Wissenschaft und Indigene begrüßen Montreal-Beschlüsse, mahnen schnelle Umsetzung an
Vertreter indigener Gemeinschaften sehen ihre Rolle beim Schutz der Natur- und Artenvielfalt anerkannt und gestärkt. Deutsche Forscherinnen und Forscher sprechen von großem Erfolg mit Tücken im Detail. Strenger Kurs gefordert, um Ziele zu überwachen
Vertreterinnen und Vertreter von Wissenschaft und indigenen Gemeinschaften haben es begrüßt, dass der UN-Weltnaturgipfel ein neuartiges Abkommen mit 23 Zielen bis zum Jahr 2030 beschlossen hat. Das Internationale Indigene Forum für biologische Vielfalt (IIFB) lobte das Abkommen für seine „deutliche Sprache zur Achtung der Rechte indigener Völker und lokaler Gemeinschaften“.
Einer der führenden deutschen Bioversitätsforscher, Josef Settele vom Helmholtz-Umweltforschungszentrum (UFZ), erklärte in einer Stellungnahme für das Science Media Center, er sei „vom Ausgang der Verhandlungen positiv überrascht.“ Das viel diskutierte 30×30-Ziel sei erhalten geblieben, ein Mechanismus, um zusätzliche Anstrengungen zu finanzieren, sei geschaffen worden. Die 196 Staaten seien „einen guten Schritt in eine richtige Richtung gegangen.“
Eingriff ins Wirtschaftssystem
Katrin Böhning-Gaese, Direktorin des Senckenberg-Forschungszentrums für Biodiversität und Klima in Frankfurt, erklärte, es seien „überraschend große Erfolge erzielt“ worden. Sie hob hervor, das Abkommen setze bei den tieferen Ursachen von Naturzerstörung im Wirtschafts- und Finanzsystem an. Wichtig sei vor allem das Ziel, „Subventionen, die zum Verlust von Biodiversität führen, bis zum Jahr 2030 um 500 Milliarden Dollar pro Jahr zu reduzieren und gleichzeitig die finanziellen Anreize für den Schutz der Natur zu erhöhen.“
Die Stimmen von Wissenschaft und Indigenen waren für den Weltnaturgipfel besonders wichtig. Die Entscheidungen werden von Nationalstaaten und ihren Regierungen getroffen, doch Wissenschaft und Indigene hatten während den vierjährigen Vorbereitungen für das Abkommen auf vielfältige Weise versucht, sich Gehör zu verschaffen.
Indigene bisher nur Beobachter
So legte der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) seit 2019 eine Serie von wissenschaftlichen Studien vor, aus denen die Dramatik des Natur- und Artenschwunds hervorgeht. Demnach könnte bis 2100 jede achte Art ausgestorben sein und die Existenz ganzer Ökosysteme, wie etwa von Korallenriffen, bedroht sein. Vertreter der rund 400 Millionen Menschen aus indigenen Gemeinschaften waren zu zahlreichen UN-Treffen gereist und hatten Mitsprache eingefordert, die ihnen in ihren Ländern oft verwehrt bleibt. Formal haben sie eine Rolle als Beobachter.
Da Schätzungen zufolge 80 Prozent der verbleibenden Biodiversität auf indigenen Territorien liegen, ist die Rolle dieser Gemeinschaften enorm wichtig. Zugleich gibt es Konflikte, wenn Naturschutzregeln ohne Absprache mit Indigenen eingeführt werden.
Die Vertreterinnen und Vertreter indigener Gemeinschaften lobten nun aber das Ergebnis von Montreal. „Es ist historisch, ein Moment zum Feiern“, sagte Jennifer Tauli Corpuz, eine Vertreterin aus dem Volk der Kankana-ey Igorot auf den Philippinen. Viviana Figueroa vom Volk der Omaguaca-Kolla in Argentinien sagte im Namen des Weltforums der Indigenen IIFB, die Staaten würden nun endlich „anerkennen, dass auch indigene Völker einen Beitrag zur Erhaltung der biologischen Vielfalt leisten können“. Vorher sei diese Rolle unsichtbar gewesen. Sie begrüßte insbesondere die Aufnahme der Rechte indigener Völker in das Ziel zum Schutz eines Drittels der weltweiten Meeres- und Landgebiete.
Knackpunkt Umsetzung
Doch während auch in der Wissenschaft die Freude darüber überwog, dass ein Ergebnis erzielt wurde, hoben Forscherinnen und Forscher auch Schwächen des Beschlusses hervor. Ein Betrag von 20 Milliarden Dollar pro Jahr zusätzlich für den Naturschutz sei „noch als sehr gering einzustufen“, erklärte Settele. Yves Zinngrebe, Wissenschaftliche Mitarbeiter am UFZ, erklärte: „Es war definitiv kein Paris-Moment – ich hatte den Eindruck, dass alle Delegierten der COP15 müde von vier Jahren sehr zäher Verhandlungen sind.“ Es sei zum Schluss nur noch darum gegangen, überhaupt ein Abkommen zu haben.
Kritik gab es insbesondere daran, dass die Pläne zur Umsetzung der 23 beschlossenen Ziel zu vage seien. Zwischen 2010 und 2020 gab es schon einmal hehre Ziele für den Naturschutz – die sogenannten Aichi-Ziele, die bei einem Gipfel in Nagoya beschlossen worden waren. Doch keines dieser Ziele wurde erreicht, was aber erst nahe am Enddatum 2020 aufgefallen ist. Einer Wiederholung sollte eigentlich vorgebeugt werden, doch nun wird erst in fünf Jahren wirklich überprüft, wie groß die Fortschritte sind.„
“Wenn man auf die letzten Zielvereinbarungen blickt – die Aichi-Ziele –, sieht man, dass es beim Thema Biodiversität nicht an ehrgeizigen Zielen mangelt, sondern an der Umsetzung„, mahnt Katrin Böhning-Gaese. Eine RiffReporter-Analyse bestätigt das.
Schutz der Biodiversität überall
“Das Zielsystem weist einige Fortschritte zu den Aichi-Zielen auf – zum Beispiel mehr quantitative Indikatoren und ein sehr schwacher Evaluierungs- und Nachsteuerungsprozess„, urteilt Zinngrebe. Grundlegende Probleme “wie vage, unpräzise Zielstellungen und fehlende Umsetzungsmaßnahmen„ bestünden aber nach wie vor.
Henrique Pereira vom Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) spricht von einem “außerordentlichen Erfolg der globalen politischen und wissenschaftlichen Gemeinschaft, auf den jahrelang hingearbeitet wurde„. Besonders wichtig sei, dass alle Gebiete einer integrierten Raumplanung unterliegen müssten: “Das bedeutet, dass die Biodiversität überall erhalten werden muss, nicht nur in Schutzgebieten.„ Alle vom Science Media Center befragten Forschenden betonten, dass nun eine rasche nationale Umsetzung entscheidend sei.
Chef des Umweltbundesamt fordert schnellen Subventionsabbau
Auch Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, begrüßte das Weltnaturabkommen als “Meilenstein„. “Endlich ist beschlossen, dass naturschädliche Subventionen abgebaut werden sollen„, erklärte Messner. Das reduziere die ökonomischen Anreize für Raubbau an der Natur und gleichzeitig werde Geld mobilisiert, das wir in den Artenschutz stecken können.
Der Abbau umweltschädlicher Subventionen sei unerlässlich: “Nach unseren Analysen gab Deutschland im Jahr 2018 mehr als 65 Milliarden für umweltschädliche Subventionen aus", schrieb Messmer. Der Subventionsabbau müsse sozialverträglich erfolgen, etwa indem pflanzliche Grundnahrungsmittel von der Mehrwertsteuer befreit würden. Zudem müsse in der EU der Pestizideinsatz deutlich runtergefahren werden und der Einstieg in eine Landwirtschaft erfolgen, die Ökosysteme besser schütze.
Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering-Stiftung Natur und Mensch gefördert.