Australiens „best beaches“ und der Sinn und Unsinn von Top-10-Listen
2022 führt ein Sandstück namens Misery Beach die Liste der „besten Strände“ in Australien an. Das macht Sinn – oder auch nicht.
Die 10 höchsten Inlands-Leuchttürme, die 5 teuersten Cold-Drip-Cafés in Sydney, die zehn hässlichsten Kohleminen: Die Begeisterung für “Best of” und “Top 10” in australischen Medien ist seit eh und je grenzenlos. In Zeiten geschlossener Grenzen und Weltrekord-Lockdowns hat diese Leidenschaft die auslaufarmen Schreiberlinge zu besonders kreativen Leistungen gepuscht: die 10 faszinierendsten Quarantäne-Stationen der Welt. „Zehn Attraktionen, die eröffnet wurden, seit unsere Grenzen geschlossen sind?“ Die „10 schlimmsten Reiseplagen, die niemand vermisst“ – großartig! Soll ich eine Top-10 der Pandemie/Reise-Top-10 zusammenstellen?
Nein, hier ist was Besseres: Pünktlich zur Ankündigung, um Ostern 2022 dann doch auch internationale Touristen wieder ins gelobte braune Land zu lassen, hat die staatliche Tourismusbehörde einen Bestseller in der Best-of-Serie neu aufgelegt und “Australia’s best Beaches” nominiert. Mal ehrlich, es gibt nicht viele Länder mit derart großartigen Stränden, und zwar mehr als 10.000, allein Sydney hat mehr als 40 – und einer sagt uns nun, welches die 20 besten sind? Hm. Andererseits: Warum nicht? Also Sandstrecken begutachtet, fotografiert, bewertet, prämiert und als Broschüre gebündelt – das ist instagramable und werbewirksam. Irgendwo müssen die 1,2 Milliarden australische Dollar Pandemiehilfe für die leidende Tourismusbranche ja untergebracht werden. Und: Strand kann Australien ja wirklich gut.
Dass unter den neuen “besten Stränden” 2022 kein einziger jener Strandstreifen vorkommt, die auf der offiziellen Tourismus-Webseite noch als “Australias Best Beaches” gefeiert werden, ist vermutlich eine Tatsache, die nur Erbsenzählerinnen wie mich irritiert. Wahrscheinlich muss die Sandtorte/das Werbegeld schlicht neu verteilt werden. Zuletzt war Vivonne Bay auf Känguru Islandin Südaustralien Topspitze. Auf einer der wenigen Reisen, während der mir 2021 gelungen ist, Australiens interne Landesgrenzen zu überwinden, habe ich ein paar Tage in Vivonne Bay verbracht und bestätige: Wasser absurd klar, Umgebung schön, spektakuläre Felsen (siehe Foto unten), wenig Leute, viele Fische, manchmal gute Wellen. Sand? Geradezu lächerlich weiß, und quietschen tut er auch..
Vivonne Bay ist aber nun ja auch schon seit 2004 “the best”. Damals beendete Prof. Andy Short sein viele, viele Jahre währendes Projekt, das perfekte Stück Strand des Kontinents zu finden und alle übrigen Buchten immerhin einzuordnen. Dafür bereiste, beschwomm und erforschte der Mann Australiens 11.761 Insel- und Festlandsstrände. Kriterien: Sandkorngröße, Länge, Vegetation, Wellenhöhe und Strömungen. Was für ein Job!
Misery Beach – Vom schleimigen Elend zur Nummer 1
Doch zurück in die Gegenwart. Der neue beste von 20 liegt in Westaustralien (wo nach wie vor kein gewöhnlicher Sterblicher ohne Sondergenehmigung und 14-tägige Quarantäne hin darf) und trägt den nicht ganz so hübschen Namen Misery Beach. Warum die winzige Bucht im einsamen Südwesten Strand des Elends genannt wurde, ist nicht wirklich klar. Gemunkelt wird, dass der Grund in der nächstgrößeren Stadt Albany zu finden ist, die bis Ende der 1970er Jahre berühmt für das wenig zimperliche Schlachten von Walen war. Blut, Blubber, Zähne und andere Abfallprodukte des Walfangs wurden zurück ins Meer geworfen und häufig in dieser Bucht auf einer südlich gelegenen Landzunge wieder angeschwemmt. Erzählungen zufolge landeten sie vor allem ebenhier in Misery und verhalfen dem Strand zu seinem Namen. Was ja eine durchaus motivierende Anekdote ist: vom schleimigen Elend zur Nummer 1!
Wer es je nach WA schafft, kann nebenan in Albany zwei Stunden für die historische Walfang Station reservieren, ein Museum, das die Geschichte des Giganten-Fischfangs ausgesprochen anschaulich erzählt. Albany’s Top Ten nennt das 32-$-Museum ganz oben, man braucht für einige Beiträge über die Schlachterei allerdings einen robusten Magen.
1978 endeten 178 Jahre brutalen Walfangs in Westaustralien.
Als ich eben auf der Karte Misery Bay gesucht habe, fiel mir auf, dass ich im April 2009 mal dort war. Allerdings fand ich – obgleich ich eine so zeitfressende wie nutzlose Schwäche fürs Fotografieren von Sand, Muscheln und Meer habe – ausgerechnet diese Bucht offenbar nicht so richtig knipswürdig. (Vielleicht war auch schlechtes Wetter?) Der Strand im Bild oben war aber gleich nebenan von Misery und sieht sehr ähnlich aus, an seinen Namen erinnere ich mich leider nicht. Aber vielleicht schafft es dieses idyllische Fleckchen eines Tages ja in die Liste “Australiens Top 30 Strände neben Stränden, die einmal Top 20 waren”? Watch this space!
Das Hitlisten-Fieber hat nicht immer angenehme Folgen für Mensch und Natur, das beweist Hyams in New South Wales. Dem hübschen Fleck im Nationalpark bei Jervis Bay wurde – bis heute ist umstritten, wer Schuld ist – attestiert, den “weißesten Sand der Welt” zu haben. Einerseits ist das Blödsinn, andererseits kein echter Gewinn: Die 100 Bewohner von Hyams wissen seit den späten 1980ern ein trauriges Lied vom Weißer-als-weiß-Label zu singen. Täglich (wenigstens in Zeiten, in denen Grenzen offen sind) ergießen sich Busladungen von Touristen an ihrem kleinen Strand, um per Instagram oder sonstigem Foto vom “Weißesten Strand der Welt” zu grüßen. Besonders clever ist das nicht, gut für die Umwelt auch nicht.
Diesmal war es übrigens Beach Ambassador Brad Farmer, der die 20 besten Strände auswählen durfte. Ja, auch den gibt es auf dem Kontinent der mehr als Elftausend Sandstreifen am Meer! Zum “Strand-Botschafter” machte Tourism Australia den 62-Jährigen erst vor drei Jahren. Aber Farmer BA schreibt und agiert schon seit Jahrzehnten über Natur, Ozean, Sand am Meer und Küstenlandschaften, auch Bücher mit mehr als den oberen Zehn: "Australiens 101 beste Strände” zum Beispiel verfasste er 2012 zusammen mit Andy Short. Farmers Engagement für Küste und Ozean geht aber über Hitlisten hinaus: Als Greenpeace-Aktivist wurde er 1990 vom damaligen sowjetischen KGB in der Arktis festgenommen, 1992 gelang dem Mitbegründer der Goldcoast-Grünen ein für australische Verhältnisse grünes Rekordergebnis bei einer Regionalwahl. Und nach wie vor macht sich der Gründer der umweltschützenden Wellenreiterinitiative Surfrider Foundation für Natur- und Küstenschutz stark.,
In seiner neuen 20-Besten-Strände-Auswahl finden sich auch durchaus ungewöhnliche Kandidaten: Der Strand am tiefgrünen See Lake Quabbi auf K’Gari (Fraser Island) in Queensland zum Beispiel oder die faszinierende Dünenlandschaft am Mots Beach bei Marlo, wo in Victoria der berühmte Sowy River in den Pazifik fließt. Fragt Eure Lieblingsaustralier. Ich wette, kaum einer hat je von Mots bei Marlo gehört. Und jetzt ist es der 14.-beste Strand des Kontinents. Voilà!
Zum Abschluss ein Geständnis: Top-10-Listen gehören zu den Top 10 meiner pet hates (australisch für: Lieblingsfeinde). Eine meiner (bis jetzt heimlichen) Schreibtisch-Sportarten ist: Wie lange gelingt es mir, ein neue Top-10-Liste in meinem Email-Postfach zu ignorieren – ehe ich dann doch drauf klicke.