Mit Walt Disney im Privatjet nach New Orleans
Zum 120. Disney-Geburtstag – Erinnerungen einer Zeitzeugin
Sie flog mit Walt Disney nach New Orleans, um die richtige Ausstattung für die neuste Disneyland-Attraktion zu finden, entwarf eine Tapete mit Kult-Status, und brachte es partout nicht fertig, den Chef zu duzen: Tania Norris erzählt, wie es war, für Walt Disney zu arbeiten, als der gerade mal 29 Mitarbeiterïnnen hatte. Am 5.12. vor 120 Jahren wurde Walt Disney geboren.
1964 ist Tania Norris Mitte zwanzig, gelernte Innenarchitektin und gerade mit ihrem Mann aus Großbritannien nach Kalifornien gekommen. Sie hat antike Lampen mitgebracht und will in Los Angeles damit ein Geschäft eröffnen. Doch schnell lernt Tania: die Metropole hat schon viele Antiquitätenläden mit mehr als genug Lampen aus aller Welt. Sie muss sich etwas anderes einfallen lassen. Zufällig hört sie von einer Stelle bei Walt Disney. Sein Themenpark soll eine neue Attraktion bekommen: New Orleans Square. Es wird jemand gesucht, der/die die passenden Antiquitäten und Unikate findet, um eine Atmosphäre zu schaffen, die der Geburtsstätte des Jazz gerecht wird. Ein paar Wochen später sitzt Tania Norris mit Walt Disney und Familie im Privatjet, und das kam so:
Um Disneyland wurde damals noch nicht dieses Riesentrara wie heute gemacht.
Tania bewirbt sich mehr aus Neugier als aus der Überzeugung, dass die Disneyland-Stelle das Richtige für sie ist. Der Themenpark ist damals gerade neun Jahre alt. Tania und ihr Mann besuchen ihn am Sonntag vor dem Bewerbungsgespräch zum ersten Mal. Sie sind nicht sonderlich beeindruckt von den wirbelnden Teetassen, gemütlichen Postkutschen, Dschungel-Bootsfahrten und Raketen, die Besucherïnnen auf eine Reise zum Mond schicken. “Um Disneyland wurde damals noch nicht dieses Riesentrara wie heute gemacht", erinnert sich Tania mehr als 50 Jahre später zwischen antiken Sesseln, Sofas, Stehlampen und Couchtischen in ihrem lichtdurchfluteten Wohnzimmer in Los Angeles. Ein Foto von sich will sie übrigens nicht machen lassen. Ihr kupferrotes Haar sitze nicht richtig, und sie würde dann auch etwas anderes tragen wollen als ihren schwarzen Samtmantel über einer Blumenbluse.
Doch zurück zu Los Angeles im Jahr 1964. “Wir sind die Main Street entlang gegangen, haben Tomorrowland besucht und etwas gegessen, damit ich sagen konnte: ja, ich war in Disneyland. Das war’s.”
Mit drei Empfehlungsschreiben in der Hand kommt Tania zum Bewerbungsgespräch und ist sicher dass sie gegen andere, die in Sportwagen vorfahren, mit originellen Portfolios unterm Arm, keine Chance hat. Doch sie bekommt den Job und sitzt ein paar Wochen später mit Walt Disney, seiner Frau Lilian, Tochter Sharon, Bruder Roy mit Ehefrau Edna im nagelneuen Privatjet nach New Orleans. “Ich war glaube ich in jedem Antiquitätenladen im alten Viertel der Stadt, ” erzählt Tania. Polaroid-Fotos von ihren Fundstücken bringt sie zum Mittagessen mit Walt Disney. Er sagt ihr dann, was sie kaufen soll. Abends begutachten sie ihre Beute. Nach dem Frühstück überlegen sie, was in der Sammlung noch fehlt. So geht das ein paar Tage lang. “Wir haben auch schmiedeeiserne Kunst gekauft und Balkonbalustraden, die wir dann in Kalifornien nachgebaut und vervielfältigt haben.” Zum Essen treffen sie sich jedes Mal in einem anderen Restaurant. Walt Disney will, dass seine jüngste Mitarbeiterin, die von den USA bisher nur Los Angeles kennt, so viel wie möglich von der Stadt und ihren Menschen sieht.
Zu Disney World in Florida und zur Weltausstellung in New York
Von New Orleans fliegt die Gruppe zum streng geheim gehaltenen Florida-Projekt. “Da war eine Baumschule und eine riesige Baustelle mit jeder Menge Löchern in der Erde, ” erzählt Tania und dass sie erst dort vom zukünftigen Disney World Themenpark erfuhr. Der Privatjet bringt sie danach zur Weltausstellung in New York, zu der Disney eine Attraktion beigesteuert hat: ‘It’s a Small World’ – eine Bootsfahrt vorbei an Trachten-tragenden Kindern aus aller Welt, begleitet von einem Ohrwurm in sieben Sprachen. Sie wird später Teil von Fantasyland. Auch in New York kümmert sich Walt Disney persönlich darum, dass Tania so viel wie möglich sieht. Gegessen wird wieder jedes Mal an einem anderen Ort. Den Fahrer weist Disney an, nie die selbe Strecke sondern lieber Umwege zu fahren.
Zurück in Los Angeles präsentieren Architektïnnen und Innenausstaterïnnen bald Pläne für New Orleans Square. Tania Norris fällt dabei ein wichtiges Detail auf: die Damentoilette im VIP-Club 33 ist sehr klein. “Ich sagte ‘Mr. Disney’, und wie immer sagte er, ich solle ihn Walt nennen, was mir unendlich schwer fiel. Ich konnte es einfach nicht. Das widersprach meiner britischen Erziehung, ” erinnert sie sich lachend. Doch Tania überwindet ihre Scheu und äußert die Bedenken. “Ich sagte: Walt, wenn zwei füllige Damen in der Toilette sind, wird das sehr eng. Er schaute genauer hin und entschied, dass das Büro nebenan halbiert wird. So bekam ich meine größere Damentoilette.” New Orleans Square wird am 24. Juli 1966 eröffnet. Keine fünf Monate später stirbt Walt Disney.
Von Kult-Tapeten zu Rosengärten
Die Eröffnung einer weiteren Attraktion, die zum Kult-Stop für Disney-Liebhaber wird, erlebt er nicht mehr: die Haunted Mansion. Tania macht die Ausstattung der Spuk-Villa riesigen Spaß. Sie wird nicht nur prall mit furchterregenden Spezialeffekten gefüllt, sondern auch mit Antiquitäten und Kitsch, die sie in New Orleans und Los Angeles gefunden hat. Nur die passende Tapete gibt es nicht. Also entwirft Tania selbst ein Muster – schwarzer Samt auf lila Hintergrund. Sie erinnert sich besonders an die Augen, die sie an ihrem Tisch gezeichnet hat. “Sie waren viel gespenstischer als das, was sie inzwischen daraus gemacht haben. Auf meiner Tapete gab es auch keine niedlichen Eulen. Die hat jemand hinzugefügt. Sie haben das Muster angepasst, aber die Farben sind noch meine.” Erst vor Kurzem hat Tania erfahren, dass es inzwischen Handy-Hüllen, Bildschirmschoner, Lampenschirme und Topflappen mit dem von ihr entworfenen Muster gibt.
Sie kündigte 1970 bei Disney und entwarf für den Luxus-Ozeandampfer Queen Mary die Ausstattung. Im Ruhestand ist sie auch heute mit Mitte 80 nicht. Ihre große Liebe sind inzwischen Rosen, die in vielen Farben rund um ihr Haus blühen. Gerade wurde sie beauftragt, für ein Haus, in dem Walt Disney lebte, die Gartengestaltung zu entwerfen. Der Besitzer war von ihren Plänen so begeistert, dass er sie bat, auch bei der Innenausstattung zu helfen. “Natürlich habe ich zugesagt!” erklärt sie mit blitzenden Augen. “Was für eine Chance. Was für ein Leben!”