Trumps bittere Pillen

Der US-Präsident gibt sich als Retter der Armen und Kranken. Doch er riskiert deren Gesundheit. Von Edda Grabar

15 Minuten
Auf der Hand eines Mannes liegen zwei Tabletten.

9. März 2017

Marcy lebt in New York. An einem kalten Winternachmittag steigt sie in die U-Bahn – die C-Line von Brooklyn nach Manhattan. Sie mag zwischen 40 und 50 Jahre alt sein. Vielleicht ist sie auch etwas jünger, das kann man bei Menschen, die an fortgeschrittener Multipler Sklerose (MS) leiden, manchmal schlecht einschätzen. Winzige Entzündungen im Nervensystem sorgen dafür, dass das Abwehrsystem den Schutzmantel, der Nervenzellen umgibt, angreift. Je nach Schweregrad verursacht das Leiden nur ein leichtes Kribbeln oder Sehstörungen. Es gibt aber auch Erkrankte, die können nicht mehr laufen, bei manchen trifft es das Denkvermögen. Marcy geht es noch einigermaßen gut. Ihr Gang ist unsicher, holprig. Noch kommt sie ohne Gehhilfen aus. Aber ihre Sprache ist klar:

Ich bin Marcy. Ich habe eine Krankheit, die Multiple Sklerose genannt wird, eine Nervenkrankheit. Ich habe einen Job. Aber meine Medikamente sind teuer. Deshalb bitte ich Sie, mich zu unterstützen.

Rückgängig machen läßt sich MS nicht – mit Glück und einem besonnenen Lebensstil kann man die Krankheit höchstens aufhalten. Doch wer arm ist in Amerika, der kann sich oftmals weder einen besonnenen Lebensstil noch die Medikamente leisten. Die Mittel, die Marcy benötigt, gehören zu den teuersten Medikamenten überhaupt – bis zu 60.000 Dollar kosten sie in schwereren Fällen pro Jahr. Bezahlen müssen die Betroffenen die Behandlung zum Teil selbst. Deshalb versucht Marcy, das Geld in der U-Bahn zu erbetteln.

In diesen Tagen wird klar, dass es wohl künftig sehr viel mehr Menschen wie Marcy geben wird. US-Präsident Trump will das amerikanische Gesundheitssystem komplett umkrempeln. In den Vereinigten Staaten hat das Ringen um die Gesundheitsversorgung von 324 Millionen Menschen neu begonnen.

Konfliktfeld 1: Die Krankenversicherungen für Bedürftige

Nirgendwo sind Arzneimittel so teuer wie in den USA. Dort gibt es kein Nationales Gesundheitsinstitut wie in Großbritannien, kein Institut für Wirtschaftlichkeit und Qualität wie in Deutschland, das den wirklichen Nutzen von neuen Mitteln überprüft und die Preisforderungen der Hersteller dämpft. Angeführt wird die Liste der teuersten Mittel von den neuen Therapien gegen Hepatitis-C, Krebs und den nicht mehr ganz so neuen MS-Therapien. Das ist in Europa ähnlich. Doch in den USA steigen nicht nur die Preise neuer Medikamente, sondern auch für solche, die bereits seit Jahren auf dem Markt sind. Teils haben sich die Preise in jüngster Zeit vervielfacht. Der Preis des Toxoplasmosemittels Daraprim etwa stieg 2015 von 13,50 Dollar auf 750 Dollar pro Pille – das sind 5.000 Prozent.

Und dennoch müssen etwa 28,5 Millionen (Stand Sept. 2016) Menschen in den USA ihre Medikamente und Therapien selbst bezahlen – weil sie nicht krankenversichert sind. Selbst wenn sie es sind, dann bedeutet dies oftmals, dass ihr Tarif sie dazu verpflichtet, einen Teil der Kosten für ihre Behandlung selbst zu übernehmen. Das drückt die monatlichen Belastungen für die Krankenversicherung. Es kann aber im Krankheitsfall dazu führen, dass Familien verarmen und die Kosten ihrer Behandlung nicht mehr tragen können.

So wie Marcy. Bei einer milden bis leicht fortgeschrittenen MS kostet die Therapie in den USA durchschnittlich rund 30.000 Dollar pro Jahr. Selbst wenn die Krankenkasse 85 Prozent der Kosten übernimmt, würde das immer noch eine Eigenbeteiligung von 4.500 Dollar jährlich bedeuten. Eine Summe, die Menschen wie Marcy nicht aufbringen können. Eine Erhebung der Kaiser Family Foundation, zeigt, dass über die Hälfte der nicht-versicherten US-Bürger ihre Behandlungen nicht bezahlen können. Weitere 30 Prozent treibt die medizinische Versorgung in den finanziellen Ruin.

Das alles muss man wissen, um den frenetischen Jubel zu verstehen, der ausbrach, als Donald Trump die Pharmaindustrie mit Mördern verglichen hat. Der Applaus kam vor allem von jenen, die längst durch das Netz des Systems gefallen sind.

Den Mörder-Vergleich machte Trump auf seiner allerersten Pressekonferenz im Januar als künftiger Präsident (zu sehen ab Minute 13). Eine Beleidigung gegenüber einer der einflussreichsten und größten Branchen der USA – doch der Satz sollte nicht wirklich die Chefs der großen Pharmaunternehmen treffen. Er war für die Ohren seiner Wähler bestimmt. Trump wollte bei den verarmten weißen Bewohnern von Krisenregionen Stimmung machen, in denen, wie beispielsweise in McDowell, West Virginia, die Armutsrate laut US-Census-Büro über 35 Prozent beträgt und Männer im Durchschnitt nur 64 Jahre alt werden. 74,2 Prozent der fast ausschließlich weißen Bevölkerung wählten dort Trump.

Und Big Pharma hielt still. Kein Wort zu der Attacke des mächtigsten Mannes der Welt. Im Gegenteil: Steven Ubl, Vorstand des US-Pharma-Verbands "PhrMA" dankte dem Präsidenten nach dessen Stelldichein mit einer ausgewählten Runde der Branche für das "positive Gespräch". Nicht einer der Konzernchefs vergaß, die Zahl seiner US-Mitarbeiter und US-Inventionen anzupreisen: "America first". Noch weiter auf die Spitze trieb es Joe Jimenez, Chef des Schweizer Pharmariesen Novartis. Er verlegte in dem Gespräch mit Trump seine Konzernzentrale kurzerhand von Basel nach Boston.

Die Botschaft dieses Schauspiels war offensichtlich: Trump kümmert sich um die Gesundheit seiner Bürger und die Pharmaindustrie übt sich in Buße. Doch stimmt das, was Trump da vermittelt? Oder betrügt Trump die Arbeitslosen und Armen?

Eine Demonstration.
Viele Menschen in den USA fürchten, dass Trumps Gesundheitspolitik ihre medizinische Versorgung verteuern wird. In San Francisco kam es deshalb schon vor Trumps Amtseinführung Mitte Januar zu Protesten.
Ein Junge erhält eine Impfspritze in den Arm
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