Wappentier für die Agrarreform
Der Bestand der Feldlerche nimmt dramatisch ab. Als „Vogel des Jahres 2019“ soll sie für Natur- und Artenschutz werben
Ein kleiner Vogel soll sich im nächsten Jahr zu großer politischer Wirkung aufschwingen. Um bei den Beratungen über eine Reform des Agrarhaushalts der Europäischen Union, die von 2021 an wirksam wird, den Natur- und Artenschutz stärker in den Fokus zu rücken, haben der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV) die Feldlerche zum „Vogel des Jahres 2019“ gekürt.
Der Singvogel war 1998 schon einmal Jahresvogel, denn schon damals zeichnete sich ein Bestandsrückgang ab – ebenso wie bei vielen anderen Arten der Feldflur, darunter Goldammer, Kiebitz, Wachtel und Rebhuhn. Der Abwärtstrend hat sich seitdem verstärkt fortgesetzt. Nach Angaben des Dachverbands Deutscher Avifaunisten hat sich die Zahl der Feldlerchen zwischen 1990 und 2015 um 38 Prozent verringert. Und sie geht unvermindert weiter zurück. Seit 1960 soll es in Deutschland 90 Prozent weniger Feldlerchen geben. In den Nachbarländern sieht es nicht besser aus.
Der Gesang des Vogels hat Dichter inspiriert
„Dass die Feldlerchen im Sommer Deutschland in unermesslicher Anzahl bewohnen und auf allen Getreidefeldern in zahlloser Menge nisten, ist jedermann bekannt“, schreibt der Ornithologe Johann Friedrich Naumann (1780 bis 1857) in seiner zwölfbändigen „Naturgeschichte der Vögel Mitteleuropas“. Doch nicht nur den Bauern, die früher bei ihrer täglichen Arbeit viel Zeit auf den Feldern und Wiesen verbrachten, war die Feldlerche ein vertrauter Anblick und eine musikalische Unterhalterin. Der Gesang des 16 bis 18 Zentimeter großen Vogels, den hauptsächlich das Männchen vom Frühjahr bis Spätsommer über seinem Brutrevier unermüdlich ertönen lässt, hat viele Dichter dazu angeregt, dem Vogel Hymnen und Gedichte zu widmen. „Wenn über uns im blauen Raum verloren, ihr schmetternd Lied die Lerche singt“, heißt es in Goethes „Faust“, Shakespeare weist in „Romeo und Julia“ auf den Unterschied des Gesangs von Nachtigall und Lerche hin. Und Paul Gerhardt setzt der Lerche in seinem berühmten Kirchenlied „Geh aus, mein Herz und suche Freud“ von 1656 ein Denkmal. Der erste Teil des wissenschaftlichen Namens Alauda arvensis, den der schwedische Naturforscher Carl von Linné ihr einst gab, wird auf den Ursprung von Lauda deum zurückgeführt – somit ist sie eine Art Lobsängerin Gottes.
Der Wirkung des trällernden Jubelgesangs am Himmel kann man sich kaum entziehen. Obwohl ein Lerchenmännchen im Verhältnis zu seinem Körper besonders lange Flügel hat, fällt es nicht leicht, es bei seinem Singflug am Himmel zu entdecken. Bis zu vier Minuten lässt es seine variationsreichen Melodien bei gleichzeitigem Flügelschlag ununterbrochen erklingen, bevor es sich in zwei oder drei Etappen in die Tiefe fallen lässt, um abrupt in seinem oft nur wenige Quadratmeter kleinen Brutrevier zu landen und sich unsichtbar zu machen.
Auf dem Boden hüpfen die Feldlerchen nicht wie viele andere Singvogelarten, sondern sie bewegen sich mit geschwinden Trippelschritten vorwärts. Dabei gibt ihnen der hintere längere ihrer vier Zehen Trittfestigkeit. Wo sich sandige Flächen anbieten, nehmen die Vögel mit der aufstellbaren Federhaube auf dem Kopf gern ein Staubbad gegen Insektenbefall. Im Herbst verlassen die meisten Feldlerchen ihre mitteleuropäischen Brutgebiete, um in den Ländern ums Mittelmeer zu überwintern. Die ersten Männchen kehren schon im Februar in den Norden zurück.
Die dichten Klangteppiche der Sechziger sind verschwunden
Schwebten noch bis in die sechziger Jahre dichte fliegende Klangteppiche von singenden Männchen im Rüttelflug über den Feldern, so nahmen mit der Intensivierung der Landwirtschaft die kleinräumigen Brutreviere kontinuierlich ab. Dichter Anbau von Wintergetreide, Mais und Raps haben die einst günstigen Feldbiotope mit lockerem Sommergetreide in unwirtliche Lebensräume verwandelt. Die aus den Steppengebieten Afrikas und Südosteuropas eingewanderten Vögel hatten anfangs weiter nordwestlich von der Umwandlung der Wälder in offene landwirtschaftliche Flächen profitiert. Die Art hat heute ein weites Verbreitungsgebiet von den Britischen Inseln im Westen bis nach Japan im Osten, von Norwegen im Norden bis an die afrikanische Mittelmeerküste. Von den fast 100 Lerchenarten auf der Welt brüten nur zwei weitere in Deutschland: die Heidelerche (Lullula arborea) und die Haubenlerche (Galerida cristata). Auch sie sind gefährdet, doch waren sie in Mitteleuropa nie so zahlreich wie die Feldlerche.
Noch immer wird die Feldlerche in einigen Ländern intensiv bejagt. Allein in sechs EU-Staaten ist die Jagd trotz der Vogelschutzrichtlinie erlaubt: Mit Flinten, Netzen, Klebe- und Schlagfallen werden die Vögel besonders im Herbst und Winter in Frankreich, Italien, Griechenland, Malta, Zypern und Rumänien verfolgt. Jährlich kommen offiziell etwa 900.000 Feldlerchen durch Jagd und Fang ums Leben – die Dunkelziffer dürfte weit höher liegen. Als beliebte Stubenvögel müssen noch heute in Südeuropa viele Feldlerchen ihr Leben, das in Gefangenschaft länger als 20 Jahre dauern kann, in engen Käfigen fristen. Früher war die Jagd auch in Deutschland üblich. „Das Fleisch der Feldlerche ist außerordentlich wohlschmeckend“, schrieb Naumann. 1970 hieß es in „Die Brutvögel Mitteleuropas“ von Walter Wüst: „Die Vögel sind so zahlreich, dass ihre Verluste gut ausgeglichen werden.“
Der Artenschwund geht unverändert weiter
Der Ausgleich gelang den Himmelsvögeln über lange Zeit durch hohe Fruchtbarkeit am Boden. Bis zu dreimal im Jahr bebrüten die Weibchen elf bis zwölf Tage ihr Gelege von vier bis fünf Eiern, das gut getarnt in einer Bodenmulde liegt. Schon sieben bis elf Tage nach dem Schlüpfen verlassen die anfangs nackten Jungen ihr Nest und verteilen sich in der Umgebung. Die Eltern füttern sie weiter mit tierischer und pflanzlicher Nahrung, bis sie nach knapp drei Wochen flügge sind. Dann rüstet sich das Elternpaar zur nächsten Brut. Neben vielen Bodenfeinden vom Wiesel bis zum Wildschwein plündern auch Greif- und Rabenvögel ihre Nester. Große Verluste richten aber vor allem die landwirtschaftlichen Maschinen an. Wenn von etwa 15 möglichen Jungen pro Brutsaison zwei das erste Halbjahr überleben, ist das ein gutes Ergebnis. Es reicht aber nicht aus zur Erhaltung des Bestands.
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