Jagd auf bedrohte Vögel: Die zwei Gesichter des Emmanuel Macron
Frankreichs Präsident predigt den Naturschutz und will gleichzeitig grausame Methoden der Vogeljagd erlauben. Ein Verstoß gegen geltendes Recht
Um große Worte ist Emmanuel Macron selten verlegen. Seit einiger Zeit präsentiert sich der französische Präsident besonders gerne auch als Vorreiter in Fragen des Klima- und Biodiversitätsschutzes.
Zuletzt bekannte er sich vor wenigen Tagen in seiner Eröffnungsrede bei der Weltnaturschutzkonferenz in Marseille mit viel Pathos zu mehr Naturschutz: „Die Probleme des Klimaschutzes, der Natur und der menschlichen Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden“, beschwor Macron die Delegierten. Weltweit müsse mehr für den Schutz der Natur unternommen werden denn: „Es gibt keinen Impfstoff für einen kranken Planeten.“ Der konservativ-liberale Politiker schloss mit einem Appell: Es gelte, in den Kampf zu ziehen „für das Klima, für die Natur – und letztlich für die ganze Menschheit“, forderte Macron (die ganze Rede ab 1 St.48 Min).
In diesem Moment ahnte außer dem Präsidenten selbst wohl keiner der mehr als 1000 gerührten Delegierten etwas von der bevorstehenden Attacke auf Naturschutz und Biodiversität ausgerechnet am Konferenzort Frankreich. Initiiert hat sie just der Mann, der gerade vor ihnen so emphatisch für den Schutz der Natur eintrat. Nur Tage später gab Macron diese Pläne bekannt..
Der französische Präsident ignoriert den Europäischen Gerichtshof
Macron will entgegen höchstrichterlichen Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes und des obersten französischen Gerichtshofes, des Staatsrates, die Tötung von mehr als 100.000 europäischen Zugvögeln mittels grausamer Vogelfangpraktiken erlauben.
Eigentlich war das seit vielen Jahren schwelende Thema abgeräumt: Der französische Staatsrat hatte diese von Jägern als „traditionelle Jagdmethoden“ verharmlosten Praktiken, zu ihnen zählen unter anderem das Festkleben von Vögeln an Leimruten und das Erdrosseln in Schlingen aus Pferdehaar, erst vor wenigen Monaten für rechtswidrig erklärt.
Zuvor hatte der Staatsrat den Europäischen Gerichtshof um eine Bewertung gebeten. Nachdem dieser die Praktiken als klare Verstöße gegen die für alle EU-Mitglieder verbindliche Vogelschutzrichtlinie bezeichnete. schloss sich der Staatsrat an. Im Juli setzte Macrons eigene Regierung dann die Gerichtsentscheidung um und verbot die umstrittenen Jagdpraktiken – als letztes Land in der EU.
Gut ein halbes Jahr vor der Präsidentenwahl will Macron davon nun offenbar nichts mehr wissen. Über sein Umweltministerium ließ er gleich vier Ministerialerlasse vorbereiten, die es Jägern in mehreren südfranzösischen Regionen erlauben sollen, die gerade für illegal erklärten Praktiken fortzuführen.
Ich bin empört über den Zynismus und die Klientelpolitik des Präsidenten der Republik, die Fragen über seine wahren Überzeugungen aufwerfen. (LPO-Präsident Allain Bougrain Dubourg)
Französische Vogelschützer reagieren fassungslos. „Unglaublich, aber wahr: Der französische Präsident befürwortet die Vogelwilderei“, erklärte die Vogelschutzorganisation LPO. „Ich bin empört über den Zynismus und die Klientelpolitik des Präsidenten der Republik, die Fragen über seine wahren Überzeugungen aufwerfen“, erklärte LPO-Präsident Allain Bougrain Dubourg. Angesichts der üblicherweise eher zurückhaltenden Art des Verbandes gegenüber der Politik ist dies eine fast beispiellos harte Kritik.
Die wahre Zahl der Jagdopfer dürfte um ein Vielfaches höher sein
Konkret sind nach den Dekreten mehr als 110.000 Vögel betroffen, in der Praxis dürfte eine vielfache Zahl von Zugvögeln sterben, wenn die Verordnungen in Kraft treten – denn Kontrollen gab es schon in der Vergangenheit kaum, die Behörden verlassen sich auf Selbstauskünfte ausgerechnet der Jäger, von denen viele jegliche Reglementierung als Beschränkung ihrer republikanischen Rechte ansehen.
Betroffen sind nach den offiziellen Verordnungsentwürfen Feldlerchen, Goldregenpfeifer, Kiebitze, Singdrosseln und Amseln. Sie sollen mit Netzen, Fallkäfigen und Schlingen in vier südfranzösischen Departements und in den Ardennen verfolgt werden dürfen.
Neben dem Versuch, die Zahl der erlaubten Tötungen zu limitieren, ist es auch unrealistisch, die Verfolgung, einmal erlaubt, auf die aufgelisteten Arten zu begrenzen. Denn es lässt sich beispielsweise nicht vorhersehen, welche Vogelart in einer Rosshaarschlinge qualvoll erstickt oder mit einer anderen Methode getötet wird. Diese mangelnde „Selektivität" ist einer der Verstöße gegen europäisches Recht, den auch die Luxemburger Richter moniert hatten.
Dekrete würden mehrfach gegen Recht verstoßen
Treten die Erlasse nach einer obligatorischen Konsultationsphase bis Anfang Oktober in Kraft, stellen sie einen krassen Verstoß gleich gegen zwei Bestimmungen der für alle EU-Mitglieder verbindlichen Vogelschutzrichtlinie dar.
Darin ist festgelegt, dass die massenhafte und wahllose Verfolgung illegal ist, wie sie mit Schlingen, Leimruten, Netzen und anderen Mitteln praktiziert wird. Zudem darf die legale Verfolgung von Vogelarten die Schutzbemühungen für diese in anderen Ländern der EU nicht zunichte machen. Dies betrifft die in ihren Beständen gefährdeten Arten.
In Artikel 8 der Vogelschutzrichtlinie heißt es:
"Was die Jagd, den Fang oder die Tötung von Vögeln im Rahmen dieser Richtlinie betrifft, so untersagen die Mitgliedstaaten sämtliche Mittel, Einrichtungen oder Methoden, mit denen Vögel in Mengen oder wahllos gefangen oder getötet werden…"
Ausnahmen werden erlaubt und sind im Artikel 9 geregelt – unter anderem kann der "Fang, die Haltung oder jede andere vernünftige Nutzung bestimmter Vogelarten in geringen Mengen" erlaubt werden, wenn dies "unter streng überwachten Bedingungen selektiv" stattfindet.
Genau das passiert aber nicht mit den sogenannten "traditionellen Methoden".
Sabotage der Schutzbemühungen in anderen Ländern
Viele der betroffenen Vogelarten sind in Frankreich und in anderen Teilen Europas, aus denen die Opfer in der Vogelzugzeit kommen, stark bedroht. Der Kiebitz beispielsweise ist in der neuen Roten Liste der Brutvögel Deutschlands in der zweithöchsten Kategorie „stark gefährdet“ gelistet.
Mit Bestandsabnahmen von fast 90 Prozent über das letzte Vierteljahrhundert hat die Art so starke Populationsverluste hinnehmen müssen, wie kaum eine andere Vogelart. Jeder weitere Druck bringt ihn dem Aussterben näher. Der ebenfalls betroffene Goldregenpfeifer rangiert in Deutschland sogar auf der höchsten Gefährdungsstufe als „vom Aussterben bedroht“. Auch die Feldlerche wird als gefährdet eingestuft. Für alle drei Arten wäre die Genehmigung einer Verfolgung in Frankreich damit der zweite frappante Verstoß gegen die Bestimmung in der Vogelschutzrichtlinie.
Dort heißt es in Artikel 7, dass das Ausmaß der Bejagung auch bei Arten, für die dies erlaubt ist, „die Anstrengungen, die in ihrem Verbreitungsgebiet zu ihrer Erhaltung unternommen werden, nicht zunichte“ machen darf. Genau das geschieht beispielsweise mit der legalen Jagd auf Kiebitze, Feldlerchen, Goldregenpfeifer – aber darüberhinaus auch auf Turteltauben und viele andere Arten.
LPO ruft auch Bürger anderer Staaten zu Protesten auf
Die legale Jagd ist nicht allein ein Problem in Frankreich – in Deutschland beispielsweise dürfen Bekassinen getötet werden, obwohl die Art hierzulande vom Aussterben bedroht ist. Die Befürworter argumentieren hier wie auch in Frankreich damit, dass die hier geschossenen Tiere nicht aus Deutschland stammten, sondern aus ungefährdeten Populationen beispielsweise in Russland. Dieses Argument steht aber auf tönernen Füßen: Erstens ist über den Erhaltungszustand der betroffenen Arten in ihren Hauptbrutgebieten in den allermeisten Fällen nichts bekannt. Und zweitens kann man es einer auffliegenden Bekassine beim Anlegen auf sie nicht ansehen, woher sie kommt. (Ausführlich berichten wir über das Problem der legalen Jagd hier.)
Während also auch andere EU-Länder ihre eigenen Schutzbemühungen für Vögel durch die legale Jagd konterkarieren, ist Frankreich auch in diesem Bereich besonders notorischer Täter. "Wir lassen die Jagd auf 64 Vogelarten zu, das ist doppelt so viel wie der europäische Durchschnitt", beklagt der Generalsekretär der LPO, Generalsekretär Yves Verilhac, im Interview mit den Flugbegleitern. "Und in Frankreich ist die Jagd auf 20 Arten erlaubt, die in den Roten Listen als gefährdet eingestuft sind, beispielsweise auch die Turteltaube, die europaweit zu den am stärksten gefährdeten Arten gehört."
Die LPO erhofft sich auch von Vogelschützern und Vogelschützerinnen aus dem Ausland Unterstützung. Generalsekretär Yves Verilhac ruft im Interview Unterstützerïnnen aus ganz Europa dazu auf, sich in den Online-Konsultationen und in den sozialen Netzwerken zu Wort zu melden.