- /
- /
Nach Erdbeben in Afghanistan: Wenig Hilfe für die Opfer und kaum Unterstützung beim Wiederaufbau
Nach Erdbeben in Afghanistan: Wenig Hilfe für die Opfer und kaum Unterstützung beim Wiederaufbau
In der Provinz Herat liegen viele Dörfer in Trümmern. Die Hilfsorganisation Cap Anamur kennt die Region gut und bildet dort Krankenschwestern aus. Nun hofft sie auf Spenden, damit die Menschen noch vor dem Wintereinbruch versorgt werden können.
Der Westen Afghanistans wurde binnen zwei Wochen von mehreren schweren Erdbeben erschüttert. Über die Zahl der Toten und die Schäden gibt es nur Schätzungen. Die regierenden Taliban haben zuletzt die offiziellen Angaben nach unten korrigiert. Die deutsche Hilfsorganisation Cap Anamur arbeitet schon lange in Afghanistan und bildet dort auch Frauen als Krankenschwestern aus. Geschäftsführer Bernd Göken will trotz der dramatischen Lage weitermachen.
Die humanitäre OrganisationCap Anamur / Deutsche Notärztehilft schon lange in Afghanistan. Wie ist die Lage vor Ort?
Göken: Im Moment dominieren Entsetzen und Trauer. Unsere Leute haben mit vielen Menschen gesprochen, gerade auch mit den Älteren, die alles verloren haben. Ihr ganzes Lebenswerk, alles ist zerstört. Sie versuchen zwar aus den Häusern zu retten, was geht. Aber die Hoffnungslosigkeit ist dramatisch. Die Menschen sagen, uns hat es schlimm getroffen – und die Öffentlichkeit bekommt es nicht mit. Die schlimmen Nachrichten aus Israel überlagern alles, für Afghanistan gibt es kaum Hilfe.
Sie kennen die Region und die Menschen gut?
Göken: Wir haben 2011 ein Krankenhaus und Gesundheitszentrum im Ort Shade gebaut, dort, wo das Epizentrum des Bebens war. Die Menschen haben viel Eigenleistung eingebracht, gleichzeitig haben wir dort sehr viel Dankbarkeit für unsere Hilfe erlebt. Das Krankenhaus wurde erdbebensicher errichtet und hat das Beben überstanden. Das Versorgungsgebiet umfasst 13 Dörfer, insgesamt lebten da bisher etwa 50.000 Menschen, die Dörfer sind jetzt zum Teil komplett zerstört. Die Dörfer bestehen oft aus den typischen für die Gegend typischen Lehmbauten: Steine, die mit Lehm zusammengehalten werden. Die Dächer sind auch teilweise aus Lehm und aus Holz. Diese Gebäude sind schon bei dem ersten Erdbeben wie Kartenhäuser sofort eingestürzt.
Wie viele Tote hat es gegeben?
Göken: Das lässt sich derzeit kaum sagen, unsere Leute schätzen die Zahl auf um die 2000. Das Beben war nicht ganz in der Frühe, so dass nicht mehr alle Menschen in den Häusern waren, dann wären die Folgen noch verheerender gewesen. Dennoch gab es um die 2000 Tote. Wer sich in den Häusern befand, hatte wohl keine Chance zu überleben. Durch die Bauweise mit dem völlig ausgetrockneten Lehm ersticken die Leute, wenn das Haus zusammenfällt im Staub. Diejenigen, die gerade nicht in den Häusern waren, sind meistens unversehrt davongekommen. Wir sind auch in der Provinzhauptstadt Herat aktiv und bilden dort Krankenschwestern aus. Das Ausbildungszentrum haben wir sofort in eine Notfallklinik umgewandelt, aber das war nicht notwendig, weil es nicht so viele Verletzte gab.
Wissen Sie, ob die Erdbebenopfer Hilfe bekommen?
Göken: Unser Team in Herat ist direkt runtergefahren. Hilfe kommt aus der Bevölkerung aus Herat, da sind ganz viele Menschen hingefahren, um mit Nahrungsmitteln und sonst wie zu helfen. Auch das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen UNHCR hat Zelte und Decken geliefert. Doch in der Region gibt es nur wenig schweres Gerät, nur einen Radlader. Ansonsten müssen die Menschen alles mit Schaufeln und Händen selbst machen. Die Leute haben wie verrückt nach Verschütteten gegraben. Doch wenn Häuser in dieser traditionellen Bauweise zusammenfallen, dann bilden sich keine Hohlräume, in denen man noch Überlebende finden kann. Sie graben mit Händen und Schaufeln nach ihren Angehörigen, um sie dann zu bestatten.
Kann die Region mit Hilfe von Taliban-Regierung rechnen?
Göken: Das ist eher unwahrscheinlich. Viele Ressourcen haben die Taliban nicht. Bei meinen Besuchen in diesem und im letzten Jahr war es immer so, dass die Taliban uns um Hilfe gebeten haben. Hilfe für die Erdbebenopfer kommt mehr von der normalen Bevölkerung und weniger von der Regierung.
Was sah die Versorgungssituation vor dem Erdbeben aus?
Göken: Schon vor dem Erdbeben war die Situation in Herat und in den angrenzenden Provinzen schwierig. Seitdem die Taliban an der Macht sind, ist die Versorgungslage noch einmal deutlich schlechter geworden. Wir haben in den vergangenen anderthalb Jahren auch schon Nahrungsmittelhilfen geleistet, weil es viele Menschen gibt, die aus anderen Regionen nach Herat geflohen sind. Die Taliban haben sie aus der Stadt gedrängt. Vorher haben sie in Zelten in der Stadt gelebt, dann etwas außerhalb in Lehmhütten. Deren Versorgung war also schon vor dem Erdbeben katastrophal. Dadurch, dass viele Hilfsorganisationen nach der Machtübernahme der Taliban ihre Unterstützung reduziert oder ganz eingestellt haben, ist die Lage im Land schlechter geworden.
Wie sieht es mit Lebensmitteln aus?
Göken: Dort leben hauptsächlich Bauern, die ihre Felder bestellen. Sie können nur einmal im Jahr ernten. Auch in dieser Region zeigen sich Folgen des Klimawandels, die Regenfälle werden immer weniger. Viele Menschen hatten noch Vorräte zuhause, aber die sind durch das Erdbeben auch verloren gegangen.
Was benötigen die Menschen vor Ort jetzt besonders dringend?
Göken: Die meisten fragen uns, ob wir beim Wiederaufbau der Häuser helfen können, damit sie wieder ein Dach über den Kopf haben. Der Winter steht vor der Tür und der kann in der Region manchmal mit Temperaturen um minus 20 Grad sehr hart sein. Das ist für die Menschen schwer, sie benutzen normalerweise kleine traditionelle Öfen, aber auch die liegen jetzt kaputt in den Trümmern. Man sieht oft, das in der Akutphase Hilfe kommt, aber beim Wiederaufbau gehen die Dinge dann oft schleppend. Das ist unsere Erfahrung aus der Nothilfe.
Kommt internationale Hilfe?
Göken: Das ist die große Frage. Die Bundesregierung hat Soforthilfe zugesagt, die UN auch. Im Moment ist es noch wenig, was ankommt. Die meiste Hilfe kommt wie gesagt von den Menschen aus Herat. Wie sich die mittelfristige Hilfe entwickelt, können wir gar nicht beantworten. Jetzt muss schnell geplant werden, wie Häuser aufgebaut werden können.
Sie klingen trotzdem noch zuversichtlich.
Göken: Es ist schlimm zu sehen, wie Menschen alles verloren haben. Aber wir sind motiviert und werden so viel wie möglich machen. Wir sind seit 20 Jahren in Afghanistan und haben dort viele Projekte angestoßen. Die Region hat so großartig beim Krankenhausprojekt mitgemacht. Wir haben das Gesundheitszentrum aufgebaut, es fünf Jahre betreut und dann an die Regierung und die Menschen vor Ort übergeben, die die Verantwortung übernommen haben. In Afghanistan ist es so, dass solche Einrichtungen von der Regierung unterstützt werden, aber sie selbst baut keine neuen. Das machen wir seit vielen Jahren, betreuten sie ein paar Jahre und übergeben sie an den Staat. Wir müssen den Menschen jetzt einfach helfen, damit sie einen Neustart machen können. Das wird eine große Kraftanstrengung auch für uns, aber wir sind auf jeden Fall bereit dazu.
Warum ist Cap Anamur in Afghanistan geblieben, obwohl viele Organisationen gegangen sind?
Göken: Wir haben viele Gespräche geführt. Die Taliban haben uns ermöglicht, unsere Projekte im Großen und Ganzen so weiterlaufen zu lassen, wie wir es vorher gemacht haben. Wir bauen Krankenhäuser und Gesundheitszentren, betreiben Einrichtungen für Dialysepatienten und bilden Frauen als Krankenschwestern aus. Es ist dramatisch schlimm, dass die Mädchen nur noch bis zur sechsten Klasse zur Schule gehen dürfen. Wir haben das gegenüber den Taliban immer kritisiert. Aber sie haben uns ermöglicht, dass wir die Ausbildung von Krankenschwestern weiterführen dürfen. Das zeigt, dass man manche Dinge mit den Taliban auch besprechen kann. Wir haben gesehen, dass wir noch immer die Ziele erreichen können, die wir erreichen wollen. Deswegen haben wir die Arbeit fortgesetzt.
Wie geht es den Schulen für Krankenschwestern?
Göken: Afghanistan braucht Frauen, die Krankenschwestern oder Ärzte werden. Diesmal haben wir noch genügend Frauen gefunden, die eine ausreichende Schulbildung besitzen, um die Ausbildung zu schaffen. Wenn wir in der Zukunft nur noch junge Mädchen haben, die nur bis zur Klasse 6 zur Schule gegangen sind, müssen wir sehen, ob wir die Ausbildung verlängern und erst einmal die schulische Bildung nachholen. Damit weiter Frauen im medizinischen Bereich arbeiten dürfen. Das ist ja eine klare Regelung der Taliban: Frauen dürfen nur von Frauen behandelt werden. Wenn es keine Krankenschwestern und Ärztinnen mehr gibt, gibt es kaum noch medizinische Versorgung für Frauen. Das ist sehr kurz gedacht von den Taliban.
Sie bleiben also vor Ort?
Göken: Wir sind mit der Region einen langen Weg gegangen und sehen uns jetzt auch verantwortlich. Solange wir mit unserer Arbeit das erreichen, was wir uns als Ziel gesetzt haben, werden wir die Arbeit fortsetzen. Vielleicht können wir dafür sorgen, dass die Taliban sehen, dass es auch anders gehen kann. Auch die Taliban müssen Dinge ändern, das ist klar.
Wie kann man Ihre Arbeit unterstützen?
Göken: Wir rufen alle Menschen auf, für Afghanistan zu spenden, das kann man mittlerweile auch online. Wir hoffen, dass wir genügend Spenden erhalten, um möglichst vielen Familien zu helfen. Für ein Haus mit zwei Räumen von etwa 40 Quadratmetern kalkulieren wir circa 4000 Euro. Jetzt müssen wir klären, wie viele Häuser wir wieder aufbauen können.