„Frau Klöckner macht sich Argumente der Munitionsindustrie zu Eigen“
Der Ballistik-Experte Carl Gremse zu den Argumenten von Julia Klöckner gegen ein Verbot von Bleimunition
Die EU-Kommission will die Jagd mit Bleimunition in Feuchtgebieten europaweit verbieten. Damit soll der qualvolle Tod von einer Million Wasservögeln pro Jahr beendet und der Eintrag von 5000 Tonnen des hochgiftigen Schwermetalls in die Umwelt gestoppt werden. Doch das Verbot droht am Widerstand des deutschen Landwirtschaftsministeriums zu scheitern. Wir sprachen mit dem Ballistik-Experten Carl Gremse darüber, wie stichhaltig die Argumente des Ministeriums und von Ministerin Julia Klöckner aus Sicht der wissenschaftlichen Forschung sind.
Dr. Carl Gremse hat am Fachgebiet Wildbiologie, Wildtiermanagement & Jagdbetriebskunde der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde zu den Schwerpunkten Tötungswirkung von Jagdgeschossen und Lebensmittelsicherheit von Wildbret geforscht; er ist zum Thema „Tierschutz im Jagdbetrieb“ promoviert worden.
Durch Überreste aus Bleimunition sterben in europäischen Gewässern jährlich mehr als eine Million Wasservögel einen qualvollen Tod – laut Schätzungen der Europäischen Chemikalienagentur ECHA. Dennoch berufen sich Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner und ihr Ministerium auf den Tierschutz, um ihre Blockade des EU-Kommissionsvorschlags für ein Bleiverbot bei der Jagd in Feuchtgebieten zu begründen. Ihre These: Bleifreie Munition wie Stahlschrot habe keine ausreichende Tötungswirkung; von solchen Geschossen getroffene größere Tiere liefen daher Gefahr, langsam und qualvoll zu verenden.
Carl Gremse: Dafür gibt es aus Sicht der Wissenschaft keine Indikation. Man kann mit bleifreier Munition jedes Tier ebenso sicher töten wie mit bleihaltiger. Studien aus verschiedenen Ländern konnten keinen Zusammenhang zwischen dem Geschossmaterial und der tierschutzgerechten (oder nicht tierschutzgerechten) Tötungswirkung belegen. Ob Munition tierschutzgerecht ist oder nicht, hängt nicht von der Frage Stahl oder Blei ab, sondern von anderen Parametern.
Welchen zum Beispiel?
Am wichtigsten ist die Sach- und Fachkunde der Jäger, die das Kaliber auf Wildart und Entfernung richtig abstimmen müssen. Wenn man mit einer zu kleinen Flinte mit zu kleinem Kaliber auf eine Nilgans schießt, verstößt das in jedem Fall gegen die Grundregeln des Tierschutzes, egal, ob die Schrote aus Blei oder aus Stahl sind.
Neuerdings wird auch damit argumentiert, dass durch die angeblich geringere Tötungswirkung bleifreier Munition die Bekämpfung invasiver Arten erschwert werde, also jener gebietsfremden Tiere, die sich schädlich auf ein Ökosystem auswirken.
Wie schon gesagt: Es gibt eine Vielzahl wissenschaftlicher Arbeiten, die belegen, dass mit bleifreier Munition bei richtiger Anwendung auch größere und schwerere Arten problemlos erlegt werden können. So wurde diese Frage bereits in den Achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Amerika und Kanada beforscht, bevor dort die Jagd mit Bleischrot auf Gänse in Feuchtgebieten verboten wurde. Es gab sogar eine Studie in Dänemark, die keine Unterschiede zwischen Blei- und Stahlschrot für die Jagd auf Rehe feststellen konnte. Für die gegenteilige Behauptung, die von den Herstellern bleihaltiger Munition seit Jahrzehnten gepflegt wird, gibt es jedoch keine wissenschaftliche Basis.
Wir als Jäger haben als einzige gesellschaftliche Gruppe das Privileg, Tiere ohne Betäubung töten zu dürfen. Daraus erwächst Verantwortung und nicht das Vorrecht, mit giftigen Schwermetallen die Ökosysteme zu zerstören.
Vielleicht hilft uns hier ja auch ein Blick in das geltende Recht weiter. In Deutschland, das mit seiner Enthaltung sehr wahrscheinlich ein europaweites Bleiverbot in Feuchtgebieten verhindert, jagt schon seit langem kaum noch ein Jäger mehr mit Bleischrot. Denn in 14 von 16 Bundesländern verbieten die Landesgesetze den Einsatz von Blei für die Jagd an Gewässern bereits.
Welche Folgen hat das dort für die Jagd etwa auf Nilgänse und Waschbären, also die invasiven Arten, mit denen Klöckner ihr Festhalten an Bleimunition begründet?
Dort werden auch Waschbären und Gänse geschossen. Und den Jägern, die diese erlegen, wird niemand tierquälerische Jagd unterstellen. Das würde dann sicher auch der Deutsche Jagdverband zurückweisen. (Der größte deutsche Jagdverband stellt sich gegen das Bleiverbot, Anmerkung Thomas Krumenacker) Noch einmal: Richtig angewendet ist bleifreie Munition bei der Jagd kein Problem, egal, um welches Tier es geht. Eher drängt sich die Frage auf, weshalb Deutschland ein Interesse daran hat, dass Jäger in anderen Ländern weiterhin Bleischrot verschießen.
Als aktiver Jäger würde ich grundsätzlich sagen: Wenn es darum geht, invasive Arten wie Marderhund oder Waschbär intensiv zu bejagen, beispielsweise zum Schutz von bodenbrütenden Vögeln, dann geht das ohnehin nicht mit der Schusswaffe, egal mit welcher Munition. Da müssen vielmehr Fallen zum Einsatz kommen. Auch deshalb klingt das Argument doch sehr an den Haaren herbeigezogen.
Eine tierschutzgerechte Jagd auch auf größere Tierarten ist also auch mit bleifreier Munition möglich?
Nach allem, was wir aus der wissenschaftlichen Literatur und dem Austausch mit Partnern wissen, die direkt zu diesen Themen forschen, und nach allem was ich in meiner eigenen Forschung zu Büchsengeschossen ermittelt habe, lautet die Antwort ohne jede Einschränkung: ja.
Dass wir hier so lange über eine Frage sprechen, die in anderen Ländern längst beantwortet ist, wirft übrigens ein bezeichnendes Licht auf die schiefe Debatte hierzulande.
Dass wir hier so lange über eine Frage sprechen, die in anderen Ländern längst beantwortet ist, wirft übrigens ein bezeichnendes Licht auf die schiefe Debatte hierzulande. Wir als Jäger haben als einzige gesellschaftliche Gruppe das Privileg, Tiere ohne Betäubung töten zu dürfen. Daraus erwächst Verantwortung und nicht das Vorrecht, mit giftigen Schwermetallen die Ökosysteme zu zerstören.
Ministerin Klöckner fordert dennoch „Raum für Innovationen“ bei der Jagdmunition. Mangelt es an vernünftiger Munition, brauchen wir innovative Neuentwicklungen?
Das ist wirklich ein Argument aus dem Köcher der Munitionsinsindustrie. Diese versucht immer wieder, irgendwelche Produkte unterzubringen, in denen es immer noch Blei gibt, auch wenn es ballistisch überhaupt nicht nötig ist. Das ist sinnlos und überflüssig, denn mit den verfügbaren bleifreien Alternativen kann alles effektiv und tierschutzgerecht gejagt werden. Diese Debatte ist zum Teil auch ein Spiel auf Zeit, um Bleiprodukte länger am Markt zu halten. Frau Klöckner macht sich ein Argument zu Eigen, das aus der Munitionsindustrie kommen muss, denn es nützt nur dieser.
Fakt ist: Wildfleisch ist das am höchsten mit Blei belastete Lebensmittel. Diese Belastung können Jäger aber verhindern, indem sie auf andere Munition umsteigen.
Kommen wir zum Thema Blei und menschliche Gesundheit Wie bedenklich ist Wild für die menschliche Gesundheit?
Die europäische Agentur für Lebensmittelsicherheit EFSA hat schon vor vielen Jahren die Grenzwerte für Blei durch ein absolutes Minimierungsgebot ersetzt, weil es keine Schwelle gibt, unterhalb derer Blei ungefährlich ist. Das bedeutet, es muss darum gehen, den Bleigehalt in jedem Lebensmittel soweit zu reduzieren wie möglich. Fakt ist: Wildfleisch ist das am höchsten mit Blei belastete Lebensmittel. Diese Belastung können Jäger aber verhindern, indem sie auf andere Munition umsteigen.
Es wird immer argumentiert, Wasser oder Getreide seien, was ihren Bleigehalt angeht, viel bedenklicher …
Das sind die beiden Lebensmittel, die die geringsten Bleiwerte aufweisen. Sie haben nur deshalb den größten Anteil an unserer Bleiexposition, weil wir sehr viel davon verzehren. Wir können aber nicht auf Wasser verzichten. Und technisch haben wir, dank hoher Standards, den Bleigehalt dieser beiden Lebensmittel bereits minimiert. Wir müssen deshalb versuchen, jedwede zusätzliche Bleibelastung aus anderen Quellen unbedingt zu vermeiden. Wir Jäger hätten eigentlich die Chance, ein wunderbares Lebensmittel zur Verfügung zu stellen. „Besser als Bio“ und wie es noch beworben wird. Aber aus irgendeiner nicht erklärbaren Borniertheit heraus würzen wir es mit Schwermetallen völlig vermeidbarer Art.
Von amtlicher Seite wird aber nur Kindern, Schwangeren und Frauen mit Kinderwunsch davon abgeraten, mit Bleimunition erlegtes Wild zu verzehren.
Kinder und Schwangere werden deshalb immer genannt, weil bei ihnen jedwedes aufgenommene Blei erhebliche neurologische Schäden auslöst. Die ganzheitliche Sicht auf das Thema geht aber verloren, wenn wir die Betrachtung auf die Frage einengen, wie gefährlich der Verzehr einer einzigen Wildmahlzeit ist. Es geht darum, jede vermeidbare Belastung mit Blei auch wirklich zu vermeiden. Und das Schöne daran ist, dass dieses Problem für Jäger wunderbar einfach zu lösen ist, weil genug gute, bleifreie Munition auf dem Markt zur Verfügung steht. Das Leben ist doch schon gefährlich genug. Da muss ich meine Kinder doch nicht ohne Not einer so problemlos vermeidbaren Belastung mit einem hochgiftigen Schwermetall aussetzen.