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RiffReporter Wahlcheck: Bundestagswahl 2025 - Was die Parteien zur Pflege planen
RiffReporter Wahlcheck: Wie die Parteien die Pflegekrise bewältigen wollen
Pflege spielt im Wahlkampf keine Rolle. Dabei wissen alle Parteien, dass die Pflegeversicherung unterfinanziert ist und reformiert werden muss. In ihren Programmen versprechen sie viel Altbekanntes, das schon lange angekündigt, aber nicht umgesetzt wird. Und eine Partei fordert Veränderungen, die sie noch vor Kurzem selbst abgelehnt hat. Eine Analyse

„Die Pflegeversicherung braucht ein Update“ – so knackig technisch formuliert es die CDU in ihrem Wahlprogramm. Auch alle anderen Parteien fordern eine Reform der Pflegeversicherung. Dabei geht es meistens ums Geld. Denn auf der einen Seite steigen die Kosten immer weiter, die Menschen für professionelle Pflege bezahlen müssen. Und auf der anderen Seite fehlen der Pflegeversicherung schon jetzt Milliarden.
Die Finanzierung ist allerdings nur eine Baustelle bei der Pflege. Es gibt viele weitere: Pflegende Angehörige sind vielfach überlastet, weil sie zu wenig Unterstützung bekommen. Es fehlt an Angeboten für die Kurzzeit- oder die Tagespflege. Und Beruf und Pflege lassen sich nach wie vor kaum vereinbaren. Wie wollen die Parteien diese Probleme lösen? Der Verein wir pflegen, eine Interessenvertretung pflegender Angehöriger, hat die Aussagen der Parteien nebeneinandergestellt: Vor allem bei AfD und BSW klaffen beim Thema Pflege große Lücken. Aber auch die anderen Parteien bleiben in ihren Wahlprogrammen an vielen Stellen vage, oder sie wiederholen altbekannte Forderungen, die seit Jahren nicht umgesetzt werden.
Reform der Pflegeversicherung
Den Bedarf sehen alle Parteien. Die Vorstellungen darüber, wie die Pflegeversicherung entlastet und finanziell stabilisiert werden kann, unterscheiden sich hingegen deutlich. CDU/CSU und FDP wollen an der Trennung zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung festhalten. Beide setzen auf mehr private Vorsorge. Die Union spricht sich für bezahlbare Pflegezusatzversicherungen aus, um die Finanzlücken in der Pflege zu schließen. Das Ziel sei die Absicherung pflegebedingter Kosten gerade für diejenigen, die andernfalls Sozialhilfe in Anspruch nehmen müssten. Wie diese Menschen die Beiträge zu einer privaten Pflegezusatzversicherung bezahlen sollen, bleibt unklar. Ebenso die Frage, wie der in den kommenden Jahren entstehende Finanzbedarf gedeckt werden soll, wenn die Babyboomer – die mehrheitlich noch keine private Zusatzversicherung haben – pflegebedürftig werden. Und schließlich gibt es rund 483.000 Menschen, die schon vor ihrem 30. Geburtstag pflegebedürftig werden und die somit keinerlei Chance haben, privat vorzusorgen. Was sollen diese Menschen tun, um die Pflegekosten zu finanzieren? Die FDP möchte neben mehr Eigenvorsorge vor allem die Chancen der Kapitalmärkte für die Pflegeversicherung nutzen.
SPD, Grüne, Linke und BSW fordern hingegen, die Trennung zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung aufzuheben. Stattdessen sollen alle Bürgerinnen und Bürger in eine gemeinsame Versicherung einzahlen, Stichwort: Bürgerversicherung. Die Forderung ist alt, seit Jahrzehnten wird über die Einführung gestritten. Der SPD schwebt zunächst ein Risikostrukturausgleich vor. Die privaten Pflegekassen sollen so schnell wie möglich für die gesetzliche Pflegekasse mit zahlen. Grüne und Linke setzen sich zudem dafür ein, dass auch Einkommen aus Kapitalerträgen für die Pflegeversicherung herangezogen werden. Bisher werden nur die Löhne und Gehälter berücksichtigt.
Der renommierte Pflegeexperte Heinz Rothgang und sein Kollege Dominik Domhoff vom Socium Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik an der Universität Bremen haben in einem Gutachten die finanziellen Auswirkungen einer solchen Bürgerversicherung berechnet. Würden alle Bürgerïnnen und alle Einkommensarten in die Beitragsbemessung einbezogen, könnten die aktuellen Finanzprobleme der Pflegeversicherung gelöst werden. Mehr noch: Eine solche Bürgerversicherung könnte sogar eine Pflegevollversicherung finanzieren. Gemeint ist, dass die Pflegeversicherung alle Pflegekosten in einem Heim abdeckt und pflegebedürftige Menschen, die zu Hause versorgt werden, mehr Leistungen bekommen. Der Verband der Privaten Krankenversicherung nennt die Idee der Bürgerversicherung hingegen „absurd“. Das Umlageverfahren, bei dem jüngere Menschen für die Pflege der älteren zahlen, sei das Kernproblem. Der Verband fordert – wie Union und FDP – mehr private Vorsorge. Die AfD nimmt in ihrem Wahlprogramm dagegen die Kosten in den Blick: Sie will Kranken- und Pflegeversicherung zusammenlegen, die Strukturen der Selbstverwaltung vereinfachen und so Kosten senken.
Finanzielle Entlastung von pflegebedürftigen Menschen
Auf Pflege angewiesen zu sein, wird immer mehr zum finanziellen Risiko. Denn Jahr für Jahr steigen die Eigenanteile, die Pflegebedürftige für professionelle Pflege zahlen müssen. Aktuell kostet ein Platz in einem Pflegeheim im ersten Jahr durchschnittlich 2.984 Euro. Die Pflegeversicherung übernimmt grundsätzlich nur einen Teil der anfallenden Pflegekosten. Den Rest müssen Pflegebedürftige und ihre Familien selbst tragen. Rund ein Drittel der Bewohnerïnnen in Pflegeheimen ist mittlerweile auf Sozialhilfe angewiesen. Und die steigenden Preise in der ambulanten Pflege führen dazu, dass Familien mehr Aufgaben selbst übernehmen müssen oder in die Armut rutschen.
Ein Bündnis aus Selbsthilfeverbänden, pflegenden Angehörigen und dem Deutschen Pflegerat fordert die Einführung einer Vollversicherung, die alle Pflegekosten abdeckt. Linke und BSW setzen sich ebenfalls für eine Pflegevollversicherung ein. Die SPD möchte die Pflegekosten zumindest deckeln: der Eigenanteil, den Bewohnerïnnen im Pflegeheim zahlen müssen, soll auf maximal 1000 Euro im Monat begrenzt werden. Außerdem sollen die Kosten für Investitionen nicht mehr vollständig auf die Bewohnerïnnen umgelegt werden dürfen. Für die häusliche Pflege – bei der die Eigenanteile in der Regel niedriger liegen – soll es ebenfalls eine Begrenzung geben. Die Grünen bleiben vage und versprechen nur allgemein die „dringend benötigte Entlastung der Pflegebedürftigen“. Auch die Union will „finanzielle Belastungen der Betroffenen“ abfedern, ohne konkret zu werden. Die AfD will die häusliche Pflege deutlich höher finanziell honorieren, sagt aber nicht, wie das finanziert werden soll.
CDU/CSU, Grüne und FDP setzen sich zudem für ein Pflegebudget ein. Gemeint ist, dass pflegebedürftige Menschen ein bestimmtes Budget zusteht und sie selbst entscheiden dürfen, wie sie das Geld einsetzen. Selbsthilfeverbände und Verbraucherschützer fordern schon lange ein solches Budget, das alle Leistungsansprüche der häuslichen Pflege zusammenfasst. Bisher müssen die meisten Leistungen getrennt beantragt werden. Wird eine Leistung nicht genutzt – zum Beispiel, weil es keine Angebote in der Nähe gibt – verfällt das Geld.
Die Ampelregierung hatte in der jüngsten Pflegereform zumindest ein kleines Budget eingeführt und zwei Leistungen zusammengefasst. Als sie in Regierungsverantwortung war, hatte sich die FDP noch dagegen gesperrt. Sie wollte das Budget streichen. Jetzt wirbt sie dafür.
Vereinbarkeit Pflege und Beruf
Jede 10. Arbeitnehmerin und jeder 13. Arbeitnehmer pflegt. Häufig müssen pflegende Angehörige ihre Arbeitszeit reduzieren oder sie steigen ganz aus dem Beruf aus. Sie fordern schon lange eine finanzielle Entschädigung oder die Einführung einer bezahlten Pflegezeit. So wie Eltern während der Elternzeit Elterngeld beziehen können, sollen Pflegende, die im Job vorübergehend kürzertreten oder pausieren, ein Pflegegeld bekommen. Die Ampelkoalition wollte eine solche Pflegezeit einführen. Der unabhängige Beirat für die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf hat bereits im Jahr 2022 umfassende Vorschläge vorgelegt. Umgesetzt wurden sie nicht. Nun versprechen SPD, Grüne und Linke erneut, eine bezahlte Freistellung vom Beruf einzuführen. Die SPD orientiert sich am Elterngeld, die Linke möchte sechs Wochen Freistellung bei vollem Lohnausgleich, bezahlt von den Arbeitgebern. Die Grünen sprechen von einem zeitlich begrenzten Ausgleich entgangener Einkünfte. Die FDP plädiert hingegen dafür, Arbeitszeiten zu flexibilisieren, um so Zeit für Pflege zu schaffen. Außerdem sollen Angebote wie Kurzzeit- und Tagespflege ausgebaut werden – letzteres versprechen auch SPD, Grüne und Linke. Die Union will neue Wohn- und Betreuungsformen etablieren. Ob die Menschen solche Angebote nutzen, wird am Ende aber entscheidend davon abhängen, wie hoch die Kosten sind und ob sie sich diese Unterstützung künftig leisten können.
Es ist erstaunlich, dass ein so brennendes Thema, das schon jetzt Millionen Pflegebedürftige und ihre Familien betrifft, nicht stärker in den Mittelpunkt des Wahlkampfs rückt. Pflege ist kein Nischenthema, es wird in einer alternden Gesellschaft immer wichtiger.
Den kompletten RiffReporter-Wahlcheck finden Sie hier!