Wenn aus Verschwörungserzählungen Gewalt wird: Sturm aufs Kapitol und Pläne von Reichsbürgern
Was bedeuten die Ereignisse in den USA für Deutschland?
Heute ist der 6. Januar 2023. Vor genau zwei Jahren stürmte ein von Donald Trump aufgehetzter Mob das Kapitol der Vereinigten Staaten. Die gewaltvollen, gar tödlichen Szenen sind vermutlich den meisten von uns in deutlicher Erinnerung. Mein Kollege Steve Przybilla hat vor einem Jahr in seinem RiffReporter-Magazin USA-Reporter die Ereignisse und die Auswirkungen des Sturms aufs Kapitol rückblickend zusammengefasst. Ich habe mich in den Tagen nach dem 6. Januar 2021 gefragt, welche Schlussfolgerungen gezogen werden können, wenn das Geschehene in einen weiteren Kontext gestellt wird. Ich arbeite schwerpunktmäßig zu kolonialem Erbe, Erinnerungskulturen und Verschwörungserzählungen.
Mit Blick auf die Ereignisse am und im Kapitol habe ich mich gefragt, inwiefern Themen wie Rassismus, Klassismus, Antisemitismus und Kolonialismus eine Rolle spielen. Ich habe hierüber beispielsweise mit Jürgen Zimmerer und Manuela Boatcă gesprochen. Bereits im Jahr 2021 haben wir dabei einen Blick nach Osteuropa geworfen. Ich werde dem Thema Osteuropa ein separates Kapitel in dieser geplanten Serie an Veröffentlichungen widmen.
Ich habe Medienexpertïnnen wie Stephan Packard oder Vera Podskalsky unter anderem gefragt, wie sie Soziale Medien bewerten mit Blick auf Präsident Trump und den Sturm aufs Kapitol. Wir haben in den Wochen nach dem 6. Januar 2021 darüber gesprochen, wieso es gelingt, dass Falschinformationen geglaubt oder zumindest vertreten und weiterverbreitet werden, die offensichtlich abseitig erscheinen. Ein interessantes Erklärmodell im Kontext von Donald Trump und Sturm aufs Kapitol liefern auch die Forschungen aus der Sozialpsychologie zu Blue Lies.
Welche Rolle spielen Plattformen wie Twitter bei der Verbreitung von Fake News? Welche Rolle spielen Algorithmen, beispielsweise auf YouTube? Ich habe eine ausführliche Recherche gestartet, die ich in loser Folge präsentieren werde.
Für den heutigen Jahrestag des Sturms aufs Kapitol habe ich mit zwei meiner Interviewpartnerïnnen aus dieser Slow Journalism Recherche erneut gesprochen. Mit Michael Blume, einem ausgewiesenen Experten zu Verschwörungmythen. Michael Blume ist Religionswissenschaftler und Antisemtismusbeauftragter des Landes Baden-Württemberg. Außerdem führt er aktuell, unterstützt von Anwalt Chan-jo Jun und der Organisation Hate-Aid ein, quasi Musterverfahren, gegen Twitter.
Außerdem habe ich mit Stephan Packard erneut kommuniziert. Stephan Packard hat eine Professur am Institut für Medienkultur der Universität Köln. Neben seiner ausgewiesenen Expertise zu Medienfragen hat Stephan Packard nach den Midterm Elections in den USA ein Panel moderiert zu „Die Vereinigten Staaten nach den Midterm Elections – Demokratien und der Reiz des Autoritären“, welches ich damals live angeschaut habe und als Hintergrund sehr empfehlen kann. Teilnehmerïnnen des vom Wissenschaftsforum zu Köln und Essen veranstalteten Panels waren Annika Brockschmidt, Julius van de Laar und Anke Ortlepp.
Der Ausgangspunkt und die Fragen meiner Slow Journalism Recherche nach dem Sturm aufs Kapitol waren: Was bedeutet das für uns in Europa? Woher kommt das? Welche Themen und Zusammenhänge liegen dahinter?
Heute, zwei Jahre nach dem Sturm aufs Kapitol blicken wir wieder oder immer noch, vielleicht auch mit Verwunderung, auf die USA und fragen uns: Was passiert da gerade? Ein aktuelles Beispiel liefert uns gerade das Drama im Repräsentantenhaus.
Michael Blumes Antwort auf die Frage, wie er die Situation in den USA bewertet, lautet:
„Als Gast der ersten Amtseinsetzung von Barack Obama habe ich 2009 eine Republik im Aufbruch erlebt. Doch das Mehrheitswahlrecht begünstigte schon damals radikale Stimmen in den Wahlkreisen. Der Zusammenbruch von Zeitungen und auch Fernsehen zugunsten von werbefinanzierten Internetmedien hat die Verrohung befeuert, weil scharfe Inhalte für mehr Aufmerksamkeit begünstigt werden.
Falls sich die Republikaner nicht sehr bewusst für eine Rückkehr zur Mitte entscheiden – und dafür sehe ich leider wenig Anzeichen – fallen Klima– und vor allem Wasserkrise, mit der medialen und politischen Zerrissenheit der USA zusammen. Um nicht mit in den medialen Abgrund gerissen zu werden, empfehle ich daher der EU dringend, eigene Firmen und Open Source-Alternativen gegenüber russischen, chinesischen und US-rechtslibertären Digitalkonzernen zu fördern. Denn keine Gesellschaft überlebt ohne sauberes Wasser einerseits und verantwortungsvolle Medien andererseits.“
Mit Stephan Packard habe ich ausführlich über die medialen Seiten dieser Problematik gesprochen. Themen wie Filterblasen und Rabbit Holes – und was die Forschung zu diesen umgangssprachlich so felsenfest verankerten Worten sagt.
Für diesen heutigen kurzen Text anlässlich des Jahrestages gehe ich nicht ins Detail, denn fast jedes der angesprochenen Themen wäre ein eigener Longread. Mein Ziel für diesen heutigen Text ist, Ihnen als Leserïnnen, gerade auch über die gemeinsam mit Britta Wagner gestalteten Illustrationen „Food for Thought“ zu geben, wie man auf Englisch sagt. Ich möchte zum Nachdenken anregen. Ich möchte Sie ermutigen, sich darauf einzulassen, tiefer einzutauchen.
Nehmen wir beispielsweise die Gewalt mancherorts in der Silvesternacht in Deutschland. Vieles ist komplex. Meiner Meinung nach gibt es nicht die eine einfache Erklärung. Genau über diese Komplexität und über die Gefahr der einen einzigen Geschichte habe ich auch in meiner Reflexion „Wie über Themen aus, Afrika’ schreiben?“ geschrieben. Sowohl die Reflexion als auch diesen Text hier stelle ich Ihnen kostenfrei zum Lesen zur Verfügung.
Abschließend noch ein Verweis auf einen kurzen Service-Text von mir zu Verschwörungserzählungen: Vier Tipps: Was tun bei Fake-News unterm Weihnachtsbaum?
Besonders wichtig erscheint mir, der in diesem Text von Katharina Nocun angebrachte Hinweis, dass unsere Gesellschaft in Deutschland nicht so gespalten ist, wie manche denken. Katharina Nocun sagt hierzu: „Ich halte diese Erzählung von einer gespaltenen Gesellschaft in vielerlei Hinsicht für problematisch. Egal ob russischer Angriffskrieg gegen die Ukraine oder Corona – es ist eine kleine, aber sehr laute Minderheit, die drastische Falschmeldungen für bare Münze nimmt. Das haben Umfragen und Studien immer wieder bestätigt. Der Glaube an Verschwörungserzählungen war schon vor der Pandemie ein verbreitetes Phänomen, da ist es den meisten wahrscheinlich nur nicht so sehr ins Auge gefallen.“
Gerade bei solch komplexen, verschränkten Themen und Zusammenhängen halte ich es für sinnvoll, nach umfassender Recherche die wesentlichen Inhalte anschaulich zu vermitteln. Hierfür habe ich mit der Soziologin und Illustratorin Britta Wagner für die visuelle Umsetzung dieser Recherche zusammengearbeitet. Britta Wagner hat die, wie ich finde, beeindruckenden, Illustrationen gestaltet, die sie in diesem Beitrag sehen.
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