Community-Journalismus: „Dieser Zugang ist ein großes Glück“

Die Investigativjournalistin Ruona Meyer über die grenzübergreifende Community im Projekt „Lessons from Africa“ und die Menschlichkeit im Journalismus

von , Martin Tege
5 Minuten
Die Journalistin, Medientrainerin und Forscherin Ruona Meyer

Ruona Meyer kommt aus Nigeria und berichtet als Investigativjournalistin über soziale und politische Themen aus Westafrika. Sie arbeitet außerdem als Medientrainerin mit über 18 Jahren Erfahrung in Nigeria, Südafrika, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland und promoviert zu investigativem Cross-Border-Journalismus. Zurzeit ist Ruona Meyer eine von vier Community-Redakteur:innen im Riffreporter-Projekt„Lessons from Africa“und befragt seit August 2022 eine afrikanisch-deutsche Community aus Wissenschaftler:innen, Gründer:innen und Mitarbeiter:innen der Entwicklungszusammenarbeit. Gefördert wird das Projekt vom European Journalism Center (EJC), tactile.newsstellt die Dialog-Software 100 eyes zur Verfügung. Alle bisher erschienenen Beiträge finden sichhierbei den Riffreportern.

Einmal zusammengefasst: Worum geht es in dem Projekt „Lessons from Africa“?

In „Lessons from Africa“ befassen wir uns mit technologischen Lösungen, die in Afrika entwickelt werden, um die ersten sechs Nachhaltigkeitsziele der UN zu erreichen. Das sind: Keine Armut, kein Hunger, Gesundheit, hochwertige Bildung, Geschlechtergerechtigkeit, sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen. Wir wollten zeigen, was andere Organisationen und Gesellschaften von Afrika lernen können. Dafür wollten wir Afrikaner:innen und Deutsche an einem Ort zusammenzubringen und ihre Antworten vergleichen. Wir haben außerdem ihre Fragen gesammelt, bevor wir ins Feld gegangen sind, um zu berichten. 100 eyes hat uns dabei geholfen. Es ist ein gutes Instrument, um in Echtzeit herauszufinden, was Menschen auf verschiedenen Kontinenten über ein Thema denken. Das European Journalism Center fördert unseren lösungsbasierten Ansatz.

Mit 100 eyes hast du eine direkte Verbindung zu 50 ganz unterschiedlichen Menschen über Messenger-Apps wie Telegram oder Signal. Wie fühlt sich das an, eine Community direkt unter den Fingerspitzen zu haben?

Es ist, als würden wir eine Gruppe von Menschen an einem Ort versammeln, ohne dass sie sich sehen, aber wir selber stehen mittendrin. Mit 100 eyes sehe ich auf die unterschiedlichen Meinungen und das Wissen der Leute auf einen Blick. Dieser Zugang ist ein großes Glück. Als Journalistin in der Lage zu sein, diese Menschen zu sehen, die sich von mir selbst in Bezug auf Alter, Gender, Demographie und Ort unterscheiden, ist wirklich inspirierend. Ich konnte schon eine Menge von ihnen lernen.

Wie sah die Arbeit mit der „Lessons from Africa“-Community bisher für dich aus?

Du musst dir wirklich überlegen, wie du die Zeit der Leute am besten nutzen kannst. Vor jeder neuen Frage schauen wir uns an, was die Community zuletzt geantwortet hat. Wir müssen darauf achten, dass die Stimme der Community führend ist und auch ihre Fragen berücksichtigt werden. Diese Dinge sind für Journalisten nicht schwer zu bewerkstelligen. Aber man muss sich die Zeit nehmen, einen Schritt zurückzutreten und die Menschen wirklich verstehen zu wollen.

"Wer empathisch fragt und wirklich an den Antworten interessiert ist, bekommt bessere Informationen“

Worin liegen die Vorteile bei dieser Art der Berichterstattung?

Die Arbeit mit der Community hat einige Vorteile. Seit der Pandemie sind viele Produktionsprozesse im Journalismus runtergefahren, aus Sicherheitsgründen und wegen Social Distancing. Außerdem werden immer mehr Journalist:innen bei der Arbeit angegriffen. Es ist beängstigend, dass diese Dinge passieren. Deshalb sind Tools wie 100 eyes sehr wichtig. Außerdem kann man sich mit 100 eyes nicht so einfach missverstehen.

Hast du das Gefühl, dass du die Leute in der Community wirklich kennenlernst?

Ich habe die Menschen ein Stück weit kennengelernt, aber wahre natürlich Distanz zu meinen Quellen. Das hilft gegen Voreingenommenheit. Aber wie bei allen sozialen Medien und jedem persönlichen Gespräch: Wenn die Leute empathische Fragen bekommen, werden wir eine Verbindung herstellen. Und das habe ich erreicht. Ich bin wirklich zufrieden.

Wie sind deine Erfahrungen damit, etwas von deiner Arbeit als Reporterin mit der Community zu teilen?

Fotos funktionieren sehr gut. Ich habe viele Antworten bekommen, als ich ein Bild von einer Pferdekutsche im Senegal geteilt habe. Und lustig war es auch noch. Auch hier gilt: Jeder mag diese menschliche Verbindung. Jede Kommunikation, die nicht nach einer Transaktion klingt, funktioniert. Also am besten nicht schreiben: Gib mir die Informationen – ich bin Journalistin! Wer empathisch fragt und wirklich an den Antworten interessiert ist, bekommt bessere Informationen.

Dieses Bild einer Kutsche im Senegal teilte Ruona Meyer mit der Community
Dieses Bild einer Kutsche im Senegal teilte Ruona Meyer mit der Community

Was hat dich überrascht?

Wie viel wir Journalist:innen selbst lernen müssen, wenn wir über einen Ort oder einen Kontext berichten, der anders ist als der gewohnte. Journalist:innen müssen einige Dinge lernen, wenn sie über Länder außerhalb der eigenen Kultur berichten. Auch dabei hat 100 eyes uns geholfen.

Glaubst du, dass diese Art von Cross-Border- und Community-Journalismus hilft, um über bestimmte Themen zu berichten?

Absolut. Und das sage ich auch als Wissenschaftlerin. In meiner Dissertation beschäftige ich mich mit Strategien in journalistischen Netzwerken. Die Technologie spielt dabei eine entscheidende Rolle. Sie kann in diesem Kontext viel bewirken, je nachdem wie sie zur Verfügung gestellt wird und wer sie nutzt. Tools wie 100 eyes können die Sicherheit der Journalisten gewährleisten und verhindern, dass Quellen falsch zitiert werden. Sie sparen Kosten. Und helfen, Wissenslücken zu überbrücken. Ich halte das für sehr wichtig und entscheidend für den Journalismus.

Was sollten westliche Medien lernen, wenn sie über Themen aus Afrika berichten?

Die Gesellschaften in Europa verändern sich, die in Afrika auch. Wenn Journalist:innen darüber berichten, erfordert das Zusammenarbeit. Sie sollten sich eine Community zusammensuchen und die Leute befragen, bevor sie anfangen zu berichten. Aus diesem Grund spreche ich gerne und immer wieder über Tools wie 100 eyes.

"Die Menschen schenken dir ihre Zeit und ihre Stimme. Das ist ein Privileg. Halte das nicht für selbstverständlich“

Welchen Rat würdest du anderen für ihre Projekte im Community-Journalismus mitgeben?

Sei aufgeschlossen. Sei wirklich aufgeschlossen. Und mach dir Gedanken darüber, wie du die Community mit Menschlichkeit erreichst. Denn zunächst seid ihr ja hinter einem Bildschirm und euch fremd. Wenn du mal auf Antworten warten musst, sage dir immer, dass die Community trotzdem Geld und Zeit spart. Die Menschen schenken dir ihre Zeit und ihre Stimme. Das ist ein Privileg. Halte das nicht für selbstverständlich.

Ein Blick in die Zukunft bitte: Was braucht der Journalismus?

Journalismus muss diverser werden. Wir müssen sensibler und differenzierter werden. Ich glaube auch, dass der Journalismus ein Gleichgewicht finden muss zwischen dem Einsatz von Technologie und der Ablehnung von Technologie. Es ist immer einfach zu sagen: „Twitter ist uns jetzt egal. Wir werden einfach woanders hingehen.“ Aber für manche ist Twitter das Lebenselixier und der Beschwerdekanal gegen die Regierung. Der Journalismus muss ein Gleichgewicht herstellen zwischen der Technologie und der Art und Weise, wie verschiedene Menschen sie nutzen. Und schließlich glaube ich, dass wir uns selber nicht so wichtig nehmen dürfen. Egal, wie gut wir ausgebildet sind, egal wie viele Pulitzer-Preise wir gewinnen, die Menschen, mit denen wir sprechen und über die wir berichten, müssen immer im Mittelpunkt stehen.

Das Projekt „Lessons from Africa“ wird gefördert vom European Journalism Center, durch das Programm Solutions Journalism Accelerator. Dieser Fonds wird unterstützt von der Bill und Melinda Gates Foundation.

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