Internationale Reaktionen auf den Krieg in der Ukraine

Wie Länder zu Sanktionen, Verhandlungen und Konsequenzen stehen

vom Recherche-Kollektiv Weltreporter:
10 Minuten
Demonstranten haben sich bei Einbruch der Nacht in Berlin versammelt, um gegen die russische Invasion zu demonstrieren

Die internationale Unterstützung für die Ukraine ist groß. Allerdings nicht überall auf der Welt. Warum einige Länder noch immer zu Russland stehen, andere sich lieber auf das Prinzip der Nichteinmischung zurückziehen und wo vor allem die wirtschaftlichen Konsequenzen des Krieges gefürchtet werden. Ein Überblick der Weltreporter.

Großbritannien nimmt die Oligarchen ins Visier

Am Sonntag gingen in ganz Großbritannien tausende Menschen auf die Straßen, um ihre Solidarität mit der Ukraine kundzutun, berichtet Peter Stäuber aus London. Viele forderten die britische Regierung auf, die Sanktionen zu verschärfen, um Putins Invasion zu stoppen – und tatsächlich hat London ein wichtiges Druckmittel: Die britische Metropole zählt zu den beliebtesten Destinationen für russisches Geld. In den vergangenen zwei Jahrzehnten haben sich die Oligarchen massenweise teure Immobilien in exklusiven Stadtteilen wie Knightsbridge oder Mayfair gekauft – man spricht in diesem Zusammenhang zuweilen von „Londongrad“. Roman Abramowitsch zum Beispiel, Besitzer des Fußballclubs Chelsea und ein guter Freund des russischen Präsidenten, hat in Großbritannien Immobilien im Wert von rund 200 Millionen Pfund erstanden. Es ist bekannt, dass manche russischen Oligarchen hier im Dienst Putins Geld investieren.

In einem Bericht von 2018 schreibt der außenpolitische Ausschuss des britischen Parlaments, dass London von „Kreml-nahen Individuen als Stützpunkt für korrupte Vermögenswerte benutzt wird“; dies sei Teil einer breiteren russischen Strategie und eine Gefahr für britische Interessen. Dass die britische Hauptstadt so beliebt ist bei zwielichtigen Gestalten mit dicken Portemonnaies, liegt vor allem daran, dass Immobilienkäufe hier mit maximaler Anonymität vorgenommen werden können – perfekt für die Geldwäsche. Die Anti-Korruptionskampagne Transparency International schätzt, dass rund 1.5 Milliarden Pfund an verdächtigem russischem Geld in britische Liegenschaften investiert worden ist. Die britische Außenministerin Liz Truss sagte am Sonntag, dass sie eine Liste von Oligarchen habe, die sie in den kommenden Wochen ins Visier nehmen wolle – die britische Regierung werde sich "an ihre Privatjets, ihre Immobilien und ihr anderes Eigentum" machen.

Auch Spanien kann sich härtere Sanktionen vorstellen

Harte Worte gegen Russland vom spanischen König und Premier Pedro Sánchez, Unterstützung für die Sanktionen gegen Russland quer durch alle Parteien und 800 spanische Soldatinnen und Soldaten in den Anrainerstaaten um das Konfliktgebiet: So einig wie bei der scharfen Verurteilung des Angriffskriegs in der Ukraine zeige sich das politische Spanien sonst selten, kommentiert Julia Macher aus Barcelona. Greifen Maßnahmen wie der Ausschluss Russlands aus dem SWIFT-System nicht, werde Spanien auch weitere Sanktionen mittragen, kündigte Spaniens Außenminister Juan Manuel Albares an.

Die klare Position fällt Spanien leichter als anderen europäischen Staaten, denn das Land ist nicht vom russischen Gas abhängig. Lediglich acht Prozent der Erdgas-Importe stammen aus Russland, den Großteil liefert mit 35 Prozent Algerien. Geht es nach der spanischen Regierung, könnte das Gas aus Nordafrika über die iberische Halbinsel seinen Weg nach Europa finden. Noch fehlen allerdings die Verbindungen über die Pyrenäen.

Tunesien sorgt sich um Staatsbürger in der Ukraine

Vor allem Studenten aus Nordafrika sitzen nach wie vor in der Ukraine fest, berichtet Sarah Mersch aus Tunis. Ein algerischer Student sei ums Leben gekommen, bestätigte das Außenministerium in Algier. Während Marokko bereits vor Ausbruch des Krieges angefangen hatte, seine rund 12 000 Staatsbürger zu evakuieren, läuft die tunesische Evakuierung nur sehr schleppend an. Tunesien hat dort keine Botschaft, zuständig für die rund 1500 Personen ist Moskau. Man sei bereit, sie aus Polen oder Rumänien zurückzuholen, so Tunesiens Außenminister. Mit deren Botschaftern hatte er Ausnahmegenehmigungen zur Einreise für die flüchtenden Studierenden ausgehandelt, die normalerweise ein Visum zur Einreise in benötigen.

Doch bis dorthin müssen sie erstmal gelangen. Ein Vertreter der tunesischen Studierenden berichtete am Wochenende in den Nachrichten, dass es angesichts der horrenden Preise nicht möglich sei, zum Beispiel Busse zu mieten, um die Studierenden gesammelt an die Grenze zu bringen. In den sozialen Medien mehren sich die Berichte, dass Araberïnnen und Afrikanerïnnen daran gehindert werden, Züge in Richtung der Grenzen zu besteigen oder dort von Grenzbeamten zurückgewiesen und an der Ausreise in die Nachbarländer gehindert werden.

Über die akute Krise hinaus drohen der Region massive Versorgungsschwierigkeiten mit Getreide. Nordafrika hat in den letzten Jahren mehrere Dürresommer erlitten und die eigene Getreideproduktion ist eingebrochen. Gleichzeitig hängt sie von Getreideimporten ab. Der meiste Weizen kommt aus der Ukraine. Tunesien, das bereits jetzt unter massiv steigenden Lebensmittelpreisen und Versorgungsengpässen bei Grundnahrungsmitteln leidet, bezieht rund die Hälfte seines Weizens von dort. Dieser wird vom Staat zentral importiert. Offiziellen Angaben zu Folge reichen die Vorräte an Weizen und Gerste bis Mai.

Kenias UN-Botschafter übt Kritik an Russland

In Kenia bekommen internationale Themen normalerweise wenig mediale Aufmerksamkeit, schreibt Bettina Rühl aus Nairobi. Diesmal ist das anders: Das Thema hat es sogar auf die Titelseite der großen Tageszeitung Daily Nation geschafft. In den sozialen Medien wird die Rede des kenianischen Botschafters bei den Vereinten Nationen weiterhin viel geteilt, obwohl sie schon einige Tage zurückliegt. Darin forderte Martin Kimani, in Bezug auf die Ukraine keinen Präzedenzfall zu schaffen. Afrika habe sich entschlossen, mit den Grenzen zu leben, die in der Kolonialzeit gezogen wurden. Statt mit gefährlicher Nostalgie rückwärts zu schauen, gehe es um die Zukunft und darum in Frieden zu leben.

Direkt an den russischen Vertreter im UN-Sicherheitsrat gewandt sagte Kimani: „Die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine ist verletzt worden. Die Charta der Vereinten Nationen welkt wieder einmal unter dem unnachgiebigen Angriff der Mächtigen. Sie wird feierlich gepriesen von genau den Ländern, die ihr dann den Rücken zuwenden, um Ziele im direkten Gegensatz zu internationalem Frieden und Sicherheit zu verfolgen.“ Eine kenianische Webseite lobte anschließend, mit seiner Rede habe der kenianische UN-Botschafter Putin mutig zurechtgewiesen.

Die Bevölkerung befürchtet – sehr realistisch – einen weiteren Anstieg der Preise infolge des Krieges, vor allem für Weizen und damit Brot. Wie viele andere Länder auf dem Kontinent auch, importiert Kenia einen großen Teil seines Bedarfs an Weizen und Mais aus Russland und der Ukraine. Nach langen Dürren in der Region sind diese Hauptnahrungsmittel sowieso schon knapp, die Preise bereits drastisch gestiegen. Selbst Familien der Mittelschicht klagen inzwischen, dass sie ihre Kinder kaum noch ernähren könnten – und das schon vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine. Der Krieg könnte die Lage weiter verschärfen, fürchten viele.

Ein weiteres Thema: Die Situation von kenianischen und anderen Staatsbürgerïnnen, die in der Ukraine gestrandet sind oder in Russland leben, darunter vor allem Studierende. Nun versuchen viele von ihnen, die Ukraine mit den anderen Flüchtenden zu verlassen. Augenzeugen zufolge werden dunkelhäutige Menschen an den Grenzen der Nachbarländer abgewiesen, hellhäutige Menschen dürfen passieren. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am Donnerstag sind nach Angaben der Vereinten Nationen fast 368.000 Menschen (Stand Sonntag) in Nachbarländer geflüchtet, vor allem nach Polen, in die Slowakei, nach Ungarn, Moldau und Rumänien. 

In Südafrika spricht die Regierung mit gespaltener Zunge

Südafrika ist gespalten: Vor der russischen Botschaft in der Hauptstadt Pretoria und in Kapstadt haben in den letzten Tagen dutzende Demonstranten gegen den Krieg protestiert, darunter auch Exil-Ukrainer. Aber es gibt auch Stimmen in der Bevölkerung, die „den Westen“ und die NATO für die Eskalation zumindest mitverantwortlich machen. Südafrika hat enge Beziehungen zu Russland: Während der Apartheid wurden ANC-Freiheitskämpfer unter anderem in der damaligen Sowjetunion ausgebildet, die auch Waffen lieferte. 2010 wurde Südafrika in die BRICS-Staatengruppe aufgenommen, die sich auch als Gegengewicht zum Westen versteht und mit einer eigenen Bank auch mehr Unabhängigkeit von Internationalem Währungsfonds und Weltbank anstrebt.

Vor diesem Hintergrund vermied die südafrikanische Regierung eine deutliche Verurteilung der russischen Invasion und rief stattdessen beide Seiten zu Frieden, Diplomatie, Verhandlungen und eine Vermittlung durch den UN-Sicherheitrat auf. Es sei Zeit, Stellung zu beziehen, kritisierten daraufhin Stiftungen wie die Desmond & Leah Tutu Legacy Foundation. Putins Aktionen seien ein „Rückfall in den Kolonialismus und Imperialismus der vergangenen Jahrhunderte“, heißt es darin. „Das Recht auf nationale Selbstbestimmung ist unantastbar.“

Fast schien es, als würde die Regierung einen Kurswechsel vollziehen: Am Donnerstag veröffentlichte das Außenministerium eine Pressemeldung mit deutlichen Worten: Südafrika fordere Russland dazu auf, seine Truppen „unverzüglich zurückzuziehen“. Doch das war augenscheinlich nicht mit Präsident Ramaphosa abgesprochen, der Medienberichten zufolge, „nicht glücklich“ über dieses klare Statement ist. Ramaphosa hatte zuvor erklärt, die Eskalation hätte verhindert werden können, wenn sich US-Präsident Biden in den Tagen vor der Invasion auf Verhandlungen mit Vladimir Putin eingelassen hätte. Südafrikanische Medien berichteten außerdem, dass Verteidigungsministerin Modise am Donnerstagabend an einem Empfang der russischen Botschaft teilgenommen habe – während das russische Militär gleichzeitig begann, die Ukraine mit Panzern und Raketen anzugreifen.

Als Reaktion, die Kritiker zu beruhigen und die diplomatischen Wogen zu glätten, folgte gestern ein weiteres Statement zur südafrikanischen Position, diesmal vom Minister im Präsidialamt, Mondli Gungubele. Das Kabinett sei sich bei seiner Sitzung einig gewesen: Beide Konfliktparteien sollten Verhandlungen aufnehmen, Südafrika bevorzuge generell „friedliche Lösungen“, mehr sei dazu nicht zu sagen. Kritiker, die eine klare Haltung gegen den BRICS-Partner Russland fordern, wird er damit nicht überzeugt haben.

Mexiko handelt nach dem Prinzip der Nichteinmischung

Mexikos Präsident Andrés Manuel López Obrador blieb betont zurückhaltend, so Mexiko-Korrespondent Wolf-Dieter Vogel. Man verurteile „jede Invasion jeder Macht“, ob Russland, China oder die USA, erklärte er angesichts des russischen Angriffs auf die Ukraine, ohne das Land beim Namen zu nennen. Für den nationalistischen Staatschef spielte das Prinzip der Nichteinmischung bereits in anderen internationalen Konflikten eine große Rolle, etwa mit Blick auf Venezuela. Die Haltung Mexikos in der aktuellen Krise ist nicht unerheblich. Schließlich sitzt das Land derzeit als nicht-ständiges Mitglied im UN-Sicherheitsrat. Dort wurde der mexikanische UN-Botschafter Juan Ramón de la Fuente etwas deutlicher als sein Chef: Mexiko verurteile „energisch die Invasion, der die Ukraine zum Opfer fiel“.

Im Gegensatz dazu stellen sich Kuba, Nicaragua und Venezuela vorbehaltslos auf die Seite der russischen Regierung. „Venezuela ist mit Putin, Russland und deren mutiger und gerechter Sache“, erklärte der venezolanische Präsident Nicolás Maduro und kritisierte die „perversen Pläne, die Ukraine militärisch und strategisch zu umzäunen“. Havanna beschuldigte Washington und die Nato, die Invasion provoziert zu haben und der nicaraguanische Staatschef Daniel Ortega applaudierte seinem russischen Amtskollegen schon, als dieser den Donbass und Luhansk für unabhängig erklärte. Diese Haltungen sind nicht nur wirtschaftlichen Abhängigkeiten geschuldet. Ein tief sitzender Antiamerikanismus sowie eine autoritäre Regierungspolitik, die der von Putin durchaus ähnlich sind, spielen bei diesen Positionen eine Rolle.

Indonesien fürchtet wirtschaftliche Konsequenzen des Krieges

Indonesien hat die „klare Verletzung der territorialen Integrität und Souveränität eines Landes“ verurteilt und forderte Russland auf, wieder an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Analysten fürchten laut unserer Korrespondentin Tina Schott vor allem, dass der Angriff auf die Ukraine China als Vorlage für eine Invasion umstrittener Territorien im Indopazifik dienen könnte. Vor Sanktionen gegen Moskau allerdings schreckt Jakarta, das zurzeit die Präsidentschaft der G20 innehat, zurück. Man sehe sich eher in der Vermittlerposition, erklärte Ferdinansyah, Dozent für Internationale Beziehungen an der Universität Sriwijaya im Interview mit Kompas TV. Indonesien gehörte zu den Initiatoren der Blockfreien Staaten und wolle sich seine Neutralität bewahren. 

Diese Haltung war im Kalten Krieg allerdings bald hinfällig: Der Militärputsch 1965 und die Morde an Hunderttausenden Kommunisten ließen keinen Zweifel daran, auf welcher Seite des General Suharto damals stand. Erst nach seinem Sturz wurden die Beziehungen zu Moskau wieder intensiver – heute liefert Russland einen Großteil der Waffen für das indonesische Militär und ist zugleich ein wichtiger Abnehmer für indonesisches Palmöl. Die von der Corona-Krise schwer geschüttelte Wirtschaft Indonesiens fürchtet nun einen Domino-Effekt durch verhängte Sanktionen und den stark ansteigenden Ölpreis. Lediglich die indonesische Gold- und Nickelproduktion erhoffen sich Vorteile durch die Krise. 

Auf dem Titelblatt steht die Schlagzeile, dass Kalifornien die Ukraine unterstützt
Kalifornien steht hinter der Ukraine

Kalifornien zeigt sich solidarisch mit der Ukraine

Los Angeles ist mehr als 10 000 Kilometer von Kiew entfernt. Und mehr als 4000 Kilometer von Washington, wo Präsident Joe Biden die Entscheidungen über Militärverlagerungen und Sanktionen fällt. Kalifornien importiert weder Öl noch Weizen aus Russland und Russland ist kein wichtiger Exportmarkt für den Westküstenstaat, der sich auf Märkte in Mexiko, Kanada und Asien konzentriert. 

Trotzdem, schreibt Weltreporterin Kerstin Zilm aus Los Angeles, ist die russische Invasion in der Ukraine und die Angst vor einer Rückkehr zum Kalten Krieg auch in Kalifornien das vorherrschende Thema. In Kalifornien lebt eine aktive ukrainische Diaspora von mehr als 112 000 Menschen. In Los Angeles verwandelten sich Kulturstätten und Kirchen innerhalb von Stunden in Organisationszentren für Demonstrationen gegen die Invasion und Hilfe für Freunde und Verwandte im Kriegsgebiet verwandelt. 

Solidarität mit der Ukraine ist in Kalifornien stärker als Angst vor steigenden Benzinpreisen und Cyber-Attacken auf den Hafen oder Hollywood. “Kalifornien steht an der Seite der Menschen in der Ukraine, ” schrieb Gouverneur Gavin Newsoom auf Twitter. “Russland hat einen grundlosen Angriff gestartet – ein bewaffneter Versuch, eine Demokratie zu stürzen. Es muss Konsequenzen geben.” Wie die aussehen sollten zeigen seit Beginn des Angriffs täglich tausende Demonstranten in den USA: “Kein Krieg in der Ukraine – Putin hau ab!”, steht auf ihren Plakaten und: “Vereinigt die Welt gegen Russlands Aggression!”

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