UN-Naturschutzabkommen: Staaten sollen Verlust der Artenvielfalt bis 2030 weitgehend stoppen
Verhandler legen erstmals weitreichende Vorschläge vor / Abbau von 500 Milliarden Dollar Subventionen gefordert / Entscheidungen statt im Oktober erst im Frühjahr 2022
Ein neues globale Abkommen zum Schutz der Natur soll die Wende im Kampf gegen das weltweite Artensterben bringen. Nun gibt es einen ersten Textentwurf dafür. Nach mehr als zweijähriger Arbeit daran haben die Chefunterhändler der UN-Konvention über die biologische Vielfalt (CBD) am Montag ihren Vorschlag für konkrete Eckpunkte im Kampf gegen das Artensterben und die weltweite Krise der Ökosysteme vorgelegt.
Der erste offizielle Entwurf für ein neues globales Rahmenabkommen zum Schutz der Natur sieht unter anderem vor, dass bis 2030 ein Drittel der Erdoberfläche unter wirksamen Schutz gestellt, die Verwendung von Pestiziden um zwei Drittel verringert und die weitere Belastung der Umwelt mit Plastikmüll beendet werden soll.
Allerdings wird der politische Prozess dadurch getrübt, dass der eigentliche Gipfel ein zweites Mal verschoben wird. Der Weltklimagipfel (COP26) soll trotz Pandemie im November in Glasgow stattfinden, doch die chinesische Regierung will aufgrund der Ausbreitung der Delta-Variante im Oktober kein Gipfeltreffen mit tausenden Teilnehmern aus aller Welt ausrichten. Deshalb soll es zum geplanten Termin ein eher zeremonielles Ereignis mit online zugeschalteten Spitzenpolitikerïnnen geben, der Weltnaturschutzgipfel (COP15) mit den eigentlichen Schlussverhandlungen und Entscheidungen soll dann erst im Frühjahr 2022 in Kunming stattfinden.
Der Entwurf ist das Ergebnis von weitgehend virtuell geführten Beratungen von Delegationen der 196 Mitgliedstaaten der UN-Konvention. Er schreibt auf dem Weg zu einem völkerrechtlich verbindlichen Abkommen zwei erste Vorentwürfe („Zero Drafts“) fort. Das endgültige Abkommen soll beim Welt-Biodiversitätsgipfel (CBD-COP15) im chinesischen Kunming beschlossen werden, der bislang offiziell für Mitte Oktober vorgesehen ist, aber nach Informationen von Countdown Natur aus Verhandlungskreisen wahrscheinlich abermals verschoben wird. Voraussichtlich soll er nun im März nächsten Jahres stattfinden.
Reduktion schädlicher Agrochemikalien
Der Vertragsentwurf enthält insgesamt 21 Ziele, die bis 2030 verwirklicht werden sollen, um das von den Vereinten Nationen bis zur Jahrhundertmitte ausgegebene Ziel eines „Lebens im Einklang mit der Natur“ auf dem Planeten zu erreichen. Darunter ist das Ziel, noch bestehende intakte Ökosysteme und Wildnisgebiete zu erhalten, gestörte Ökosysteme zu renaturieren und die Umweltverschmutzung massiv zu verringern. Auch die Finanzmittel für den Schutz der biologischen Vielfalt sollen erhöht werden. Entwicklungsländer sollen dazu bis 2030 rund 200 Milliarden Dollar mehr aus den entwickelten Staaten erhalten.
Das von vielen Staaten und Umweltverbänden geforderte Schlüsselziel, mindestens 30 Prozent der Land- und Meeresflächen weltweit unter Schutz zu stellen, findet sich darin ebenso wie die Vorgabe, die Nährstoffeinträge in die Natur um die Hälfte zu verringern. Der Gebrauch naturschädlicher Agrarchemikalien soll um 75 Prozent verringert werden. Die Einschleppung invasiver, gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten, die eine große Gefährdung lokaler Ökosysteme mit sich bringen, soll um die Hälfte reduziert werden.
Abbau von 500 Milliarden Dollar naturfeindlicher Subventionen
Der Textentwurf betont auch die Notwendigkeit, die beiden Menschheitsprobleme des Klimawandels und des Artensterbens gemeinsam anzugehen. Ein beträchtlicher Teil der Einsparungen bei Treibhausgasen sollen die Staaten deshalb über naturbasierte Lösungen (NBS) erreichen, beispielsweise durch den Schutz von Wäldern, Mooren und Meeres-Ökosystemen. Sehr wichtig auch mit Blick auf den ebenfalls in diesem Jahr anstehenden Weltklimagipfel ist die Vorgabe im Vertragsentwurf, dass alle Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen negative Auswirkungen auf die biologische Vielfalt vermeiden müssen.
Wie bereits das Vorgängerabkommen enthält auch der Entwurf für das neue Weltnaturschutzabkommen die Verpflichtung an die fast 200 Mitgliedstaaten, naturschädliche Subventionen stark zu reduzieren. Der Abbau von umweltfeindlichen Beihilfen beispielsweise in der Landwirtschaft gilt als Schlüsselelement zur Finanzierung des weltweiten Naturschutzes. Im jetzt vorgelegten Entwurf für das Rahmenabkommen werden Einsparungen bis 2030 um 500 Milliarden Dollar pro Jahr als Ziel genannt. Damit könnte ein beträchtlicher Teil der Kosten der Finanzierungslücke geschlossen werden. Die jährlichen Kosten für den weltweiten Naturschutz werden auf 700 Milliarden Dollar geschätzt.
Campaign for Nature: Verbesserungen für Indigene
Allerdings hat es trotz ähnlich ambitionierter Vorgaben in früheren Abkommen bislang kaum Fortschritte auf dem Weg gegeben, beispielsweise das System der Agrarförderung biodiversitätsfreundlich umzubauen. Jüngstes Beispiel ist die gerade beschlossene Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik in der Europäischen Union.
In ersten Reaktionen bewerteten Naturschutzorganisationen den Entwurf unterschiedlich. Der Europachef der Campaign for Nature, Georg Schwede, hob Verbesserungen mit Blick auf die Rolle indigener Gruppen gegenüber den Vorgängerpapieren hervor. „Der Entwurf macht einen wichtigen Fortschritt, indem er die zentrale Rolle anerkennt, die indigene Völker und lokale Gemeinschaften bei der Entscheidungsfindung und dem Management des Naturschutzes spielen müssen“, sagte Schwede im Gespräch mit Countdown Natur.
Der Entwurf fordert mit Blick auf die in den Schutzgebieten lebenden Menschen, dass sie "gerecht verwaltet" werden. Außerdem soll sichergestellt werden, dass "traditionelles Wissen, Innovationen und Praktiken indigener Völker und lokaler Gemeinschaften … die Entscheidungsfindung für das wirksame Management der biologischen Vielfalt leiten“. Außerdem müssen ihre Rechte „über Land, Territorien und Ressourcen“ respektiert werden.
Kritik vom WWF
Kritisch bewertete Schwede die aus seiner Sicht zu geringen Finanzzusagen an die Entwicklungsländer. „Jetzt ist es an der Zeit, dass die wohlhabenden Nationen die zusätzlichen Mittel bereitstellen, die notwendig sind, um die Ziele zu erreichen."
Der WWF kritisierte den Entwurf als „Stückwerk“, das an vielen Stellen zu vage bleibe. „Bis zum finalen Rahmenwerk muss noch deutlich nachgebessert werden – sonst geht das größte Artensterben seit dem Aussterben der Dinosaurier wohl ungebremst weiter“, sagte Florian Titze, Experte für Biodiversität und internationale Politik beim WWF Deutschland.
Das 30-Prozent-Naturschutzziel drohe zum „Feigenblatt-Naturschutz“ zu werden und verpuffe wirkungslos, wenn wir drumherum weiter rücksichtslos Wälder abholzen, Meere zumüllen sowie Wasser, Luft und Boden auslaugen und überbeanspruchen“, sagte Titze. Wer das Ziel setze, 30 Prozent der Erde unter Schutz zu stellen, müsse direkt im Ziel auch klare Garantien für die Rechte indigener Völker aussprechen, forderte er. Diese fehlten aber, so der WWF.
Entscheidungen voraussichtlich erst im Frühjahr 2022
Der Entwurf soll nun bei Online-Verhandlungen im August weiter ausgearbeitet und sollte eigentlich – nach bisheriger Planung – beim Weltbiodiversitätsgipfel vom 11. bis 24. Oktober im chinesischen Kunming völkerrechtlich bindend verabschiedet werden.
Nach Informationen von Countdown Natur aus Verhandlungskreisen wird der Gipfel allerdings höchstwahrscheinlich nicht wie geplant stattfinden, sondern wegen der Corona-Pandemie abermals verschoben. Er hätte ursprünglich bereits im Herbst vergangenen Jahres stattfinden sollen. Allerdings soll nun Mitte Oktober zumindest eine Eröffnungsveranstaltung stattfinden, sodass China nach mehr als einjähriger Verzögerung endlich auch formal seine Gastgeberrolle einnehmen kann. Bisher führt immer noch Ägypten als Gastgeber der Vorgängerkonferenz die Geschäfte.
Geplant ist nun, dass führende Staats- und Regierungschefs über Videobotschaften die Konferenz eröffnen, um den weiteren Verhandlungen Schwung zu geben. Ob es bei dieser Gelegenheit bereits Finanzzusagen geben wird, ist offen. Der eigentliche Gipfel soll dann im Frühjahr 2022 in Kunming stattfinden, so die neuen Planungen. Vorentscheidende Verhandlungen über den Text des neuen Rahmenabkommens sollen zudem in einer weiteren Runde der dafür zuständigen Arbeitsgruppe im Januar in der Schweiz stattfinden.
Im Projekt „Countdown Natur“ berichten wir mit Blick auf den UN-Naturschutzgipfel über die Gefahren für die biologische Vielfalt und Lösungen zu ihrem Schutz. Die Recherchen zu diesem Beitrag wurden von der Hering Stiftung Natur und Mensch gefördert. Sie können weitere Recherchen mit einem Abonnement unterstützen.