40 Jahre „Sommerzeit“: Schlaft Leute schlaft – im Kampf gegen Corona
Warum wir gerade angesichts der Corona-Krise ab Sonntag noch mehr als sonst auf guten Schlaf achten sollten. Ein Kommentar zum vierzigsten Jahrestag der „Zeitumstellung“.
Um ein Haar hätten wir es in dieser fürchterlichen Corona-Krise nicht bemerkt: In der Nacht zum Sonntag werden mal wieder die Uhren eine Stunde vorgestellt. Es handelt sich sogar um ein Jubiläum – allerdings um eines, das wir gerade jetzt nicht feiern sollten.
Zum vierzigsten Mal beginnt die mehrmonatige Phase des Lebens in der falschen Zeitzone. Diese Zeitzone ist aus gutem Grund für Kiew, Athen und Tel Aviv gedacht. Verschieben wir sie durch die Uhrenumstellung auf unseren Längengrad, geht die Sonne bezogen auf die sozialen Aktivitäten zu spät auf und zu spät unter. Das verschiebt unseren Schlaf-Wach-Rhythmus und raubt den allermeisten von uns über Wochen bis Monate hinweg wichtigen Schlaf.
Je nachdem, wo wir genau leben – in Görlitz oder im spanischen Vigo – steht die Sonne während der „Sommerzeit“ eine bis sagenhafte zweieinhalb Stunden zu spät am höchsten Punkt. Ursache dafür ist, dass wir anders als bei einer Fernreise nur die Uhren umgestellt haben, nicht zusätzlich die Zeit. Das können sofern sie am Ort bleiben noch nicht einmal Einstein oder Superwoman. Sofern Corona will, werden wir also sieben Monate lang eine Stunde früher zur Arbeit oder in die Schule gehen als sonst.
Sieben Monate lang zu frühes Aufstehen
Das heißt aber auch: Ganz egal was der Wecker tatsächlich anzeigt, reißt er uns bezogen auf unsere biologischen Rhythmen und unsere Innere Uhr sieben Monate lang morgens früher aus den Federn als in der Normalzeit. Das wäre an sich noch nicht schlimm, wenn wir abends um den gleichen Zeitraum früher einschlafen könnten. Genau das gelingt der überwiegenden Mehrheit aber nicht. Die innere Uhr hält rund achtzig Prozent von uns wegen des feierabendlichen Tageslichts wach. Selbst wenn diese Menschen zeitig zu Bett gehen, schlafen sie meist schlechter und später ein als in der Normalzeit.
Weil dieser falsche Lichtimpuls noch dazu den Sommer lang anhält, zieht sich der chronische Schlafmangel durch bis in den Herbst. Jeden Tag ein Mini-Jetlag, an den man sich anders als nach einer Reise nicht gewöhnen kann. Jede Nacht ein paar Minuten zu wenig Schlaf. Wenn man nicht immer wieder mit kurzen Nickerchen am Tag dagegen ankämpft oder mit morgendlichen Lichtduschen gezielt die innere Uhr verstellt, schwächt sich unsere Widerstandskraft.
Und genau an dieser Stelle kommt das neue Coronavirus SARS-CoV-2 ins Spiel.
Anhaltender Schlafmangel ist für den Körper zusätzlicher Stress. Er erhöht das Risiko für psychische Krankheiten, für Herzinfarkt, Übergewicht und Diabetes. Und er schwächt das Immunsystem. Macht es inmitten einer bedrohlichen Pandemie also Sinn, den chronischen Schlafmangel von weiten Teilen der Bevölkerung zusätzlich zu erhöhen? Wohl kaum.
Schlaf ist die beste Medizin
Klar: Niemand wird und kann jetzt noch die Uhrenumstellung verhindern. Die Politiker*innen haben wahrlich wichtigeres zu tun. Deshalb sind wir selbst gefragt. Wir alle sollten gerade jetzt das menschliche Schlafbedürfnis ernst nehmen. Jeder kennt das Sprichwort „Schlaf ist die beste Medizin“. Halten wir uns daran.
Menschen im Home-office entscheiden oft selbst, wann sie aufstehen. Das gleiche gilt für Schüler*innen, die zu Hause lernen. Warum nicht einfach mal den Wecker auslassen und eine Schlafkur machen? Das hilft vielen Studien zufolge im Kampf gegen Krankheiten aller Art. Es unterstützt das Immunsystem. Es hilft sicher beim Stressabbau. Und das ist etwas, was wir wohl selten nötiger hatten, als in diesen Zeiten der Corona-Angst und der angeordneten räumlichen Distanzierung.
Schon in den letzten Wochen wäre es also eine gute Strategie gewesen, möglichst viel zu schlafen. Doch ab dem kommenden Sonntag, wenn wir alle unsere Uhren umgestellt haben, wird es für die meisten von uns noch ein Stück wichtiger.
Wer morgens länger schläft, kann viele Arbeiten auch in den Nachmittag oder frühen Abend verlegen. Das kommt der inneren Uhr der meisten Menschen entgegen. Diese zählen zu den normalen und späten Chronotypen, auch Eulen genannt. Die anderen sind die so genannten Lerchen. Sie werden auch ohne Wecker früh am Morgen wach und sollten einfach schon dann in Ruhe arbeiten dürfen – während die Eulen selig weiter schlummern. Im Gegenzug sollte das Umfeld der Lerchen diese am Abend aber auch zeitig genug ins Bett gehen lassen.
Gesunde Menschen, die wegen der Corona-Krise flexibler arbeiten als sonst, können also derzeit eine Menge tun, um die negativen Folgen der Uhrenumstellung abzufedern. Viele werden aber zusätzlich wegen negativer Gedanken rings um die Corona-Pandemie schlechter und weniger schlafen als gewöhnlich. Nickerchen am Tag sind deshalb aus doppeltem Grund wichtiger denn je.
Sorge um die Kranken und ihre Helfer
In Sachen Schlaf mache ich mir bei den meisten gesunden Menschen in gewöhnlichen Berufen derzeit also keine allzu großen Sorgen. Aber ganz ehrlich: Was ist mit all den Patient*innen in den Krankenhäusern? Was ist mit den vielen wichtigen Menschen, die jetzt besonders hart arbeiten müssen, mit den Pfleger*innen und Ärzt*innen? Sie werden ab Sonntag oder Montag morgens früher geweckt.
Man weiß längst, dass der akute Schlafmangel aus den ersten zwei bis drei Nächten nach der Uhrenumstellung das Unfall- und Herzinfarktrisiko ansteigen lässt. Das kann schon in normalen Zeiten niemand gebrauchen. Doch hinzu kommt der schleichende chronische Schlafmangel, der sich in den kommenden Wochen bei vielen wegen der „Sommerzeit“ zusätzlich aufbauen dürfte. Ihn zu bekämpfen, könnte dazu beitragen, dass sehr viele kranke Menschen ein kleines bisschen früher gesund werden und sehr viele Helfer*innen ein kleines bisschen leistungsfähiger und resilienter bleiben.
Auch wenn all das vielleicht nur geringe Effekte sind. Und auch wenn wir Covid-19 natürlich niemals aus dem Fokus verlieren dürfen. Es könnte gerade in der Corona-Krise erstaunlich viel bringen, wenn sehr viele Menschen ein bisschen besser schlafen dürften.