton und Beipackzettel kommen dann in die Papiertonne, das Arzneimittel inklusive Durchdrückpackung oder Behälter in die schwarze Tonne. Allerdings sollte man darauf achten, dass Kinder und Haustiere keinen Zugriff auf den Müll haben. Das ist besonders wichtig bei Betäubungsmitteln wie starken Schmerzmitteln, die nur mit einem gelben Rezept zu bekommen sind. Wenn die Entsorgung über den Hausmüll nicht möglich ist, lassen sich Medikamente oft bei mobilen Schadstoff-Sammelstellen oder im kommunalen Recyclinghof abgeben. Apotheken sind nicht verpflichtet, abgelaufene Arzneimittel anzunehmen, machen es aber manchmal auf freiwilliger Basis.

Tabu ist in jedem Fall die Entsorgung über Toilette oder Spüle, auch für flüssige Arzneimittel: Denn dann können Arzneistoffe ins Grundwasser gelangen. Besondere Entsorgungs-Regeln gelten bei einigen Krebsmedikamenten – hier hilft ein Blick in den Beipackzettel oder eine Nachfrage in der Apotheke.

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