Mobilitätskolumne: Warum das selbstfahrende Auto in Deutschland keine Zukunft hat
Autofahren bedeutet mehr als nur den Weg von A nach B. Unsere Psyche spielt beim Verhalten im Verkehr eine große Rolle. Deshalb könnte es in Deutschland schwer werden, autonome Autos attraktiv zu machen.
Der Werbespruch von Mercedes erinnert an den Zugang zum Paradies: „Das autonome Fahren definiert die Rolle des Automobils neu. Es wird nicht nur die Sicherheit und den Komfort beim Fahren erhöhen. Es gibt uns die Zeit zurück, die wir bisher mit Fahren beschäftigt waren und die wir dann für andere Dinge nutzen können.“ Der Branchenprimus steht mit dieser Einstellung nicht allein. Nach Ansicht vieler Autobauer wird das selbstfahrende Auto zum Sehnsuchtsort der Reisenden und der ArbeitspendlerInnen. Während sie von ihrem Fahrzeug sicher durch die Stadt und auf den Autobahnen chauffiert werden, können sie Muße tun, chillen oder sich von Podcast, Streamingdiensten und Büchern unterhalten und weiterbilden lassen.
Wollen Autofahrende ein selbstfahrendes Auto?
Ich halte diese Einschätzung für falsch. Das selbstfahrende Auto wird hierzulande zum Ladenhüter werden. Vielleicht mag das Konzept der Steuerung durch künstliche Intelligenz für eine kleine Kundengruppe interessant sein. Sicher ist es eine Hilfe für Ältere oder andere eingeschränkte Menschen.
Aber viele Autofahrende werden das selbstbestimmte Fahren nicht aufgeben. „Freude am Fahren“ lautet ein anderer Slogan der Autobranche. Das Auto dient oft nicht nur als Fortbewegungsmittel, es ist ein Werkzeug zum Frust ablassen und zur Präsentation der eigenen Fähigkeiten. Viele Menschen im Pkw wählen bewusst ein höheres Risiko, um ihre individuellen Qualitäten zu demonstrieren. Ein autonom fahrendes Fahrzeug ist das krasse Gegenteil davon. Es hält sich an alle Regeln und bremst im Zweifelsfall lieber einmal mehr statt Gas zu geben. Wer will das schon?
Die eigenen Aggressionen im Pkw ausleben
Der Stauforscher Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg/Essen ist zwar kein Psychologe. Aber er ist sicher, dass sich viele Menschen während des Fahrens eines Pkw verändern und das Auto als Schutzraum nutzen um die eigenen Aggressionen auszuleben. „Sie sind oft unauffällig im normalen Leben, benehmen sie sich auf der Straße aber rüde und rüpelhaft“, sagt er.
Eine aktuelle Studie der Unfallforschung der Versicherer (UdV) lässt aufhorchen: Die Befragten geben offen zu, dass sie Straßenverkehrsregeln regelmäßig ignorieren. 30 Prozent sagen, es komme vor oder sei (sehr) wahrscheinlich, dass sie bei ruhigem Verkehr innerorts 65 km/h statt Tempo 50 fahren. 53 Prozent bremsen nicht stark, wenn die Ampel von gelb auf rot schaltet, sie fahren lieber weiter. 25 Prozent erzwingen sich manchmal die Vorfahrt. 29 Prozent überholen auf der Autobahn auch rechts. 53 Prozent fahren an einer langen Schlange am Abbiegestreifen vorbei und versuchen sich erst weit vorn einzuordnen. Dieser Personenkreis wird von einem regeltreuen, selbstfahrenden Auto enttäuscht werden.
Freude am Fahren heißt auch andere ärgern
Vielleicht gehört die prompte Reaktion auf andere Verkehrsteilnehmer in Deutschland zur Freude am Fahren. Jedenfalls sagen 50 Prozent der Befragten, dass sie sich manchmal sofort abreagieren müssen, wenn sie sich über andere Autofahrende ärgern. Sie fahren dicht auf, beschleunigen, wenn sie überholt werden, nutzen die Lichthupe, fahren Manöver, die andere zum Bremsen zwingen oder lassen andere Fahrzeuge nicht einscheren. Ich überlasse den LeserInnen die Selbsteinschätzung, ob sie sich in diesen Beschreibungen wiederfinden.
Gewiss ist diese Befragung nur ein Indiz. Aber sie zeigt, dass die Psyche der Autofahrenden mehr erwartet, als nur den Weg von A nach B zu absolvieren. Sie wollen sich ab- und aufregen, bremsen und Gas geben. Autofahren bedeutet hierzulande ein bisschen Abenteuer, Emotion und offensichtlich auch die Missachtung von Regeln.
Sind autonome Autos langweilig?
Für die EntwicklerInnen selbstfahrender Autos ist das ein Problem. Ihr Produkt entspricht nicht dem, wie sich ihre KundInnen verhalten. Ein autonomes Fahrzeug, dessen Verhalten sich an der Straßenverkehrsordnung orientiert, wird vielen Menschen nicht gefallen. Es wird sich schlecht verkaufen lassen. So verrückt es auch klingen mag: Für den Erfolg der EntwicklerInnen wäre es besser, wenn sie das Verhalten der Autofahrenden als Datensatz zur Schulung der künstlichen Intelligenz verwenden würden. Heraus käme ein beliebtes Auto, das auch mal drängelt und zu schnell fährt. Wollen wir das?
Meine Kollegin Carina Frey hat in unserer Mobilitätskolumne erklärt, wie alte Gewohnheiten dazu führen, dass wir kurze Strecken mit dem Auto fahren, anstatt darüber nachzudenken, wie es besser geht. Genau wie beim autonomen Fahren geht es auch dabei um unsere Psyche: Wir Menschen sind leider nicht so vernunftgetrieben, wie wir es gerne hätten.