Von der Gesichts- zur Fischerkennung – eine Chance für den Meeresschutz?
Können sich die Fischbestände mit Hilfe von KI-Erkennungssystemen erholen? Wissenschaftler vermuten das, doch die Fischereiwirtschaft winkt ab.
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Sich zu verstecken ist in dieser Welt nicht leicht. Schließlich lässt sich mit KI mittlerweile fast alles und jeder aufspüren: Jahrzehntelang gesuchte RAF-Terroristen, seltene Tierarten oder illegal fischende Schiffe etwa. Sollte es da nicht auch möglich sein, unter hundert Heringen einen Dorsch mittels KI zu identifizieren? Oder anders gefragt: Kann KI nicht nur Terroristen, sondern auch Dorsche aus dem Netz fischen?
Forscher wie Christopher Zimmermann sind da zuversichtlich: „Bei Seitenaufnahmen kann die KI inzwischen mit 90-prozentiger Sicherheit die Arten erkennen und die Größe bestimmen“, sagt der Leiter des Instituts für Ostseefischerei am Thünen-Institut.
Auch die Politik setzt inzwischen auf automatische Fischerkennung, um unerwünschte Beifänge und illegale Rückwürfe effektiver zu kontrollieren. Aber ist das Ganze eine reale Chance für die Bestände in der Ostsee und Nordsee oder am Ende doch nur ein technokratischer Wunschtraum?
Ostsee: Zusammenbruch der Bestände
Der Handlungsbedarf ist offensichtlich, wenn man die Zahlen betrachtet, die Rainer Froese vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung präsentiert. Vor allem in der Ostsee: In den letzten Jahren sind die großen Bestände der Hauptfischarten stark zurückgegangen. Der Bestand des Westdorschs in der westlichen Ostsee ist zusammengebrochen, die Heringsbestände gehen zurück.
Damit ist auch die kommerzielle Fischerei in der Ostsee weitgehend am Ende. „Wir haben bei Westhering und Westdorsch nur noch drei Prozent der Fangmengen von 2017“, sagt Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut, das die Fischerei analysiert und die Bundespolitik berät. Er fügt hinzu: „Wenn Sie mich fragen: die Dorschbestände der Ostsee werden sich in meiner Lebenszeit nicht mehr erholen.“
Dass die deutsche Ostseefischerei zum Erliegen gekommen ist, bestätigt auch der Deutsche Fischerei-Verband. Sein Sprecher Claus Ubl sagt gegenüber RiffReporter: „Die fischereiliche Sterblichkeit ist auf einem historisch niedrigen Niveau.“
Will heißen: Die Fischer finden nicht mehr genug Fische. Das liegt an ökologischen Problemen in der Ostsee: an der Erwärmung, der Überdüngung und dem Sauerstoffschwund. Es liegt aber auch an der Überfischung der vergangenen Jahre.
Die Gründe dafür sind bekannt: Nicht nur illegale oder nicht erfasste Fänge waren das Problem, sondern auch die ganz legale Fischerei: Denn die Politik ist bei der Festlegung der Fangquoten häufig deutlich über die wissenschaftlich empfohlene Höchstfangmenge hinausgegangen. Diese war von den Wissenschaftlern als absoluter biologischer Grenzwert – und nicht als sozioökonomische Verhandlungsmasse gedacht.
Hinzu kommt: Fische zählen ist nicht leicht. Die wissenschaftlichen Empfehlungen beruhen auf komplexen Modellen und Berechnungen. Mitunter würden Bestände als „erholt“ eingestuft, obwohl sie weiter geschrumpft waren, kritisiert eine vor kurzem erschienene Studie, die Rainer Froese kommentiert hat. Bekannte Überschätzungen seien nicht in Bestandskorrekturen einbezogen worden.
Diese Kritik teilt das Thünen-Institut nur teilweise. Laut einer Stellungnahme, an der auch Christopher Zimmermann mitgewirkt hat, sei es „seit langem bekannt“, „dass es bei Bestandsberechnungen zu systematischen Über- oder Unterschätzungen“ komme. Der Internationale Rat für Meeresforschung (ICES) habe dazu ein neues Regelwerk entwickelt, das entsprechende Korrekturen bereits vorsehe.
Kann KI gegen unerwünschten Beifang helfen?
Ein großes Problem der Bestandserhebungen sind die unerwünschten Beifänge. Dazu zählen all jene Fische, die im Netz landen, obwohl die Fischer gar keine Quote oder Fangerlaubnis haben, oder die zu klein sind, um sie verkaufen zu können. Laut FAO machen solche Fänge weltweit etwa sieben Prozent aus, ein großer Teil sind Jungtiere. Wie hoch die tatsächlichen Beifangmengen sind und welche Arten gefangen werden, ist aber unklar.
In der EU ist das Zurückwerfen quotierter Arten bis auf wenige Ausnahmen seit 2019 verboten, in Norwegen etwa noch viel länger. „Die Dunkelziffer bei den Beifängen ist oft hoch, weil viele Fische einfach über Bord geworfen werden, ohne dokumentiert zu werden, “ erklärt Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut.
Den EU-Regeln zufolge müssten die Fischer eigentlich alle Fische anlanden - auch wenn sie sie nicht verkaufen dürfen. Um diese Regel zu kontrollieren, könnte eine Videokamera hilfreich sein, die den Inhalt der Netze filmt. Eine KI könnte die Fischarten dabei identifizieren und ihr Gewicht abschätzen.
Bis die KI-Überwachung funktioniert und eingesetzt wird, bleibt aber noch viel zu tun. Die KI muss lernen, Fischarten in allen Größen und Wachstumsstadien korrekt zu identifizieren. „Wir brauchen Trainingsvideos, um der KI zu zeigen, was sie sieht“, sagt Philipp Kanstinger von der Tierschutzorganisation WWF. Dann könne man besser klären: Wie groß sind die Fangmengen? Wie hoch ist der Anteil unerwünschter Beifänge? Wird das Rückwurf-Verbot eingehalten?
Fischerkennung: Rückschläge und Fortschritte
Vor einem Jahrzehnt bereits begann das Thünen-Institut intensiv an der Automatisierung der Fischarten- und Größenerkennung zu arbeiten. Gemeinsam mit der Fachhochschule Kiel und dem Fraunhofer-Institut für grafische Datenverarbeitung startete es dazu ein ambitioniertes Projekt.
„Es war absehbar, dass Computer diese Aufgaben übernehmen können. Aber am Ende des Projekts mussten wir feststellen, dass die Technologie noch nicht ausgereift war“, blickt Thünen-Forscher Christopher Zimmermann auf das Pilotprojekt zurück.
Ein zentrales Problem bestand darin, die Fische so zu vereinzeln, dass die KI sie auf den Videoaufnahmen korrekt erkennen konnte. Das menschliche Auge war 2017 noch deutlich besser darin, zwischen überlappenden Fischen zu unterscheiden. Mittlerweile haben sich die Hintergrundtechnologien weiterentwickelt, sodass Fischarten auch bei teilweiser Überlappung zuverlässig erkannt und gezählt werden können.
Neue Projekte, etwa im Rahmen des Ocean Technology Campus in Rostock, setzen moderne Kamerasysteme und Hochgeschwindigkeitsscanner in Schleppnetzen ein, um Fische zu fotografieren, deren Arten zu bestimmen und durch Längenmessungen das Gewicht zu berechnen. Zimmermann: „Heute wissen wir, dass die Technik dafür weit genug entwickelt ist.“
Derzeit sei die KI „noch in der Wissenschaftsecke, nicht in der Anwendungsecke“, hält Zimmermann fest. Aber er glaubt weiterhin an ihre Zukunft: „Sie ist schneller, zuverlässiger und letztendlich auch kostengünstiger.“ Zwar sei der Markt noch sehr klein, und es gebe nur wenige kommerzielle Anbieter, die sich auf diesen Bereich spezialisiert haben. Wenn sie jedoch eng mit der Wissenschaft kooperierten, könnten sie ihre Risiken in der Entwicklungsarbeit verringern.
Schärfere Kontrollmechanismen für den europäischen Meeresschutz-Aktionsplan
Bevor aber eine KI überhaupt zum Einsatz kommen kann, braucht es Kameras an Bord der Fischereiboote. Obwohl 2015 in der Europäischen Union Vorschriften zur Kontrolle des Rückwurfs erlassen wurden, fehlen auf vielen Schiffen noch immer die notwendigen Kamerasysteme. Zimmermann beobachtet seit Jahren, „dass Schiffe mit Kameras an Bord ein völlig anderes Anlandemuster haben als solche ohne Kameras“. Trotzdem fehlte es lange Zeit am politischen Willen, diese Systeme verpflichtend einzuführen.
Inzwischen werden die rechtlichen Grundlagen geschaffen, um KI-gestützte Fischidentifikation auf Schiffen durchzusetzen. Die Europäische Union will bessere Fischereikontrollen einführen, um ihren Aktionsplan Schutz und Wiederherstellung von Meeresökosystemen für eine nachhaltige und widerstandsfähige Fischerei vom April 2024 umzusetzen. Die Bundesregierung stimmt derzeit den deutschen Fahrplan ab.
Details sind noch nicht bekannt. Ein Sprecher des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft bestätigte RiffReporter jedoch, dass es „künftig vermehrt Kameras an Bord größerer Fischereifahrzeuge“ geben werde. Das könne auch KI-basierte Lösungen umfassen, etwa für das „automatische Erkennen von Fischarten auf dem Sortierband“.
Fischerei lehnt KI-Überwachung ab – „nicht verhältnismäßig“
Die Pläne stoßen auf Widerstand und Kritik: Die Fischereiindustrie sieht keinen Grund für die KI-gestützte Kontrolle. Ihr Argument: Es gäbe kaum noch etwas zu überwachen. Die Fischbestände in der westlichen Ostsee seien historisch niedrig, betont Verbandssprecher Claus Ubl gegenüber RiffReporter und fügt lapidar hinzu: „Es gibt kaum noch Beifänge und entsprechend auch kaum Rückwürfe, die man KI-gestützt überwachen könnte.“ Es bestehe schlicht kein Bedarf.
Die deutsche Fischerei hat scheinbar nur Interesse an einer KI-Erfassung ihrer Fänge, wenn sie in ihrem Sinne effizient wäre. Claus Ubl sagt: „Wenn die KI über ein optisches System das Fanggewicht ermitteln und das Wiegen an Bord überflüssig machen könnte, wären sicher einige Fischer bereit, sie zu nutzen.“
Christopher Zimmermann sieht das etwas anders: „Unerwünschte Fischbeifänge sind in der Ostsee eher nicht das Problem, sondern unerwünschte Beifänge von Seevögeln und Meeressäugern – die könnte man mit Kamerasystemen tatsächlich sinnvoll aufnehmen.“ Er stimmt zu, dass die Kamera-Einführung für die Ostsee zu spät kommen könnte. Aber er widerspricht Ubl dennoch grundsätzlich: „KI als Datenerhebungsinstrument, um die Zusammensetzung des Fangs und die Beifänge zu bestimmen, ist im Grunde eine weltweite Aufgabe“. Für ihn steht fest: „Es wäre ein Riesenfortschritt – wenn nicht in der Ostsee, dann eben in allen anderen Gebieten.“ Die Forschung hier hätte jedenfalls weltweite Wirkung.
Der Kutter der Zukunft
Bei all den Differenzen zwischen Fischereilobby und Wissenschaft könnte aus dem Blick geraten, dass eigentlich beide das gleiche Ziel haben: gesunde, möglichst große Fischbestände. Um diese Gemeinsamkeit zu betonen, den Austausch zwischen beiden Seiten zu verbessern und die Küstenfischer in dieser extremen Krise zu unterstützen, heuert das Thünen-Institut in der Ostsee Fischer als „Sea Ranger“ an.
Sie können für die Forschenden Daten sammeln und im Sommer mit Touristen raus auf die See fahren. Die neue Zusatzausbildung soll ihnen helfen, ihr Einkommen zu sichern und gleichzeitig die Umwelt besser zu schützen. So könnten sie künftig auch für die wissenschaftliche Forschung arbeiten, Fischbestände beobachten, Daten sammeln und so dem Meeres-Ökosystem helfen. Der gefährdete Beruf soll dadurch wieder eine Perspektive erhalten.
„Wir versuchen, eine Referenzflotte zu gründen, die für uns Fische vermisst und Proben nimmt. Sie werden auch Kamerasysteme nutzen, um Beifänge überfischter Arten zu dokumentieren, “ erklärt Zimmermann. Für ihren Aufwand sollen die Fischer entschädigt werden.
Christopher Zimmermann sieht in dem Projekt das Potenzial, wertvolle Daten für die wissenschaftliche Forschung zu liefern und gleichzeitig den Fischern finanzielle Anreize zu bieten. Es könnte die Arbeitsweise der Fischereien verändern und gleichzeitig zur nachhaltigen Nutzung der Meeresressourcen und zum Schutz bedrohter Arten beitragen. Noch steht das Projekt am Anfang, als Zeichen der Hoffnung auf eine neue, andere Fischerei in der Ostsee.
Das Rechercheprojekt „Zukunft Nordsee und Ostsee – wie sich unsere Meere verändern“ wird gefördert von Okeanos – Stiftung für das Meer.