Nutzpflanzen für den Klimawandel, epigenetische Uhren und bessere Krebsfrüherkennung
Der Newsletter Epigenetik 32 ist erschienen
Wie Forscher Pflanzen auf zukünftige Dürrephasen vorbereiten möchten. Wie sie biologisches Alter, Lebenserwartung und Gesundheit messen. Und wie sie einen völlig neuen Ansatz zur Früherkennung von Krebs fanden. Drei ausgewählte Meldungen aus der aktuellen Ausgabe.
Heute erscheint die 32. Ausgabe meines Newsletter Epigenetik. Dieser unabhängige Newsletter fasst die wichtigsten Neuigkeiten aus einem der spannendsten Forschungsgebiete unsere Zeit zusammen. Unterstützt wird der Newsletter durch ein achtköpfiges Gremium aus Mediziner*innen und Forscher*innen, die mich als Mitherausgeber beraten. Alle vollständigen Ausgaben sowie Informationen über die Mitherausgeber*innen und ein Archiv mit sämtlichen bisher erschienenen Beiträgen finden Sie auf den Online-Seiten newsletter-epigenetik.de.
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Für einen Blick aufs Inhaltsverzeichnis des neuen Newslettersklicken Sie bitte weiter oben auf das Titelbild. Es zeigt die optisch wunderbar aufbereiteten Resultate einer Netzwerkanalyse von epigenetisch aktiven Mikro-RNAs in Gehirnzellen. Die verschiedenen Farben stehen für systematische Unterschiede zwischen den beiden Geschlechtern. Die zugehörige Meldung finden Sie im Newsletter auf Seite sechs.
Außerdem lesen Sie dort, wie unsereStressempfindlichkeit bereits im Mutterleib geprägt wird. Sie erfahren, wie man die Folgen frühkindlicher Vernachlässigung bei Mäusen mit Hilfe eines Medikaments schon heute rückgängig machen kann. Und sie lernen, warum es eines Tages gelingen könnte, die zunehmende Gedächtnisschwäche älterer Menschen effektiv zu bekämpfen. Zu diesen Themen – und sehr viel mehr – lesen Sie im exklusiven, nur für Abonnent*innen oder nach einer Einmalzahlung vollständig sichtbaren Angebot von Erbe&Umwelt ausführliche Hintergrundartikel.
Längst hat sich bewährt, Ihnen an dieser Stelle – sozusagen als Appetithäppchen – drei weitere der vielen neuen Meldungen zu servieren. Und falls Sie auf den Geschmack kommen, dann tragen Sie sich doch auf den Netzseiten des Newsletter Epigenetik in die Mailingliste für den zukünftigen direkten Bezug der PDF-Ausgabe ein.
Nutzpflanzen epigenetisch auf den Klimawandel vorbereiten
In Zeiten des Klimawandels wird es immer wichtiger, Nutzpflanzen zu züchten, die lange Dürren gut überstehen. Da ist es eine gute Nachricht, dass Matthias Benoit und Kolleg*innen von der University of Cambridge, Großbritannien, jetzt herausgefunden haben, wie es vielen Pflanzen gelingt, auf Trockenheit mit einer Änderung ihres epigenetischen Programms zu reagieren.
Die Forscher*innen untersuchten so genannte springende Gene in Tomaten. Diese werden auch Transposons genannt. Früher galten sie als nutzlose Überbleibsel im Erbgut und wurden zur Junk-DNA (Müll-DNA) gerechnet. Sie können sich vermehren und ihren Ort im Erbgut verändern, daher der Name springende Gene. Weil sie meist Schaden anrichten, versucht die Zelle sie gleich mit mehreren epigenetischen Mechanismen auf inaktivierbar zu stellen. Dennoch werden sie vor allem bei Pflanzen immer mal wieder aktiv und tragen so zu deren Vielgestaltigkeit bei. Nun fanden die Forscher*innen heraus, dass ein Rider genanntes Transposon bei der Tomate immer dann aktivierbar geschaltet wird, wenn diese einer Dürre ausgesetzt ist. Offenbar versucht die Pflanze, auf den Stress durch das Anschalten von möglicherweise hilfreichen Genen zur reagieren, die normalerweise stumm geschaltet sind. Ein Vergleich mit anderen Nutzpflanzen zeigte, dass das Rider-Transposon dort eine ähnliche Funktion hat.
Nun hofft das Team, die Eigenschaft von Rider, auf Trockenheit mit dem Anschalten neuer Genregulationsnetzwerke zu reagieren, für die Zucht moderner Pflanzen zu nutzen. Eine epigenetische Manipulation der Transposons könnte helfen, dass Nutzpflanzen der Zukunft besser auf den Klimawandel vorbereitet sind. Weil Rider in den Pflanzen bereits existiert, handelt es sich dabei auch nicht um einen gesetzlich regulierten gentechnischen Eingriff, da keine besonderen Risiken zu erwarten sind.
Was epigenetische Uhren können
Im Oktober 2011 berichtete der Newsletter Epigenetik 04/2011 über einen „Speicheltest zur Altersbestimmung“. Der US-amerikanische Genetiker und Biostatistiker Steve Horvath hatte damals mit Kollegen die erste epigenetische Uhr vorgestellt. Dahinter verbergen sich Algorithmen, die das Muster der DNA-Methylierungen in Zellen auswerten und daraus unabhängig vom Zelltyp das Alter eines Menschen verblüffend genau bestimmen können. Horvaths Entdeckung machte eine steile Karriere, und auch er selbst optimiert sie bis heute. Längst spricht man sogar von der Horvath´schen Uhr. Zudem gibt es bereits die ersten Firmen, die auf der Basis ähnlicher Algorithmen Selbst-Tests für das biologische Alter anbieten. Sie informieren über das individuelle Alterungstempo und damit ein Stück weit auch darüber, wie gesund man insgesamt lebt. (Bei RiffReporter Erbe&Umwelt berichte ich ausführlich über einen Selbstversuch; Kurzfassung im Newsletter Epigenetik 31.)
Jetzt geben Steve Horvath und andere Epigenetiker*innen einen aufschlussreichen Überblick über all die epigenetischen Uhren, die bisher entwickelt wurden, mitsamt ihren Vor- und Nachteilen. So sei nicht jede Uhr auf jede Fragestellung optimiert. Wolle man die Gesundheit und Lebenserwartung eines Menschen gut abschätzen, könnten zusätzliche Informationen über den Lebensstil helfen. PhenoAge nutzt deshalb neben den epigenetischen auch altersabhängige physiologische Daten. GrimAge berücksichtigt unter anderem, ob die Befragten rauchen oder nicht. Beide Tests sind extra darauf ausgelegt, die Lebenserwartung und die verbleibende Zeit bei voller Gesundheit vorherzusagen.
Insgesamt sollten epigenetische Uhren also weiter optimiert werden. Aber sie helfen schon heute dabei, altersbedingte Veränderungen in kranken und gesunden Zellen besser zu verstehen. „DNA-Methylierungs-Uhren liefern einen einzigartigen Einblick in den Alterungsprozess, sie sind ein Biomarker für das biologische Alter und liefern Informationen zu dem Risiko für Alterskrankheiten“. So das Fazit der Experten. Mein Fazit: Steve Horvath ist längst ein Kandidat für den Medizin-Nobelpreis.
Methylierung von Mikro-RNA als Krebs-Früherkennung
Nicht nur die DNA oder an sie angelagerte Histonproteine können methyliert sein, sondern auch Mikro-RNAs. Diese kurzen RNAs entstehen, wenn so genannte nichtkodierende DNA-Abschnitte abgelesen werden, und dienen ebenfalls der epigenetischen Regulation der Genaktivität. Ob sie allerdings per Methylgruppe biochemisch verändert sind oder nicht, hat bisher nur wenige Forscher*innen interessiert. Das könnte sich jetzt ändern. Denn ein Team um Masamitsu Konno von der japanischen Osaka University entdeckte, dass sich der kleine aber offenbar feine Unterschied hervorragend zur Erkennung von Krebserkrankungen nutzen lässt.
Die Forscher*innen schauten sich eine Gruppe von Mikro-RNAs an, die vergleichsweise häufig methyliert sind. Die Methylierung verändert ihre Stabilität und Form. Deshalb treten sie vermutlich mit anderen Biomolekülen in Wechselwirkung als die gewöhnliche, unmethylierte Form. Zunächst stellte sich heraus, dass die methylierten Mikro-RNAs in Krebsgewebe des Magen-Darm-Trakts signifikant häufiger vorkommen als in gesundem Gewebe. Im nächsten Schritt testeten Konno und Kolleg*innen das Potenzial ihrer Entdeckung als möglicher Biomarker bei Patient*innen mit Pankreaskarzinom. Und sie hatten Erfolg: Die Menge, mit der im Blut der Patienten die Mikro-RNA miR-17–5p in methylierter Form auftrat, war ein guter Marker zur Erkennung früher Formen des Pankreaskarzinoms. Diese Erkenntnis könnte vielleicht zu einer neuen Art der Krebs-Früherkennung führen und das allgemeine Verständnis der Biologie von Mikro-RNAs verbessern, schreiben die Forscher*innen.