Wann, wenn nicht jetzt?

Die Corona-Krise entwickelt sich weltweit in vielen Städten als Verkehrswende-Booster. Deutschland droht diese Gelegenheit zu verpassen

von Daniela Becker
6 Minuten
Ein Teil einer Autostraße in Berlin wird durch Pylone abgetrennt und zu einem Radweg umgewidmet.

KlimaSocial – vom Wissen zum Handeln

In vielen Städten rund um die Welt wird aufgrund der Coronakrise im Eiltempo mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer geschaffen. Eine einmalige Gelegenheit, um mehr Menschen für alternative Mobilität jenseits des privaten PKW zu begeistern und die dringend benötigten Verkehrswende in Schwung zu bringen. Während rund um den Globus neue Fahrradspuren praktisch über Nacht entstehen, tut sich in Deutschland so gut wie nichts. Verschlafen deutsche Verwaltungen diese Gelegenheit oder ist Verkehrswende politisch nicht gewollt? Ein Kommentar von Daniela Becker

München, den 14. Mai 2020

Mit Routinen zu brechen und das Verhalten dauerhaft zu ändern ist schwierig. Für den Klimaschutz ist aber genau das notwendig, insbesondere in den Bereichen, auf die Menschen großen Einfluss haben: zum Beispiel unsere Mobilität.

Wer nichts anderes kennt, als sich mit dem Auto von zuhause zum Arbeitsplatz zu bewegen, tut sich schwer, ohne Anlass darauf zu verzichten.

Für saubere Luft und mehr Klimaschutz ist es aber dringend notwendig, dass viele Menschen in Zukunft ohne eigenes Auto mobil sind und stattdessen auf Sharing-Systeme, Fahrrad sowie Bus und Bahn umsteigen.

Die psychologische Forschung weiß sehr genau, wann Menschen besonders offen für Veränderung sind. „Gute Gelegenheiten dafür sind Lebensumbrüche – also ein Umzug, der Wechsel des Arbeitsplatzes, die Geburt von Kindern, der Eintritt in die Rente. Das sind einschneidende Situationen, in denen sich die Menschen umorientieren. Die Bereitschaft, etwas Neues auszuprobieren, ist dann besonders groß“, sagt Mobilitätsforscherin Sophie Becker in einem Interview mit Busystreets.

Nun ist eine Pandemie keine Situation, die man sich gewünscht hätte, um Veränderung anzustoßen, aber ohne Zweifel ist die Coronakrise für viele Menschen ein einschneidendes Erlebnis.

Verkehrswende: Nie war die Gelegenheit günstiger

In wenigen Wochen haben Menschen viele neue Dinge gelernt: Abstand beim Einkaufen halten, Maske tragen, dauerhaft im Home-Office arbeiten, mit Freunden und Familie über Videokonferenzen in Kontakt bleiben. Wegen der Gefahr der Ansteckung mit dem Virus werden öffentliche Verkehrsmittel gemieden; viele lange nicht genutzte Fahrräder wurden entstaubt und aus der Garage geholt. Durch die neue Lust am Outdoor verzeichnen Fahrradhändler einen nie dagewesenen Boom.

Selten zuvor war die Gelegenheit günstiger, einer großen Menge Menschen zu zeigen, dass man Strecken unter zehn Kilometer problemlos mit dem Rad bewältigen kann und dass sich Einkäufe auch damit oder zu Fuß erledigen lassen. Wann, wenn nicht jetzt, ist ein guter Zeitpunkt, über ein Sharing-Angebot mal einen E-Roller oder E-Vespa auszuprobieren?

Es ist die Stunde der Kommunen

Die Städte haben es in der Hand. Sie können jetzt mit gezielten Angeboten insbesondere jene Menschen motivieren, die alternativen Formen der Mobilität eher kritisch gegenüber standen. Die wichtigste Maßnahme ist dabei, für Menschen, die nun zu Fuß, auf dem Rad oder mit anderen Kleinstvehikeln unterwegs sind, Platz zu schaffen, damit sie sicher ans Ziel kommen. Ohnehin sieht man ja schon häufig, dass Fußgänger auf die eher leeren Straßen ausweichen, weil auf den Gehwegen sonst eine Begegnung mit Mindestabstand überhaupt nicht mehr möglich ist.

Madrid hat daher zum Beispiel kurzerhand 29 Straßen in Fußgängerzonen umgewandelt. Jogger*innen freut das, weil viele Parks noch immer geschlossen bleiben.

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