Fernsehen fürs Klima: Wie Naturdokus uns zu Umweltschützer:innen machen

Naturdokumentationen können Menschen für Klima- und Naturschutz sensibilisieren, zeigt eine Studie. Ein Effekt, den Filmemacher:innen und Programmverantwortliche viel mehr nutzen sollten – eine Klima-Kolumne.

vom Recherche-Kollektiv Klima & Wandel:
4 Minuten
Man sieht eine Meeresbiologin unter Wasser, die eine Koralle mit einer Spritze behandelt.

Angesichts der aktuellen Nachrichtenlage fühle ich mich oft wie gelähmt: Die Antarktis hat derzeit so wenig Meereis wie nie zuvor, im Mittelmeer wurden mit 28, 71 Grad Celsius die höchste Temperatur seit Aufzeichnungsbeginn gemessen, die größte globale Korallenbleiche steht bevor und in Griechenland und weiteren Ländern zerstören verheerende Waldbrände unzählige Existenzen. Kurzum: Die Folgen der Klimakrise sind deutlich spürbar.

Und dennoch behaupten weiterhin viele Menschen – darunter auch Politiker:innen und Journalist:innen –, das alles wäre Klimahysterie. Frei nach dem Motto: „Was ist schon dabei, wenn das Mittelmeer so warm wie Kinderplanschbecken ist?“ Und: „Welche Hitze überhaupt? In Berlin sind doch nur 20 Grad!“ Oder: „Also Waldbrände hat es immer schon gegeben.“

Naturdokus können Problem greifbar machen

Das zentrale Problem: Die Antarktis, die Korallen und all die erschreckenden Grafiken zu Temperaturrekorden sind für viele Menschen nicht greifbar. Dass allein die Massenbleiche der Korallen schwerwiegende Folgen für mehr als 500 Millionen Menschen haben wird, scheint weit weg zu sein ebenso wie Prognosen zu überfluteten Landgebieten im Norden Deutschlands.

Fernsehen kann helfen, uns all diese Geschehnisse näher zu bringen. Zugegeben: Auf den ersten Blick klingt das etwas banal. Doch tatsächlich haben insbesondere Naturdokumentationen enormes Potenzial. Im Gegensatz zu harten Nachrichtenbildern und abstrakten Grafiken können uns Naturfilme emotional berühren. Das liegt auch an der Musik, den gewaltigen Bildkulissen und der Dramaturgie. Aber Naturdokus können noch viel mehr: Eine Studie zeigt, dass die Filme unser Interesse für Pflanzen- und Tierarten erhöhen und sogar das Engagement der Menschen für Klima- und Umweltschutzthemen steigern können.

Gestiegenes Interesse für Pflanzenarten

Für die Studie haben Wissenschaftler:innen die mehrteilige BBC-Sendereihe Green Planet(„Grüner Planet“) untersucht, moderiert von dem bekannten britischen Naturfilmer Sir David Attenborough. Das Besondere: In der Sendereihe werden keine Tierbabys oder dramatischen Jäger-Beute-Szenen dargestellt. Es geht um Pflanzen und wie diese in verschiedenen Ökosystemen wachsen, welchen Bedrohungen sie ausgesetzt sind.

Die Wissenschaftler:innen der Studie haben analysiert, wie oft die in der Doku angesprochenen Pflanzenarten in den Tagen nach der Ausstrahlung bei Google oder Wikipedia eingegeben wurden. Knapp ein Drittel der Wikipedia-Seiten, die sich auf die erwähnten Pflanzen bezogen, wurden nach der Sendung häufiger besucht. Auch bei Google erlangten die Pflanzenarten Spitzenwerte. Je mehr Sendezeit eine Pflanzenart bekam, desto eher suchten die Menschen online nach ihr.

Fernsehen für mehr Klimaschutz?

Das Fazit der Forschenden: Mithilfe von Dokus kann man die Zuschauer:innen für bedrohte Pflanzenarten sensibilisieren. Gerade Pflanzen stehen in Dokus oft nicht im Fokus, werden insgesamt weniger beachtet. Dabei sind knapp 40 Prozent aller Pflanzenarten vom Aussterben bedroht. Je mehr Dokus über bedrohte Pflanzen- und Tierarten berichten, je mehr wir Menschen die Natur verstehen, desto eher sind wir bereit, sie aktiv zu schützen, auch das zeigen Studien.

Bedeutet das jetzt: Fernsehen für mehr Klimaschutz? Ja und nein. Nicht jede Dokumentation hat automatisch diesen Effekt. Ein Vorteil, schreiben die Forschenden, sei unter anderem die Erzählstimme von David Attenborough, der die Themen anschaulich und emotional vermittelt. Der Naturforscher ist meinungsstark und beliebt. Sein deutsches Pendant war einst Heinz Sielmann. Und heute? So richtig gibt es keinen deutschen Attenborough, aber mit Harald Lesch hat auch das Fernsehen hier eine recht bekannte Erzählstimme.

Hybridformate wirken am besten

Nicht nur die Moderation ist relevant, um wichtige Botschaften zu vermitteln. Am besten gelingt das über sogenannte Hybridformate, wie Wissenschaftler:innen in einer weiteren Studie schlussfolgern. In Hybridformaten werden beeindruckende Bilder mit ernsthaften Wissenschaftler:innen-Interviews kombiniert. Die Autor:innen der Studie haben das unter anderem anhand der Doku Extinction: The Facts analysiert, in der es um den Biodiversitätsverlust geht. Demnach hätte der Film effektiv Naturschutzthemen vermittelt, die die Zuschauer:innen anschließend bei Google oder Wikipedia suchten. Größere bekannte Superproduktionen wie Planet Erde oder Blauer Planet haben laut der Forschenden hingegen keine ähnlichen Ergebnisse erzielt. Der Fokus lag dort zu sehr auf der Filmkunst und nicht auf dem Naturschutz.

Noch bauen Drehbuchschreiber:innen zu selten Klimaschutz- und Naturschutzthemen in ihre Filme ein. Doch es gibt auch positive Beispiele, wie beispielsweise die dreiteilige Dokumentationsreihe Mission Wildnis, die aktuell bei ARTE läuft. Engagierte Naturschützer:innen kämpfen dafür, die letzten unberührten Gebiete unserer Erde und deren Artenvielfalt zu erhalten – vom Schutz der bedrohten Saiga-Antilope in Kasachstan bis hin zur Aufforstung des zweitgrößten Korallenriffs der Welt in Belize.

Naturdokus erreichen Massenpublikum

Dokumentationen gelingt vor allem eines: Sie erreichen viele verschiedene Menschen, gerade dann, wenn sie im linearen Fernsehen laufen. Immerhin sahen sich rund 5 Millionen Briten die Erstausstrahlung von Grüner Planetim Fernsehen an, das sind 10 Prozent der Gesamtbevölkerung Großbritanniens. Dokus können uns berühren, weiterbilden, unterhalten und motivieren. Statt unzähligen Tatortfolgen, Reality-Formaten und Spielfilmen im Abendprogramm sollten die Verantwortlichen viel mehr Naturdokus ausstrahlen, gerade angesichts der aktuellen Nachrichtenlage. Die schwindende Antarktis, die gebleichten Korallen oder die vom Aussterben bedrohten Pflanzen und Tiere – sie alle haben die beste Sendezeit mehr als verdient.

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