Der Kampf um den Platz in der CRISPR-Geschichte
3# | Der Artikel eines der wichtigsten Genforscher der letzten Jahrzehnte war detailreich, hintergründig und versprach die Vorgeschichte zum Hype um die Gen-Schere CRISPR/Cas9 zu erzählen. Doch er wurde zum Startpunkt einer weiteren Kontroverse im Hype um CRISPR/Cas9. Der Kampf um die Plätze in den Geschichtsbüchern hatte begonnen – und brachte mich auf die Idee zur Serie #CRISPRhistory.
Auch als Wissenschaftsjournalist hat man so seine Routinen. Eine ist der tägliche Blick durch die Landschaft der aktuellsten Forschungsartikel, die einen per E-Mail, Newsletter, RSS-Feed oder Webseiten für Pressemitteilungen erreichen. Im Januar 2016 blieb ich eines Morgens am Titel eines Fachartikels im Journal Cell hängen, gleich wegen zweier Schlagworte: Das eine war CRISPR.
Ich hatte in den neunziger Jahren Verhaltensforschung an Tieren studiert und war zum klassischen Freilandbiologen ausgebildet worden. Die sterile Welt der Labors hatte ich eher gemieden – und auch deren Themen aus Mikro- und Molekularbiologie. Trotzdem war mir dieses knuddlige Akronym CRISPR in den letzten Jahren nicht entgangen. Wenn je eine Bezeichnung wie „heißer Scheiß“ für etwas in der Biologie gepasst hatte, dann für dieses Ding aus den Biolaboren der Welt: CRISPR/Cas9.
Was die Buchstaben und die Neun von CRISPR/Cas9 bedeuten, erfährst Du in der Grafik. Einfach mit dem Mauszeiger oder dem Finger auf einen Buchstaben tippen. (Bei Problemen mit der Grafik hilft es, die Seite neu zu laden).
Seit 2012 hatte sich das molekulare Werkzeug zum präzisen Zerschneiden von Erbgut in der Wissenschaft verbreitet. Es hagelte Preise über Preise für dessen Entdeckung und Entwicklung. Dabei standen meist zwei Frauen im Zentrum der Berichterstattung: Jennifer Doudna von der kalifornischen Universität Berkeley und Emmanuelle Charpentier, damals an der Universität von Umeå in Schweden. Sie hatten im Juni 2012 mit ihren Kollegen die Gen-Schere in einem Artikel in Science erstmals vorgestellt. Es gab kaum ein Magazin, das nicht über CRISPR/Cas9 berichtete. Selbst im Hollywood Reporter landete eine Meldung, die CRISPR mit Jennifer Lopez in einem Atemzug nannte.
Ich hatte den CRISPR-Hype eher am Rande mitbekommen, vor allem wegen des putzigen Namens, bei dem ich immer an einen Schokokeksriegel dachte und im Kopf den Spruch der bösen Hexe aus Hänsel und Gretel vorbeiziehen sah: „Knusper, Knusper Knäuschen, wer knuspert an meinem Häuschen“. Ich wusste nicht mal, für was die Buchstabenfolge CRISPR überhaupt stand. Aber eines merkte ich schnell: Wer sich auch nur ein bisschen für Biowissenschaften interessierte, der kam an CRISPR/Cas9 nicht mehr vorbei. Ende 2015 hatte Science die Gen-Schere zum wissenschaftlichen „Durchbruch des Jahres“ gekürt, nachdem das Werkzeug die beiden Jahre zuvor jeweils Platz zwei belegt hatte.
HeldInnen der Wissenschaft
Das zweite Wort, das mich neben CRISPR im Titel des Fachartikels in Cell neugierig machte, war: Heroes – Helden. Ich konnte mich nicht erinnern, es jemals im Titel eines Artikels in einem naturwissenschaftlichen Fachmagazin gelesen zu haben. In journalistischen Beiträgen schon eher. Das heroische Zeitalter der Wissenschaft aber war lange vorbei, damals, als Wissenschaftler jahrelang auf Forschungsreisen in völlig unbekannte Gebiete vorstießen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hatte, oder in lebensgefährlichem Einsatz Selbstversuche durchzogen. Wissenschaft an sich ist heutzutage eine eher unspektakuläre Veranstaltung. Heroisches Verhalten? Vielleicht im Kampf mit der Verwaltung?! Der Begriff Heroes im Titel des Artikels erschien mir geradezu absurd, zumal im Zusammenhang mit einem molekularen Werkzeug aus der Laborbiologie. Wie auch immer: Der Titel lautete „The Heroes of CRISPR“ und er hatte mich doppelt neugierig gemacht. Ich klickte mich auf die Webseite von Cell durch und lud mir das PDF des Artikels runter (PDF Download, Artikel online seit 14.1.2016).
Wie ich schon vermutet hatte, versteckte sich dahinter kein aktuelles Forschungsergebnis, das in wenigen Tagen in den Gazetten dieser Welt verbreitet werden müsste. Es war ein Essay in der Rubrik „Leading Edge Perspectives“ von Eric Lander. Der Name kam mir bekannt vor, ohne dass ich wirklich wusste, wer er war. Sein Artikel packte mich aber direkt, denn er machte das, was in einem Hype wie dem um CRISPR immer wieder gut tut: Einen Schritt zurücktreten und versuchen, das ganze Bild, die Zusammenhänge zu erkennen. Im Zusammenhang mit CRISPR bedeutete das, einfach mal zu erzählen, woher dieses „knusprige“ Ding eigentlich kam.
Eric Lander ist nicht irgendwer. Er ist eines der Alpha-Tiere der internationalen Genomforschung, der maßgeblich an der Entschlüsselung des menschlichen Erbguts beteiligt war. Als 2001 ein erster Entwurf des humanen Genoms in Science und Nature veröffentlicht wurde, stand Landers Name an allererster Stelle des Nature-Artikels, der immerhin 243 Autoren hatte. Er war zeitweise einer der meistzitierten Wissenschaftler der Welt. Von ihm sollte man eine profunde Geschichte von CRISPR erwarten können.
Lander spannt auf zehn Seiten den Bogen von der ersten Entdeckung einer biologischen Auffälligkeit im Erbgut von Bakterien über die Zeiten der Unklarheiten und Fragen zu dessen Funktion bis zu dem Punkt, als aus der Entdeckung die Entwicklung eines molekularbiologischen Werkzeugs – einer Gen-Schere – wurde, die billig, präzise und einfach einzusetzen war. Vor allem erzählt Lander auf fast prosaische Art und Weise die Geschichten der Personen, die an dieser wissenschaftlichen Entdeckung beteiligt waren; ihre Hintergründe, ihre Probleme, ihre Erfolge. Eines macht der Text nur allzu klar: Auch wenn die Presse vor allem über zwei, drei Personen berichtete, wenn es um CRISPR ging, waren es doch eine ganze Menge mehr ForscherInnen aus unterschiedlichsten Wissenschaftszweigen, die in der ein oder andern Form daran beteiligt waren. Und sie waren nicht nur in zwei, sondern in vielen Ländern der nördlichen Hemisphäre tätig.
Das fand ich spannend.
Überrascht war ich indes, dass der Autor des Artikels die Abschnitte über Doudna und Charpentier, die üblicherweise im Zentrum der Berichterstattung stehen, eher kurz und wenig spektakulär hielt. Hätte ich nur diesen einen Text über CRISPR gelesen, ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass die beiden eine so zentrale Rolle in dieser Geschichte spielen.
Alles in allem fand ich Landers Zeitreise einen lesenswerten, wissenschaftshistorischen Bericht, der es schaffte, CRISPR aus der Vogelperspektive zu betrachten. Er hatte mich neugierig gemacht, weil er half, die Fragen zu beantworten, die ich mir jenseits vom Tagesgeschäft und mit zunehmendem Alter immer häufiger stellte: Wo kommt etwas her in der Wissenschaft? Was war der Pfad zu einer Entdeckung oder einer Entwicklung? Welche Zufälle und welche Absichten steckten dahinter. Wissenschaftliche Entdeckungen und Ergebnisse können spannend sein. Aber der Weg dorthin ist es oft ebenso. Er wird nur viel seltener berichtet. Ich wollte CRISPR im Auge behalten.
Kommentare mit Sprengkraft
Ich hätte das Thema vielleicht wieder aus dem Blick verloren, wenn ich nicht wenig später eine überraschende Entdeckung gemacht hätte, die meine Neugier zusätzlich anfachte. Sie ließ Landers Artikel in einem etwas anderen Licht erscheinen.
In der weltweit größten Datenbank für biomedizinische Fachartikel, in PubMed, war fast zwei Jahrzehnte nach ihrem Online-Start die Moderne ausgebrochen. Es gab auf einmal die Möglichkeit, die frei zugänglichen Zusammenfassungen der Fachartikel und Studien (die Abstracts) direkt mit Kommentaren zu versehen – ganz ähnlich wie es seit Anbeginn bei Blogbeiträgen und seit einigen Jahren auch unter den Artikeln vieler Nachrichtenseiten möglich war. Ich hatte das gar nicht mitbekommen, bis ich durch Zufall auf den Datenbank-Eintrag von Landers „The Heroes of CRISPR“ stieß – und erstaunt zwei Kommentare entdeckte. Und die waren ziemlich brisant.
Der erste war am 17. Januar 2016 spät abends um 22:31 Uhr online gestellt worden, drei Tage nachdem der Artikel von Cell veröffentlicht worden war. Er stammte von Jennifer Doudna. Sie schrieb:
„From Cell editor: „… the author engaged in substantial fact checking directly with the relevant individuals.” However, the description of my lab’s research and our interactions with other investigators is factually incorrect, was not checked by the author and was not agreed to by me prior to publication.“
„Vom Cell-Redakteur: „ … der Autor hat sich im grundlegenden Faktencheck mit den relevanten Personen in Verbindung gesetzt." Allerdings ist die Beschreibung der Forschung meines Labors und unserer Interaktionen mit anderen Forschern sachlich falsch, wurde vom Autor nicht überprüft und wurde vor der Veröffentlichung auch nicht mit mir abgesprochen."
Der zweite Kommentar war zwei Tage später nachmittags um 17:09 von ihrer Kollegin Emmanuelle Charpentier gepostet worden:
„I regret that the description of my and collaborators’ contributions is incomplete and inaccurate. The author did not ask me to check statements regarding me or my lab. I did not see any part of this paper prior to its submission by the author. And the journal did not involve me in the review process.“
„Ich bedauere, dass die Beschreibung meiner und der Beiträge der Mitarbeiter unvollständig und ungenau ist. Der Autor hat mich nicht gebeten, Aussagen über mich oder mein Labor zu überprüfen. Ich habe keinen Teil dieses Papiers gesehen, bevor es vom Autor eingereicht wurde. Und die Zeitschrift hat mich nicht in den Review-Prozess einbezogen.“
Das war ein Hammer. Zwei Protagonistinnen der CRISPR-Forschung warfen Eric Lander öffentlich vor, falsch über ihre Arbeit und damit über ihren Anteil an der CRISPR-Geschichte berichtet zu haben. Plötzlich war aus dem fast zeitlosen wissenschaftshistorischen Bericht ein brandaktuelles, spannendes Thema geworden, das auf Nachrichtenseiten der Wissenschaftsmagazine und Blogs berichtet und diskutiert wurde (vier Beispiel finden sich am Ende des Artikels). Neben möglichen Ungenauigkeiten und Fehlern (auf die er teilweise einging) wurde vor allem ein Vorwurf laut: Autor Eric Lander hatte einen Interessenkonflikt, der im Artikel aber nicht transparent gemacht worden war. Und dieser Interessenkonflikt führte dazu, dass der Bericht aus Sicht der Kritiker eine erhebliche Schieflage hatte. Auf Twitter etablierte sich der Hashtag #Landergate.
Die Brisanz um seinen Bericht entstand vor allem aufgrund einer Tatsache: Er ist Präsident und Gründungsdirektor des renommierten Broad-Instituts, das die Eliteuniversitäten MIT und Harvard in Boston gemeinsam betreiben. Und just dieses Institut an der US-Ostküste befand sich in einer der größten Patentstreitigkeiten der Wissenschaftsgeschichte mit der Universität von Kalifornien in Berkeley an der Westküste der USA. Das ist genau jene Uni, an der CRISPR-Forscherin Jennifer Doudna beschäftigt ist. Und der Streitgegenstand der beiden Institutionen waren ausgerechnet milliardenschwere CRISPR-Patente.
Das Geschmäckle entstand nun dadurch, dass Broad-Präsident Lander nicht nur Doudnas und Charpentiers Arbeit unter Gebühr würdigte (was mir beim ersten Lesen ja auch schon aufgefallen war), sondern ausgerechnet die Arbeit des Broad-Kollegen Feng Zhang weit ausführlicher beschrieb und bedeutender wirken ließ als die Arbeit der Konkurrentinnen von der Ostküste und der anderen Seite des Atlantiks. Zhang und seine Kollegen hatten die Gen-Schere nicht „erfunden“, aber sie als erste bei Zellen von Mensch und Maus eingesetzt, was sie im Januar 2013 in Science berichtet hatten. Trotzdem stellte Lander heraus, dass Zhang sich ja schon seit 2011 mit der Technologie befasst habe, also weit vor Doudnas und Charpentiers-Fachartikel. Diese frühe Beschäftigung hatte sich aber bis zu Landers Artikel nie in einer offiziellen wissenschaftlichen Veröffentlichung niedergeschlagen. Daher könnte es für den Patentstreit durchaus wichtig sein, dass es zumindest im Nachhinein in einem so renommierten Magazin wie Cell zu lesen war, kommentierte Antonio Regalado, Redakteur für biomedizinische Themen bei MIT Technology Review, die Situation.
Es ging indes um mehr als Patente: Es gab handfeste Spekulationen darüber, wessen Leistungen und Beiträge in der CRISPR-Forschung früher oder später mit dem Nobelpreis gewürdigt werden würden. Wer weiß schon, welche Version der „CRISPR-Geschichte“ das Komitee eines Tages zurate ziehen wird, wenn es entscheidet, wessen Beitrag zur Wissenschaft nobelpreiswürdig ist. Die Geschichte wird von den Siegern geschrieben, heißt es. Im Fall von CRISPR schien es zunächst ein mal wichtig zu sein, überhaupt eine Geschichte zu schreiben – um am Ende als Sieger hervorzugehen.
Der Ärger um Eric Landers Geschichtsartikel, den der Berkeley-Biologe und Wissenschaftsblogger Michael Eisen als „Wissenschaftspropaganda der abstoßendsten Art“ bezeichnete, machte für mich eines klar: Obwohl CRISPR/Cas9 noch ein ganz junges Werkzeug der Biologen war, hatte der Streit um die Plätze in den Geschichtsbüchern bereits begonnen. Vielleicht ist es auch ein Beleg dafür, wie bedeutend die Gen-Schere eigentlich ist.
Auch wenn es die Gen-Schere CRISPR/Cas9 erst seit 2012 gibt, wurde die Geschichte vom Beginn der Entdeckung des biologischen Phänomens in Bakterien bis zur Entwicklung des Werkzeugs bereist mehrfach in Fachzeitschriften erzählt – in verschiedenen Ausführungen und von verschiedenen Standpunkten aus.
Landers Geschichtsessay ist zwar der Artikel, der die meisten Wellen geschlagen hat, aber längst nicht der einzige Text zum Thema. Schon zuvor waren Übersichtsartikel zur CRISPR-Geschichte erschienen, ebenso wie danach: von beteiligten CRISPR-Forschern wie unbeteiligten Wissenschaftshistorikern, teils umfassend, teils nur die eigene Forschung beleuchtend. Es gab sogar einen journalistischen Beitrag in Nature in Anlehnung an Landers Text mit dem Titel „The Unsung Heroes of CRISPR“. Der beleuchtete die Rolle der jungen MitarbeiterInnen und DoktorandInnen in dieser Geschichte, die selten im Rampenlicht stehen, obwohl sie oftmals die Erstautoren wichtiger Fachartikel sind und somit die Hauptarbeit auf sich nehmen.
Jennifer Doudna hatte ihre Version der Geschichte 2017 gar in einem Buch beschrieben („A Crack in Creation“). In einem TED-Talk hatte sie schon 2015 ihren Platz in der Geschichte behauptet, indem sie klipp und klar machte, dass sie und ihre Kollegen es waren, die die neue Technik mit Namen CRISPR/Cas9 erfunden hatten, um Gene präzise zu schneiden. Für Antonio Regalado ist das indes eine allzu simple Beschreibung der Historie. Schnippisch ergänzt er: „Die Wahrheit ist, (…), die Ehre kommt den Bakterien zu. Sie haben die Technik zuerst erfunden.“
All das machte für mich die Story um CRISPR/Cas9 nur noch spannender. Ich bin Wissenschaftsjournalist. Und als solcher immer auf der Suche nach erzählenswerten Geschichten, die auch illustrieren, wie Wissenschaft funktioniert. So kristallisierte sich irgendwann ganz natürlich der eine Gedanke heraus: Ich recherchiere den Werdegang von CRISPR/Cas9 einfach selbst und erzähle Euch meine Version der #CRISPRhistory – so unabhängig wie möglich, ohne Verstrickungen in Patentstreitigkeiten, Forschungsinteressen oder Nobelpreiserwartungen.
Zum Weiterlesen:
A Whig History of CRISPR, Nathaniel Comfort, Genotopia, 18.1.2016
“Heroes of CRISPR” Disputed, Tracey Vence, The Scientist, 19.1. 2016,
Why Eric Lander morphed from science god to punching bag, Sharon Begley, STAT, 25. 1 . 2016
The Villain of CRISPR, Michael Eisen, it is NOT junk, 25.1.2016
Dies ist ein kostenloser Beitrag der Serie #CRISPRCas9 – Die Biografie der revolutionären Gen-Schere CRISPR/Cas9 von Marcus Anhäuser. Verpasse keine Folge und abonniere den Newsletter oder verfolgeTwitter, FacebookundInstagram. Die Einführungsartikel werden gratis sein. Die Hauptartikel der Story wird es dann später für die geben, die bereit sind, einmalig 4,99 Euro zu zahlen (über den Kaufbutton unten rechts in der Leiste). #CRISPRhistory ist wie ein Buch: Du zahlst einmal und bekommst die ganze Geschichte.
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