UN-Umweltgipfel: „Greenwashing“ und Zeitverschwendung – oder doch nicht?
Klimakrise und Naturzerstörung: Mega-Events der Vereinten Nationen versprechen Rettung, aber ihre Ergebnisse sind bisher mager. Angesichts von Nationalismus, Krieg, Verteufelung politischer Gegner und Desinformation können wir uns trotzdem glücklich schätzen, dass es sie gibt
Eigentlich sind UN-Umweltgipfel wie jetzt die COP27 in Ägypten und im Dezember der UN-Naturschutzgipfel in Montreal ein Unding. Sie sollen dazu dienen, dass Menschen gut leben können, ohne Dürren, Überschwemmungen, Klimastress. Sie sollen dafür sorgen, dass wir sorgsam mit Ressourcen umgehen. Und sie sollen die Vielfalt des Lebens auf der Erde schützen, das Konzert der Vögel und Insekten im Regenwald, das bunte Miteinander in Korallenriffen.
Doch bisher haben sie ihre Ziele nicht erreicht. Und sie sind selbst alles anderes als nachhaltig.
Wie eine Olympiade in der Disziplin Burn-out
Tausende Menschen werden in meist lichtlosen Hallen zusammengepfercht, die Luft ist stickig.
Der Druck, unter dem diese Veranstaltungen stattfinden, ist enorm. Während die Ausbeutung der Erde verhindert werden soll, müssen die Teilnehmenden Raubbau an ihren Kräften betreiben. Jeder, ob Staatenvertreter, NGO-Engagierter oder Wirtschaftslobbyist, will Recht behalten und sich durchsetzen. Die Zeit verrinnt und gegen Ende fangen die Delegierten an, beim Verhandeln die Nächte durchzumachen.
Selbst wenn man dem Geschehen nur in den Nachrichten folgt, kann man förmlich sehen, wie die Gesichter von Tag zu Tag grauer werden. Die Stimmung wird entsprechend immer gereizter – als wären die Umweltgipfel eine Olympiade in der Disziplin Burn-out. „Wir werden die ganze Zeit in einem Konferenzzentrum mit wenig Tageslicht verbringen und die Sonne nur sehen, wenn wir versuchen, in unserer Businesskleidung von einem klimatisierten Hotel ins nächste zu eilen, ohne dabei ins Schwitzen zu geraten“, klagt eine Delegierte der COP27 im britischen „Guardian“.
Auch die Sprache wirkt sehr lebensfern, ja untot. Die meisten Verhandlungstexte sind so formuliert, dass selbst Experten sie kaum verstehen. Sie lesen sich mit ihren unzähligen Abkürzungen und endlosen Schachtelsätzen wie Gebrauchsanleitungen komplizierter Maschinen, aber definitiv nicht wie gemeinsame Regeln für eine lebendige Erde.
Angefangen mit der ersten Weltklimakonferenz 1995 in Berlin habe ich zudem nie erlebt, dass es in den Konferenzzentren viel mehr als labbrige Sandwiches gegeben hätte, egal ob in Kyoto, Bonn, Posen, Bali, Nagoya, Kopenhagen oder Cancun. In Ägypten gibt es der „New York Times“ zufolge aktuell dasselbe Problem: Wenn es an den ersten Konferenztagen überhaupt etwas zu essen gab, dann Sandwiches, Burger und Pizza.
Mehr als einmal habe ich mich während solcher Konferenztage gefragt, ob mangelnde Erfolge vielleicht auch daran liegen, dass zwei Wochen Fast Food dem kompromisswilligsten Menschen die Laune verderben können.
Wenn es dann doch gelingt, eine Einigung zu finden und der Hammer des Konferenzleiters fällt – ob für eine gesichtswahrende Vertagung bis zum nächsten Mal oder für einen wegweisenden Beschluss wie beim Weltklimagipfel 2015 in Paris – hat jeder im Saal seine persönliche Ressourcen erschöpft. Am Ende ist man nur noch froh, wieder abreisen zu können.
Die „COPs“ gehören inzwischen fest zum Jahreskreis der Umweltpolitik und es geht so hektisch zu, dass kaum je Zeit bleibt, sich zu vergegenwärtigen, wie erstaunlich sie sind: Tausende Menschen reisen – meist fliegend – zu einem kleinen Punkt auf der Erdoberfläche, verschwinden in einer künstlichen Höhle, sprechen über zwei Wochen hinweg Millionen Wörter – und stellen damit die Weichen für eine bessere Zukunft aller Lebewesen auf der Erde.
Keines der Ziele für Klima und Natur wurde bisher wirklich erreicht
Zumindest ist das der Anspruch. Den UN-Umweltgipfeln wird vorgeworfen, sie seien reine Show und letztlich nutzlos. Greta Thunberg bleibt der COP27 demonstrativ fern, kritisiert die Klimakonferenz als „Greenwashing“, also als ein Täuschungsmanöver. In sozialen Medien rechnen Menschen vor, wie viele Tonnen CO2 für die Flüge der Delegierten in die Luft geblasen wurden. An der Kritik ist etwas dran.
Dass es von der COP1 in Berlin bis zum Weltklimavertrag von Paris 20 Jahre gedauert hat – erschütternd.
Dass Wissenschaftler im Jahr 2022 vorrechnen, wir seien trotz allem auf dem Kurs zu einer katastrophalen Erwärmung von 2, 8 Grad – entsetzlich.
Dass 2010 auf dem UN-Naturschutzgipfel in Nagoya 20 wichtige Ziele für den Schutz unserer Lebensgrundlagen vereinbart wurden, aber am Zieldatum 2020 kein einziges erreicht war – deprimierend.
Doch zugleich muss man sich vor Augen führen, was die Alternativen zu den gescholtenen UN-Umweltgipfeln wären: Jeder Staat würde nur machen, was ihm gerade passt. Die Welt hätte kein gemeinsames Ziel vor Augen, und kein Forum, in dem man sich gemeinsam vor Augen führt, dass dieses Ziel noch nicht erreicht wurde und in dem die Staaten der Erde friedlich und konstruktiv über die Zukunft der Erde sprechen.
Welch enorm hoher Wert darin liegt, erfahren wir in den 2020er Jahren mit äußerster Brutalität. In Brasilien hat sich der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro jahrelang jede Einmischung von Seiten der Vereinten Nationen in seinen Umgang mit Amazonas, Pantanal und ihren indigenen Bewohnern verbeten.
Angriff auf das Weltbürgertum
Ob „Brasilien first“ oder „America first“ – eine Welle von egoistischem Nationalismus schwappt um die Erde und droht, die als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg gegründeten Vereinten Nationen an die Seite zu schieben.
Zudem hat Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung Aufwind – ob bei dem von Ex-Präsident Donald Trump orchestrierten terroristischen Angriff auf das Kapitol oder beim russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Statt mit anderen zu reden und nach Lösungen zu suchen, werden politische Gegner zu Feinden erklärt. Allen Ernstes werden Andersdenkende von Putin und Trump als „Satanisten“ betitelt, das Böse auf Erden. In Russland hat Putin die Demokratie schon erledigt, in den USA könnten die Republikaner in den kommenden zwei Jahren ihre Macht dazu nutzen, es ihm nachzumachen.
Insgesamt ist der Autoritarismus auf dem Vormarsch – wie die Weltmacht China zeigt, wo sich Xi Jinping gerade zum Führer auf Lebenszeit hat machen lassen und in einer lichtlosen Konferenzhalle seinen Vorgänger Hu Jintao abführen ließ. Brutale Regime wie das von Saudi-Arabien spielen bei Energielieferungen ihre Macht über den Westen aus oder lassen sich, wie zuletzt Russland und nun Katar, mit der Fußballweltmeisterschaft medial reinwaschen.
Und wenn der reichste Mann der Welt ein soziales Netzwerk kauft und als erstes die Teams zusammenschrumpft, die gegen Hass und Desinformation und für einen zivilen Diskurs eintreten sollen, passt dies leider zum Gesamtbild. Als eine Trump-Beraterin zu Anfang von dessen Präsidentschaft von „alternativen Fakten“ sprach, wurde darüber noch gelächelt.
Inzwischen haben sich weite Teile nicht nur der US-Gesellschaft, sondern auch etwa die deutschen selbsternannten „Querdenker“ von wissenschaftlicher Evidenz als gemeinsamer Basis aufgeklärter Gesellschaften verabschiedet. Gerade das Klimathema dient schon lange als Exerzierfeld interessengesteuerter Desinformation. Künftig können sich dann auf Twitter russische Propagandisten oder Klimawandelleugner für 8 Dollar im Monat mit blauem Verifikationshaken als glaubwürdige Quelle präsentieren.
In dieser beunruhigenden Weltlage stehen die UN-Umweltgipfel in einem ganz anderen, viel positiveren Licht da: nicht als Quasselbuden, sondern als wertvolle Orte friedlichen Dialogs. Nicht als Show-Veranstaltungen, sondern als vielleicht einzige Chancen auf wirklich globalen Konsens. Und auch nicht als erfolglose Eventserie, sondern als jährliche gemeinsame Erinnerung daran, was eigentlich dringend auf der Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnisse passieren müsste, aber noch nicht passiert ist.
„Globalismus“ ist in den rechtsextremen Kreisen um Leute wie Donald Trump, Peter Thiel und Jair Bolsonaro schon seit längerem ein Schimpfwort. Unvergessen auch die Aussage der früheren britischen Premierministerin Theresa May, wer sich Weltbürger nenne, sei ein „Bürger von Nirgendwo“. In Putins Reden ist der „Kosmopolitismus“ das Feindbild. Diese Rhetorik ist teils identisch mit jener aus Stalin- und NS-Zeiten.
Wie wäre es mit Wanderungen und einer Party of the conference?
Dem stehen die COPs – bei allen ihren Unzulänglichkeiten – als Zusammenkünfte von Weltbürgerinnen und -bürgern gegenüber. Denn auch die Vertreter von Nationalstaaten sind dort zu globalem Denken und Handeln verpflichtet.
Stünde für die Lösung der Umweltkrisen von Klima und Biodiversität unbegrenzt Zeit zur Verfügung, könnte man die Konferenzen als uneingeschränkten Erfolg sehen. Leider ist das nicht so. Die Menschheit hat mit fossilen Brennstoffen Energien angezapft, die sich über Millionen Jahre Sonnenscheins auf die Erde angesammelt haben. Diese Energien haben wir binnen Jahrzehnten für die Eroberung der Natur eingesetzt. Die Abgase daraus fangen in gewaltigen Mengen in der Atmosphäre Wärme ein.
Das Zeitfenster, diesen Geist wieder in die Flasche zu bekommen, ist klein. Es bleiben nur wenige Jahre, um gewaltige Schäden an Klima und Biodiversität für Jahrzehntausende abzuwenden.
Darum ist der Erfolgsdruck so groß und der jährliche Frust, wenn wieder nicht genug erreicht worden ist.
Man könnte wegen der geradezu irrsinnigen Zeitnot auch sagen, dass die Form dieser Veranstaltungen egal ist und niemanden wirklich interessieren muss, ob am Ende ein paar Tausend Menschen völlig ausgebrannt in ihre Heimatländer fliegen. Aber nachdem ich viele Wochen als Reporter in den lichtlosen Konferenzhallen der Vereinten Nationen zugebracht habe, frage ich mich schon, ob ein besseres Veranstaltungsklima nicht auch zu besseren Ergebnissen führen könnte.
Das könnte damit anfangen, dass die Delegierten nicht nach dem Prinzip „Fly-in-fly-out“ an einem mehr oder weniger beliebigen Ort in austauschbaren Businesshotels zusammenkommen, sondern Gäste der örtlichen Bevölkerung sein könnten. Man könnte die ersten Gespräche bei gemeinsamen Wanderungen in der Natur führen oder beim Essen im Freien, zubereitet mit regionalen Zutaten und Rezepten. Geht nicht auch die Liebe zur Erde durch den Magen?
In der aktuellen Weltlage ist jede COP ein Hoffnungszeichen
Damit die Texte verständlicher werden, könnten die Unterhändler sie Jugendlichen vortragen, um deren Zukunft es ja geht, und sie erst dann zur Abstimmung stellen, wenn die Sprache klar genug ist. Man könnte auch von der seit dem Wiener Kongress nicht veränderten Praxis abweichen, dass eben jeder Staat mehr oder weniger diplomatisch versucht, sich durchzusetzen. Man könnte stattdessen mit spielerischen Methoden experimentieren: Es könnte zum Beispiel einen Tag geben, an dem in einem Ringtausch Chinesen für Amerika, Inder für Deutschland, Deutsche für Äthiopier verhandeln.
So eine Trockenübung würde es allen erleichtern, die Welt aus der Sicht des anderen zu sehen. Richtig gelungen wäre es, wenn am Ende der Konferenz nicht immer alle fluchtartig abreisen würden, sondern die „Conference of the Parties“ mit einer schönen „Party of the Conference“ enden würde. Auch das wäre ein starkes Signal in alle Welt. Die Sprache des gemeinsamen friedlichen Feierns versteht ja jeder.
Wanderungen, Teambuilding, Feiern –Realpolitik sieht natürlich anders aus und hat andere Regeln. Immerhin liegt Sharm El-Sheik am Roten Meer. Die COP27 ist damit viel näher an der Natur als viele andere der Orte, in denen die 26 vorangegangenen Klimakonferenzen abgeschirmt stattfanden.
Es sollte niemand – auch nicht Greta Thunberg – verächtlich über die UN-Umweltgipfel reden. Zwar sind sie nicht das einzige Forum, das über die Zukunft von Klima und Natur entscheidet. In jüngster Zeit haben sich eher Städte wie Kopenhagen, Gerichte wie beim deutschen Klima-Urteil aus Karlsruhe oder inspirierende Einzelpersonen als Antriebskräfte des ökologischen Fortschritts erwiesen.
Aber in einer Welt, in der ein Rückfall in finsteren Nationalismus und das Unrecht des Stärkeren drohend über allem hängt, gehören diese Gipfel zum Besten, worauf die Menschheit noch vertrauen kann.