Der aktuelle Sparzwang in der Kultur legt das Unbehagen mit der zeitgenössischen Kunst offen

Warum die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden als selbstständige Institution der zeitgenössischen Kunst für die Politik keinen Wert mehr an sich darstellt und damit Künstler:innen und andere Kritiker:innen gegen sich aufbringt.

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Blick durch herbstlichlich verfärbte Bäume auf den Eingang eines Giebelbaus und einen modernen Bau

Kultureller Kahlschlag droht nicht nur in Berlin, Dresden oder Köln, sondern auch in Baden-Württemberg. Dort wird die Leitung der Kunsthalle Baden-Baden vorerst nicht neu besetzt werden, weil das Haus zum Ausweichquartier des Badischen Landesmuseums erkoren wurde. Man schiebt Sachzwänge vor, um die einzige landeseigene Ausstellungshalle in ihrer alten Funktion zu demontieren. Die staatlichen Kulturhüter haben indes nicht mit denen gerechnet, die es ernst meinen mit einer lebendigen Kultur, mit den Künstlern und Künstlerinnen selbst und langjährigen Beobachtern der Kulturpolitik im Südwesten.

Aus Sicht der Künstlerschaft stellt die temporäre Stilllegung der Kunsthalle schlicht eine Katastrophe dar. Für diejenigen, die diesen Beruf erlernt haben und ausüben, steht das geschichtsträchtige, staatliche Ausstellungshaus für die gesellschaftliche Anerkennung ihrer Profession. Die scheint nun zu bröckeln, was sie nicht einfach so hinnehmen wollen. Sie geben keine Ruhe, auch wenn der Aufschrei in den Medien nach dem Eklat um die diese Entscheidung im September 2024 wieder verhallt ist.

Die Kunsthalle Baden-Baden hat Kunstgeschichte geschrieben. Nach wie vor ist das Haus eine Ausnahmeerscheinung, die Räume haben ein menschliches Maß.

Margrit Brehm, Kunsthistorikerin

Unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne für die temporäre Nutzung der Kunsthalle Baden-Baden als Ausweichquartier für das sanierungsbedürftige Badische Landesmuseum (BLM) und gegen die Neubesetzung der Position der scheidenden Direktorin Çağla Ilk, fand sich eine informelle Künstlerinitiative zusammen. Sie wandte sich mit einem Brief an die Verantwortlichen und erreichte zumindest, gehört zu werden. Der Gesprächstermin mit Kunststaatssekretär Arne Braun in Stuttgart fand Anfang Dezember statt. Sie wollten Alternativen aufzeigen und verstehen, wie es zum Aus der Kunsthalle „wie man sie seit Jahrzehnten kennt“ kommen konnte.

„Es war ein anregender Austausch, der auch Reibungspunkte mit sich brachte“, formuliert es der Karlsruher Bildhauer André Wischnewski nach dem Treffen diplomatisch. „An manchen Punkten mussten wir schwer nachsetzen, damit unsere Position richtig wahrgenommen wird“, fügt der Kalinowski-Preisträger hinzu. Unter den 17 Künstler:innen aller Altersgruppen aus Karlsruhe, Stuttgart, Offenburg, Pforzheim und Mannheim waren etliche Stipendiat:innen der Kunststiftung Baden-Württemberg und zwei Hanna-Nagel-Preisträgerinnen.

Sie alle empfinden das temporäre Aus für die Kunsthalle Baden-Baden als Ort zeitgenössischer Kunst als Absage an die Künstlerschaft. Der ehemalige Professor der Hochschule für Gestaltung Pforzheim, Peter Jacobi, legte ein Foto der Gründertafel der Kunsthalle auf den Tisch. „Dieses Haus wurde unter der Regierung ihrer Königlichen Hoheiten des Großherzogs Friedrich I. und Großherzogs Friedrich II. für die freie Künstlervereinigung Baden (…) erbaut“, steht da in Marmor gemeißelt. Das war 1914. „Eine Struktur, die über hundert Jahre aufgebaut wurde, kann man nicht einfach so abschaffen“, findet der Karlsruher Maler Martin Boukhalfa. Künstler in Baden-Württemberg bräuchten einen Ort, wo sie sich mit anspruchsvoller zeitgenössischer Kunst auseinandersetzen können.

Dem Versprechen des Kunststaatssekretärs Arne Braun, dass nach fünf Jahren Gastspiel des BLM die Direktion der Kunsthalle Baden-Baden wieder neu ausgeschrieben werde, begegnen die Teilnehmer:innen des Gesprächs mit Skepsis – zumal womöglich nach den Landtagswahlen im Frühjahr 2026 der Posten des Grünenpolitikers Braun neu besetzt werden könnte. „Wer holt dann die Kunsthalle Baden-Baden wieder aus ihrem Dornröschenschlaf?“, fragt die Werner-Stober-Kunstpreisträgerin Katarina Baumann. Auf sie geht die Idee zurück, einen repräsentativen Querschnitt der Künstlerschaft für die Debatte um die Kunsthalle zu mobilisieren.

Wer holt dann die Kunsthalle Baden-Baden wieder aus ihrem Dornröschenschlaf?

Katarina Baumann, Künstlerin

Die Vorschläge der Initiative sind konstruktiv, aber nicht kompatibel mit der staatlichen Verwaltung. Die sich engagierenden Künstler:innen treten für die Kontinuität einer eigenständigen Leitung der Kunsthalle Baden-Baden ein, die gleichberechtigt mit dem Gast, dem Badischen Landesmuseum, das Programm des Hauses bestimmt. Dies müsse auf Augenhöhe passieren, fordert die Mannheimer Künstlerin Laura Sacher. Letztendlich ginge es um gegenseitiges Vertrauen. Staatssekretär Braun ließ sich erwartungsgemäß nicht auf diesen Vorschlag ein. Er stellt lediglich einen „Dialogprozess zeitgenössische Kunst“ in Aussicht, wie er bereits zum Thema Popmusik stattgefunden hat.

Ärger löst auch die – aus Sicht der Künstlerschaft – fachfremde Nutzung der Kunsthalle aus. Das BLM ist ein großes kulturgeschichtliches Museum – mit dem Thronsaal der badischen Großherzöge, einer bedeutenden archäologischen Sammlung antiker Vasen und der sogenannten Türkenbeute. Untergebracht ist das Museum im Karlsruher Schloss, das dringend saniert werden muss. „Das Badische Landesmuseum sei ja noch nicht mit Aufsehen erregenden Ausstellungen zeitgenössischer Kunst hervorgetreten“, bemerkt Silke Stock. Die Bildhauerin arbeitet seit Jahrzehnten im Aufbauteam der Kunsthalle Baden-Baden und hat zahlreiche Direktor:innen des Hauses kommen und gehen sehen.

Risiko und Nebenwirkungen der zeitgenössischen Kunst

Wie kam es zu dieser heiklen Situation, die den Fortbestand einer renommierten Institution wie der Kunsthalle Baden-Baden gefährdet? Ja, richtig, es geht ums Geld. Im Magazin Der Spiegel war zu lesen, dass die aktuelle Direktorin Çağla Ilk jährlich nur 2500 zahlende Besucher:innen ins Haus locken konnte. Jede Eintrittskarte war laut Ministerium mit 500 Euro subventioniert worden. Die ehemalige Kuratorin und Dramaturgin des Maxim-Gorki-Theaters in Berlin und ihr Co-Direktor Misal Adnan Yıldız traten mit einem Programm an, dass laut Pressemitteilung von 2020 des Ministeriums für „Gender, Vielfalt und Migration“ stand. Damals begeisterte sich die damalige Kunststaatsministerin Petra Olschowski noch für das innovative Konzept.

Zur allgemeinen Haushaltsmisere kommt das Unbehagen mit der internationalen Diskurskunst, die aus Sicht der Verantwortlichen politisch heikel ausfallen kann und sich zumindest in den Ausstellungen der Kunsthalle Baden-Baden in den vergangenen fünf Jahren oftmals sich selbst genug zu sein schien. Dieses Sperrige und Unbequeme will man sich nicht mehr leisten, weshalb nun eine Institution mit jahrzehntelanger, überregionaler Erfolgsgeschichte auf dem Prüfstand steht. Die Gründe für das im September vergangenen Jahres verkündete, temporäre Aus des Hauses sind vielfältig.

Sanierungsstau bei Oper und Museen in Baden-Württemberg

Der Druck, der auf den Verantwortlichen im Kunstministerium lastet, ist immens. Die meisten der großen Kultureinrichtungen in Baden-Württemberg befinden sich in der Sanierung: Die denkmalgeschützte Staatsoper Stuttgart, deren Kosten die zwei Milliarden-Grenze ansteuern, haben bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Das Badische Staatstheater Karlsruhe befindet sich im Umbau bei laufendem Betrieb. Die Staatliche Kunsthalle Karlsruhe ist seit zwei Jahren leergeräumt – doch dringt nichts über aktuellen Arbeiten nach außen; der geplante Erweiterungsbau scheint in weite Ferne gerückt zu sein. In den Startlöchern steht zudem das aus allen Nähten platzende Linden-Museum in Stuttgart. Das von Stadt und Land gemeinsam getragene ethnologische Museum erhält nicht, wie geplant, einen Neubau im Zentrum, sondern lediglich einen Erweiterungsbau.

So gesehen ist die Idee nachvollziehbar, dass eine Sendepause für die Kunsthalle Baden-Baden zu verkraften sein müsste. Doch niemand hat offenbar an die Konsequenzen gedacht. Im September 2024 zog das Ministerium ohne Vorwarnung eine vermeintlich geniale Lösung aus dem Hut: die Zwischennutzung durch das Badische Landesmuseum. Einzige Auflage: Die Ausstellungen des Museums sollen im Dialog mit bildender Kunst inszeniert werden.

Das öffentliche Hauptargument für die Umwandlung lautete jedes Mal (und lautet es auch jetzt): Das Angebot der Kunsthalle Baden-Baden erreiche zu wenige Menschen. Man sprach von Kunst und meinte Blockbuster.

Michael Hübl, Kunstkritiker

Zehn Jahre später habe man versucht, so Hübl, dem Baden-Badener Sammler Frieder Burda die landeseigene Liegenschaft schmackhaft zu machen. „Das öffentliche Hauptargument für die Umwandlung lautete jedes Mal (und lautet es auch jetzt): Das Angebot der Kunsthalle Baden-Baden erreiche zu wenige Menschen. Man sprach von Kunst und meinte Blockbuster.“ Sein Fazit: Auch in der Vergangenheit sei man permanent mit den Besucherzahlen der Kunsthalle unzufrieden gewesen. Das habe zum ewigen Stabwechsel auf dem Direktorenposten geführt. Vieles deutet also daraufhin, dass die Kulturverantwortlichen des Landes die Tilgung der Autonomie ihrer einzigartigen Ausstellungshalle auch in der gegenwärtigen Situation in Kauf nehmen.

An diese Turbulenzen fühlt sich auch Margrit Brehm erinnert. Sie sieht die geplante Nutzung der Kunsthalle Baden-Baden jedoch auch aus anderen Gründen kritisch. Die Räume seien nicht klimatisiert und aufgrund ihrer Größe nicht für kleinteilige Objekte geeignet. Auch sie erinnert an die Bedeutung des Hauses: „Die Kunsthalle Baden-Baden hat Kunstgeschichte geschrieben.“ Nach wie vor ist das Haus eine Ausnahmeerscheinung, die Räume haben ein menschliches Maß„. Allerdings sei für sie Ende der 1990er Jahre die Festlegung auf zeitgenössische Kunst noch keine Option gewesen. Es seien auch Ausstellungen zum niederländischen Porträt oder zur Romantik gezeigt worden, so Brehm. Diese Mischung kennzeichnete das Programm der Kunsthalle Baden-Baden vor der Eröffnung des benachbarten Museums Frieder Burda 2004.

Weiterhin ein bewährtes Modell? Ein Mix aus Blockbuster-Schauen und zeitgenössischer Kunst

Der Blick zurück bestätigt, dass der Wechsel zwischen alter und neuer Kunst, großen Namen und Newcomern zeitweilig zum Profil der Baden-Badener Institution gehörte. Ihren Ruf als fortschrittliches Ausstellungsinstitut erlangte das Haus jedoch mit Mut zu Neuem. Zwischen 1968 und 1973, also vor gut einem halben Jahrhundert, hatte Klaus Gallwitz, später erfolgreicher Direktor des Städel Museums in Frankfurt, eine Ausstellungsreihe mit dem Titel “14 mal 14" realisiert, die legendär wurde.

Damals stellte er jungen Künstlern wie Georg Baselitz, Markus Lüpertz oder Reiner Ruthenbeck für jeweils zwei Wochen Räume der Kunsthalle als offenes Atelier zur Verfügung. Das Publikum spazierte zwischen Farbeimern und halbfertigen Bildern umher. Im Zentrum stand die Erforschung des Prozessualen in der Malerei und Skulptur. Dieses Experiment konnte sich Gallwitz aber nur leisten, weil ihm zuvor mit einer Schau zum Werk des Surrealisten Salvator Dalí der erste Blockbuster der deutschen Ausstellungsgeschichte gelungen war.

Karola Kraus, heute Direktorin des Museums moderner Kunst Sammlung Ludwig in Wien, knüpfte Jahrzehnte später mit jungen Künstlern an Gallwitz’ Idee der Ausstellung als offenes Atelier an, ein Konzept, das bis heute praktiziert wird. Die Kunsthistorikerin leitete in der zweiten Hälfte der Nullerjahre die Kunsthalle Baden-Baden. Der Wechsel von bekannten und unbekannten Namen war für sie ungeschriebenes Gesetz. Andernfalls ließe die Aufmerksamkeit für eine Institution nach, sagt sie. Das aktuelle Problem der Kunsthalle Baden-Baden sei hausgemacht, ist sie überzeugt. Das Programm sei zu sperrig gewesen.

Seit den 1960er Jahren steht die Kunsthalle Baden-Baden für innovative Ansätze

Rückblickend wird deutlich, dass die Vielfalt der kuratorischen Ansätze das eigentliche Potential der Kunsthalle ausmacht. „Jeder hatte das Gefühl, es richtig gemacht zu haben“, sagt der heutige Direktor der Kunsthalle Mannheim Johan Holten, der von 2011 bis 2016 das Programm in der Kunsthalle Baden-Baden bestimmte. „Es ist in der Kunsthalle sehr viel mehr möglich gewesen als in einem Museum mit einer Sammlung. Seit den 1960er Jahren sind dort immer wieder hochqualifizierte Ansätze verwirklicht worden.“

Holten problematisierte mit seinem Programm verschiedene Formen des Ausstellens. Und er erweiterte den Ausstellungsraum mit auf typische Einrichtungen der Kurstadt: Bei „Gutes böses Geld. Eine Bildgeschichte der Ökonomie“ kooperierte er mit dem Casono, bei „Room Service. Vom Hotel in der Kunst und Künstlern im Hotel“ mit einem renommierten Hotel. Er legte aber auch Wert auf eine „Globalisierung des Programms“ und machte das Werk von Wangechi Mutu, Eva Koťátková oder Emeka Ogboh im Südwesten bekannt.

Auch Ilk und Yıldız haben wie ihre Vorgänger mit ihren Ausstellungen auf die pittoreske Lage der Kunsthalle im Park an der Lichtentaler Allee und die nur wenige Schritte entfernt fließende Oos Bezug genommen. Ganz falsch kann die Entscheidung für Çağla Ilks Konzept also gar nicht gewesen sein. Ihre kuratorische Haltung, die Probleme der Gegenwart aufgreift, liegt in der Luft. Prompt wurde Ilks Theater und bildende Kunst vermählender Ansatz belohnt: Sie wurde zur Kuratorin des Deutschen Pavillons auf der Biennale von Venedig ernannt und von den Medien gefeiert.

Kunstministerin beteuert Erhalt der Kunsthalle Baden-Baden nach dem Gastspiel des Badischen Landesmuseums

Kunstministerin Petra Olschowski gibt sich dennoch pragmatisch. In einem Interview mit dem Deutschlandfunk ließ sie durchblicken, dass sich das Land in Sachen Kunsthalle nicht ohne Grund eine kreative Pause verordnet. „Wir haben uns entschieden, die Direktion nicht sofort neu auszuschreiben, sondern mit dem Haus (und den verbliebenen Kuratoren, Anmerkung der Redaktion.) zusammen die Konzeption der Zukunft neu zu entwickeln.“ Die Ausstellungshalle soll also neu aufgestellt werden. Angestrebt werden Kooperationen mit anderen Institutionen, so Olschowski.

Das klingt nach dem Ende der Kunsthalle als in erster Linie ihrem inhaltlichen Auftrag verpflichteten Kultureinrichtung, auch wenn die Ministerin im SWR das Gegenteil beteuerte. Was wiederum den Gedanken nahelegt, dass der Staat das Vertrauen in die Wirksamkeit der zeitgenössischen Kunst als Pfeiler der Demokratie verloren hat. Damit ginge in Baden-Baden eine Ära zu Ende. Sollte sich dies bewahrheiten, bleibt den Künstler:innen nur, der Zukunft mit Sarkasmus entgegen zu sehen. Unstrittig dürfte aber sein, dass sich das Land mit dieser Lösung ins eigene Fleisch schneidet. Der Ruf der Kunsthalle Baden-Baden strahlte einst bis New York aus. Es war eine Institution, in der auch im Südwesten sichtbar wurde, wo es lang geht in der Kunst, also genau in der Profession, die in Sonntagsreden gerne als Seismograf der Gesellschaft beschworen wird.

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