Evolution des Homo sapiens: Der Mensch – ein Kind der ökologischen Vielfalt
Unsere Vorfahren waren nicht deshalb so erfolgreich, weil sie sich auf bestimmte Ökosysteme spezialisierten, sondern weil sie auf Vielfalt setzten. So die These eines internationalen Teams, das die menschliche Evolution mit einem Supercomputer und Daten von mehr als 3000 archäologischen Funden analysierte. Die Ergebnisse zeigen, wie wichtig die Erhaltung der ökologischen Vielfalt ist – und wie gefährlich es für den heutigen Homo sapiens ist, sie zu ruinieren.
Die letzten knapp drei Millionen Jahren auf unserem Planeten glichen einer klimatischen Achterbahnfahrt: Nicht nur wurde es insgesamt deutlich kühler auf der Erde, die Schwankungen der Temperaturen wurden auch immer extremer. Bitterkalte Eiszeiten mit gigantischen Vergletscherungen wechselten sich ab mit angenehmeren Perioden (Warmzeiten), in denen zum Teil höhere Temperaturen herrschten als heute. Und dennoch – oder vielleicht gerade deshalb – wurde diese Zeit zur wichtigsten Epoche der menschlichen Evolution.
Im ersten Abschnitt vor etwa 2, 6 bis zwei Millionen Jahren entwickelten sich aus aufrecht gehenden Vormenschen (auch Affenmenschen genannt) die ersten wirklichen Menschen – also die Gattung Homo. Sie hatten größere Gehirne, die ihnen verbesserte geistige und soziale Fähigkeiten verliehen. Diese Fähigkeiten verschafften ihnen offenbar Vorteile, denn schon kurz darauf verließen Menschen erstmals den afrikanischen Kontinent und erreichten vor 1, 7 bis 1, 8 Millionen Jahren Südostasien, wie Funde auf Java belegen. Später gelang es ihnen andere Teile Asiens und schließlich Europa zu besiedeln. Auffällig ist: Fast in der gesamten Zeit existierten mehrere Menschenarten gleichzeitig – sie hatten sich offenbar äußerst erfolgreich an die unterschiedlichsten Umwelten angepasst. Nur ganz zum Schluss, als der moderne Homo sapiens auftauchte und die gesamte Erde eroberte, verschwanden alle anderen aus dieser Verwandtschaft. Doch warum?
Die Welt der Urzeit im Supercomputer simuliert
Welche Rolle die Anpassung der Urmenschen an Klima und Ökosysteme im Verlauf dieser Entwicklung spielte, hat jetzt ein internationales Team von Forschenden unter Federführung des IBS Center for Climate Physics an der Pusan National University in Südkorea analysiert. Die Daten von mehr als 3.000 Urmenschen-Fossilien und archäologischen Fundstätten wurden dazu erfasst und mit einem komplexen Computermodell kombiniert, das weltweit die sich verändernden Klimaverhältnisse und Lebensräume an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeiten simulierte. Für die Modellierung von Klima und Vegetation nutzte das Team Südkoreas schnellsten wissenschaftlichen Supercomputer namens „Aleph“.
Die Fossilien stammten von sechs verschiedenen Menschenarten: Homo ergaster, H. habilis, H. erectus, H. heidelbergensis, H. neanderthalensis und H. sapiens. Bei den Lebensräumen handelte es sich etwa um Savanne, tropischen Regenwald, Wald der gemäßigten Zonen, Nadelwald, Wüste oder Tundra. Im Zentrum standen dabei Fragen wie: Welche Rolle spielte die Vorliebe für bestimmte Vegetationsformen? Wie nutzten die Urmenschen verschiedene Typen von Ökosystemen? Passten sie sich im Lauf der Zeit jeweils an einen sich verändernden Lebensraum an oder suchten sie aktiv solche Umwelten auf, die ihnen eine besondere Vielfalt von Nahrungsquellen boten?
Die ersten Menschen bewohnten offenes Grasland und Savanne
Die Ergebnisse ihrer Untersuchungen veröffentlichten die Forschenden in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Science. Die Daten zeigen, dass die frühen afrikanischen Menschenarten Homo habilis und Homo ergaster vor allem offene Landschaften wie Grasland, Savanne und trockene Strauchsteppe bewohnten, gelegentlich auch Wälder. Homo erectus – jene Menschenart, die vor 1, 8 Millionen Jahren erstmals Afrika verließ – bevorzugte dann vor allem Wälder der gemäßigten Zonen, daneben Grasland und Strauchsteppe. Homo heidelbergensis nutzte neben diesen Lebensräumen auch Nadelwälder, beim Neandertaler (Homo neanderthalensis) verstärkte sich die Neigung, Wälder zu bewohnen und Tundra kam hinzu. Der Homo sapiens schließlich besiedelte so gut wie alle Lebensräume.
Unsere Ahnen waren auf der Suche nach Vielfalt
Die Nutzung von Lebensräumen wurde also im Verlauf der Evolution vielfältiger, doch das war nicht das entscheidende Ergebnis der Studie. Denn das Team vom IBS Center for Climate Physics hatte auch ermittelt, welche Lebensräume in der Nähe der Fundstellen von Fossilien existierten und dabei Verblüffendes entdeckt: Dort wo die Urmenschen einst gelebt hatten, lagen besonders häufig mehrere unterschiedliche Lebensräume dicht nebeneinander. Die Urmenschen bevorzugten also mosaikartige Landschaften aus unterschiedlichen Lebensräumen, in denen sie eine große Vielfalt an Tier- und Pflanzenarten jagen und sammeln konnten. So hatten sie immer ein reiches Angebot an Nahrungsquellen zur Verfügung.
„Unsere Analyse zeigt die entscheidende Bedeutung der landschaftlichen und pflanzlichen Vielfalt als Selektions-Element beim Menschen – und als möglichen Antrieb für soziokulturelle Entwicklungen“, sagt die Paläoklimatologin Elke Zeller, Erstautorin der Studie, in einer Pressemitteilung. Die neue Hypothese des Teams: Menschen sind auf einzigartige Weise dafür ausgestattet, eine Vielfalt von Lebensräumen auszubeuten. Sie suchen aktiv nach abwechslungsreichen Umwelten und deren Nutzung verschafft ihnen eine Widerstandsfähigkeit gegenüber Störungen und raschen Veränderungen der Umwelt. Denn wenn der eine Lebensraum sich nachteilig verändert, bieten die benachbarten noch immer genügend Nahrungsquellen.
Weshalb der Homo sapiens auf einem gefährlichen Weg ist
Besonders erfolgreich in der Nutzung der Vielfalt war eine Art: der moderne Mensch, der Homo sapiens. Das haben Paläoanthropologinnen und Paläoanthropologen schon länger anhand von archäologischen Funden vermutet und es wurde durch die neue Studie bestätigt. Der Homo sapiens hat am Ende sämtliche Ökosysteme der Erde besiedelt, selbst Wüsten und Eis. Durch Ausbeutung der ökologischen Vielfalt konnte er größere Populationen hervorbringen, die wiederum Keimzellen für kulturelle Innovationen und auch für genetische Weiterentwicklungen waren. Möglicherweise war es daher die besonders große kulturelle und verhaltensbezogene Flexibilität des Homo sapiens, die es ihm erlaubte, die Vielfalt der Lebensräume und unterschiedlichen Nahrungsressourcen effektiver auszubeuten als alle anderen Menschenarten – und sie zu verdrängen.
Doch dieser Triumph birgt eine große Gefahr: Heute sind wir modernen Menschen dabei, die Vielfalt zu ruinieren, indem wir in der Landwirtschaft Monokulturen bevorzugen, Ökosysteme zerstören und ein massives Artensterben auslösen. Wir befinden uns auf einem Weg, der wegführt von der Widerstandskraft unserer Vorfahren. Denn deren Erfolgsstrategie basierte auf Vielfalt.