UN-Naturkonferenz stärkt Mitwirkung Indigener, endet aber mit leeren Kassen
Die UN-Weltnaturkonferenz in Kolumbien begann mit ehrgeizigen Zielen und endete mit gespannten Fronten. Fortschritte wurden erzielt, doch das Geld bleibt das größte Hindernis auf dem Weg zum Ziel einer „Menschheit in Harmonie mit der Erde“.
Dieser Beitrag ist Teil unseres Spezials „COP16 und die Rechte der Natur“.
Hoffnung und Fortschritt am Anfang, Frustration und Chaos zum Schluss: Die UN-Weltnaturkonferenz COP16 in Cali hinterlässt ein zwiespältiges Bild.
Das Treffen von Delegationen aus fast 200 Ländern sollte überprüfen, welche Fortschritte die Staaten der Erde bei der Umsetzung des historischen Weltnaturabkommens von Montreal gemacht haben. Darin hatten sie sich vor zwei Jahren auf die Fahnen geschrieben, das Artensterben und die Zerstörung der Natur auf dem Planeten bis 2030 zu stoppen.
In insgesamt 23 Einzelzielen müssen in den verbleibenden fünf Jahren enorme Fortschritte erzielt werden, wenn das von den Vereinten Nationen ausgegebene Ziel einer Menschheit „in Harmonie mit der Erde“ Realität werden soll. Wie weit der Weg dorthin noch ist, haben die 12 Verhandlungstage und -nächte in Cali gezeigt. Am Ende überschattete der Streit ums Geld alle anderen Themen. Doch in Cali wurden auch wichtige Fortschritte erzielt. Das Wichtigste im Überblick:
Finanzierung des weltweiten Naturschutzes
Wie bei den Klimaschutzverhandlungen ist auch im Ringen um den Erhalt der Biodiversität die Finanzierung traditionell das schwierigste Thema.
Ob der Schutz und die Renaturierung eines Drittels der Erde, der Kampf gegen Überfischung der Meere oder der nachhaltige Umbau der Wirtschaftssysteme: die Verwirklichung aller 23 Ziele des Weltnaturabkommens hängt am Geld. Dem Gipfel gelang es nicht, hier wesentliche Fortschritte zu erzielen.
Deutschland steht an der Spitze der Geberländer für internationalen Naturschutz
In Montreal hatten sich die Industriestaaten verpflichtet, die armen Ländern vom kommendem Jahr an mit jährlich mindestens 20 Milliarden Dollar und ab 2030 mit mindestens 30 Milliarden Dollar zu unterstützen. Das Geld soll helfen, Schutzgebiete einzurichten, Ranger zu bezahlen, Landeigentümer zu entschädigen und Artenschutzprogramme durchzuführen. Es soll auch ein Ausgleich dafür sein, dass die besonders artenreichen Länder des globalen Südens auf eine nicht nachhaltige Wertschöpfung und eine wirtschaftliche Entwicklung auf Kosten der Zerstörung ihrer Naturschätze verzichten.
Zwar gab es in Cali neue Zusagen einiger Industrieländer, darunter eine weitere 50-Millionen-Finanzspritze Deutschlands, das damit an der Spitze der Geberländer steht. Doch wenige Wochen vor Beginn des Zieljahres 2025 klafft immer noch eine Lücke von mehr als vier Milliarden Dollar. „Um die von den Industrieländern zugesagten 20 Milliarden bis Ende 2025 zu erreichen, müssten ab jetzt jeden Monat zusätzliche 300 Millionen zugesagt werden“, rechnet der Finanzexperte der Naturschutzorganisation Campaign for Nature, Georg Schwede, vor.
Wo kommen 200 Milliarden Dollar pro Jahr her?
Insgesamt ist der Finanzbedarf für den globalen Naturschutz noch deutlich größer. Bis 2030 sollen dafür jährlich 200 Milliarden Dollar aufgebracht werden – von Staaten, privaten Spendern, Industrie und Finanzwirtschaft. Wie diese Summe mobilisiert werden soll, bleibt offen.
Die geplante Verabschiedung einer Finanzstrategie kam nicht zustande, weil sich die Verhandlungen darüber außer Plan so lange hinzogen, , dass viele Delegationen abreisen mussten und die Konferenz beschlussunfähig war. Entzündet hatte sich der Streit erneut an der Forderung von Entwicklungsländern, einen weiteren Fonds zur Finanzierung der Hilfe an den Süden einzurichten. Die bestehenden Fonds-Strukturen seien zu sehr von westlichen Geldgebern dominiert, argumentierten sie. Schon in Montreal waren sie mit dieser Forderung gescheitert, die von den Industrieländern geschlossen abgelehnt wird.
Ein neuer Geldtopf wie beim Klimaschutz als Lösung?
Auch Deutschland ist strikt dagegen. Argumentiert wird in der Bundesregierung damit, dass der Aufbau eines weiteren –des neben dem von China eingerichteten Kunming-Montreal-Fonds und dem Biodiversitätsfonds unter dem Dach der Global Environment Facility (GEF) dann dritten Fonds – viel Zeit und Geld koste, aber keine zusätzlichen Mittel bringe. „Wir brauchen mehr Geld und nicht mehr Fonds“, sagt auch Finanzexperte Schwede. Für viele Entwicklungsländer ist die Frage nach dem Fonds aber entscheidend. Sie verweisen darauf, dass es mit Grünem Klimafonds und dem „Loss and Damage“-Fond im Klimabereich analoge Töpfe gibt. In der Tat sind beide Klimafonds mit rund 15 Milliarden beziehungsweise 700 Millionen Dollar weitaus besser gefüllt als die Töpfe zur Bewahrung der Natur.
Mit der Finanzierungslücke und dem neuerlichen Scheitern eines neuen Fonds sind die Fronten in einer entscheidenden Phase bei der Umsetzung des Abkommens verhärtet. Einige Ländervertreter machten in Cali deutlich, dass sich das fehlende Geld und der Mangel an wechselseitigem Vertrauen auch darauf auswirken werden, wie ambitioniert und schnell Staaten daran gehen, die Montreal-Ziele umzusetzen.
Durchbruch nach Jahrzehnten: Pharmaindustrie soll für digitale Informationen zahlen
Immerhin in einem ebenfalls finanzrelevanten Bereich erzielten die Staaten einen Durchbruch. Erstmals sollen große Unternehmen zur Kasse gebeten werden, die mit der Nutzung digitalisierter genetischer Informationen aus Entwicklungsländern Profite erwirtschaften. Denn gleich ob Hautcreme, Impfstoff oder Krebsmedikament: Zahlreiche kosmetische und pharmazeutische Produkte basieren auf Erbgutinformationen, die aus Pflanzen oder andere Organismen aus dem artenreichen globalen Süden stammen.
Über genetische Sequenzierung analysiert und digitalisiert, sind die für die Produktentwicklung nötigen und DSI abgekürzten Informationen weltweit in Datenbanken abrufbar. Während Unternehmen damit Milliardenumsätze erwirtschaften, gingen die meist armen Herkunftsländer bisher bei der kommerziellen Nutzung ihrer natürlichen Schätze leer aus.
Geld von den DSI-Profiteuren – aber nur freiwillig
Das ändert sich mit dem in Cali beschlossenen „Cali-Fonds für den fairen und gerechten Vorteilsausgleich bei der Nutzung von digitalen Sequenzinformationen“. Unternehmen, die von DSI profitieren, sollen künftig ein Prozent ihrer Gewinne oder 0,1 Prozent des Umsatzes der Produkte in den Fonds einzahlen. Das Geld soll in den Naturschutz investiert werden und vor allem indigenen Gemeinschaften zugutekommen. Nach Schätzungen könnte der Fonds jährlich einen einstelligen Milliardenbetrag erbringen. Allerdings ist die Einzahlung für Unternehmen freiwillig, sodass einige Experten mit Einnahmen unter der Milliardenschwelle rechnen. Ausgenommen von Zahlungen bleiben nicht-kommerzielle Nutzer von DSI wie Universitäten und öffentliche Forschungseinrichtungen.
Mehr Rechte für indigene Völker
Auch in einem weiteren Bereich werden die Rechte indigener Völker deutlich gestärkt. Sie erhalten künftig formelle Mitspracherechte innerhalb der UN-Biodiversitätskonvention. Naturschutz über die Köpfe indigener Gruppen hinweg oder sogar auf ihre Kosten, soll damit der Vergangenheit angehören.
Fortan wird ihre Vertretung anderen Organen der Biodiversitätskonvention wie beispielsweise dem wissenschaftlichen Komitee gleichgestellt. Der Beschluss bedeutet auch eine erhebliche politische Aufwertung des traditionellen Wissens über Umgang und Nutzung der Natur durch indigene Gemeinschaften. In den von ihnen bewohnten und bewirtschafteten Erdregionen findet sich heute ein erheblicher Teil der verbliebenen biologischen Vielfalt, auch wenn der oft kursierende Anteil von 80 Prozent von Wissenschaftlern inzwischen angezweifelt wird. Auch für die Natur selbst ist die Stärkung der Rechte der rund 300 bis 500 Millionen Indigenen eine gute Nachricht. Wissenschaftliche Analysen zeigen, dass die Natur in den von Indigenen bewirtschafteten Gebieten in einem deutlich besseren Zustand ist als selbst in staatlich kontrollierten Schutzgebieten.
Gemeinsam gegen die Doppelkrise: Klima- und Naturschutz sollen enger verzahnt werden
Klimawandel und Naturverlust haben dieselbe Ursache: eine nicht nachhaltige Übernutzung der Erde. Aus dieser Erkenntnis soll nach jahrelangen Debatten nun Konsequenzen gezogen und der Kampf gegen die beiden ökologischen Menschheitsprobleme besser miteinander verzahnt werden. Konkret sollen die Ziele der beiden getrennt verhandelten Gipfel zu Klima und Biodiversität besser aufeinander abgestimmt werden und die wissenschaftlichen Gremien beider UN-Konventionen enger miteinander zusammenarbeiten.
Schon vor drei Jahren hatten Wissenschaftler beider Organisationen auf eine bessere Abstimmung gedrungen, um möglichst viel für Klima- und Naturschutz zu erreichen. Im Beschluss von Cali wird auch empfohlen, Maßnahmen, die Klima und Natur gemeinsam schützen, künftig prioritär umzusetzen.
Naturschutz wird in der Klimadebatte aufgewertet
Dazu gehört beispielsweise die Renaturierung von Mooren und der Schutz von Wäldern. Beide Lebensräume speichern große Menge Treibhausgase und sind gleichzeitig Brennpunkte der Artenvielfalt. Der Beschluss fordert auch, dass Klimaschutzmaßnahmen wie der Ausbau der Erneuerbaren Energien nicht zulasten der Natur gehen sollten. Der Beschluss wertet den international bisher in der Praxis oft dem Klimaschutz untergeordneten Naturschutz deutlich auf.
„30×30“: Wo steht die Welt beim wichtigsten Montreal-Ziel
Um die Artenvielfalt auf dem Planeten zu bewahren und damit auch Leistungen der Natur wie die Bestäubung von Pflanzen oder sauberes Trinkwasser für die Menschheit zu sichern, sollen 30 Prozent der Land- und Meeresfläche bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Diesem Ziel nähert sich die Welt im Schneckentempo, wie Zahlen zeigen, die das UN-Umweltprogramm in Cali vorlegte. Die Fläche der seit dem Montreal-Abkommen neu ausgewiesenen Schutzgebiete an Land wuchs nur um 0,5 und auf See sogar nur um 0,2 Prozentpunkte. Damit sind immer noch weniger als 18 Prozent der Land- und gut acht Prozent der Meeresfläche geschützt. Rechnerisch müssten an Land täglich 10.000 Quadratkilometer neuer Schutzgebiete hinzukommen. Auf den Weltmeeren müssten in den kommenden Jahren bis 2030 an jedem Tag 85 neue Schutzgebiete ausgewiesen werden.
Die Umsetzung des Flaggschiff-Ziels von Montreal musste in Cali zwei weitere Rückschläge hinnehmen: Ein fertig ausgehandeltes Rahmenabkommen, das Fortschritte bei der Umsetzung der Ziele überwachen und die ökologische Qualität durch verbindliche Kriterien sicherstellen sollte, konnte wegen der Beschlussunfähigkeit am Ende der COP nicht mehr verabschiedet werden.
Außerdem legten nur gut 40 der 196 Vertragsstaaten wie gefordert detaillierte Pläne vor, wie sie die Montreal-Ziele in ihren Ländern konkret umsetzen wollen. Auf der Haben-Seite verständigten sich die Staaten auf ein gemeinsames Vorgehen bei der Auswahl artenreicher Meeresregionen – ein wichtiger Schritt zur Umsetzung des Meeresschutzabkommens, mit dem das 30-Prozent-Ziel erreicht werden soll.
Erfolg oder Misserfolg?
Markieren die zwei Wochen der Cali-COP nun Fortschritte auf dem Weg, die ökologische Krise des Planeten zu bewältigen oder werden sie als weitere verpasste Chance in die Geschichte eingehen? Wohl eher letzteres: denn dort, wo Fortschritte gemacht wurden, fallen sie zu schwach aus, um sofort und wirksam das Ruder umzureißen.
Die Pharma-Lebensmittel- und Kosmetikbranche für die Nutzung digitalisierter Informationen zur Kasse zu bitten, ist ein Fortschritt. Die auf Drängen auch der gesamten EU festgeschriebene Freiwilligkeit entwertet diese Chance auf Geld für den Naturschutz im globalen Süden aber sofort wieder. Das Tempo auf dem Weg zu mehr Schutzgebieten ist deprimierend langsam – auch wenn in den zwei Jahren seit Montreal keine Wunder zu erwarten standen.
Vor allem aber droht mit der Nicht-Verabschiedung des Monitoring-Rahmens die weitere Aufweichung qualitativ hochwertiger Standards bei der Umsetzung der Ziele. Schutzgebiete auf dem Papier gibt es bereits genug – auch hierzulande. Wenn bei der nächsten COP in zwei Jahren die große Bilanz des Erreichten – der sogenannte „Stocktake“ – auf dem Programm steht, fehlen ohne einen Monitoring-Rahmen die Messlatten, an denen Fortschritte oder Mängel festgemacht werden können.
Auch das aus den Klimaverhandlungen hinlänglich bekannte Versagen reicher Länder, die von ihnen eingegangenen finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen, wirft einen großen Schatten auf Cali. Uneingeschränkt auf der Haben-Seite von Cali stehen die Stärkung der Rechte indigener Völker und das beeindruckende Festhalten einiger Länder an ihren Naturschutz-Zusagen trotz innenpolitischen Widerständen und Geldknappheit: Brasilien, Gastgeber Kolumbien und Ecuador gehören dazu. Die engere Verzahnung von Klima- und Biodiversitätsschutz ist ebenfalls ein wichtiger Schritt – wenn er auch bereits sehr lange überfällig ist.
Kraftvoller Aufruf oder Hilfeschrei?
Nicht zuletzt die Tatsache, dass sich die Staatengemeinschaft in einer von Kriegen und internationalen Rivalitäten erschütterten Welt – wie schon in Montreal – wenigstens in einigen Punkten zusammengerauft hat und einige wichtige Entscheidungen auf den Weg gebracht hat, ist ein Erfolg. Wo der von Bundesumweltministerin Steffi Lemke ausgemachte „enorme Schritt zum Schutz unserer Natur“ in Cali gemacht wurde, bleibt allerdings ihr Geheimnis. Die deutsche Chefin der Konvention über biologische Vielfalt, Astrid Schomaker, hat es zum Ende der ersten Vertragsstaatenkonferenz unter ihrer Leitung angenehmerweise vermieden, übertriebene Erfolgsbotschaften zu verkünden. Von Cali sei „ein kraftvoller Aufruf zum Handeln in die Welt gegangen“, erklärte sie. Für die Natur und ihren Schutz dürfte dieser Aufruf wie ein Hilfeschrei klingen.