Bergbau: Wie unser Hunger nach Aluminium den Amazonas-Regenwald gefährdet
Exklusiv: Die Vorwürfe, die den Abbau von Bauxit und die Aluminium-Produktion in Brasilien begleiten, wiegen schwer: Anwohner klagen über Umweltverschmutzung, Landaneignung, gesundheitliche Probleme. Die Aluminium-Lieferkette lässt sich bis zu deutschen Fahrzeugen nachverfolgen.
Für viele Produkte, die wir konsumieren, vernichten Unternehmen wertvollen Regenwald in Brasilien. Die gravierende Umweltzerstörung durch Palmöl-Plantagen und Soja-Anbau ist längst kein Geheimnis. Doch auch Rohstoffe der Automobilindustrie haben im Amazonas-Regenwald ihren Ursprung. So wird etwa Bauxit im Amazonas abgebaut und landet als Aluminium über lange Lieferketten bei mindestens einem deutschen Hersteller, wie Brancheninsider exklusiv gegenüber RiffReporter bestätigen. Die Vorwürfe, die den Abbau und die Produktion begleiten, wiegen schwer: Der größten Bauxit-Mine Brasiliens wird Umweltverschmutzung und Landaneignung nachgesagt; eine Raffinerie, die das Erz verarbeitet, soll Tausende von Menschen krank gemacht haben.
Marc Krestin ist Anwalt und ein glühender Verfechter für Umweltschutz und Menschenrechte. Aktuell treibt er mit der internationalen Kanzlei Pogust Goodhead in den Niederlanden eine Klage voran, die man auch sinnbildlich für das Dilemma lesen kann, in dem wir stecken: Wertvolle Rohstoffe, die für deutsche Autos und die Energiewende genutzt werden, auf der einen Seite; verschmutzte Ressourcen wie Wasser, bedrohte Landrechte von Indigenen in Brasilien auf der anderen. Auf dem Spiel stehen auch wichtige Natur- und Klimaschutzziele – und es geht um viel Geld.
Tausende Kilometer entfernt von den Niederlanden lagert im Amazonas-Regenwald im brasilianischen Bundesstaat Pará in etwa acht Metern Tiefe ein Erz, dessen Metall weltweit begehrt ist: Bauxit, der Grundstoff für Aluminium. Das Bauxit wird aus einer Mine geschürft, der seit langem Umweltverschmutzung und Landaneignung nachgesagt werden.
Weiter flussabwärts, nahe der Mündung des Amazonas in den Atlantik, soll eine Raffinerie, die dieses Erz verarbeitet, Tausende von Menschen krank gemacht haben.
„Wir hoffen, dass die Opfer Gerechtigkeit bekommen. Und dass unsere Kläger für den Schaden entschädigt werden, den sie jahrelang erlitten haben“, sagt Marc Krestin.
Die Spur des Aluminiums führt nach Europa – und sie endet bei uns, hier in Deutschland, in unseren Produkten.
Raubbau am Amazonas
Allein im brasilianischen Urwald leben mehr als 300 verschiedene indigene Völker. Vom Süden her dringen seit Jahrzehnten Holzfäller immer weiter in die Territorien der indigenen Bewohner und lokalen Gemeinden vor.
Über den Wald verteilt fressen sich Bergbautrupps in das dichte Grün. Vier Jahre unter der Regierung von Ex-Präsident Jair Bolsonaro haben den illegalen Bergbau weiter angetrieben. Erst seit der Regierungsübernahme durch Lula da Silva geht der Staat gegen illegalen Bergbau vor.
Auch der legale Abbau von Rohstoffen verursacht große Schäden. Ist eine Bergbau-Konzession erteilt, dringen viele Menschen in bisher weitgehend unberührte Gebiete vor. Straßen, Schienen, Flug-Landeplätze, Dämme und Stromleitungen werden gebaut. Arbeiter lassen sich vor Ort nieder, häufig mit ihren Familien, sie bauen Häuser und betreiben Landwirtschaft. Wald wird meist weit über die Grenzen der Bergbaugebiete abgeholzt – bis zu einem Umkreis von 70 Kilometern, wie eine Studie zeigt. Die negativen Auswirkungen des Bergbaus auf Biodiversität, Wasser und die menschliche Gesundheit seien weltweit ähnlich groß wie durch Landwirtschaft, mahnt der Weltbiodiversitätsrat IPBES.
Der Amazonas, der größte zusammenhängende Regenwald der Welt und Heimat einer riesigen Vielfalt von Tieren, Pflanzen und anderen Organismen, ist in Gefahr. Wissenschaftler:innen warnen vor einem drohenden „Kollaps“ des Ökosystems Amazonas. Zudem machen sich die Effekte der Erderwärmung bemerkbar. Der Regenwald trocknet aus. Das betrifft die Bevölkerung vor Ort unmittelbar; aber auch uns, hier in Deutschland. Stirbt der Amazonas weiter ab, könnten Überschwemmungen und Dürren, weltweit zunehmen. Der Raubbau für Soja, Palmöl und die Aluminiumproduktion beschleunigt die fatale Entwicklung.
Man muss sich fragen: Wie nachhaltig und sozialverträglich kann ein Produkt sein, dessen Ausgangsmaterial aus dem Regenwald stammt? Klar ist: unsere Welt funktioniert nicht ohne Aluminium und andere Bodenschätze, aber bisher interessiert sich kaum jemand wirklich dafür, woher die Rohstoffe kommen – und die Gesetze klammern den Bergbau oft genug aus.
Niederlande: Die Klage
Was indigene Gemeinschaften und Umweltorganisationen schon lange anprangern, wird bald mündlich vor einem niederländischen Gericht in Rotterdam verhandelt. Die international tätige Anwaltskanzlei Pogust Goodhead hat Beschwerden über Schäden gesammelt, die angeblich die Raffinerie Alunorte bei Belém im Bundesstaat Pará verursacht haben soll. Sie will erreichen, dass über 11.000 Betroffene entschädigt werden – wie viele Menschen wirklich betroffen sind, ist derzeit unklar. Die Vorwürfe wiegen jedoch schwer: „Die Opfer waren giftigen Abfällen und Schwermetallen aus der Aluminiumverarbeitung ausgesetzt, die gesundheitliche Probleme verursachen können, wie erhöhtes Auftreten von Krebs, psychische Erkrankungen, Gedächtnisverlust, Sehverlust, Kopfschmerzen, Hautkrankheiten, Magenprobleme und Durchfall“, heißt es in der Beschwerde.
Dafür will die Kanzlei nun das Unternehmen Norsk Hydro ASA, einen der größten Aluminiumproduzenten der Welt und seine niederländischen Tochterfirmen zur Verantwortung ziehen. „Die Opfer, von denen viele aus indigenen Gemeinschaften stammen, haben eine Vielzahl von körperlichen und psychischen Gesundheitsproblemen erlitten, ganz zu schweigen von Einkommensverlusten, vom Verlust kulturellen Erbes und von Umweltschäden“, sagt Krestin.
Deutschland: Der Rohstoff-Hunger
Mit einem Verbrauch von 2,1 Millionen Tonnen ist Deutschland nach China mit 33,1 Millionen Tonnen und den USA mit 4,6 Millionen Tonnen der drittgrößte Verbraucher von neu erzeugten Aluminium weltweit, dem primären Hüttenaluminium. Laut Prognosen wird sich der Aluminiumverbrauch allein der Automobilhersteller weltweit bis 2050 sogar verdoppeln.
Primäraluminium geht hierzulande mit 46 Prozent in den Verkehrssektor. Weil weniger Gewicht Treibstoff spart und die Reichweite der Batterie verlängert, ist das Metall bei Autobauern begehrt – sowohl bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotoren für Karosserie, Motorblock und Getriebe, als auch für Elektroautos für Karosserie, Batteriekasten und Leistungselektronik.
Auch der Trend zu XXL-Fahrzeugen bindet mehr Rohstoffe. Daten des französischen Beratungsunternehmens Inovev zeigen: Im Durchschnitt sind die in Europa gebauten Autos heute sieben Zentimeter höher, zehn Zentimeter breiter und 20 Zentimeter länger als im Jahr 2000. Das durchschnittliche Gewicht eines Autos hat bis 2022 sogar um 20 Prozent auf rund 1,5 Tonnen zugelegt.
Die Energiewende treibt die Aluminium-Nachfrage ebenfalls an – für Solaranlagen, Windräder, neue Stromtrassen.
Die Deutsche Rohstoffagentur (DERA) hat 2022 den Materialverbrauch für das Erreichen der Ausbauziele der Bundesregierung berechnet. Für Windkraft- und Solaranlagen werden in Deutschland bis 2030 etwa 1,3 Millionen Tonnen Aluminium benötigt.
Ist die Energiewende also ein Rohstoff-Killer?
Die Nichtregierungsorganisation PowerShift glich zur Beantwortung dieser Frage öffentlich einsehbare Daten vom Volkswagen-Konzern ab. Demnach würde Volkswagen nur für 2030 und allein für seine Mobilitätsbatterien knapp 800.000 Tonnen Aluminium benötigen. Nur für Batterien, die ein einziger deutscher Autokonzern offenbar in einem Jahr verbauen will. Das entspricht ungefähr dem Achtfachen an Aluminium des gesamten geplanten Zubaus an Windkraftanlagen in Deutschland von 2021 bis 2030, welcher 100.000 Tonnen Aluminium erfordert.
Fest steht: E-Autos, Windräder und Solaranlagen schaffen neue Rohstoffbedarfe – und können ökologische Probleme verursachen. Wie dieser Interessenkonflikt zu lösen ist, bleibt eine noch wenig beachtete Herausforderung.
Brasilien: Die Mine
Knapp 9000 Kilometer entfernt von Deutschland tragen Bulldozer bereits seit Jahren wertvolle Lehmschichten ab, riesige Flächen Urwald verwandeln sich in eine rötliche, staubige Wüste. Mehrere Abbau-Plateaus der Mine befinden sich im Nationalpark Saracá-Taquera National Forest, mitten im Amazonas. 18 Millionen Tonnen Bauxit holt die Bergbaugesellschaft Mineração Rio do Norte (MRN) hier jährlich aus dem Boden. MRN ist Brasiliens größter Bauxitproduzent und -exporteur mit Sitz in der Region Porto Trombetas im Westen von Pará.
Dem brasilianischen Forscher Luiz Jardim von der staatlichen Universität Universidade Federal Fluminense zufolge lag dort die jährliche Entwaldungsrate 1986 bis 1990 noch bei 109,9 Hektar. Zwischen 2016 und 2020 habe sich diese mit 413 Hektar fast vervierfacht. Damit gingen über 41 Jahre knapp 11.000 Hektar Waldfläche verloren.
MRN erklärte gegenüber RiffReporter, dass es für den Bergbau „jedes Jahr zwischen 300 und 400 Hektar“ Wald abholzt. Dies sei von den staatlichen Umweltbehörden „genehmigt“.
Der Regenwald
MRN zufolge wird im nächsten Schritt der Regenwald renaturiert, also in einen möglichst naturnahen Zustand zurückgeführt. „Unsere Bewirtschaftung erfolgt unter strikter Einhaltung der Gesetze, unter Achtung der lokalen Traditionen und im ständigen Dialog mit verschiedenen Stakeholdern“, rühmt sich das Unternehmen. MRN berichtet von 7.398 Hektar wiederhergestellten Wald mit „mehr als 14,5 Millionen Setzlingen von 450 einheimischen Baumarten“. Die Überlebensrate der verwendeten Pflanzenarten in den Wiederbepflanzungsflächen liege bei 90 Prozent. Nachprüfen lassen sich diese Aussagen nicht.
„Das Bergwerk bei Porto Trombetas (MRN) wird häufig als positives Beispiel für die Wiederaufforstung gerodeten Regenwaldes genannt“, heißt es in einer Fallstudie im Auftrag des deutsches Umweltbundesamts (UBA). Darin wird eine Studie von Dr. Peter H. Whitbread-Abrutat zitiert, nach der der Wald zu 70 Prozent wiederhergestellt worden sei.
Der ursprüngliche Wald aber ist weg. „Obwohl die Renaturierungsmaßnahmen in den letzten Jahren stark verbessert wurden, ist eine vollständige Wiederherstellung der Biodiversität und der Artenvielfalt jedoch nicht zu erreichen“, hält die vom UBA beauftragte Studie das Offensichtliche fest.
Der Schlamm
Ein weiteres Problem ergibt sich aus dem nächsten Bearbeitungsschritt: Vor dem Weitertransport wird das Bauxit gewaschen und getrocknet. Dabei fallen riesige Mengen an Schlamm an. Früher entsorgte MRN die Rückstände im nahe gelegenen Batata-See, für die dort lebenden Quilombolas, Nachfahren geflohener Sklavinnen und Sklaven, wurde die Nutzung des Wassers und ihre Lebensgrundlagen vor Ort stark erschwert. 1989 baute MRN auf öffentlichen Druck hin das erste Auffangbecken für den giftigen Abfall. 2020 gab es bereits 26 solcher Becken.
Vertreter der Quilombolas bemängeln die Situation in der Nähe des Bauxit-Abbaugebiets wiederholt. Zwischenzeitlich sei das Wasser nicht trinkbar gewesen, lautete ein Vorwurf, über den Reporterinnen des Naturschutz-Magazins Mongabay im Jahr 2020 berichteten.
Nach Beschwerden stellte MRN zwar sauberes Wasser bereit, doch die Aufbereitung verbrauche Strom – und den müsse die lokale Gemeinschaft selbst bezahlen. „Die Mitarbeiter des Bergbauunternehmens bringen bei ihren Besuchen Mineralwasser mit und rühren unser Wasser nicht an“, wird José Domingos Rabelo, der Gemeindevorstand, zitiert – „warum nicht?“.
Ein Sprecher von MRN geht auf diese Frage konkret nicht ein, sagt aber, dass „die Ergebnisse von über 40.000 Wasserparameteranalysen zeigen, dass der MRN-Betrieb die Wasserqualität in dem Gebiet nicht beeinträchtigt“.
Die Raffinerie
Durch den Regenwald transportieren Schiffe das Bauxit über den Trombetas-Fluss zur Raffinerie nach Alunorte. Sie gehört zum norwegischen Aluminiumproduzenten Norsk Hydro, der auch am Joint Venture der MRN-Mine beteiligt ist. Alunorte ist nach Firmenangaben die weltweit größte Aluminiumraffinerie außerhalb Chinas.
An der Herstellung von Aluminium verdienen nicht nur Firmen wie Hydro, sondern auch ihre Anteilseigner. Im Falle von Hydro ist der größte Anteilseigner die norwegische Regierung. Pikant: Norwegen tritt zugleich als größter Geldgeber des Amazonas-Schutzfonds auf.
2018 geriet Hydro in die Kritik. Während starker Regenfälle zwischen dem 16. und 18. Februar 2018 berichteten Menschen, die in der Nähe der beiden Ausscheidungsbecken der Anlage lebten, über Überschwemmungen mit kontaminiertem Rotwasser und Schlamm, so der Guardian. Nilson Cardoso, Präsident eines Handelsverbandes im nahe gelegenen Beja, sagte gegenüber der Zeitung: „Das begann dann die Häuser der Menschen in der Nähe des Beckens zu überschwemmen – die Bäche fingen an, diesen roten Schlamm aufzunehmen, die Farbe der Bäche änderte sich, tote Fische tauchten auf“.
Die Alunorte-Raffinerie ist gesetzlich verpflichtet, jegliches Abwasser zu reinigen. Doch das sei nicht geschehen, lautet einer der Vorwürfe.
Was in den Tagen im Februar 2018 tatsächlich passierte, ist bisher nicht abschließend geklärt. Die Erzählungen gehen deutlich auseinander.
Kontaminiertes Regenwasser
Regenwasser, das auf das Raffineriegebiet fällt, muss gesammelt und in der Wasseraufbereitungsanlage der Raffinerie aufbereitet werden, bevor es in den Fluss Pará eingeleitet wird. „Um die Situation zu bewältigen und die Aufbereitung des Wassers aus den Bauxit-Rückstandslagerstätten während und nach den starken Regenfällen im Februar 2018 sicherzustellen, leitete Alunorte als Notfallmaßnahme teilweise aufbereitetes Regenwasser aus dem Raffineriegebiet ab“, so Hydro. Das Wasser sei dabei unlizenziert über einen alten Wasserkanal (Canal Velho) verklappt worden, am 17. Februar und zwischen dem 20. und 25. Februar 2018. Die Nutzung des Kanals war von der Umweltbehörde SEMAS im Bundesstaat Pará „nicht genehmigt“.
Die Umweltberatung SGW Services, die später die Auswirkungen der starken Regenfälle untersuchte, erklärte, die Entscheidung, das Regenwasser über den Kanal abzulassen, sei die beste Vorgehensweise in einer solchen Situation gewesen. Erlaubt war diese Verklappung aber nicht. Auch an anderen Stellen wurde auf der Anlage offenbar unbehandeltes Regenwasser aus dem Raffineriebereich abgeleitet. So sickerte Regenwasser durch Risse eines stillgelegten Baurohrs aus Beton.
Darüber hinaus gab es „eine nicht genehmigte Verbindung zwischen dem Kohlelagerschuppen der Raffinerie Alunorte und einem genehmigten Entwässerungskanal des angrenzenden Primäraluminiumwerks Albras. Das bedeutete, dass Regenwasser, das auf das Kohlelagergelände fiel, nicht zur Kläranlage geleitet wurde, sondern durch diesen internen Kanal in den Fluss Pará floss“, wie Hydro auf seiner Webseite schreibt.
Alunorte hat zwar den pH-Wert des Regenwassers am Einlass zum Kanal angeglichen, bevor es abgelassen und dann mit Wasser aus der Wasseraufbereitungsanlage sowie Oberflächenwasser aus der Aluminiumfabrik Albras zusammengeführt wurde. Doch wie das Unternehmen selbst schreibt, hat es nur „einen Teil“ des Regenwassers am Einlass zum Kanal „behandelt“.
Fragt man den Gewässertoxikologen Werner Kloas vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei IGB nach einer Einschätzung zu den toten Fischen nach dem Starkregen, so sprechen diese für einen zu hohen pH-Wert des Wassers.
Das Brasilianische Bundes-Umweltamt IBAMA reagierte ebenfalls und führte am 27. und 28. Februar 2018 zusammen mit Forschern des bundesstaatlichen Evandro Chagas Instituts (IEC), das ans Gesundheitsministerium angeschlossen ist, eine Inspektion vor Ort durch. Der technische Bericht des IEC weist darauf hin, dass „die physikalisch-chemischen Ergebnisse und Gehalte an Schwermetallen zeigten, dass es Veränderungen im Oberflächenwasser gab, die dessen Qualität beeinträchtigten“ und dass dies „direkte Auswirkungen auf die Gemeinschaft von Bom Futuro hatte“. Den Forschern zufolge „wiesen die Gewässer einen hohen Gehalt an Aluminium und anderen Stoffen auf, die mit den von Hydro Alunorte erzeugten Abwässern in Verbindung stehen“.
In der Umgebung des riesigen Industriekomplexes – in der weitere Firmen beheimatet sind – hätten die IEC-Forscher zudem hohe Gehalte an Sulfat, Chlorid und Blei festgestellt. Der Aluminiumgehalt sei gar 30-fach erhöht gewesen im Vergleich zum gesetzlichen Grenzwert Brasiliens. Die brasilianische Umweltbehörde IBAMA verdonnerte Hydro zu einer Geldstrafe von 20 Millionen Brasilianische Real (damals 6,2 Millionen US-Dollar); später musste das Unternehmen weitere 160 Millionen Real (damals 38,5 Millionen US-Dollar) zahlen. Die Aufforderung der ersten Zahlung erging nur einen Tag nach der gemeinsamen Besichtigung von IBAMA und den IEC-Forschern – begründet mit „potenziell schädlichen Aktivitäten ohne gültige Lizenz“ sowie wegen des angeblich stillgelegten Abflussrohrs aus Beton.
Das Problem mit den Schwermetallen
Ob das Regenwasser, das in den Fluss eingeleitet wurde, zugleich auf Schwermetalle analysiert oder nur pH-behandelt wurde, bleibt unklar. „Nur den pH-Wert einzustellen, ohne zu wissen, was dann eigentlich in dem Mischwasser vorliegt, reicht nicht aus. Man weiß nicht, ob da viel oder wenig Schwermetalle drin sind“, sagt der Gewässertoxikologe Kloas. Wurde dieses Wasser nämlich neutralisiert, dann könnten sich einige der Stoffe, die vorher im alkalischen Bereich waren, wieder lösen – also Schwermetalle freisetzen, warnt der Wissenschaftler. Schwermetalle sind ein mittel- und langfristiges Problem für Natur und Menschen, und können verschiedene, je nach Menge und Dauer des Kontakts mit dem Gift, schwerwiegende Krankheiten auslösen. Unternehmensangaben zufolge lagen die Schwermetalle in der Trinkwasserqualität noch innerhalb der empfohlenen Grenzwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des brasilianischen nationalen Umweltrats CONAMA.
Das Unternehmen bestreitet die Vorwürfe
Hydro-Unternehmenssprecher Halvor Molland wirft den Klägern in Rotterdam „forum shopping“ vor, also das Springen von Gericht zu Gericht. Die Klage in den Niederlanden überschneide sich mit Klagen, die von brasilianischen Gerichten bereits abgewiesen worden seien. „Der niederländische Rechtsfall zitiert neun angebliche Ereignisse in den letzten zwanzig Jahren – einige davon sind eingetreten, andere nicht – und keines davon hätte die von den Klägern behaupteten Schäden verursachen können“, erklärt Molland.
Wie lange eine Urteilsfindung dauern könnte, ist derzeit unklar.
Der damals amtierende Norsk Hydro-Chef, Svein Richard Brandtzæg, entschuldigte sich am 19. März 2018 öffentlich für das Einleiten des ungereinigten Regenwassers und Oberflächenwassers in den Fluss Pará. Trotz dieser Entschuldigung bestreitet das Unternehmen bis heute, das Wasser verschmutzt zu haben.
Sowohl eine interne Task Force als auch das brasilianische Umweltberatungsunternehmen SGW Services hätten keine Anzeichen oder Beweise für eine Verunreinigung nahe gelegener lokaler Gemeinden durch die Aluminiumoxidraffinerie Alunorte in Brasilien gefunden, so Norsk Hydro am 9. April 2018.
Nachhaltiges Aluminium?
Inzwischen steigt auch die Nachfrage nach CO2-reduziertem Aluminium. Dabei wird Aluminium(oxid) mit erneuerbaren Energien aus Wasser, Wind und Sonne produziert oder weiterverarbeitet. Kunden möchten ihre Emissionen verringern, Unternehmen werben eben mit genau diesem Versprechen. Doch das sagt nichts über den gesamten Produktionsprozess aus. Die ökologischen und sozialen Kosten sind möglicherweise höher, als den Verbraucher:innen bewusst ist.
Aluminium-Lieferketten blieben für die Öffentlichkeit bisher weitgehend unbemerkt.
Erst eine Bloomberg-Recherche brachte dieses Jahr ans Licht, dass ein Großteil des Aluminiums im amerikanischen Elektro Pick-up F-150 von Ford aus der MRN-Mine und der Raffinerie Alunorte stammt – mit dem Umweg über Kanada.
Das Aluminium landet auch in deutschen Fahrzeugen
Doch die Spuren des Metalls führen vom Amazonas nicht nur in die USA, sondern ebenso nach Europa – und nach Deutschland.
Das Aluminium lässt sich vom Amazonas-Regenwald ganz konkret bis zu deutschen Produkten verfolgen. Ein deutscher Autohersteller erklärte sich zu einem Gespräch gegenüber RiffReporter bereit – unter der Prämisse, dass der Unternehmensname streng vertraulich bleibt. Was die Insider erzählen: „Die Alunorte Raffinerie, die MRN-Mine und die Paragominas-Mine sind schon die Hauptkette des Materials, das auch Hydro in den Hütten in Norwegen zu Aluminium weiterverarbeitet. Dementsprechend gehen wir stark davon aus, dass wir dieses Material auch in unserer Kette haben.“ Und wenig später: „Und das ist auch so.“
Bei mindestens einem deutschen Autohersteller löste die Recherche der Nachrichtenagentur Bloomberg zur MRN-Mine und Alunorte-Raffinerie in Brasilien anscheinend große Sorge aus: Vertreter des Unternehmens flogen nach Erscheinen des Berichts an die Orte des Geschehens, um sich ein eigenes Bild zu machen. Man traf sich auch mit einem Biodiversitätsforscher, um über die Umweltauswirkungen zu sprechen.
Was öffentlich bekannt ist: Hydro beliefert bereits den europäischen Felgenhersteller Cromodora Wheels mit CO₂-reduziertem Aluminium. Endkunden des Unternehmens sind auch deutsche und europäische Firmen: Audi, BMW, Ferrari, Maserati, Mercedes-AMG, Porsche, Seat, Skoda und VW. Audi teilte schon 2019 mit, dass Hydro „nachhaltiges, ASI-zertifiziertes Aluminium an Audi“ liefert. Auch Porsche gab öffentlich bekannt, von Hydro „CO₂-reduziertes Aluminium“ abzunehmen.
Blackbox Lieferkette
Obwohl Deutschland weltweit zu den Hauptabnehmern von Aluminium zählt, sind die genauen Importe erstaunlich schwer zu ermitteln.
Die Außenhandelsstatistik kennt zwar die Länder, aus denen die Lieferung nach Deutschland kommt – Brasilien hat hier jedoch einen verschwindend geringen Anteil. Nach Angaben der Deutschen Rohstoff-Agentur werden für den Aluminium-Import im Jahr 2021 aus Brasilien nur 28.391 Tonnen ausgewiesen – das sind nicht einmal 0,2 Prozent der Gesamtimporte für Bauxit, Aluminiumhydroxid, Aluminiumoxid, legiertes und nicht-legiertes Aluminium und weitere Verarbeitungsstufen. Dagegen importiert Deutschland satte 13,1 Prozent davon direkt aus den Niederlanden, 7,8 Prozent aus Frankreich und 4,6 Prozent aus Norwegen. Woher diese Rohstoffe ursprünglich stammen, bleibt in der Statistik jedoch unklar. Die Lieferketten, die von ihrem Produkt bis in den Amazonas-Regenwald zurückführen, bleiben für die Verbraucher:innen in Deutschland somit unsichtbar.
Welche Naturzerstörung mit dem Bergbau einhergeht, muss bisher weder auf einem Label noch auf einem Lieferschein stehen. Die vielen Verarbeitungsschritte und Zwischenhändler verschleiern die Herkunft von Waren und blenden für die Verbraucher:innen soziale Probleme und Umweltrisiken aus. Dabei will die deutsche und europäische Umweltpolitik eigentlich dafür sorgen, dass Transparenz über genau solche Zusammenhänge herrscht.
Das deutsche Lieferkettengesetz (LkSG) regelt seit dem 1. Januar 2023 die unternehmerische Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten in den globalen Lieferketten.
Es hat Lücken.
Bei mittelbaren Zulieferern müssen Unternehmen erst dann tätig werden, wenn ihnen tatsächliche Anhaltspunkte für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden vorliegen. „Gerade in der tieferen Lieferkette geschieht jedoch ein Großteil der Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden“, kritisiert die Initiative Lieferkettengesetz.
Lieferkettengesetz: Unternehmen müssen sich „bemühen“
Die Umweltstandards beschreiben verschiedene Expertinnen und Experten als unzureichend. „Das Gesetz beschränkt die umweltbezogenen Pflichten auf eine vermeintlich abschließende Auflistung von drei Übereinkommen, die Deutschland ratifiziert hat (Minamata-Konvention, Stockholmer Übereinkommen, Basler Übereinkommen). Das reicht schlichtweg nicht aus, um dem Präventionsgrundsatz des Umweltrechts gerecht zu werden“, kritisiert Michelle Trimborn, Campaignerin von der Initiative Lieferkettengesetz. Zwar erfasse das Gesetz die Schutzgüter Boden, Wasser und Luft im Rahmen der menschenrechtlichen Risiken – aber massive Umweltzerstörungen durch Biodiversitätsverlust würden nicht notiert. „Auch das Klima findet keine Berücksichtigung – damit sind zwei zentrale Umweltschutzgüter im Gesetz nicht erfasst“, so Trimborn.
Auf der anderen Seite sorgen sich Unternehmen, was die genaue Auslegung des Lieferkettengesetzes für sie konkret bedeutet.
Torsten Safarik, Präsident des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa), erklärte gegenüber dem manager magazin, kein Unternehmen müsse gänzlich ausschließen, dass Menschenrechte bei Lieferanten verletzt würden. Entscheidend sei, dass man sich „bemühe“ und dies dokumentieren könne.
Professor Thomas Klindt, Industrieanwalt und Partner der Kanzlei Noerr kritisierte im Rechtsgespräch-Podcast, dass man das, was man politisch als Staat nicht durchsetzen könne – Stichwort: Menschenrechte – mit dem Lieferkettengesetz auf die Wirtschaftsakteure abwälzen würde.
Die geplante EU-Richtlinie ist deutlich strenger als das deutsche Lieferkettengesetz, denn sie hat die gesamte Lieferkette im Blick. Die EU zielt auf Unternehmen mit mindestens 500 Mitarbeiter:innen und 150 Millionen Euro Jahresumsatz; das deutsche Gesetz erst auf Firmen mit mindestens 3.000 (ab 2023) bzw. 1.000 Mitarbeiter:innen (ab 2024). Für Branchen mit einem höheren Risiko für Missbrauch (z. B. Bergbau, Landwirtschaft) zieht die EU schon bei 250 Mitarbeitern die Grenze.
Zudem enthalten die verschiedenen Entwürfe für das EU-Gesetz weitergehende Umweltpflichten – „allerdings sind diese, je nach Entwurf, ebenfalls sehr lückenhaft“, erklärt Finn Schufft, Referent für Unternehmensverantwortung von Germanwatch.
Gegen die Beweislast-Umkehr hatten Liberale und Konservative erfolgreich lobbyiert; das heißt, dass nach wie vor der Kläger die Schuld beweisen muss.
Auch ist unklar, wann das Gesetz genau kommt. Noch wird verhandelt.
Die Bauxit-Mine soll weiter wachsen
Indigene Gemeinden wie die Quilombola wurden nach eigenen Angaben nicht gefragt, als der brasilianische Staat die Schürfrechte an MRN auf ihren angestammten Territorien vergab. Zwei davon überschneiden sich mit den Abbaugebieten. Seit Jahren wehren sie sich gegen den Verlust ihrer angestammten Territorien und die Folgeschäden des Bergbaus.
Ein Bericht von Engagement Global, der Servicestelle des Bundes für entwicklungspolitische Initiativen im Auftrag des Bundesministeriums für Entwicklung und Zusammenarbeit, stützt diese Darstellung: „Der Konzern betreibt dort die größte Bauxitmine der Welt [Brasiliens, Anmerkung der Verfasserin], ohne dafür die rechtlich erforderliche Zustimmung der Quilombola eingeholt zu haben. Schätzungen zufolge sind bereits 4.700 Hektar Quilombola-Territorien von Konzessionen der MRN bedroht. Trotzdem dehnt der Konzern den Bergbau immer weiter aus – und dies mit offizieller Genehmigung.“
Hat MRN die Umweltverträglichkeitsprüfung erstellen lassen oder nicht?
Vor Beginn eines Projekts muss eine öffentliche Umweltverträglichkeitsprüfung (Environmental Impact Assessment) erstellt werden. Weiterhin erfordern gesetzliche Regelungen eine Umweltlizenz (Environmental License), die darlegt, dass das Projekt nicht nur den Umweltanforderungen des Bundes, sondern auch des Bundesstaates entspricht – in diesem Falle Pará. Als MRN 2013 eine Lizenz zur Erkundung des Monte Branco Plateaus erhalten habe, das sich teilweise mit Quilombola-Territorium überlappt, hatte das Unternehmen diese Umweltverträglichkeitsprüfung von Engagement Global zufolge „nie erstellen lassen“.
Dem widerspricht MRN mit Hinweis auf die vorliegenden brasilianischen Gesetze und Prüfungsverfahren.
Die Konzession für den Bauxit-Abbau durch MRN läuft noch bis 2026. Der Betreiber will das Erz weitere 20 Jahre abbauen. Das Gebiet würde sich noch tiefer in den Regenwald und auf Ländereien der Quilombolas erstrecken.
„Die öffentlichen Anhörungen zum Umweltgenehmigungsverfahren verliefen umfassend und im Einklang mit der brasilianischen Gesetzgebung“, sagt MRN.
Unterdessen bereitet sich der Anwalt Marc Krestin mit seinem Team auf den Prozess in den Niederlanden vor. Das Gericht in Rotterdam startet mit dem Verhandlungsbeginn am 13. Oktober.
Das Rohstoff-Dilemma, in dem wir zwischen Energiewende und Überkonsum stecken, wird in der Zwischenzeit nicht kleiner.
Die Löcher im Amazonas, sie wachsen weiter. Der Lunge der Welt droht die Luft auszugehen.
Ein Teil der Recherchen wurde gefördert durch die Hering-Stiftung Natur und Mensch.