Alpakas sind eine Ikone der Anden: Doch wie lange werden sie Bergbau und Klimawandel widerstehen?

2024 ist das Jahr der Kameltiere. Sie sind nicht nur kuschelig, sondern sichern armen Familien in unwirtlichen Weltgegenden das Überleben. In den letzten Jahren kommt es aber immer wieder zu Massensterben.

vom Recherche-Kollektiv Südamerika+Reporterinnen:
11 Minuten
Eine Herde weisser Alpakas schaut aufmerksam in die Kamera.

Es ist ein unwirtlicher Ort für eine Geburt: Auf 4.000 Metern Höhe ist die Luft dünn und klar wie Glas. Die Sonne wärmt nicht, sondern brennt. Und sobald sie weg ist, wird es klirrend kalt. Doch das kleine weiße Alpaka-Fohlen, das in dieser Nacht in den peruanischen Anden auf die Welt kam, ist bereits mit einem dichten Wollmantel versehen. Es trinkt mit entschlossenem Zug Muttermilch und stakst noch etwas unbeholfen auf langen Beinen durch den Korral, den Alpakazüchter Abelino Sahuinco aus Steinen aufgebaut hat, so wie es sein Vater und sein Großvater schon vor ihm getan haben. Er ist zufrieden: Das Fohlen ist gesund, auch der Mutter geht es gut. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich.

Abelino Sahuinco hat ein noch nasses, gerade geborenes weisses Alpakafohlen in den Armen und strahlt. Neben ihm steht das Muttertier.
Abelino Sahuinco mit einem neugeborenen Alpaka-Fohlen in einem einfachen Steinkorral im Hochland von Peru.

Kein Leben ohne Alpaka

Das Fohlen wird zusammen mit der Mutterherde noch einige Tage aus Sicherheitsgründen im Korral bleiben, bis es flink genug ist, um vor einem Puma zu flüchten. Danach wird die Herde freigelassen. Dann wird sie mit ein paar Hütehunden und einem Schäfer auf Futtersuche über die kargen Hochebenen der Anden ziehen. Bis es so weit ist, muss Sahuinco zufüttern und Wasser in den Korral schleppen. Es ist eine Knochenarbeit, aber Sahuinco beschwert sich nicht. Kameltiere sind in den Anden keine Folklore, sondern das Leben ist ohne sie schlicht nicht vorstellbar.

Sie liefern Fleisch und Milch. Ihr Exkrement düngt die Weiden und ist Brennstoff. Sie sind so leicht, dass sie die empfindlichen Böden der andinen Hochmoore nicht verdichten und sind daher umweltfreundlicher als beispielsweise Kühe. Sie kommen mit relativ wenig Wasser aus und sind ideale Lastentiere. Ihre wärmende Wolle wird traditionell zum Weben von Umhängen und Decken genutzt. Viele der heute verwendeten Muster gehen auf alte indigene Traditionen zurück. Den Inkas waren die Anden-Kameltiere heilig. In der Inka-Ruinenstadt Choquequirao beispielsweise sind ihre Silhouetten in die Mauern eingearbeitet – als helle Steine auf dunkelgrauem Grund.

Ein Vicuña aus weissen Stein hebt sich vom Rest der grauen Mauer ab.
Für die Inka waren die Kameltiere heilig. In der Inkastadt Choquequirao wurden Vicuñas sogar in die Wände der Terrassen eingearbeitet.

Fehlgeburten durch Bergbau-Gifte

Doch so niedlich das neugeborene Alpaka-Baby mit seinen riesigen, schwarzen Augen und den langen Wimpern ist: Die Jahrhunderte alte Symbiose, die das Überleben von Mensch und Tier in einem eher lebensfeindlichen Ökosystem möglich macht, ist bedroht. „Hier waren früher die Weiden meines Großvaters“, sagt Sahuinco und deutet nachdenklich auf eine riesige Abraumhalde im Tal. Dort laden im Minutentakt LKWs Tonnen von Gestein ab. Abfall aus der Kupfermine Antapaccay des Schweizer Bergbauunternehmens Glencore.

Glencore betreibt in der Region unweit der Kleinstadt Espinar Tagebergbau. In dieser Branche ist alles gigantisch:. Die Mengen, die Größen, das Kapital. Es werden komplette Berge abgetragen, um ihnen ihre mineralischen Schätze zu entreißen. Zuerst wird das Gestein gesprengt, dann die wertvollen Metalle wie Kupfer, Silber und Gold mit Millionen Liter Wasser herausgelöst und mit Hilfe von Chemikalien wie Schwefelsäure (Kupfer) oder giftiger Blausäure (Gold) versetzt. Zuletzt wird der Abraum an anderer Stelle wieder aufgetürmt, der giftige Schlick in Rückhaltebecken gelagert. Das wertvolle Mineral wird exportiert und in Europa verarbeitet.

Brutal brach der Tagebergbau in das geruhsame Leben der Anwohnerïnnen ein.. Nun rattern im Minutentakt schwere Laster, beladen mit Metallkonzentrat oder Treibstoff über die einzige Verbindungsstraße zwischen Anden und Küste. Detonationen sind zu hören. Über Espinar liegt seither permanent Staub wie eine Dunstglocke. In der Luft, im Wasser, im Boden und im Blut der Anwohner haben sich ärztlichen Untersuchungen zufolge Schwermetalle angereichert. Das Unternehmen und die Regionalpolitiker leugnen dies. Das ärgert die Bauern. „“Meinen Alpakas fällt das Fell aus, viele Stuten haben Fehlgeburten oder bringen missgebildete Fohlen zur Welt", hat Sahuinco beobachtet.

Die Abraumhalde von Espinar am Horizont, mit bunten, aufeinander getürmten Gesteinsschichten. Davor ein kleines, einfaches Lehmhaus mit einem Korral.
Der Bergbau rückt den Bauern und ihren Alpakas auf die Pelle. Hier eine Abraumhalde in Espinar, in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem kleinen Bauernhof.

Alpakawolle - ein hochwertiges Exportprodukt

Für ihn ist das dramatisch. Denn Alpakawolle ist seine wichtigste Einnahmequelle. Er hat 100 Alpakas, 20 US-Dollar bekommt er pro geschorenem Tier; einmal im Jahr ist eine Schur möglich. Peru ist Weltmarktführer beim Export von Alpaka- Wollprodukten. Vier Millionen Alpakas sind in Peru registriert, das sind 87 Prozent des weltweiten Bestands, gefolgt von Australien. Deshalb kommen auch rund 80 Prozent aller Alpakaprodukte weltweit aus dem Andenland. 120.000 Familien leben von dem Wirtschaftszweig, der jährlich knapp eine Milliarde US-Dollar zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt. Der Vorteil an der Alpakaindustrie ist: Sie ist arbeitsintensiv und in der Hand peruanischer Familienunternehmen. Der Mehrwert wird nicht wie beim Bergbau woanders erzielt, sondern direkt in Peru.

Zudem ist der Wirtschaftszweig umweltfreundlich und findet größtenteils entlang der gesamten Lieferkette ohne den Einsatz von Chemikalien statt. Selbst die Farbstoffe für Mode aus Alpakawolle sind meist natürlicher Herkunft. Bei sorgfältigem Umgang hält Kleidung aus Alpaka ein Leben lang. Sie ist daher auch ein Statement für Qualität und gegen umweltschädliche Fast-Fashion. Fast alles, was vom Tier stammt, wird verwertet. Am begehrtesten ist die feine Wolle am Rücken, bekannt als Baby-Alpaka. Weniger hochwertige Wolle, die vor allem von den Beinen stammt, wird zu Teppichen oder Taschen verarbeitet.

Eine Gruppe Guanacos vor dem schneebedeckten Andengipfeln des Nationalsparks Torres del Paine in Chile.
Guanacos sind die wilden Vorfahren der Lamas. Ihr Fell ist dick und kratzig. Sie haben eine ähnliche Färbung wie Vicuñas, sind aber viel größer und kräftiger.
Ein braunes Lama mit weissen Kopf steht in einer kargen Berglandlandschaft vor einem Kaktus.
Lamas sind die größten der Kameltiere der Anden. Man erkennt sie leicht an ihren gebogenen, bananenförmigen Ohren.

Reibach für Wenige

Zentrum der Verarbeitung der Wolle ist Arequipa im Süden des Landes. Dort haben die beiden dominanten Familienkonzerne, Michell und Incatops, zahlreiche Spinnereien sowie ein Alpaka-Museum und ein Alpaka-Forschungslabor eingerichtet. Die beiden Konglomerate sind inzwischen vertikal integrierte Unternehmen, die Wolle aufkaufen, spinnen und selbst Kleider entwerfen und vermarkten. Bei diesem Zweier-Monopol bleibt der Großteil der Gewinne hängen.

Sie verkaufen auch hochwertige Wollfäden an internationale Luxusmarken wie Prada oder Max Mara, und zunehmend auch an China. In New York oder Paris kostet ein Alpaka-Wollrock vom Luxusdesigner rasch 500 oder 800 US-Dollar. Aber in Arequipa, Cusco und der Hauptstadt Lima gibt es auch eine Reihe lokaler Modeschöpferïnnen, die inzwischen internationales Niveau erreicht haben. Marken wie Anntarah oder Escvdo haben schon Prominente wie Katy Perry eingekleidet. Aber selbst wenn das Kleidungsstück kein Designerlabel trägt, ist der Endpreis im Verhältnis zu den Rohstoffkosten hoch: Ein Alpakapulli bei einem lokalen Modemacher kostet über 100 Euro. Einige dieser Labels sind aber um ihr Image besorgt und haben enge Geschäftsbeziehungen zu ganz bestimmten Gemeinden, denen sie ihre Wolle zu einem höheren Preis abkaufen.

Ein Vicuña im chilenischen Hochland vor einer Bergkulisse.
Vicuñas erkennt man am rehförmigen, schlanken Körpe und dem schmalen Hals. Sie sind fast ausschliesslich braun-weiss und nicht domestizierbar.

Alpakas gegen Lithium

Denn sie wissen: Die Qualität des Endprodukts steigt und fällt mit dem Rohmaterial. Doch den Bauern im Hochland fällt es immer schwerer, ihre Herden zu halten. Nicht nur die Umweltverschmutzung aus dem klassischen Tagebergbau ist eine Bedrohung. Inzwischen sind die Lithium-Minen hinzugekommen. Internationale Konzerne fördern vor allem im Lithiumdreieck zwischen Bolivien, Argentinien und Chile das für die Elektromobilität und Handys so wichtige Mineral. Dafür wird Süßwasser benötigt. Und das ist extrem knapp in den Hochanden.

Dort verdunstet wegen der starken Sonneneinstrahlung zwischen sieben und 20 Mal mehr Wasser, als es regnet. „Zwischen 80 und 90 Prozent des Wassers der Hochanden befindet sich im Untergrund, und diese Becken sind miteinander verbunden wie Adern“, erklärt Patricia Marconi, Doktorin der Biowissenschaften und Präsidentin der argentinischen Yuchan-Stiftung. Diese unterirdischen Verbindungen bedeuten, dass wenn man das Wasser an einer Stelle anzapft, die Folgen oft an anderer Stelle zu spüren sind.

So ist es geschehen im Salzsee „Hombre Muerto“ in Nordargentinien. Dort befindet sich die Anlage des US-Konzerns Livent, von der unter anderem BMW sein Lithium für Batterien in Elektroautos bezieht. Für die Herstellung von einer Tonne Lithiumkarbonat wird rund eine halbe Million Liter Salzsole verdunstet. Weitere 46.700 Liter Süßwasser sind für die Verarbeitung nötigt. Livent pumpt dafür Grundwasser ab. Vor einigen Jahren versickerte im Einzugsbereich der Fabrik der Trapiche- Fluss, der eine wichtige Wasserquelle für die Herden von Bauernfamilien war.

Ein Kleinbauer mit einer Wasserprobe in einem Fluss im Hochland von Peru.
Wasser ist im andinen Hochland knapp und wird durch den Bergbau verschmutzt. Kleinbauern haben in Espinar gelernt, die Wasserqualität zu testen.

Keine Wolle, kein Fleisch, keine Zukunft in den Anden

Die Familie Condori, die in unmittelbarer Nachbarschaft zum Salzsee „Hombre Muerto“ lebt, beschwerte sich unlängst gegenüber der Journalistin Analia Llorente über die immer schwierigeren Bedingungen. Der Brunnen und die Feuchtwiese hinter ihrem Haus seien nach der Inbetriebnahme der Fabrik vertrocknet. Deshalb hätten sie die meisten Rinder und Alpakas verkaufen müssen. „Wir können nicht mehr vom Verkauf von Wolle und Fleisch leben“, sagte Nico Condori. „Die Firma sagt, das liegt am Klimawandel“, erzählt Condori. Doch das ist Marconi zufolge nur die halbe Wahrheit: „Lithiumbergbau verbraucht nicht erneuerbare Wasserressourcen und verschärft damit die Folgen des Klimawandels.“

Selbst dort, wo es keinen Bergbau gibt, ist der Klimawandel alleine schon ein Problem für die Alpakazüchter. Neben der geringeren Niederschläge ist auch die Gletscherschmelze ein Problem. Einer Studie des Nationalen Instituts zur Erforschung von Gletschern und Berg-Ökosystemen zufolge hat die Andenkordillere in Peru in 50 Jahren die Hälfte ihrer Gletscher verloren. Verschwindet ein Gletscher, versickern in der Regel auch die Flüsse, die sich aus ihm speisen. Hinzu kommen Temperaturschwankungen, mit denen selbst die Alpakas überfordert sind. Plötzliche Temperaturstürze von 20 Grad oder mehr, können gerade bei jungen oder geschwächten Tieren Lungenentzündung verursachen.

Geschoren werden die Alpakas nur einmal im Jahr, im Oktober, kurz vor Beginn der Regenfälle. Das frisch sprießende Gras hilft den Tieren, rasch wieder neue Energie aufzunehmen und Wolle zu produzieren. Regnet es nicht, verzichten viele Bauern auf die Schur, um ihre Tiere nicht zu gefährden – und haben kein Einkommen.

Ein weisses Suri-Alpaka mit einem bunten Bommel am Ohr, einer Markierung durch den Besitzer. Es trinkt an einem See im bolivianischen Andenhochland, dahinter Flamingos.
Die Alpakas laufen oft wochenlang frei durchs Hochland und suchen sich ihr Fressen. Dieses hier ist besonders wuschelig und hat an einem See in Bolivien Futter und Wasser gefunden.

Wenn Alpakas verhungern

Der peruanische Staat greift ihnen nur selten unter die Arme. Deswegen versuchen die Bauernfamilien, sich selbst zu helfen. In Santa Fe in der Provinz Ayacucho im Süden von Peru haben sich 60 Familien beispielsweise mit Wiederaufforstung, Weiderotation und dem Bau von traditionellen Wasser-Rückhaltebecken für den Klimawandel gewappnet. Sahuinco hat Unterstände gebaut und Silos zur Vorratshaltung für Futter. Doch manchmal reicht nicht einmal das.

Als 2022 eine Jahrhundertdürre das südliche Hochland Perus heimsuchte, waren die Dorfbewohner von Santa Fe gezwungen, die Ventile der 14 Stauseen im Juli zu öffnen, drei Monate früher als üblich. Trotzdem war die Tragödie nicht aufzuhalten: Trächtige Alpakas erlitten Fehlgeburten, neugeborene Fohlen starben aus Mangel an Wasser und Nahrung. Alleine die Alpakazüchterin Gregoria Tacuri verlor 50 Tiere: „Sie wurden ganz dünn, bis sie schließlich tot umfielen vor Hunger und Durst. Und ich konnte nichts tun außer weinen, das war furchtbar“, erzählt sie. Ihre Kinder haben keine Lust, die Familientradition fortzuführen. Sie sind in die Stadt abgewandert.

Ein Wandbild von einem braun-weissen Lama auf der Wand eines Lehmhauses in Peru.
Lamas gehören zur Kultur in den Anden. Hier als Wandmalerei in Marampata/Peru.
Ein Andenbauer hält ein weisses Alpaka fest und lacht in die Kamera.
Für die Bauernfamilien in den Anden sind die Alpakas sowohl Lastentiere als auch eine wichtige Einkommensquelle wegen ihrer Wolle.

Weniger und schlechtere Wolle durch Klimawandel

Damit nicht genug der Probleme: Selbst den überlebenden Tieren ist der Klimastress anzumerken. „Bei Dürre oder Frost wächst das Fell nicht oder nur unregelmäßig. Das reduziert die Qualität“, sagt Daniel Arestegui Otazu vom Peruanischen Alpakaverband. „Wir müssen dringend großflächig Maßnahmen ergreifen und bereits erfolgreiche Projekte multiplizieren“, fordert er. „Das können die Bauern oder der Verband nicht alleine stemmen. Dafür brauchen wir den Staat.“ Doch neben Notmaßnahmen bräuchte es Kritikern zufolge auch Fortbildung für die Bauern, Unterstützung für moderne Technologien wie künstliche Besamung zur genetischen Verbesserung der Herden sowie fairere Preise für die Züchter. „Wenn wir das Monopol von Incatops und Michell brechen wollen, müssen wir Züchter uns besser organisieren und unsere Produkte industrialisieren“, sagt Alpakazüchter Vicente Huaman Huanca.

Einen Erfolg haben die Züchter der Region Puno zumindest erzielt. Dort errichtete der Staat eine Alpakafaser-Verarbeitungsanlage, die 2022 eingeweiht wurde. Sie ist ein Pilot mit einer Verarbeitungskapazität von 25.000 Kilo Wolle im Jahr. Doch bislang konnte die Kapazität bei weitem nicht ausgeschöpft werden. Setzen sich die Rückschläge fort, so fürchtet Verbandschef Arestegui, werden die sehr viel effizienteren australischen Alpakazüchter dem Heimatland der andinen Kameltiere bald den Rang ablaufen und den Weltmarkt beliefern.

Eine Version des Artikels ist im Mai in der Zeitschrift Welt-Ernährung erschienen.

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