TAKTVOLL-Tipp für mehr Rhythmus im Leben
Folge 1: „Bach und ich“
Maarten `t Hart packte die Begeisterung für Johann Sebastian Bach bereits früh im Leben. Bei einem Freund hörte der niederländische Schriftsteller als Achtjähriger den Choral „Wohl mir, dass ich Jesum habe“ in einer Bearbeitung für Klavier. Das war die Initialzündung, eine der besonders einschneidenden Erfahrungen seines Lebens. „Ich konnte kaum fassen, dass es so etwas Wunderbares gab“, sagt er. In seinem Buch „Bach und ich“ schreibt ´t Hart über seine Liebe zu diesem Komponisten, den – seiner Ansicht nach – „größten Melodien-Erfinder im Reich der Töne“.
Meine eigene Geschichte mit Bach lief anders. Die Zuneigung wuchs bzw. wächst erst nach und nach. Ich erinnere mich an vorweihnachtliche Konzerte, zu denen ich meine Eltern in die heimische Kirche begleitete – an harte Kirchenbänke, manteltragende, ernst blickende Zuhörer in den Reihen vor und hinter mir, an endlose Arien, unverständliche Rezitative und wunderschöne, kurze Choräle.
Die Versuche meiner Klavierlehrerin, mir die barocke Musik Bachs näher zu bringen, schlugen zunächst fehl. Statt der klaren, verschachtelten (und, oh Schreck, ohne Pedal zu spielenden) Melodien, interessierte ich mich viel mehr für romantische Stücke, für Schubert, Chopin oder Grieg. Das hat sich inzwischen geändert. Ich spüre auch am Klavier etwas von der Kraft und wohltuenden Klarheit, die in der Musik Bachs steckt.
Maarten ´t Hart, der gerade seinen 75. Geburtstag gefeiert hat, praktiziert ein interessantes Ritual: Jeden Tag spielt er einige Präludien mit Fuge der in allen Dur- und Moll-Tonarten komponierten, zweimal 24 Stücke des Wohltemperierten Klaviers. Durch dieses „tägliche musikalische Brot“ käme er mit dem springlebendigen, wunderbaren Geist Bachs in Kontakt, schreibt ´t Hart.
Das „Wohltemperierte Klavier“ rauf und runterspielen, kann ich nicht. Aber wie wäre es, überlege ich mir, einmal einige Monate lang oder gar ein ganzes Jahr zusammen mit Bachs Kantatenmusik zu verbringen? Gerade jetzt in der Adventszeit scheint ein guter Moment gekommen, das Experiment zu starten. Kerze, Keks und Bach, das hört sich doch gut an? Und wieder tauchen Erinnerungen auf, jetzt sind sie warm und hell. Der leuchtende Herrenhuter Stern zwischen den kahlen Friedhofsbäumen auf dem Weg in die Kirche, die Tenorstimme meines Vaters, der Tannenduft im Weihnachtszimmer.
Als Thomaskantor in Leipzig, Bach war dort von 1723 bis zu seinem Tod 1750 tätig, führte er jeden Sonntag eine meist selbst komponierte Kantate auf. Auf diese Weise sind vermutlich über 300 mehrsätzige Werke für Solisten, Chor und Orchester entstanden. Die meisten der gut 200 erhaltenen Kantaten erklangen in Gottesdiensten (BWV 1 bis 200), ein kleiner Teil auch bei Festen bzw. gesellschaftlichen Anlässen (BWV 201 bis 224).
Für fast jeden Sonntag im Kirchenjahr (außerhalb der Fastenzeit) gibt es eine Bachkantate. Eine grobe Übersicht liefert zum Beispiel die Internetseite „Mit Bach durchs Jahr“. Man muss sie ja nicht unbedingt sonntags hören. Hilfreiche Begleiter für viele kleine musikalische Pausen zwischendurch könnten sein:
Das schon erwähnte Buch „Bach und ich“, das viele Informationen zum Komponisten und zu seinem Werk enthält. ´t Harts Faszination steckt an: „Musik ist das größte Wunder in unserem Leben“. In einem eigenen Kapitel kommentiert der Niederländer viele der Kantaten kurz und liefert Zusatzinformationen, die das eigene Hören bereichern können.
In der hiesigen Stadtbibliothek habe ich das Buch „Der Himmel lacht – Bachs Kantaten im Rhythmus des Jahres“ entdeckt. In 20 Kapiteln und 20 Hörbeispielen beschäftigt sich der Theologe Hans Werner Dannowski mit 20 Kantaten. Dabei schlägt er die Brücke zu Themen, die uns alle beschäftigen. Es geht um Vertrauen, Freude, die Liebe, das Warten, Übergänge, das Sterben.
Dannowski erklärt den historischen Hintergrund, in dem die besprochene Kantate entstand, beschreibt die beteiligten Instrumente und auch mit welchen Stilmitteln Bach die Botschaft des Textes musikalisch umsetzt: „Der Text der Kantate verdampft nicht in der Überfülle der Musik. Nein, die Musik vollzieht, was die Worte ansagen. Diese Musik macht die Inhalte gegenwärtig, entschlüsselt sie, verringert die Distanzen“.
Gleich das erste Hörbeispiel, ein Bass-Rezitativ „Siehe, ich stehe vor der Tür“ in Bachs Adventskantate „Nun komm, der Heiden Heiland“, ist wunderschön. Die mit den Fingern gezupften Töne der Streichinstrumente, die den Bass als Stimme Christi begleiten, klopfen leicht und leise an. Keine Spur von Mahnung oder Drohung, so der Theologe Dannowski, „nur der Wärmestrom der unmittelbaren Nähe des sehnlichst erwarteten Herrn.“
An diesem Sonntag, dem 2. Advent, erklingt die Kantate „Wachet, betet, betet, wachet!“ (BWV70). Maarten ´t Hart findet sie „von Anfang bis Ende fesselnd“. Wer sonntags früh aufsteht, kann sie beim NDR oder Bayrischen Rundfunk hören. Wer später dran ist, den begleitet rbbKultur mit der Bachkantate in den Sonntag.