Römische Prophezeiungen: Was uns die Antike über Klimakrise und Pandemien verrät

Das Römische Reich erlebte drei Pandemien – jeweils kurz nach größeren Klimaveränderungen. Diesen zeitlichen Zusammenhang konnte eine Studie jetzt erstmals dokumentieren. Lässt sich daraus etwas für heute lernen?

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
4 Minuten
Eine Landmasse in Form des unteren Teils eines Stiefels umrahmt Meer.

Etwa im Jahr 540 nach Christus brach im Römischen Reich eine Seuche aus, die Justinianische Pest – benannt nach dem oströmischen Kaisers Justinian. Mindestens ein Viertel der Bevölkerung erlag der größten antiken Pandemie Nordwesteuropas. Heute sind sich Historiker:innen anhand von DNA-Analysen recht sicher, dass es sich bei der Seuche um die Beulenpest handelte. Die größte Pandemie war aber nicht die erste im Römischen Reich: Zwischen 165 und 180 nach Christus, während der Antoninischen Pest, waren vermutlich die Pocken unterwegs sowie bei der Cyprianischen Pest zwischen 251 und 266 nach Christus eine Seuche, über deren Erreger bis heute Unklarheit herrscht. Jetzt berichten Forschende des Bremer Zentrums für Marine Umweltwissenschaften (MARUM) im Fachjournal Science Advances, dass diese drei Seuchen eine Gemeinsamkeit hatten: Ihnen gingen starke klimatische Veränderungen unmittelbar voraus.

Was haben die Forschenden untersucht?

Gemeinsam mit Kollegen der University of Oklahoma hat das MARUM-Team im Golf von Tarent, einem Hotspot der Klimakrise, ein hochauflösendes Klimaarchiv erstellt. Für die Zeit von 200 vor Christus bis 600 nach Christus haben die Forscher:innen Temperatur und Niederschlag rekonstruiert, genau genug, dass die einzelnen Messpunkte einen zeitlichen Abstand von nur drei Jahren aufweisen. „Wir haben dort die einmalige Situation, dass sich Sedimente sehr schnell ablagern“, erklärt Karin Zonneveld, Mikropaläontologin am MARUM, wie diese ungewöhnlich hohe zeitliche Auflösung möglich war. Denn wenn Partikel in der Mitte des Mittelmeeres absinken, lagert sich dabei etwa ein Zentimeter Material in 1000 Jahren ab. „Aber wir haben die Sedimente am Ende eines Flussausstroms untersucht“, schildert Zonneveld. „Viele feine Tonpartikelchen bilden dort einen Zentimeter Ablagerungen in nur zehn Jahren. Die haben wir in kleine Scheiben geschnitten.“

Diese Scheiben sind dann wie Seiten eines Buches – nur ohne Seitenzahlen. Sie sind zwar in der richtigen Reihenfolge angeordnet, aber die exakte Position im Buch – bzw. die zugehörige Jahreszahl – lässt sich nicht ablesen. Hier kommt die zweite Besonderheit des Golfs von Tarent ins Spiel. „Es gibt in der Region Vulkane, die immer mal ausbrechen“, erläutert die Forschungsleiterin. „Der Ausbruch des Vesuv, der Pompeji zerstört hat, ist zum Beispiel gut dokumentiert.“ Jeder Vulkan und sogar jeder Ausbruch habe eine typische Zusammensetzung von kleinen Glaspartikeln in der Asche, die der Vulkan ausstößt. Diese Asche lagert sich im Sediment ab, wodurch die entsprechende „Scheibe“ des Sediments genau dem Jahr des Ausbruchs zugeordnet werden kann. Dadurch erhält das „Buch“ einige sichere „Seitenzahlen“, aus denen sich die übrigen Seitenzahlen ableiten lassen.

Wie kann man aus den Sedimenten das Klima ablesen?

An der Oberfläche des Meeres schwimmt Plankton. Wenn es stirbt, sinkt es zu Boden und lagert sich ab. Das Plankton besteht zu großen Teilen aus sehr unterschiedlichen Dinoflagellaten, Einzellern, von denen unterschiedliche Arten unterschiedliche Temperaturen bevorzugen. „Ich erkläre das immer mit Polarbären und Palmbäumen“, sagt Zonneveld. „Wenn du einen fossilierten Eisbären findest, weißt du, es muss dort kalt gewesen sein. Findest du eine versteinerte Palme, war es wohl warm.“ Genauso ist es mit den Dinoflagellaten: Ist das Klima warm, lagern sich vor allem Arten ab, die bei Wärme gut wachsen.

Wie belastbar ist dieses Vorgehen?

„Die Korrelationen sind sehr zuverlässig“, erklärt Zonneveld. Denn in Italien wurde nicht nur das Thermometer erfunden, es wurde auch bereits im 17. Jahrhundert in mehreren Abteien von den Mönchen mehrmals täglich abgelesen. Das Bremer Team konnte daher die aus den Sedimenten ermittelten Temperaturen für die Zeit von 1700 bis heute mit den tatsächlichen Messwerten aus der Region abgleichen und nicht nur sagen, ob es wärmer oder kälter wurde, sondern konkrete Zahlen zuordnen.

Was genau haben die Forschenden herausgefunden?

„Es ging den Römern sehr gut, wenn das Klima relativ warm, feucht und im Wesentlichen stabil war“, berichtet Zonneveld. Die regionale Durchschnittstemperatur der Dreijahreszeiträume schwankte um weniger als ein Grad bis ca. 130 nach Christus. „Dann endete das sogenannte Römische Klimaoptimum und die Temperatur fällt aus der bis dann normalen Varianz raus, es wurde deutlich kälter“, schildert die Forscherin die neuen Erkenntnisse ihrer Studie. 30 Jahre später kommt es zur ersten Pandemie. Auch die darauf folgenden Pandemien ereilen die römische Gesellschaft jeweils mit kurzem zeitlichem Versatz auf einen größeren Temperaturabfall. In nur 600 Jahren wurde Italien drei Grad kälter.

Wie könnte der Zusammenhang zwischen Klima und Pandemien konkret ausgehen haben?

„Als es den Römern gut ging, ging die Bevölkerungsdichte vielerorts gegen das Maximum dessen, was eine Region anhand des verfügbaren Wassers oder der Nahrung ermöglichen kann“, versucht sich Zonneveld an einer möglichen Erklärung. „Führt eine Klimaänderung zu weniger Nahrungsertrag, sind die Menschen schlechter ernährt und ihr Widerstand gegen Krankheiten sinkt.“ Außerdem sitzen Menschen in kalten Zeiten enger beieinander in geschlossenen Räumen – dies begünstigt, dass sich Krankheiten ausbreiten. Nicht zuletzt beeinflusst das Klima, welche Erreger und Überträger in einer Region vorkommen. Diese Klimathese wird von weiteren Forscher:innen als plausibel angesehen.

Was können wir für die Gegenwart lernen?

Die Gesellschaft heute sei zwar eine andere, dennoch resümiert Zonneveld: „Für die Gegenwart können wir lernen, dass sich die Forschung mehr auf die Zusammenhänge zwischen Klimaänderung und Gesundheit, insbesondere Pandemien richten sollte. Auch heute haben wir in vielen Regionen eine sehr hohe Bevölkerungsdichte, weil es aktuell genug Wasser und Nahrung gibt.“ Für Zonneveld ist das Ergebnis der Studie ein „Weckruf“: „Wir sehen in den Aufzeichnungen, dass es nach dem Kälteeinbruch 20 bis 30 Jahre dauert, bis die erste Epidemie da ist. Was wir auch sehen: 2022 und 2023 waren extreme Jahre, aber wir ändern noch nicht so viel an unserem Verhalten, wir bauen nicht plötzlich andere Getreide an. Erst wenn es wirklich kritisch wird, sieht man, dass sich Sachen ändern. Das sind Parallelen, bei denen man aus der Vergangenheit lernen kann.“

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