Zweifel ist ihr Produkt – die Fortsetzung

Nein, es gibt keinen Rechenfehler in der Klimabilanz von E-Autos

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Vor den Hintergrund eine metallicblauen Motorhaube sind Typenschildern üppig motorisierter Dieselautos montiert

Wieder einmal versuchen Professoren mit aufgebauschter Trivialität Zweifel zu säen. Diesmal geht es um die Frage, ob E-Autos wirklich klimafreundlicher sind als Diesel-Autos. Die Taktik ist Jahrzehnte alt und immer wieder erfolgreich von Lobbyisten angewandt worden. Doch das Blendwerk wurde schnell entkräftet. Ein Kommentar.

Man kann’s ja mal probieren. Vielleicht funktioniert der alte Trick noch.

Es mag sein, dass Thomas Koch nicht explizit so gedacht hat. Aber gehandelt hat er so. Schon mindestens zum zweiten Mal. Nur hat es eben diesmal eher nicht funktioniert.

Koch wollte, mit einer ganzen Reihe von Mitstreitern, dem Dieselmotor in den Klimaplänen der Europäischen Kommission mehr Geltung verschaffen. Womöglich fühlte er sich als Professor für Verbrennungsmotoren am Karlsruhe Institut für Technologie dazu berufen. Sein Mittel der Wahl war, das Elektroauto schlecht zu machen, indem er es für unerwartete CO2-Emissionen verantwortlich zu machen versuchte. Allerdings wurde seine Absicht schnell genug erkannt und konterkariert, bevor sie politischen Schaden anrichten konnte – kräftige Widerworte haben den Schwung der Attacke aus Karlsruhe gebrochen. 

Der Trick, von dem hier die Rede ist, ist die alte Zweifel-wecken-Masche. Es ist ein bewährtes Mittel, mit dem ganze Industriebranchen immer wieder staatliche Maßnahmen gegen ihr gemeinschafts-schädliches Profitmodell abgewehrt haben. Der Trick ist einfach: Man muss nur laut genug zetern und behaupten, dass die Wissensbasis überhaupt nicht ausreichend oder gefestigt genug sei, um Regulationen zu rechtfertigen. 

Naomi Oreskes und Eric Conway haben vor Jahren in ihrem Buch „The Merchants of Doubt“ beschrieben, wie das über Jahrzehnte immer wieder funktioniert hat. Die Taktik lässt viele in der Politik innehalten und bricht dem Engagement der Bürger:innen die Spitze. Dabei helfen einem geneigte „Experten“, wenn man nicht selbst vorgeben kann, einer zu sein. Zur Not kann man ja auch lügen, manipulieren oder wenigstens etwas Verwirrung stiften.

Zweifel säen, Verbraucher verunsichern

„Zweifel ist unser Produkt“ lautete 1969 der explizite Rat von PR-Beratern an die Manager der Zigarettenindustrie, dem danach unter anderem die Asbest-, Kühlmittel- und Ölbranchen über Jahrzehnte gefolgt sind. Und auch Thomas Koch hat dieses Rezept schon mindestens einmal angewandt, damals 2019, als er mit drei anderen Männern einen Brief unterzeichnete, in dem sie die Gesundheitsgefahren von Stickoxiden bezweifelten. Nicht, dass Thomas Koch wirklich etwas davon verstand, er ist schließlich kein Mediziner. Seine Ko-Autoren, darunter immerhin ein Lungenarzt, wurden aber nach einigen Wochen der Fehlkalkulation überführt.

Nun also Runde 2: Wieder ist Thomas Koch in Verteidigung des Selbstzünders in ein Wissensgebiet eingedrungen, das nicht seins ist. Diesmal geht es um Funktion und Ausbau des Stromnetzes. Der Vorstoß hatte drei Elemente: ein Positionspapier, ein offener Brief an die EU-Kommission und ein akademischer Fachaufsatz. Dieser rügte vorgebliche Mängel bei der üblichen Berechnungsmethode, was die Nachfrage nach Strom einer neuen Gattung von elektrischen Verbrauchern für die Emissionen des Kraftwerkparks bedeute. (Über die Nachricht und die Reaktionen habe ich hier in der Süddeutschen Zeitung berichtet.) 

Diese Studie ist die zentrale Nebelkerze. Sie ist gespickt mit Formeln, Variablen, Indices, Integralen und dem Habitus der Differentialrechnung. Sie sieht daher unheimlich gelehrt aus, und soll – so will Koch es verstanden wissen – einen prinzipiellen Fehler anderer Kalkulationen offenlegen. In Wirklichkeit ist die Aussage überhaupt nicht neu, die Notation aufgeblasen und schlampig und die verwendete Mathematik eher schlicht und einfach. Es geht um den Stoff der 10. Klasse Mathematik. Wer es nachlesen möchte, es ist die „Produktregel der Ableitung“. 

Der Mathematiker Leibniz wird als Kronzeuge geführt

Diese Formel muss man auch in einem akademischen Aufsatz nicht mehr herleiten, schon gar nicht mit Rückgriff auf den alten Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716), der zwar ein Genie war, aber nun schon mehr als 300 Jahre tot ist. Genauso wenig müssen heute Virolog:innen Jacob Bernoulli (1655–1705) oder Leonhard Euler (1707–1783) zitieren, wenn sie den exponentiellen Verlauf einer Pandemie berechnen. Bei Thomas Koch aber gehörte das Zitieren von Leibniz offenbar zur Show, und so berufen seine Mitunterzeichner und er sich auch in dem Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen auf den großen Mathematiker. Macht halt was her, so ein Name.

Die Show soll offenbar die Bedeutung von Kochs Einwurf unterfüttern. Dieser ist einerseits im Prinzip berechtigt. Nähme man plötzlich Millionen Elektroautos ans Netz, ohne für Quellen sauberen Stroms zu sorgen, dann würden deren Batterien mit einem zunehmenden Anteil von Kohlestrom geladen. Darüber hinaus hätten auch die Lampen in allen Wohnzimmer und die Kühlschränke in allen Küchen einen schmutzigeren Energiemix. Das wäre sicherlich nicht klimagerecht. 

Andererseits ist der Einwand allen Beteiligten wohlbekannt. Dass Elektroautos ihre Batterien heute noch zum Teil mit Kohlestrom laden, wurde nun wirklich rauf- und runterdiskutiert. Ebenso, dass es am besten wäre, für alle Stromer würden neue Solarpanels oder Windräder gebaut. Die Ausbaupfade von Elektroautos und Quellen erneuerbarer Energie müssen darum mindestens parallel verlaufen, besser noch: Das Angebot grünen Stroms muss schneller wachsen als die neue Nachfrage danach. Genau so werden Energiemodelle aber auch gemacht und bewertet. 

Außerdem gibt es noch andere Veränderungen in der Energiewirtschaft: Auch Wärmepumpen benötigen Strom und sind nur dann die klimafreundliche Alternative zu Gasheizungen, wenn der Strom grün ist. Das gleiche gilt für Industriewärme, oder Computertechnik und Digitalisierung. Gleichzeitig verbrauchen manche Dinge tatsächlich viel weniger Strom, allen voran die LED-Lampen. Welche von den neuen Anwendungen darf nun rechnerisch die Einsparungen bei der Beleuchtung verbrauchen, welche andere bekommt den bösen Stempel aufgedrückt, schmutzigeren Strom für alle verursacht zu haben? 

Weil diese Zuordnung nicht praktikabel ist, und weil die neuen Stromverbraucher beim Ausbau des Netzes und der Energiewende ohnehin mitgedacht werden, arbeiten echte Energie-Expert:innen mit der Annahme, dass neue Verbraucher den Strommix nicht verändern. Die von Koch aufgebauschte Produktregel spielt keine Rolle, der prinzipielle Einwand ist in der Realität bedeutungslos. 

Das hätte Koch sicherlich auch schnell heraus bekommen können. Aber warum soll man sich seine Meinung von Recherche kaputt machen lassen? Stattdessen schrieb er seinen Aufsatz und den offenen Brief und verwischte darin nach besten Fähigkeiten die logischen Lücken und Fehler. 

Nicht passende Details lässt der Professor lieber weg

Der Brief schlägt der EU-Kommission nämlich vor, lieber mehr in sogenannte E-Fuels zu investieren. Das sind künstliche Kraftstoffe, für deren Herstellung man Strom nutzt. Sie sollen dem herkömmlichen Diesel beigemischt werden, zunächst zu einem Drittel. Der Haken ist, wenn man nicht in Kochs Fantasiewelt lebt, dass es ungefähr fünf- bis achtmal so viel Strom kostet, E-Fuels für einen Kilometer Fahrstrecke zu produzieren, als ein Elektroauto für die Strecke braucht. Wenn es also ein Problem mit dem Strommix geben sollte, dann verschärfen E-Fuels es um den Faktor fünf bis acht. 

Dieses Problem lässt Koch aber geflissentlich unter den Tisch fallen und möchte allen Ernstes den Eindruck erwecken, es sei besser, einen Diesel mit zwei Drittel fossilem Kraftstoff und einem Drittel E-Fuels fahren zu lassen als ein Elektroauto. Diese Masche möchte vor allem Zweifel bei jenen Menschen säen, die gerade überlegen, auf was für ein Auto sie sich für viele Jahre festlegen sollen. Jeder Verkauf eines weiteren Verbrenners aber erhöht die Beharrungskräfte auf dem Fahrzeugmarkt. 

Um all das zu erreichen, genügt es schon, mit kruden Thesen in eine dpa-Meldung zu kommen, die viele Zeitungen nachdrucken: „Professoren streiten über CO2-Bilanz von E-Autos“ stand zum Beispiel im Münchner Merkur darüber. Und so etwas ist für viele Menschen ein eindeutiges Signal: So lange die Professoren streiten, lasse ich mal lieber die Finger von so neuartigem Kram. 

Der Trick mit dem Zweifel ging nicht auf wie geplant

Trotz alledem hat der Trick mit dem Zweifel-erwecken diesmal nicht wie gewünscht gezündet. Nach der Geschichte mit den Stickoxiden und den Lungenärzten haben sich viele Journalist:innen intensiv der Fehleranalyse gewidmet: Was haben wir falsch gemacht, warum brauchte es einen Rechenfehler in dem Vorstoß, um zu verhindern, dass die Politik die Vorlage nutzt und die Grenzwerte in den Städten verändert? Eine zentrale Ursache war, dass die Medien die Sache nicht ernst genug genommen und nicht schnell genug reagiert haben. Oft ist es ja auch so, dass man Unsinn erst dadurch aufwertet und Sichtbarkeit verschafft, dass man ihn widerlegt. Das mag 2019 zur anfänglichen Zurückhaltung beigetragen haben.

Diesmal was es anders. Der offene Brief trägt das Datum vom 20. Juni, dem Sonntag vergangener Woche. Schon am Dienstag danach lag eine erste Bewertung von Fachleuten in den Postfächern; organisiert und verteilt vom Science Media Center in Köln. Die schon in der dpa-Meldung enthaltenen kritischen Stimmen stammten aus dieser Experten-Befragung. Und offenbar haben etliche Menschen, so wie ich, dann oder schon vorher alles stehen und liegen gelassen, um diese Geschichte abzufangen, bevor sie größeren Schaden anrichtet. 

Gelernt hat die Branche das auch in der Corona-Pandemie mit ihren vielen voreiligen und falschen Meldungen, und das ist eigentlich gutes Zeichen. Zweifel – zu bewerten und wo nötig zurückzuweisen – ist eben unser Geschäft. ◀

Links zur Artikeln bei riffreporter.de, die Verkehrs- und (Elektro-)Autothemen behandeln:

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