Omikron: Wie verändert die neue Corona-Variante die Pandemie?
Wie gut schützen bisherige Impfungen? Wird Covid-19 eine noch bedrohlichere Krankheit? Steht eine fünfte Welle bevor? Die Forschung findet erste Antworten.
Omikron ist längst in Deutschland angekommen. Das wundert niemanden, denn die neue Variante des Coronavirus SARS-CoV-2, die am 24. November 2021 erstmals in Proben aus Botswana und von einem in Hong Kong gelandeten Reisenden aus Südafrika identifiziert wurde, verbreitet sich seit geraumer Zeit weitgehend unerkannt um die Welt.
Unlängst wurde sogar eine geimpfte Person, die vor dem Abflug in Kapstadt und gleich nach der Ankunft in München negative PCR-Tests gemacht hatte, zwei Tage später positiv auf Omikron getestet. Die Entdeckung war nur der Umsicht eines einzelnen Menschen zu verdanken. Wie viele andere Fälle werden derzeit wohl noch übersehen?
Es wird höchste Zeit, sich intensiver mit der neuen Bedrohung auseinanderzusetzen. Und tatsächlich erleichtern erste Forschungsresultate jetzt die Einschätzung, wie gefährlich Omikron wirklich ist.
Mehr als 30 Mutationen im Spike-Protein
Das Virus ist so stark mutiert, wie noch keine andere Variante zuvor. An mehr als 30 Stellen unterscheidet sich das wichtige Spike-Protein, das die Zacken auf der Krone des Erregers bildet, von jenem des ursprünglichen Virus‘.
Das lässt aufhorchen, weil diese Struktur den Zellen beim Andocken an menschliche Zellen hilft, und die Corona-Impfstoffe gerade dieses Protein zum Training des Immunsystems nutzen. Das Fatale: Veränderungen am Spike-Protein könnten zugleich die Ansteckbarkeit des Virus‘ erhöhen und den Immunschutz aushebeln.
Forschende auf der ganzen Welt versuchen daher unter Hochdruck, Omikron solche und andere Geheimnisse zu entlocken. Erste Erkenntnisse bringen sie schnellstmöglich an die Öffentlichkeit. Noch sind die Resultate allerdings nicht von unabhängigen Expert*innen begutachtet und sie basieren nur auf kleinen Fallzahlen. Die Resultate sind deshalb mit Vorsicht zu interpretieren.
Eines ist den meisten Erkenntnissen gemein: Sie zielen in eine ähnliche Richtung, und diese stimmt nicht gerade zuversichtlich. Immerhin gibt es in Detailfragen auch ein paar gute Nachrichten.
Drei wichtige Fragen
Die drei entscheidenden Fragen, denen die Virolog*innen, Epidemiolog*innen und Immunolog*innen derzeit nachgehen, sind:
- Wie gut wirkt die bisherige Impfung gegen Omikron?
- Verändert sich der typische Krankheitsverlauf von Covid-19? Wird das Leiden gefährlicher? Wird es gar ein Covid-21 geben?
- Steht nun eine noch höhere Pandemie-Welle bevor, weil das Virus sich noch leichter übertragen lässt als die derzeit grassierende Delta-Variante?
Die Wissenschaftsjournalistin Gretchen Vogel und ihr Kollege Kai Kupferschmidt, beide auch bei RiffReporter aktiv, nennen im führenden Fachblatt Science die gleichen Punkte: „Forscher*innen konzentrieren sich auf drei Kernfragen: Kann Omikron dem Immunschutz ausweichen, den Impfungen oder frühere Infektionen hinterlassen haben? Wie übertragbar ist es? Und wie schwer wird die Krankheit sein, die es auslöst?“
Ist Omikron eine Escape-Variante?
Gleich mehrere Hinweise zeigen, dass Omikron zumindest teilweise einem bestehenden Immunschutz ausweichen kann. Möglicherweise ist es also tatsächlich eine gefürchtete „Escape-Variante“. Für Genesene oder Geimpfte wäre das eine schlechte Nachricht. Sie wären gegen Omikron weniger gut geschützt als gegen Delta.
In Südafrika haben sich beispielsweise deutlich mehr Genesene mit der neuen Variante infiziert, als nach dem Auftreten der früheren Varianten Beta und Delta. Von 2,8 Millionen positiven Testergebnissen aus den vergangenen drei Monaten stammten 35.670 von Menschen, die zuvor bereits eine Corona-Infektion überstanden hatten. Im Vergleich mit früheren Pandemie-Wellen ist der Schutz, den eine durchgemachte Infektion vor einer Neuansteckung bewirkt, um etwa die Hälfte gesunken.
Die auf Bevölkerungsebene erhobenen Daten deuteten darauf hin, „dass die Omikron-Variante erhebliche Fähigkeiten besitzt, sich der Immunität gegen frühere Infektionen zu entziehen“, bilanzieren die Epidemiolog*innen um Juliet Pullmann von der Stellenbosch Universität, Südafrika.
Auch in Deutschland könnten in den kommenden Wochen also wieder mehr Menschen, die bereits erkrankt waren, einen positiven Corona-Test erhalten. Auch wenn dies noch nichts darüber aussagt, wie schwer es sie trifft.
Denn zwei wichtige Fragen könne ihre Studie nicht beantworten, so die Forscher*innen aus Südafrika: „Ist Omikron auch in der Lage, die durch Impfungen hervorgerufene Immunität zu umgehen, und welche Auswirkungen hat ein verringerter Infektionsschutz auf den Schutz vor schwerer Krankheit und Tod?“
Impfung plus frühere Infektion scheint besten Schutz zu bieten
Diese Fragen versuchen Virolog*innen mit Laborexperimenten zu klären. Sie testen zum Beispiel, wie effektiv Antikörper die neue Virusvariante angreifen, die das Immunsystem von geimpften oder infizierten Menschen gegen die Deltavariante gebildet hatte.
Alex Sigal vom Afrikanischen Institut für Gesundheitsforschung in Durban, Südafrika, benutzt mit seinem Team für solche Experimente Blutplasma von geimpften und genesenen Menschen. Dann untersuchen die Forscher*innen, wie gut die enthaltenen neutralisierenden Antikörper an die verschiedensten Arten von Corona-Viren binden. Je besser das gelingt, desto effektiver dürfte die erste Immunabwehr dieser spezifischen Antikörper sein und desto geringer das resultierende Infektionsrisiko.
„Der Escape war unvollständig“ Alex Sigal
In einer neuen Studie setzten die Virolog*innen jetzt Erreger ein, die von einigen der ersten entdeckten Omikron-Patient*innen stammten. Dabei zeigte sich, dass die gegen Delta gebildeten Antikörper um den Faktor 41 schlechter an Omikron andocken als an die Delta-Variante. Der standardisierte Bindungswert sank von 1321 bei Delta auf 32 bei Omikron.
Verwendet wurden Proben von zwölf Personen, alle doppelt mit dem Biontech-Impfstoff geimpft und zur Hälfte zusätzlich von der Krankheit genesen. Die gute Nachricht: Bei fünf der sechs Personen, die geimpft und genesen waren, kam es nicht zu dem kolossalen Einbruch des Bindungswerts.
Deren Antikörper wirkten auch gegen Omikron gut. „Der Escape war unvollständig“, lautet Sigals Fazit. Dieses Detail macht Hoffnung für die Auffrischungsimpfung, Booster genannt. Sie sollte ähnlich wie eine zusätzliche Erkrankung als dritter Kontakt des Immunsystems mit dem Erreger wirken und folglich gut vor Omikron schützen.
Vergleichbare Resultate aus Frankfurt
Dazu passt, was die Virologin Sandra Ciesek von der Goethe-Universität in Frankfurt am Main am Morgen vorab via Twitter über ihre neuesten Resultate bekannt gab: „Unsere ersten Daten zur Neutralisation von Omikron versus Delta sind fertig“, berichtet sie über ihre Experimente, für die sie Viren einer Person nutzte, die sehr früh am Frankfurter Flughafen mit einer Omikron-Infektion erkannt worden war.
Das Wenige, was von den Daten bisher bekannt ist, erinnert sehr an die Resultate aus Südafrika: „Bis zu 37-fache Reduktion Delta versus Omikron“, schreibt Ciesek. Außerdem zeigen wohl auch ihre Ergebnisse, dass eine dritte Impfung oder eine zusätzlich zur Impfung durchgemachte Infektion die neutralisierende Antikörper-Antwort gegen Omikron deutlich verbessern.
Fast zeitgleich erschienen in einem Vorabbericht zudem Daten einer dritten Analyse, bei denen ein südafrikanisch-schwedisches Team künstliche Omikron-Viren verwendete. Auch hier nahm die Bindungsfähigkeit der Antikörper deutlich ab.
Und auch der Impfstoffhersteller Biontech verkündete in einer Pressemitteilung am Nachmittag, er habe im Labor festgestellt, dass zwei Impfungen weniger gut gegen Omikron schützten als gegen Delta, eine dritte Impfung wirke hingegen sehr viel besser.
Keine Panik
Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité kommentiert die Ereignisse auf Twitter: Nun hätten schon drei Gruppen unabhängig voneinander und mit verschiedenen Ansätzen herausgefunden, dass Blutplasma von Menschen, die voll gegen die Delta-Variante immunisiert seien, etwa vierzig Mal schwächer an Omikron binde als an Delta. „Das sieht nicht gut aus für doppelt Geimpfte. Die dritte Dosis scheint erforderlich.“
Doch Panik ist nicht angesagt: Eine derart abgeschwächte Bindungsfähigkeit bedeute noch lange nicht, dass das Immunsystem auch vierzig Mal schlechter arbeite, erklärt Drosten: „Der reale Immunitätsverlust ist viel geringer.“ Trotzdem biete die Dreifachimpfung derzeit den besten Schutz. Das Wissenschaftsmagazin Spektrum.de kommt zu dem Ergebnis, die Resultate seien „nicht so schlimm wie befürchtet“, die Impfstoffe müssten aber vermutlich dennoch angepasst werden.
„Nicht warten sondern boostern“ Christian Drosten auf Twitter
Die beiden Hersteller von mRNA-Impfstoffen, Biontech/Pfizer und Moderna, haben die Entwicklung neuer Omikron-Impfseren längst angekündigt. Es dauere aber noch mehrere Wochen bis Monate, bis diese zugelassen und in ausreichenden Mengen produziert sein werden.
Auch wenn in ihrem Fall ein stark vereinfachtes, besonders rasches Zulassungsverfahren zum Einsatz kommen wird, dürfte die aktuelle winterliche Coronawelle dann sicher vorüber sein. „Nicht warten, sondern boostern“, lautet daher Drostens eindeutige Empfehlung.
Die neuen Daten würden bedeuten, „dass wir mit Omikron noch mehr Durchbruchsinfektionen sehen werden“, sagt Carsten Watzl, Immunologe von der TU Dortmund gegenüber dem Science Media Center in Köln. „Die Inzidenzen könnten daher noch mal deutlich steigen.“
Er betont jedoch, dass die aktuellen Impfungen keinesfalls nutzlos seien. Man bräuchte eben vierzig Mal so hohe Antikörperspiegel um die gleiche Wirkung wie gegen Delta zu erzielen. Da reiche eine zweifache Impfung oft nicht aus. „Erst nach einem Booster oder der Kombination aus Infektion plus zweifacher Impfung sind genügend Antikörper vorhanden“, sagt Watzl.
Kommt nun die fünfte Welle?
Vieles deutet also darauf hin, dass nach der aktuellen vierten Infektions-Welle eine noch höhere fünfte Welle folgen könnte – die Omikron-Welle. Ob das Gesundheitssystem sie bewältigen kann, wird davon abhängen, wie schnell die Infektionszahlen ansteigen und wie schwer die Krankheitsverläufe sein werden. Sogar wenn die Krankheit durchschnittlich weniger schwer verliefe, könnte es einen solchen positiven Faktor überkompensieren, wären die Erreger schlichtweg infektiöser. Zu beiden Punkten fehlt es derzeit aber noch an zuverlässigen Informationen.
Ob die zweite Komponente eines hohen Impfschutzes – nämlich das Verhindern schwerer Krankheitsverläufe – bei Omikron ähnlich gut ist wie bei der Delta-Variante, weiß man noch nicht. Dafür sind nämlich weniger die spezifischen Antikörper verantwortlich, sondern andere, nachgeschaltete Elemente des Immunsystems, die erst in Aktion treten, wenn Menschen bereits infiziert sind.
Noch ist offen, ob auch diese zweite Immunabwehr schlechter auf die neue Variante reagiert. Es gibt aber aus früheren Phasen der Pandemie deutliche Hinweise, dass T-Zellen und andere Elemente der nachgeschalteten Immunität weniger spezifisch sind als Antikörper und deshalb auch auf deutlich unterschiedliche Corona-Varianten gut ansprechen dürften. Das wäre eine gute Nachricht. Geimpfte und Genese wären zwar nicht mehr so gut vor einer Ansteckung geschützt, aber durchaus noch vor schweren Verläufen.
Und wie ansteckend ist Omikron nun?
Bleibt schließlich die Frage nach der allgemeinen Ansteckbarkeit. Helfen die Mutationen im Spike-Protein dem Omikron-Virus, menschliche Zellen noch besser zu befallen? Infiziert die neue SARS-COV-2-Variante deshalb mehr Menschen als ihre Vorläufer? Für diese Annahme spricht, dass Omikron sich anschickt, Delta zu verdrängen.
In Südafrika und in Großbritannien steigt die Zahl der bestätigten Infektionen mit Omikron-Varianten. Auch in der EU werden immer mehr nachgewiesene Fälle angezeigt. Heute stieg die Zahl auf 337. Aus Norwegen und Dänemark wurden erste Superspreading-Ereignisse gemeldet, bei denen sich erstaunlich viele Menschen trotz Impfung mit Omikron infizierten. Im einen Fall war es die Weihnachtsfeier eines Unternehmens, im Anderen eine Studentenparty – immer waren die Zahlen besorgniserregend.
Ein schlechtes und ein gutes Szenario
Wie geht es jetzt also weiter? Im schlimmsten Szenario könnte Omikron eine noch ansteckendere Variante des neuen Coronavirus sein, die noch dazu besonders häufig einen schweren Krankheitsverlauf auslöst und häufiger zu Impfdurchbrüchen führt.
Dann stünde uns eine fürchterliche nächste Pandemie-Welle bevor. Und unsere derzeit einzige Vorsorge-Chance wäre, schon heute noch viel mehr zu impfen und zu boostern als wir es ohnehin bereits versuchen.
Im besten Szenario stellt sich hingegen heraus, dass Omikron zwar etwas ansteckender ist als Delta, aber viel weniger gefährlich. Dann könnte es sogar passieren, dass die harmlosere Variante die gefährlichere verdrängt. Eine Art Glücksfall.
Vor dem möglichst umfassenden Impfen und Boostern würde uns aber auch das nicht bewahren. Denn es zeichnet sich längst ab, dass Ansteckungen mit der Omikron-Variante zumindest nicht sehr viel milder verlaufen als eine Ansteckung mit ihren Vorgängern.
Weil ein solches Virus aber gleichzeitig mehr Menschen anstecken würde, käme ohne zusätzliche Impfungen unter dem Strich vermutlich keine Entlastung der Krankenhäuser heraus. Der Anteil der schwer Erkrankten an den Infizierten dürfte zwar etwas geringer werden. Aber es gebe eben auch sehr viel mehr Erkrankte.
Aktualisierung am 9.12.21: Inzwischen haben auch Sandra Ciesek und ihr Team die ersten Daten in einer ungeprüften Vorabveröffentlichung präsentiert. Bitte hier entlang.