Covid-19-Studie: Warum manche Menschen resistent gegenüber dem Coronavirus sind
US-Forscherinnen und Forscher entdecken eine Genvariante, die unempfindlich macht gegenüber Sars-CoV-2. Die Studienergebnisse helfen bei der Entwicklung von Impfstoffen, die vor vielen Coronavirus-Varianten schützen sollen.
Einige traf es schwer, andere waren nur leicht verschnupft und wieder andere hatten trotz positivem Testergebnis überhaupt keine Covid-19-Symptome – sicher fallen jedem sofort Personen im eigenen Umfeld ein, denen es während der Corona-Pandemie so oder so ergangen ist.
Studien bestätigen die subjektiven eigenen Erfahrungen: Rund 20 Prozent aller Menschen zeigten trotz einer nachgewiesenen Ansteckung mit Sars-CoV-2 keine Symptome. Ihnen kann das Virus offenbar nichts anhaben. Doch woher kommt das?
Zumindest ein Teil von ihnen verdankt diesen Schutz offenbar seinen HLA-Genen. Das ist eine Gruppe von individuell sehr unterschiedlich ausgeprägten Erbanlagen, die jeder Körperzelle eines Organismus ihr „Gesicht verleihen“ und anhand derer das Immunsystem eigene von fremden Zellen unterscheiden kann. Die Genvariante HLA-B*15:01, die etwa jeder zehnte Europäer trägt, schützt offenbar davor, dass sich Sars-CoV-2 im Körper ausbreiten und Symptome auslösen kann. Das hat die Medizinerin Jill Hollenbach jetzt zusammen mit anderen Forschenden der University of California herausbekommen und ihre Ergebnisse im Fachblatt „Nature“ präsentiert.
Covid-19 hat viele Gesichter
Covid-19 ist eine Infektionskrankheit, die ein breites Spektrum an akuten und chronischen Symptomen auslösen kann. Viele Infizierte erholen sich nach der akuten Krankheitsphase rasch, andere haben monate- oder gar jahrelang mit Spätfolgen, Post Covid, zu tun. Schon gleich zu Beginn der Pandemie versuchten Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen herauszufinden, warum manche schwer und andere nur leicht erkranken. Es gab zum Beispiel Hinweise, dass die Blutgruppe eine Rolle spielen könne. Auch die individuell unterschiedlich ausgeprägte Ausschüttung immunologisch wichtiger Botenstoffe, wie Interferon, beeinflusste den jeweiligen Krankheitsverlauf.
Warum einige Menschen überhaupt nichts von einer Ansteckung bemerken, ist gar nicht so einfach zu erforschen. Denn gerade diese Personen suchen sich keine medizinische Unterstützung, weil es ihnen gut geht, sind also zu Studienzwecken nur schwer zu fassen.
Knochenmarkspende-Register macht Corona-Datenanalyse möglich
Jill Hollenbach und ihr US-Team haben für dieses Problem eine elegante Lösung gefunden: Sie setzten sich bereits im Juli 2020 mit Personen in Kontakt, die im Knochenmark-Spende-Register Be the Match erfasst waren. 30.000 davon, alle mit europäischen Wurzeln, erklärten sich bereit, bei der Studie mitzumachen: Mit Hilfe einer Handy-App sollten die Teilnehmenden, die zu dem Zeitpunkt noch nicht geimpft waren, positive Ergebnisse von Corona-Tests melden und parallel angeben, ob und wenn ja, welche Symptome sie nach einer Ansteckung mit dem Virus bekamen.
Insgesamt erkrankten rund 1400 der Teilnehmenden trotz eines positiven Corona-Tests nicht. Sie infizierten sich, aber zeigten keinerlei Symptome. Das Forscherteam verknüpfte anschließend, die im Spende-Register hinterlegten genetischen Daten mit dem über die App gemeldeten Verlauf der Corona-Infektion. Personen mit der Genvariante HLA-B*15:01 machten, so die Datenanalyse, auffällig häufig einen symptomlosen Verlauf durch. War diese Genvariante in einfacher Ausführung – als Allel der jeweils doppelt vorhandenen Chromosomenabschnitte – vorhanden, stieg die Wahrscheinlichkeit für einen völlig unbeschwerten Infektionsverlauf um den Faktor zwei; war sie in doppelter Ausführung vorhanden, sogar um den Faktor acht.
Doch wie hängt diese Genvariante mit der Virusinfektion zusammen, was ist das HLA-B*-Gen überhaupt?
HLA-Moleküle präsentieren den Immunzellen Bruchstückchen von Proteinen
HLA steht für „Humanes Leukozyten Antigen“. Jede menschliche Zelle trägt HLA-Moleküle auf der Oberfläche. Sie sind individuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Die HLA-Antigene auf einem Gewebe entscheiden zum Beispiel auch darüber, ob ein Organ bei einer Transplantation angenommen oder von der Immunabwehr als fremd erkannt und abgestoßen wird. Je ähnlicher sich Spender und Empfänger in ihren HLA-Genen sind, desto wahrscheinlicher ist der Transplantationserfolg.
Warum sich eine bestimmte HLA-Variante bei einer Corona-Infektion als vorteilhaft erweisen kann, erklärt sich durch die Arbeitsweise der Immunzellen. HLA-Moleküle auf der Zelloberfläche kann man sich wie winzige Bilderrahmen vorstellen. Die Zelle zeigt über diese Bilderrahmen permanent, was in der Zelle vorgeht. Dafür baut sie winzige Proteinbruchstücke, so genannte Peptide, in die Rahmen ein und zeigt sie an der Zelloberfläche. Normalerweise sollten in diesen Bilderrahmen Strukturen gezeigt werden, die zum eigenen Organismus gehören. Immunzellen scannen körpereigene Zellen und deren HLA-Bilderrahmen mit Inhalt beständig ab. Sie bleiben ruhig, wenn die Rahmen körpereigene Molekülstrukturen präsentieren. Sie werden aktiv, wenn sich im Rahmen fremde Proteinstückchen zeigen. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn eine Zelle mit einem Virus infiziert ist.
Da die HLA-Rahmen bei Menschen sehr unterschiedlich gestaltet sind, können sie ihren Immunzellen die Molekülstückchen unterschiedlich gut präsentieren. In dem einen Bilderrahmen liegen die einen Molekülstückchen besser, in dem anderen Rahmen sind es andere.
Jill Hollenbach und ihre MitstreiterInnen fanden heraus, welche Corona-Stückchen besonders gut im HLA-B*15:01-Rahmen präsentiert werden können. Eines davon ist das aus neun Aminosäure-Bauteilen bestehende Epitop NQKLIANQF – die Buchstaben stehen für verschiedene Aminosäuren. Es ist fast identisch mit dem Proteinschnipsel NQKLIANAF. Allerdings gehört das zuletzt genannte Epitop nicht zu Sars-CoV-2, sondern zu einem saisonalen Coronavirus. Einem recht harmlosen Erkältungsvirus, das uns Menschen schon seit vielen Jahren beschäftigt und mit dem wir uns seit unserer Kindheit besonders in der kalten Jahreszeit immer mal wieder anstecken.
Personen mit HLA-B*15:01 Genvariante sind im Vorteil
Offenbar haben die Menschen mit HLA-B*15:01 aus vorherigen Kontakten mit diesem saisonalen Coronavirus einen deutlichen Vorteil bei der Erstbegegnung mit Sars-CoV-2. Wegen der besonderen molekularen Ausgestaltung ihrer HLA-Bilderrahmen, konnte sich der Schnipsel des alten Coronavirus, der fast identisch auch bei Sars-CoV-2 auftaucht, besonders gut halten. Die Folge: Diese Personen haben eine gute Immunantwort und auch ein immunologisches Gedächtnis gegenüber dem Proteinschnipsel des saisonalen Coronavirus ausgebildet. Da dieser Schnipsel einem Bauteil des Sars-CoV-2 so sehr ähnelt, standen die Gedächtniszellen bereits zur Verfügung, als die Person dem Pandemie-Virus zum ersten Mal begegnete. Diese, Fachleute nennen sie „kreuzreagierende“, T-Gedächtniszellen waren es wohl, die einige der 1400 Teilnehmenden vor Corona-Symptomen bewahrten. Weil nach dem Kontakt zum Virus sofort eine ganze Horde an tatkräftigen T-Zellen bereitstand, konnte sich Sars-CoV-2 gar nicht erst im Körper ausbreiten, kaum Zellen schädigen, keine Symptome verursachen – obwohl das Immunsystem Sars-CoV-2 nie vorher „gesehen“ hatte.
Bedeutsame Studie, um breit wirksame Impfstoffe zu entwickeln
Eric Topol, US-amerikanischer Mediziner und Covid-19-Experte, schätzt die aktuelle Arbeit als bahnbrechend ein. Die Ermittlung der Kreuzreaktivität der T-Zellen und deren Schutzwirkung vor Covid-Symptomen liefere eine gute Grundlage für die Entwicklung von Impfstoffen, die vor möglichst vielen verschiedenen Corona-Varianten schützen sollen.
Ungefähr zehn Prozent alle Menschen mit europäischen Wurzeln tragen das HLA-B*15:01-Gen in sich. Infektionen mit Corona-Erkältungsviren machen 15 bis 30 Prozent aller Atemwegsinfekte in jedem Jahr aus. „Wenn du bereits eine Armee hast, die den Feind früh erkennt, ist das ein Riesenvorteil“, erklärt Jill Hollenbach in einer Pressemitteilung der University of California. Allerdings erkläre das Studienergebnis nur einen Teil der symptomfreien Covid-Verkäufe. Neben diesem müsse es noch weitere, wahrscheinlich genetische Faktoren geben, die darüber entscheiden, warum der eine besser mit dem Virus fertig wird als der andere. Das Team will jetzt seine Forschung auf andere ethnische Gruppen ausdehnen.